Romane & Erzählungen
Die Schönheit und das Biest - Kapitel 1 und 2 des Liebesromanes von MH©

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"Die Schönheit und das Biest - Kapitel 1 und 2 des Liebesromanes von MH©"
Veröffentlicht am 19. November 2009, 94 Seiten
Kategorie Romane & Erzählungen
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Die Schönheit und das Biest - Kapitel 1 und 2 des Liebesromanes von MH©

Die Schönheit und das Biest - Kapitel 1 und 2 des Liebesromanes von MH©

Beschreibung

Ein im aktuellen Zeitgeschehen angesiedelter Liebesroman. Maria und Simon, äusserlich zwei Gegensätze sind fasziniert von einander. Verbindende Geheimnisse und trennende Leidenschaften bestimmen fortan ihr Leben. Ausserdem gibt es Neider... Gesamtes Buch umfasst 402 Seiten, 17 Kapitel, empfohlene Altersbeschränkung: ab 18 Jahren. Die hier veröffentlichten Kapitel 1 und 2 sind jugendfrei. Das gesamte Buch ist für 4,50 Euro als Ebook auf meiner Homepage www.liebesromane.ch erhältlich.

Die Schönheit und das Biest von MH©

 

Prolog

 

 

Er näherte sich ihr langsam mit dem erhobenen Messer in der Hand. Seine Körpersprache wurde drohender, seine Stimme gezwungener.

„Ich bin stärker als du, und ich habe meinen Freund hier dabei“, er wedelte kurz mit dem Messer in seiner Hand, „ich sag es nur noch einmal. Zieh dich aus.“

Maria schob sich am Boden entlang. Ihre Flucht endete in einer Ecke des Raumes. Sie schaute sich schnell um, ihre Augen suchten fieberhaft nach einer Waffe, einer Möglichkeit sich zur Wehr zu setzen. Aber da war nichts. Die Gewissheit der Situation nicht entkommen zu können, breitete sich wie sengendes Feuer in ihr aus.

1. Kapitel / Blicke

 

Simon sah sie zum ersten Mal auf dem grossen Platz vor dem, in Hinsicht auf die restlichen Häuser der Stadt riesig anmutenden Gebäude der Stadtverwaltung. Er wusste nicht warum, aber sein Blick blieb an ihr hängen wie ein Magnet. Sie hatte ganz offensichtlich keine Modellmaße und fiel damit im Prinzip aus seinem üblichen Frauen-Screening. Normalerweise hätte er ihr keine weitere Beachtung geschenkt. Doch für den Bruchteil einer Sekunde hatten sich ihre Augen getroffen. In seinem Kopf hatte etwas Alarm geschlagen. Ganz leise, aber intensiv. Ihre Blicke stiessen noch einmal aneinander. Über die Entfernung hinweg konnte er jedoch kaum ihr Gesicht klar erkennen. Sein Blick folgte ihrem Weg über den Platz und sein Hirn registrierte plötzlich ihre angesichts der Entfernung hervorstechende Eigenschaft: Ihren Gang. `Sie geht merkwürdig`, dachte er. Der ganze Bewegungsablauf war nicht stimmig.

 

Dann verschwand sie aus seinem Blickfeld, aber merkwürdigerweise nicht aus seinem Kopf. Marlene, seine Freundin, um die er einen Arm gelegt hatte, war seinem Blick gefolgt, verspürte aber trotz des interessierten Ausdrucks in seinen Augen keinerlei Besorgnis, als sie die junge Frau taxierte. Wenig sorgfältig gestyltes schlecht blondiertes kurzes Haar, eher herbe Gesichtszüge, ein schleppender Gang, das Ganze Grau in Grau gekleidet. Eine eigenartige Mischung aus `Grauer Maus` und Freak. Keine Gefahr, da keine Konkurrenz blitzte es kurz in ihr auf, dann hatte sie die junge Frau bereits vergessen.

