Sicherlich habt ihr in eurem Leben schon einmal die Geschichte eines glorreichen Ritters gelesen. Wie er mit wehendem Banner in die Schlacht zieht, wie er das Böse bezwingt und dann erschöpft aber immer noch gutaussehend in seine Heimatstadt zurückreitet und vom ganzen Volk gefeiert wird, seine Geliebte heiratet und glücklich wird.
Das ist eine Geschichte. Sie unterhält den Leser. Sie begeistert kleine Kinder, die sich wünschen so zu sein wie der Held, der das Böse schlägt. Sie vertreibt die Langeweile an kalten Winterabenden und wird auf jedem Wochenmarkt gerne erzählt. Und...
Sie hat nichts mit der Realität zu tun.
Ich habe es miterlebt. Eine Schlacht. Und ich kann euch sagen das nichts so ist wie es die Barden und Geschichtenerzähler erzählen. Wenn sie die Wahrheit erzählen würden, würde es keine Kinder mehr geben die über die Wiesen laufen und glorreiche Ritter spielen, die kalten Winterabende würden noch kälter werden und kein Wochenmarkt würde seine Gute Stimmung beibehalten wenn jemand dort die Wahrheit erzählen würde.
Ich wende mich nicht vor der Wahrheit ab, ich werde euch die Realität darlegen.
Darum sage ich euch:
Schließt die Fensterläden, legt noch einmal Holz aufs Feuer, den Gott beschütze euch wenn es zwischendurch ausgeht, setzt euch in euren gemütlichsten Sessel und nehmt noch einmal einen großen Schluck Wein. Das klingt gut, ihr fühlt euch wohl und glaubt das ihr nun für meine Geschichte gewappnet seit, denn egal was passiert, euch kann nichts mehr verunsichern?
Ihr irrt euch, und um euren Irrtum einzusehen folgt mir in meine Erinnerungen, und lasst euch meine, die einzig wahre, Wahrheit erzählen:
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Ich saß auf meinem Pferd, die Sonne schien auf mich hinab und ich litt. Wurde in einer der zahlreiche Rittergeschichten jemals beschrieben wie Ritter in ihren massiven Rüstungen schwitzten. Meine Lederkleidung, die ich unter der Rüstung trug, klebte an meinem Körper und wenn ich mit einem meiner Finger das Metall meiner Rüstung hätte berühren können zweifelte ich nicht daran das er verbrennen würde.
Ich hatte das Visier geöffnet aber es war absolut windstill und kein Luftzug kühlte mein kochendes Gesicht. Ich blickte mich um:
Die gewaltigen Banner unseres Heeres hing schlaff herunter und die Ritter hingen auf ihren Pferden die langsam voran trabten. Wir veränderten unsere Position um eine Bresche in die Reihen der Gegner reiten zu können, der Feind wusste das seine Speerträger, Milizen mit bis zu 2 Meter langen Speeren zogen auf der anderen Seite der Ebene ebenso hin und her, um uns bei einem Angriff abzufangen. Die Geschichtsbücher lassen seltsamerweise diesen Teil einer Schlacht immer aus, das Warten, das Warten auf den Gegner, für so viele von uns das Warten auf den Tod.
Ich hatte schon seit dem Morgen nichts mehr getrunken, verspürt aber trotzdem den enormen Drang mich zu erleichtern. Auch davon stand nichts in den Geschichtsbüchern.
Ein Schrei durchbrach die Stille, den keiner der Ritter hatte nach Stunden der Hitze noch Lust sich zu unterhalten:
„ Stop!“
Ein Reiter überholte uns und ritt mit dem Banner unseres Reiches an uns vorbei.
„ Angriffslinie bilden!“ schrie der Herold.
