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Menschen von heute - Jeder für sich

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"Menschen von heute - Jeder für sich"
Veröffentlicht am 24. November 2009, 8 Seiten
Kategorie Sonstiges
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Über den Autor:

Geboren und aufgewachsen in Süddeutschland. Lange in Berlin und Hamburg gelebt, später in der Lüneburger Heide. Neuerdings wieder in Berlin. Autor von bisher drei Romanen, von Erzählungen und von Kurzprosa. Eine Buchveröffentlichung: Alle Männer sind Brüder, Roman (BoD Norderstedt 2007). Weitere Werke als eBooks unter www.bookrix.de/-arno.abendschoen gratis lesen und herunterladen!
Menschen von heute - Jeder für sich

Menschen von heute - Jeder für sich

Beschreibung

Beobachtungen in Stadt und Land

Menschen von heute

 

1.IN LOHN UND BROT

 

In jenem Sommer habe ich vier Wochen in einem Dorf in Franken verbracht. Wenn ich zum Bahnhof ging, kam ich an der Dorfbäckerei vorüber. Oft stand der junge Bäcker vor der Backstube und rauchte. Er sog hastig an seiner Zigarette, blies nervös Qualmwolken in die gute Landluft und sah verdrießlich auf den kleinen Fluss. Dachte er an das Brot, das jetzt drinnen ausgebacken wurde? Er stützte einen Fuß auf die Hofmauer und stemmte einen Ellenbogen auf das gebeugte Knie. Ich sah zwei halb nackte Beine. Darf man in kurzen Hosen in einer Backstube arbeiten? Die zur Schau gestellte Wade zeigte eine auffallende Tätowierung: zwei Arabesken, eine rot, eine blau, wie umeinander züngelnde Schlangen. Er drückte seine Zigarette aus und warf die Kippe in den Fluss. Enten schwammen sofort herbei. Die Luft, die aus der Backstube kam, roch widerlich süß. Sie enthielt diesen ätzenden Staub, der schon jungen Bäckern die Zähne kosten kann: Bäckerkaries.

 

Einmal erlebte ich ihn im Geschäft. Er trug ein Blech mit frischen Broten in den Verkaufsraum. Eine ältere Kundin rief bewundernd: "Das Brot des Bäckers - mit Liebe gemacht!" Da knurrte er verächtlich: "Mit Liebe gemacht? Die ganze Nacht hab ich Liebe gemacht ..."Und er sah danach aus: unausgeschlafen, unrasiert, mürrisch.

 

2. EXISTENZ AM RAND

 

Wenn das Wetter schlecht war, fuhr ich "auf Nürnberg", wie die Einheimischen sagen. Einmal blieb mein Blick dort an einem jungen Mann hängen, es war an einer Haltestelle der Straßenbahn. Er war lang und dürr und der permanente Missmut auf seinem Gesicht schien gerade in endgültige Gleichgültigkeit überzugehen. Bei diesem feucht-kühlen Wetter trug er eine feuerrote kurze Hose und seine dünnen, braunen Beine endeten in leuchtend blauen Badelatschen. Er stieg mit mir ein und saß seltsam unberührt auf dem Platz vor mir. Draußen neben uns spielte sich das Straßenleben ab, doch ihm nahm der Faltbalg den Blick dafür weg. Wir rollten durch eines dieser Viertel, wo die vier A's zu Hause sind: Arme, Alte, Arbeitslose und Ausländer. Dann wurde weiter vorn ein Sitz frei und er wechselte hinüber, offenbar um alles besser betrachten zu können. Wir alle sind eben zum Sehen geboren.