 

Simon wunderte sich über sich selbst. Auf dem Weg zurück aus der Mittagspause zu seinem Ausbildungsplatz in der Stadtverwaltung, hielt er instinktiv Ausschau nach der fremden jungen Frau. Er hatte ihre Gesichtszüge zwar nicht genau erkennen können, aber er würde sie sicher an der blonden Kurzhaarfrisur und dem merkwürdigen Gang erkennen. Gegen Ende der Mittagspause wimmelte es hier tagtäglich vor schnell hetzenden Menschen. Rund 2000 Mitarbeiter arbeiteten in dem 12-stöckigen, silbern glänzenden Hochhaus der Stadtverwaltung. Alle nannten das Haus nur - das Stadthaus. Er selbst musste in den fünften Stock des Stadthauses, sein aktueller Ausbildungsplatz lag in der Personalabteilung. Es war ein himmelschreiend langweiliger Teil seiner Ausbildung im Verwaltungsdienst.

 

Die Auszubildenden durchliefen einige Ämter aus den verschiedenen Bereichen der Verwaltung: Finanzen, Personal- und Organisationsbereich, Gesundheits- und Umwelt, Sozialbereich und Baudezernat. Jedem Bereich waren die verschiedenen Ämter zugeordnet. Er war gerade im Personal- und Organisationsbereich, hatte aber gehofft in der interessanteren Ausbildungsabteilung eingesetzt zu werden.

 

Stattdessen war er aber einer älteren Dame –Frau Block- zugeteilt worden, die dringend Hilfe bei der Bearbeitung von Reisekostenabrechnungen brauchte. Bereits nach einer kurzen Einarbeitungszeit hatte er die meisten Arbeitsschritte verstanden und wunderte sich seither nur noch, wie Frau Block es schon seit vielen Jahren aushalten konnte, den riesigen Stapel immer gleicher Formulare mit immer den gleichen, selten abweichenden Berechnungstypen abzuarbeiten. Er arbeitete erst seit kurzer Zeit hier und hätte schon vor Langeweile schreien mögen. Noch ein paar Wochen musste er durchhalten, dann würde er im Rahmen seiner Ausbildung in eine andere hoffentlich spannendere Abteilung der Stadtverwaltung versetzt.

 

Der prüfende Blick in den Spiegel des Toilettenraums zeigte Simon, dass die Frühlingssonne in der Mittagspause bereits Spuren auf seinem Gesicht hinterlassen hatte. Die ersten Sommersprossen zeichneten sich auf seinem noch winterblassen Gesicht ab. In ein paar Wochen würde man sie auf seiner sich schnell bräunenden Haut kaum noch erkennen können. Simon strich sich mit seinen vom Händewaschen noch nassen Fingern das kräftige kastanienbraune Haar aus dem Gesicht. Hellbraune Augen blickten aus dem Spiegel zurück. Er wusste, dass er gut aussah. Überdurchschnittlich gut. So gut, dass ihm die meisten seiner Mitmenschen nie ungezwungen begegnen konnten. Alles an ihm schien die Komplexe seines Gegenübers hervorzulocken.

 

 Das erschwerte fast jedes spontane, ungezwungene Kennenlernen. Selten näherten sich ihm die Menschen von sich aus. Sie trauten sich einfach nicht. Die Menschen die sich ihm aus beruflichen Gründen nähern mussten, brauchten meist lange bevor sie ihre Unsicherheiten ablegen konnten. Auch sein freundliches, ruhiges Verhalten änderte daran nichts. Er hatte schon einiges an Verhaltensweisen ausprobiert, keine erleichterte den ersten Moment und die erste Zeit des Kennenlernens, so dass er seither einfach nur er selbst war und versuchte seinerseits nicht auch noch zu verkrampfen.

 

Sein engerer Freundeskreis bestand daher aus den wenigen Menschen, die er selbst gerne hatte und die es auch noch schafften die Schönheitskluft zu überwinden. Sei es, weil sie selbst sehr schön waren, oder einfach über ein ausgeprägtes, nicht vom Äusseren bestimmtes Selbstwertgefühl verfügten. Marlene- seine Freundin gehörte zu allen drei Kategorien. Deshalb hatte er sich bereits nach den ersten gemeinsamen Unternehmungen mit ihr zusammengetan.