Ich blickte auf die gegenüberliegende Seite der Ebene, dort stand eine Wand aus Licht, ich wusste aber sofort das es die Ritter unseres Gegners waren, das Sonnelicht brach sich auf ihren Rüstungen und strahlte bis zu uns. Wir griffen also die gegnerische Kavallerie direkt an, das war nicht verwunderlich, es war auch schon vor zwei Tagen klar gewesen als wir die Ebene erreicht hatten. Alle hatten es gewusst und nun nach zwei Tagen taktieren konnten sich auch die Generäle nicht mehr von der Wahrheit abwenden. Kavallerie gegen Kavallerie, eine anderen Art war nicht denkbar den niemand, außer der eigenen Ritter, konnte ein solchen Kavallerieangriff aufhalten. Zwei Tage konnte ich mich ablenken mit unwichtigen Gedanken die ich nun kaum wieder zusammenkriege, aber nun wurde mir wieder bewusst das kurz vor meiner ersten richtigen Schlacht stand, man empfindet keine Glücks- oder Ehrgefühl, man fühlt nur eine Mischung aus Angst und der Gewissheit das man jede Sekunde sterben kann.
„ Schließt die Visiere!“ schrie unser Führer der sich nun mit in die Reihe der unseren einreihte. Wartet, schoss es mir durch den Kopf, ich war noch nicht bereit, wollte mich noch einen Moment sammeln, aber niemand wartet im Krieg auf dich.
„ Vorwärts!“ und mit diesem Befehl setzte sich unsere gesamte Reiterlinie in Bewegung. Und ich ritt mitten zwischen ihnen, wenn man von Angst spricht meint man eine bestimmte Stärke von Angst, deshalb nutze ich hier den Begriff Todesangst. Ich war mir sicher das ich sterben würde und während mein Pferd schneller wurde fielen mir all die Sachen ein dich in meinem Leben noch machen wollte, es waren so unglaublich viele.
Auf der anderen Seite bewegten sich nun auch das anderen Reiterheer auf uns zu.
„ Galopp!“ ertönte die Stimme des Herolds der nun die Befehle rief, da man unseren General unter dem Vollvisierhelm kaum noch hören konnte.
Ich gab meinem Pferd die Sporen und auch neben mir beschleunigten die Ritter, die Pferde warfen die Köpfe hin und her während sie unaufhörlich beschleunigten.
Ein Speer der von einem Tarrant ( Speerwerfermaschine ) abgefeuert wird kann eine Häuserwand durchschlagen, wenn man vor so etwas Angst hatte, war das nicht Feigheit sondern eher Klugheit, aber ein Steinbrocken, von einem Tribock ( Steinschleuder/Katapult ) kann das gleiche Haus komplett zum Einsturz bringen. Wir ritten in enger Formation als die Steine und Speere begannen auf uns niederzuregnen.
Man kann das Gefühl nicht beschreiben, ein Speer von einem Tarrant trifft dich nicht er zerfetzt dich und dein Pferd, keine Überlebenschance und bei den Steinen der Triböcke sah es noch schlimmer aus. Solche Belagerungsgeräte waren nicht sonderlich präzise, die Schützen richteten sie auf unsere Reiterfront und schossen, es war pures Glück ihnen zu entkommen. einige Meter neben mir wurden einige Reiter samt Pferd von einem Felsbrocken getroffen und zerquetscht ein Stein krachte vor uns in den Boden und ich lenkte mein Pferd unterbewusst an ihm vorbei. Die Strecke zu unseren Feinden kam mir nun enorm groß vor, dieses Gefühl jeden Moment konnte man sterben und man konnte nichts dagegen tun, nur weiterreiten und beten.