 

3. DER WALDBAUER

 

Ich war lange bergauf gegangen, als er auf einmal im Wald vor mir auftauchte. Er ging zwischen den Bäumen herum und betrachtete sie. Er war um die sechzig, rüstig, schlank. Ich grüßte ihn. Als ich weiterging, kam er schnell nach und schloss sich mir an. Voller Erregung stieß er etwas in seinem Dialekt hervor - ich verstand ihn nicht. Er wiederholte es, der Sinn blieb mir unklar. Nur langsam kam ich dahinter: Dies war sein Waldstück und der Borkenkäfer hatte nun auch seine Fichten befallen. In der Woche fehle ihm für Kontrollgänge die Zeit, heute sei er nach dem Kirchgang einmal dazu gekommen. Einige Bäume müssten gefällt werden, doch zwei Geburtstage und eine Kirchweih stünden bevor. Und ohne seinen Sohn käme er nicht mehr zurecht. Er legte mir seine Familienverhältnisse dar. Vor mir, dem Wildfremden, sprach er aus, was ihn bedrückte: Die Mutter sei auch schuld! Dann war von seiner Tochter die Rede, die nach dem ersten Kind Drillinge bekommen hat und trotzdem von ihrem Mann verlassen worden ist. Doch habe sie schon einen neuen Freund, der sich um die Kinder kümmere, als wären es die eigenen. Ja, es gibt doch noch gute Menschen ... Drei Kilometer weiter bog er ab. Ich werde ihn nie wieder sehen. Von mir hatte er so gut wie nichts erfahren.

 

4. ZUGABE: DER BERÜHMTE FILMSCHAUSPIELER

 

Der Wind blies kalt, Regen war vorhergesagt. Ich brach die Wanderung ab und nahm den Minibus, um zu einem Bahnhof zu kommen. Ich war der einzige Fahrgast und saß neben der Fahrerin. Ja, sagte sie, hier oben sei es das ganze Jahr kalt, doch solange der Wind wehe, komme der Regen noch nicht. Wir kamen an dem Schloss vorbei, das Nicolas Cage vor kurzem gekauft hatte. Sie fing an, darüber zu reden. Das Schloss könne nicht mehr besichtigt werden. Cage habe viel vom alten Inventar verkauft, auch den berühmten Wandteppich. Mit dem Erlös finanziere er die Sanierung des Gebäudes. Allein das neue Dach habe 300.000 Euro verschlungen ... Er sei schon zehnmal hier gewesen, meistens sei er mit dem Hubschrauber neben dem Schloss gelandet.

 

Nun habe ich noch nie einen Film mit Nicolas Cage gesehen, ich weiß nicht einmal, wie der Kerl aussieht. Soll ich ihr von meinen Lieblingsschauspielern erzählen, von Jason Cadieux, Alex Dimitriades, Stéphane Rideau? Besser nicht. Also sage ich nur, was ich am Vortag zufällig in der Zeitung gelesen habe: "Er hat ja deutsche Vorfahren, dieser Cage. Ja, doch, seine Oma wohnt in Oer-Erkenschwick. Und wenn er sie besucht, gibt es sein Leibgericht: Sauerkraut." Jetzt ist sie baff.

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Hörbuch

Über den Autor

Abendschoen
Geboren und aufgewachsen in Süddeutschland. Lange in Berlin und Hamburg gelebt, später in der Lüneburger Heide. Neuerdings wieder in Berlin. Autor von bisher drei Romanen, von Erzählungen und von Kurzprosa. Eine Buchveröffentlichung: Alle Männer sind Brüder, Roman (BoD Norderstedt 2007). Weitere Werke als eBooks unter www.bookrix.de/-arno.abendschoen gratis lesen und herunterladen!

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Abendschoen Re: Interessante Bemerkungen. -
Zitat: (Original von Bonnie am 06.12.2009 - 14:22 Uhr) Vorerst möchte ich sagen, dass es immer wieder schön für mich ist, zu erfahren, dass ich nicht die Einzige bin, die ihre Mitmenschen beobachtet. Es stimmt, es ist immer wieder erstaunlich, was man an den Mimiken und Gestiken der Menschen alles ablesen kann. Auch deren Worte geben einem immer wieder zu bedenken! Man selbst kann nämlich überall den einen oder auch anderen Konflikt zwischen zwei Mitmenschen entdecken, welcher der perfekte Stoff für einen neuen Bestseller werden kann.
Am meisten faszinieren mich Ihre Beschreibungen. Sie haben diese ganzen Personen so ausführlich beschrieben, dass man fast meinen könnte, man steckt selbst beim Leser Ihrer Geschichte mitten drin. Es freut mich übrigens, dass sie sich mit Ihren Mitmenschen befassen. Nur zu oft lerne ich Menschen kennen, denen die Außenwelt und die Menschen, mit denen sie tagtäglich Kontakt haben, vollkommen gleichgültig sind. Meistens bin ich dadurch schockiert.
Ihr Text hat mich übrigens auch etwas inspiriert. :)