Sehr schön und gleichzeitig reich an einem in ihr ruhenden Gefühl der Stärke war sie ihm entspannt entgegengetreten. Sie konnten auf Augenhöhe miteinander umgehen. Besonders gefielen ihm ihr ausgeprägter Realismus und ihre Bodenhaftung. Sie waren seit einem Jahr ein Paar. Simon seufzte kurz auf – ein grosser Stapel Reisekostenanträge hatte den Weg in seine Erinnerung gefunden. „Auf in den Kampf“, dachte er gerade, als ihm plötzlich wieder die fremde Frau mit den hellen kurzen Haaren durch den Kopf geisterte. Mit einem leichten, unwilligen Kopfschütteln vertrieb er den ungewohnten Gedanken und ging mit gefasster Märtyrermine zurück an seinen Schreibtisch.

 

vvv

 

Maria fühlte ein unangenehmes Rumoren im Bauch als sie auf die glänzende Hochhausfassade zuging. Sie hatte nicht gewusst was genau sie beruflich machen wollte, aber bestimmt wollte sie kein Schreibtischtäter in einem spiegelnden Büro-Koloss werden. Wegen ihrer persönlichen Umstände musste sie jedoch sehr dankbar sein für diese Chance. Sie stoppte, holte tief Luft, hielt sich an einem Pfosten fest und schüttelte kurz ihre angestrengten Beine. Das schnelle Gehen über die ihr fast unbekannten Strassen, Bürgersteige und Bahngleise hatten ihr viel Konzentration abverlangt.

Beim Weitergehen liess sie ihren Blick über den grossen Platz vor ihr schweifen. Wurde der Platz im Hintergrund von der Hochhauskulisse der Behörden abgegrenzt, so öffnete er sich nach rechts zur pittoresken Altstadt mit ihren vielen gut erhaltenen barocken Bauten und Gassen. Links von ihr versuchte eine kleine Ansammlung von Bäumen die lebensnotwendigen Nährstoffe aus einem nicht zu betonierten Fleckchen Erde zu ziehen.

Von der Baumgruppe aus zogen sich im Halbkreis angeordnete langsam ansteigende Treppenstufen bis zur ersten Etage des Stadthauses hinauf. Diese Stufen wurden offensichtlich von vielen Menschen auch als Sitzgelegenheit für die Mittagspause genutzt oder dienten Eis schleckenden Touristen als Rastplatz. Die überdimensionale Treppe endete auf einer grossen Terrasse, die sich an einer Seite über das ganze Gebäude hin erstreckte. Hier waren verschiedene Cafes und die Kantine der Stadtverwaltung untergebracht. Maria hatte mit ihrer Mutter hier beim ersten Besuch eine Tasse Kaffee getrunken und versucht sich vorzustellen, wie es sein würde hier zu arbeiten.

 

Maria orientierte sich kurz. Sie musste nun rechts an dem Bogen aus Treppenstufen vorbeigehen, um zum Haupteingang im Erdgeschoss des Hauses zu gelangen.

In einiger Entfernung hockte eine Gruppe junger Menschen ihres Alters in Bürokleidung auf den Treppenstufen, lachte und genoss sichtlich die Sonne. Irritiert bemerkte sie den Blick eines auch aus der Ferne beeindruckend gut aussehenden jungen Mannes, bevor sie sich schnell wieder auf den Platz vor ihren Füssen konzentrieren musste. Einem inneren Zwang folgend, fanden ihre Augen jedoch den Weg zurück zu dem attraktiven Mann auf den Treppen. Er schaute immer noch in ihre Richtung. Nach einem kurzen Moment des Prickelns in ihrem Nacken, senkte sie ihren Blick orientierend wieder auf den Boden. Sie wollte auf keinen Fall jetzt stolpern oder gar hinfallen.

