Beschreibung
Eine neue kleine Fortsetzungsgeschichte, auf die mich meine Uhr gebracht hat. Hier ist also Teil 5...
8 Uhr - Tick tack...
Donnerstag, 29. Oktober 2009
Hey Jenny,
meine brennen die Augen wie Feuer und sehen im Spiegel auch danach aus, ja wirklich. Als wäre das sich stetig drehende, knarzende Rad der Folter in meinem Kopf nicht Strafe genug, mussten diese schrecklichen Nachbarn in der letzten Nacht wieder einmal im wahrsten Sinne des Wortes auf den Putz hauen und mir auf sehr penetrante Art den Schlaf rauben. Konnte ich auch nur eine einzige kostbare Stunde durchschlafen? Ich habe keine Ahnung, glaube es jedoch kaum. Es klang tatsächlich, als würden sie irgendwo in der näheren Umgebung Untertagebau betreiben. Und das Fürchterlichste: Sie waren bei dem, was auch immer sie taten, ein gutes Stück lauter als in der letzten Nacht. Tja, und so gab es dann heute Morgen noch mehr Putz von der Wand zu fegen. Ob hier wohl bald das ganze Haus einstürzt? Was wird hier nur veranstaltet?
Doch vermag mich all das heute nicht zu erschüttern. Denn Jenny, etwas Erfreuliches scheint geschehen zu sein: Die Uhr – sie ist weg! Zumindest hängt sie nicht erneut an der Wand, denn sie liegt noch immer zerbrochen im Hausmüll. (Ja, ich habe es tatsächlich gewagt, nachzusehen. Mutig, mutig, was? Ha ha!) Vielleicht wird es nun doch wieder besser mit mir. Und als würde die Welt mir genau dies bestätigen wollen, scheint heute die Sonne von einem prächtigen blauen Himmel auf mich herab. Jenny, ich fühle mich ohne Übertreibung wie neu geboren. Als könnte ich Bäume mit bloßen Händen entwurzeln, wenn ich nur wollte. Wie gern würde ich Christin anrufen, sie bitten, mit mir durch den malerischen Herbst zu wandern und den Duft verspielter Kindheitserinnerungen zu atmen. Ein wenig mit mir zu plaudern. Zu lachen. Zu-
Doch nein, ich möchte sie nicht mit meiner Euphorie erschrecken. Womöglich würde sie sich nur noch mehr Sorgen machen, als sie ohnehin schon hegt. Ich werde stattdessen allein losziehen, endlich wieder dieses hübsche, rustikale Café an der Ecke zur Hans-Iwand-Straße aufsuchen, in dem es noch diese herrlich alten, runden Tische gibt. Früher, Jenny, war ich oft dort und habe mich am Duft von frischem Kuchen und gebrühtem Kaffee erfreut. Früher, als es mir noch bedeutend besser ging und die Welt noch nicht in diese gefühlte Schieflage geraten war, die mir seitdem jeglichen Halt verwehrt hat. Vielleicht sollte ich Block und Stift mitnehmen und mich seit langer Zeit wieder einmal an einer netten Kurzgeschichte versuchen. Ich habe so lange nicht geschrieben, Jenny. Was würdest du dazu wohl sagen, wenn du mir nur antworten könntest? Herr Zuversicht und die Uhr des Wahnsinns – ha ha! Den Titel muss ich mir unbedingt notieren. (Notiz an mich selbst: hiermit bereits erledigt.) Daraus ließe sich eine vortreffliche Schauergeschichte für gemütliche Teeabende ersinnen, will ich meinen.
Nun denn, Jenny, vielleicht berichte ich zu späterer Stunde vom Geschehen dieses herrlichen Tages. Gehab dich wohl...
Liebste Grüße,
Danny
Ich bin wieder daheim, Jenny. Hach, welch wunderbarer Tag. Ja, wirklich. Es war noch genau alles wie früher. Jeder Tisch mit gerade einmal zwei Stühlen. Mein früherer Stammtisch in der Ecke zwischen den großen Fenstern, die den Blick auf die Straßenkreuzung freigeben, war unbesetzt, als hätte er auf mich gewartet. Und es duftete wie früher Jenny, wie früher. Ich hatte ein Stück Schokoladentorte. Und obwohl ich schwören könnte, dass die Rezeptur verändert wurde, konnte ich jeden Bissen genießen – ohne auch nur einen einzigen finsteren Gedanken zu hegen. Du weißt, jene unliebsamen Gedanken, die allzu häufig in den düsteren Keller meiner Gefühlswelt führten, in dem all die gierigen Schattenwesen an den Wänden meines klaren Verstandes nagten.
Ach, ich will all das von mir stoßen! Ich fühle mich, als wäre ich soeben von den Toten auferstanden. Wie auf das Leben eines Fremden blicke ich heute auf die furchtbaren Tage der geistigen Schwärze zurück, die ich durchkämpft habe, um in diesem Hier und Jetzt anzukommen. Oh bitte, Jenny, sollte dies womöglich das Ende des Fluchs gewesen sein? Sollte die graue Wolkendecke tatsächlich durchbrochen sein, auf dass ich wieder heitere Tage durchleben kann? Und trotz aller Müdigkeit, die mich plagt (Notiz: unbedingt über den vermaledeiten Lärm beschweren!), möchte ich gerade die Welt umarmen. Die Welt und mit ihr Christin, die mir geblieben ist, die nicht von mir gegangen ist, die meine Liebe verschmähte, um mich in Freundschaft wieder aufzunehmen. Und auch dich möchte ich umarmen, Jenny. Wünsche mir eine ruhige Nacht und vor allem gesunden Schlaf! :-)
Es grüßt dich,
Danny
Nachtrag: Es ist mitten in der Nacht. Die Minenarbeiter in der Nachbarschaft haben ihre Arbeit wieder aufgenommen. Mein Kopf schmerzt. Das Glück, das ich vor diesen wenigen Minuten des Schlafes noch fühlte, hat mich verlassen. Will gerade nicht darüber reden. Auch nicht schreiben, verdammt noch mal! Denn ich stehe hier erneut mit leeren Händen, nackt und beschämt von meinem eigenen aufgesetzten Hochgefühl. Ich hasse mich! Oh, wie ich all das hasse! Ich werde mir einen Kaffee kochen. Es wird eine lange Nacht...
Ich- Nein!
Doch! Es ist... Jenny, die Uhr, sie hängt wieder an der Wand. Kurz vor acht, Jenny. Kurz vor acht! Muss mich irren. Bin doch so müde. Unendlich müde. Und ich habe Angst. Diese Uhr! (Ich glaube, sie hat sich verändert!) Dieser Lärm in den Wänden!
... Fortsetzung folgt ...