Unsere Männer schossen genauso auf die Gegner aber dafür hat man kein Auge, ich sah nur wie um mich herum Ritter mitsamt ihren Pferden zerquetscht, zerfetzt oder aufgespießt wurde. Ein solcher Artillerieangriff dauert nie besonders lange den schon sehr schnell sind die gegnerischen Truppen dicht bei dir und das Feuern mit solch unpräzisen Waffen wird zu gefährlich und eingestellt. Aber das Gefühl wenn der Herold:
„ Geschosse!“ ruft, wird man nicht mehr los, ich habe mit Veteranen aus vielen Schlachten gesprochen aber alle sagten mir, dass es niemanden kalt ließ wenn der Herold deinen möglichen Tod ausruft, ohne das du es beeinflussen kannst.
„Lanzen!“ dröhnte die Stimme des Herolds über unsere Reihen, ich versuchte mich zu konzertieren konnte es aber nicht, mein Körper bewegte sich wie von selbst aus reiner Routine. Ich war schon lange nicht mehr Herr der Lage.
Ich hob den Schild auf Brusthöhe und mit der rechten Hand die Lanze. Die Wand aus Licht war verschwunden man sah nun die einzelnen Reiter in der Schlachtreihe unseres Gegners.
Ich hob die Lanze schräg über den Schild und gab meinem Pferd noch mal die Sporen. Ich kam mir vor wie ein dritter der die Szene beobachtete den mein Unterbewusstsein hatte die Kontrolle über meinen Körper, jeder Handgriff war einstudiert in den tausenden Stunden in denen wir gegen Strohpuppen geritten waren. Die gegnerischen Reiter kamen näher.
50 Meter, ich sah die Reihe der reitenden Gegner, obwohl ich wusste das unsere Heere ungefähr gleichstark waren, war ich mir in diesem Moment sicher, dass sie uns haushoch überlegen waren.
40 Meter, ich erkannte die ersten Wappen auf den Schilden, ein Drache, ein Tiger, ein Greif und viele anderen Tiere, aber auch Burgen, Berge und Bäume gab es.
30 Meter, ich visierte einen der Ritter an, korrigierte den Schritt meines Pferdes damit ich direkt auf ihn zuritt.
20 Meter, ich sah seine polierte Rüstung, sein Schild, mit dem Bären darauf, mit dem er versuchte seinen massiven Körper zu decken.
10 Meter, ich blickte in den Schlitz seines Visiers, ich konnte sie nicht sehen aber ich wusste das dort seine Augen waren und mich genauso anblickten, wie ich ihn.
5 Meter, ich hob den Speer noch ein paar Zentimeter um meinen Gegner genau oberhalb des Schildes zu treffen.
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Merkwürdig, die Pferde schnauften, die Ritter schrieen und die Pferdehufe donnerten auf dem Boden aber ich hörte nichts, eine magische Stille, fast wie ein Standbild eines Künstlers, der uns so aufgestellt hatte um uns abmalen zu können.
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Und dann eine tausendstel Sekunde später prallten die beiden Armeen aufeinander.
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Manche sagen das Warten auf den Beginn der Schlacht ist das schlimmste, andere sagen der Pfeil und Steinhagel, weil du sterben kannst ohne das du etwas dagegen tun kannst. Ich sage es gibt nichts schlimmeres als der Moment wenn zwei Heere aufeinander prallen. Diesen Moment vergisst man nie wieder in seinem Leben, man fährt mitten in der Nacht schweißgebadet aus dem Schlaf und hört förmlich wie die Reiter ineinander schlagen.
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Meine Lanze traf meinen Gegner oberhalb des Brustpanzers, die Brustplatte wurde durchstoßen und die Lanzenspitze bohrte sich in sein Fleisch. Seine Lanze traf genau auf mein Schild was aber im vollen Galopp ebenso schmerzhaft war. Ich war sicher das mein linker Arm geprellt war, gebrochen wohl nicht da ich ihn noch bewegen konnte. Mein Pferd flog an meinem unglücklichen Gegner vorbei, er war zwar nicht tot aber die Reiter hinter mir würde ihn zertrappeln.
Ich ließ die gesplitterte Lanze fallen und zog mein Schwert, überall um mich herum begannen hitzige Zweikämpfe da die Pferde schon kurz nach dem Aufprall ihr Tempo verlieren.