`Schau wo du hintrittst, Maria`, ermahnte sie sich selbst, obwohl ihre Neugier geweckt war. Vielleicht waren bei dieser Gruppe ein paar künftige Mitstreiter im Kampf mit Kugelschreiber und Büroklammern dabei. Hoffentlich fand sie hier Anschluss. Sie konnte ein paar menschliche Kontakte, die unter normalen Umständen stattfanden gut gebrauchen.

Personalleiter Paul Schallenberg hatte nur kurz Zeit für sie.

„Ja, Frau Rothe, schön dass wir uns endlich persönlich kennenlernen. Sie werden bei uns ja  auf Empfehlung meines Freundes Prof. Dr. Hones eine stark verkürzte Ausbildung im Verwaltungsbereich absolvieren. Angesichts ihrer hervorragenden fachlichen Vorbereitung auf den Beruf in ihrer Genesungszeit, freuen wir uns auf eine Auszubildende mit einem bereits ausgeprägten theoretischen Wissen.“

Maria bedankte sich –wie von ihrer Mutter mehrfach eingeschärft - nochmals für die ihr gegebene Chance und verabschiedete sich von dem geradlinig wirkenden Paul Schallenberg.

 

In dem hellen, dank der gläsernen Fensterfront von viel Licht durchfluteten Flur vor dem Aufzug sortierte sie die erhaltenen Informationsblätter über künftige Einsatzorte, zeitliche Daten sowie Ansprechpersonen. Zuerst musste sie zwei Wochen in die Telefonzentrale des Hauses, damit sie einen Überblick über die vielen verschiedenen Ämter und Aufgaben bekam. Sie versuchte sich gerade einzureden, dass ihr Einsatz in der Telefonzentrale allemal besser war als wenn sie direkt mit Stempeln und Abheften beginnen müsste, als sich eine der beiden Aufzugtüren öffnete.

Die Augen auf den Boden und eventuelle Stolperkanten gerichtet, trat sie in den Aufzug. Erst als sie wieder sicher stand und ihre gewünschte Etage gedrückt hatte, schaute sie auf den anderen Fahrgast.

 

Mit einem vagen Gefühl des Wiedererkennens blickte Maria in Simons Gesicht und versuchte sich an einem grüssenden Lächeln. Aber ihre Gesichtsmuskeln gehorchten nicht. Reglos begegnete sie dem ernsten Blick aus Simons ungewöhnlichen Augen. Sie waren sehr hell für braune Augen, hatten aber einen tiefdunklen Rand um die Iris, der das helle Innere irisierend zum Leuchten brachte. Auch Simon schien merkwürdig verhalten, schaute sie nur an. Beide schienen auf das in Aufzügen automatisiert erscheinende, kurze Höflichkeitslächeln verzichten zu wollen. Mehrere Etagen strichen vorbei und nach dem unendlich erscheinenden „Schauen“ schlug Ihnen die Peinlichkeit der Situation plötzlich geradezu ins Gesicht. Simon sammelte sich zuerst, räusperte sich mehrfach und bedachte sie mit einem unsicheren „Mahlzeit!“.

 

Maria wusste nicht wie ihr geschah, als ihrer Kehle plötzlich ein lautes Lachen entstieg. Eine surreale Begegnung mit dem schönsten Mann der Welt im Aufzug und er sagte Mahlzeit!

„Warum lachst Du denn so“, fragte Simon mit sich leicht rosa verfärbenden Wangen und lächelte sie endlich an. Er hatte nicht einen Augenblick in Erwägung gezogen die fremde Frau zu siezen.

„Entschuldige bitte, aber dieses „Mahlzeit!“ ist für mich als Neuling wie ein `Running Gag`. Ich bin erst vierzig Minuten im Hause und habe es bestimmt schon hundertfünfzig Mal gehört.“

Maria ging auf seinen persönlichen Ton ein. Ihre dunklen Augen lachten immer noch.

Simon stimmte noch zögerlich, aber erleichtert in ihr Lachen ein.