Bonnie, über Ihr Lob habe ich mich sehr gefreut. Der Ehrlichkeit halber muss ich darauf hinweisen, dass die Beobachtungen im Urlaub in entspannter Verfassung angestellt wurden. Im Alltag bin ich wohl weniger offen. - Arno Abendschön -
Vor langer Zeit - Antworten
Abendschoen Danke, Anteus. - Im Grunde ist jeder darstellenswert. Nur bringen wir nicht immer genügend Aufmerksamkeit auf (ich auch nicht). - Arno Abendschön -
Vor langer Zeit - Antworten
anteus Wieder mal - sehr exakt beschriebene Personen. Ich bin von Deiner Schreibweise immer mehr begeistert.
Liebe Grüße
Anteus
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Re: Re: Das ist ... -
Zitat: (Original von Abendschoen am 24.11.2009 - 21:44 Uhr)

Gunda, ich danke dir für die Würdigung. Beinahe bringst du mich in Versuchung, dergleichen mal unter einem anderen Namen zu veröffentlichen. Du kennst vielleicht die Geschichte, wie Bodo Kirchhoff einmal unter Pseudonym den 1. Preis in einem Wettbewerb nur für Autorinnen (!) gewonnen hat? - Arno Abendschön -


Nein, die Story kenne ich nicht, aber ich denke, so etwas ist schon öfter vorgekommen.
Nein, Herr Abendschön, sicherlich würde ich nicht JEDEN Text sofort dir zuordnen, der aus deiner Feder stammt. Aber diesen hier hätte ich (na ja, ich habe ja leicht Reden, ich WUSSTE ja, dass er von dir ist *grins*)

lg
Gunda
Vor langer Zeit - Antworten
Abendschoen Re: Das ist ... -
Zitat: (Original von Gunda am 24.11.2009 - 21:17 Uhr) ... wieder der Stil, den ich unter etlichen anderen als den deinen herauslesen würde, Herr Abendschön. Nüchtern und beschreibend auf den ersten Blick - und dann mit so ganz kleinen trocken-humoristischen Bemerkungen gewürzt.
Lieben Gruß
Gunda



Gunda, ich danke dir für die Würdigung. Beinahe bringst du mich in Versuchung, dergleichen mal unter einem anderen Namen zu veröffentlichen. Du kennst vielleicht die Geschichte, wie Bodo Kirchhoff einmal unter Pseudonym den 1. Preis in einem Wettbewerb nur für Autorinnen (!) gewonnen hat? - Arno Abendschön -
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Das ist ... - ... wieder der Stil, den ich unter etlichen anderen als den deinen herauslesen würde, Herr Abendschön. Nüchtern und beschreibend auf den ersten Blick - und dann mit so ganz kleinen trocken-humoristischen Bemerkungen gewürzt.
Lieben Gruß
Gunda

Vor langer Zeit - Antworten
Abendschoen Re: solche kurzen Geschichten liegen dir -
Zitat: (Original von Boris am 24.11.2009 - 11:58 Uhr) sie sind wie die kleinen Teile eines Bleiglasfensters, zusammen ergeben sie ein wunderbar, farbiges Bild

LG JFW

Danke, Boris. Und mein Verdienst ist dabei gering, die Leute sind nun mal so und geben sich öffentlich so. - Arno Abendschön -
Vor langer Zeit - Antworten
Boris solche kurzen Geschichten liegen dir - sie sind wie die kleinen Teile eines Bleiglasfensters, zusammen ergeben sie ein wunderbar, farbiges Bild

LG JFW
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