Ich habe es ja schon gesagt, in den Geschichten kämpft der Gute ( ich bezeichne mich selbst selbstverständlich als den Guten ) gegen den Bösen, nun ja „den Böse“ zu töten ist bestimmt nicht sonderlich schwer. Mein „Böser“ erschien in der Gestalt eines knapp 16 Jahre alten Jungen. Vermutlich hatten sie nicht genug Ritter, deshalb mussten Schildknappen wie er ihre Lücken schließen, er schwang ein Schwert und hatte ein schlechtes Holzschild, was aus zwei Brettern bestand, die man zusammengenagelt hatte. Er schrie und an dem nassen Fleck auf seiner Stoffhose, die unter seinem Kettenhemd herausguckte, sah ich, das er vor lauter Angst seinen Harndrang nicht mehr unter Kontrolle hatte. Auch das Schreien war vermutlich eher ein Schrei der Verzweiflung als der Kampfeslust. Es war ein typischer Junge der schon mit frühen Jahren das Schwert seines Vaters stemmte und vor den kleinen Mädchen damit angab das er bald der berühmteste und gefürchteteste aller Ritter werden würde, aber in Wirklichkeit wollte er keine Menschen töten und auch nicht selber sterben. Jetzt fragt ihr warum er Ritter werden wollte? Die Geschichten über Ritter sagen auch nichts über das wahre Ritterleben aus, deshalb streben Jungen wie er diesen Rang an, weil sie in Wahrheit nichts über ihn wissen.
Ich ritt an ihm vorbei, sein Schwert schlug schwach gegen mein Schild, was zwar höllisch weh tat, da mein linker Arm immer doller schmerzte, aber für mich keine Gefahr darstellte. Er hielt sein Schild viel zu niedrig meine Klinge trennte seine Kopf mit voller Wucht vom Torso.
Der Körper hing noch ein paar Meter auf dem Pferd und fiel dann seitlich herunter, wo er von Pferdehufen niedergetrappelt wurde bevor er den Boden berührt hatte. Mein Pferd wurde langsamer weil ich ihm nicht mehr die Sporen gab. Anderen Ritter überholten mich und schlugen auf die fliehenden Gegner ein, denn ihr Widerstand war gebrochen.
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Wenn ihr mich heute fragt ob ich den Jungen wieder getötet hätte, hätte ich ohne zu Zögern Nein gesagt, doch mitten in der Schlacht ist man zu so einer Fragestellung nicht mehr in der Lage, man kann nur noch reagieren. Und nun nachdem die Schlacht vorbei war und wir die Leichen plünderten frage ich mich, bin ich wirklich gut? Nein ich bin böse, aber sind die anderen gut? Nein, den wenn es eine gute Seite geben würde, würde sie nicht auf dem Schlachtfeld stehen, den jede Lösung ist besser als der Krieg. Das sehe ich heute, und wenn ich nun die Kinder sehe die auf dem Feld Ritter spielen dann weine ich. Warum wird die Wahrheit geheim gehalten? Damit gute Kinder zu bösen Rittern und Soldaten werden um den nächsten Krieg zu beginnen. Und das wird so lange weitergehen bis sich alle Menschen gegenseitig umgebracht haben...
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Das ist meine Geschichte, meine Wahrheit. Nein es ist die Wahrheit und jeder der etwas anderes behauptet soll zu mir kommen, mir in die Augen sehen, den wenn ich in seinen Augen sehe und er meint das er Krieg als ruhmreich, edel und von Gott gewollt empfindet, dann sehe ich in seinen Augen:
Er stand noch nie auf dem Schlachtfeld.
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„ Das Leben – so wie es wirklich ist – ist nicht der Kampf zwischen Gut und Böse, sondern zwischen Böse und noch schlimmeren.“ ( Joseph Brodsky )    Â