„Aha, Du bist also ein Neuling. Was genau bedeutet Neuling?“

Maria hörte ihre eigene Stimme, unnatürlich verstärkt durch die metallenen Aufzugwände und verspürte eine erste Verunsicherung.

„Ich fange hier heute als Auszubildende im Verwaltungsdienst an. Ich war länger krank und steige deshalb mitten in der Ausbildung ein. Fast den ganzen theoretischen Kram konnte ich bereits im Krankenbett hinter mich bringen. Jetzt kommt noch die Praxis.“

Warum erzählte ich ihm eigentlich nicht gleich meine ganze Lebensgeschichte? Maria wunderte sich über ihre eigene Auskunftsfreude.

 

Simon schien ihren Worten aufmerksam zuzuhören.

„Dann kommst Du wahrscheinlich in das gleiche Ausbildungsjahr wie ich“, bemerkte er, nun munter lächelnd.

Maria hatte den Eindruck, dass er sich freute. Ja, sein harmonisch gleichmässig geschnittenes Gesicht strahlte ihr einen erfreuten Willkommensgruss entgegen. Sie spürte, wie er sie eingehend musterte. Sofort wurde sie sich ihres –wie sie selbst fand- schon im Allgemeinen eher merkwürdigen, aber im Vergleich mit ihrem Gegenüber schon fast kläglichen Aussehens und dazu noch ihrer Geschichte bewusst. Eine verräterische Rötung entstieg den Tiefen ihres Brustkorbes und bahnte sich ihren Weg unangenehm heiss über Marias Hals bis zu den Haarwurzeln. Das in vielen mühsamen Monaten antrainierte `Ich bin in Ordnung wie ich bin`-Gefühl verliess sie schlagartig. Unter seinen offensichtlich interessierten Augen hatte sie den unangenehmen Eindruck ihre problembehaftete Lebenssituation aus allen Poren hervorleuchten zu sehen. Dankbar nahm sie wahr, dass der Aufzug endlich auf Höhe der Telefonzentrale angekommen war und die Türen sich öffneten. Gesenkten Blickes verliess sie den Aufzug mit einem leisen „Na, dann tschüss“.

Simon schluckte angesichts der deutlichen Veränderung ihrer Stimmung und versuchte sich an einem leicht hingeworfenen „Ja, man sieht sich bestimmt mal wieder“ bevor sich die Aufzugtüren wie von Geisterhand wieder schlossen.

 

Simon verliess den Aufzug zwei Etagen später wie betäubt. Im langen, trotz des freundlichen gelben Farben behördenmässig trostlos wirkenden Flur des Einwohnermeldeamtes musste er an den üblichen Warteinseln mit ihrer neuen im Gegensatz zu früher deutlich bequemeren Bestuhlung vorbei. „Du musst dich setzen.“ flüsterte seine innere Stimme ihm leise zu. Simon merkte jetzt erst wie unsicher er sich plötzlich auf seinen Beinen fühlte. Er setzte sich in einen der Wartebereiche und beobachtete teilnahmslos das geschäftige Treiben. Dann schloss er die Augen und versuchte sich zu konzentrieren. Der einzige Gedanke der Gestalt annahm, war das deutliche Bild von den ihn tief berührenden dunkeln Augen und dem schlagartigen, massiven Stimmungswechsel der jungen Frau im Aufzug. Irgendwas an dieser Frau sprach zu ihm, besser gesagt schrie ihn an, aber er konnte die aus dem Schrei resultierende Information nicht entschlüsseln. `Du weißt was es ist, du musst dich nur konzentrieren`, versuchte er sein aufgewühltes Innenleben zu beruhigen. Aber die tosende Unruhe in seinem schnell pochenden Herzen liess nur langsam nach. Nach einer Weile bemerkte er den Stapel Unterlagen in seinen Händen und spürte, dass es einfacher war, sich jetzt erst einmal auf die Erledigung seiner Arbeit zu konzentrieren. Er stand entschlossen auf und machte sich auf den Weg. `Man sieht sich, man sieht sich,…` ging ihm dabei leise aber unaufhörlich durch den Kopf.

 

vvv

 

Maria lehnte sich nach der Abfahrt des Aufzuges erst einmal an die Wand direkt neben dem Aufzug. Ein beklemmendes unwirkliches Gefühl hatte sie erfasst.

`Was will er von mir? Gar nichts, es war einfach nur Smalltalk im Aufzug. Na klar, man starrt sich in Aufzügen immer erst minutenlang tief in die Augen. Oh Wahnsinn, seine Augen. Sie strahlten so menschlich anwärmend, es war als ob man Jesus persönlich begegnet wäre. Es war so schön ihn einfach nur anzusehen, und dann wie peinlich, er muss denken das ich denke, dass ich Chancen bei ihm hätte, warum musste ich ihn bloss so anstarren?`

 

Maria atmete einige Male energisch durch „HALLO!... Maria! ... komm zu Dir! Geh Dich jetzt erst einmal frisch machen, mit so wirrem Hirnkasten kannst du deiner Ausbildungsleiterin nicht unter die Augen treten.“

Zum Glück waren die Toiletten direkt neben den Aufzügen. Maria stürzte auf das erste Waschbecken und badete mehrfach ihr Gesicht in kaltem Wasser. Wie gut, dass sie sich niemals schminkte. Mist, alle Trockentücher waren aufgebraucht. Mit einigen Stücken Papier von einer Toilettenpapierrolle trocknete Maria ihr Gesicht und blickte dabei in den Spiegel. Ihr kurzgeschnittenes Haar war fast komplett weiss, nur an den Schläfen kam noch ein wenig ihrer ursprünglichen dunkelblonden Farbe zum Vorschein.

`In Ehren ergraut` dachte sie höhnisch.

 

Ihre Augen in den eher kantig, denn weiblich geschnittenen blassen Gesichtszügen waren dunkel, so dunkel, dass kaum zu erkennen war, ob sie braun, grau oder grün waren. Je nach Umgebung und Lichteinfall erschienen sie immer anders. Hier im Neonlicht des Toilettenspiegels erschienen sie annähernd schwarz. `Na, heute wieder mal als Zombi unterwegs`, begrüsste sie ihren eigenen Anblick. `Wenn schon Zombi, dann wenigstens mit einem Lächeln`, wies sie sich selbst zurecht und setzte ein möglichst natürliches Lächeln auf.

„So jetzt sind wir wieder bei uns Maria und können uns den wirklichen Dingen des Lebens stellen“, imitierte Maria die Stimme ihres Arztes Prof. Dr. Hones. Das Geräusch einer sich öffnenden Toiletten-Tür brachte Maria vollends in die Wirklichkeit und damit zu ihrem ersten Tag in der Telefonzentrale zurück.

 

 „Hallo mein Schatz, komm doch direkt in die Küche, ich bin schon ganz gespannt zu hören, wie dein erster Tag war“, hörte Maria die melodisch klingende Stimme ihrer Mutter bereits beim Öffnen der Haustüre. Maria ging über den kurzen dunklen Gang in die gemütliche Küche der Wohnung. Sie wohnten noch nicht lange hier. Sie hatten lange suchen müssen, bis sie eine Gartenwohnung in unmittelbarer Nähe einer Bushaltestelle finden konnten, die zu ihrem eingeschränkten finanziellen Rahmen passte. Die Räumlichkeiten waren gerade knapp ausreichend für Maria und ihre Mutter.

 

Ein grosses Zimmer für ihre Mutter Sophia mit einer klappbaren Bettcouch, das gleichzeitig auch als Wohnzimmer diente, falls mal Besuch kam, was aber selten der Fall war, ein helles Zimmer für Maria mit Blick in den kleinen noch ungepflegten Garten, eine gemütliche geräumige Küche mit Essplatz und ein betagtes Badezimmer, dessen bunt gewürfeltes Fliesendurcheinander von vielen Reparaturarbeiten erzählte. Maria hatte ihr neues Heim sofort gemocht. Hier fühlte sie sich sicher, in dieser Wohnung konnte Maria die Normalität einatmen – eine solide lebendige Normalität, keine sterilen bemüht freundlich gestalteten Krankenzimmer und Krankenhausflure mehr.

 

„Ich lebe noch, der Jahrhunderte alte Staub auf den Akten hat mich noch nicht umgebracht“, antwortete Maria betont munter und lehnte sich an den Türrahmen.

Sophia, die sich leicht vorne übergelehnt über die Arbeitplatte beugte und Kartoffeln schälte, blickte über ihre Schulter und warf ihrer Tochter einen liebevollen aber dezent tadelnden Blick zu. Sie hatte ihr schulterlanges dunkelblondes Haar zu einem dicken Zopf zusammengefasst, damit es ihr beim Arbeiten nicht ins Gesicht hing.

 

„Ja Mama, ich weiss, ich muss dankbar sein, bin ich ja auch, irgendwie. Und mal im Ernst, es war gar nicht schlecht. Mein erster Einsatzort ist die Telefonzentrale. Die Leute dort sind sehr freundlich. Helene, eine andere Auszubildende hat mir erklärt, wie die Telefonanlage funktioniert und mir das Telefonverzeichnis in die Hand gedrückt. Und dann ging es auch schon los. Ich bin bei jedem Anruf zwar noch mächtig nervös, aber Helene meint, das legt sich schnell. Die Zeit verging wie im Fluge. Ich habe mich keine Minute gelangweilt.“

Von der Begegnung im Aufzug erzählte Maria ihrer Mutter nichts. `Warum auch?`, schoss es ihr durch den Kopf.  `Vielleicht weil Du nur mit Mühe an etwas anderes denken kannst und dich das nervös macht.`, gab sie sich selbst zur Antwort. Ihre Mutter war auch ihre beste Freundin. Die letzten Jahre hatten sie beide stark zusammen geschweisst. Trotzdem brachte Maria das sie ins Grübeln versetzende Erlebnis nicht über die Lippen.

„Du bist blass, mein Schatz. Du hast noch Zeit vor dem Essen die Beine kurz hochzulegen, wenn du willst.“

Mit einem Mal spürte Maria die Anstrengungen des Tages. Mit einem „O.K, ich lege mich vor dem Essen noch kurz hin“ drehte sie Sophia den Rücken zu und ging die zehn Schritte bis zu ihrem Zimmer. Ihr Kopf hatte kaum das Kissen berührt, da war sie auch schon fest eingeschlafen. Sie spürte nicht, dass ihre Mutter ihr später zärtlich über die Wange streichelte, sie zudeckte und die abblätternden blauen Holzfensterläden vor ihrem Fenster schloss. Sie träumte von Augen, die eine Wärme ausstrahlten, als sei die Sonne in ihnen zu Hause.

 

vvv

    

Simons Tag war nicht wie im Fluge vergangen. Der Stapel der zu bearbeitenden Reisekostenanträge wurde nicht kleiner und er fühlte sich wie eingesperrt in der Einförmigkeit seiner Tätigkeit. Er hätte gerne etwas gemacht, was ihn besser von seinen Gedanken an die weissblonde Frau abhielt. Auch das soeben beendete Telefonat mit seiner Freundin Marlene, bei dem sie sich für den Abend verabredet hatten, hatte ihn nur flüchtig ablenken können.

 

`Hey, wozu sitze ich im Personalamt, ich könnte ja wenigstens mal versuchen herauszufinden wie sie überhaupt heisst.`, fiel ihm plötzlich ein. Er schnappt sich einen Reisekostenantrag, murmelte etwas von fehlender Personalnummer in Richtung von Frau Block und lief durch das betongraue Treppenhaus in die nächste Etage. Hier war die Ausbildungsabteilung und hier arbeitete zurzeit Henry Mercato – ebenfalls Auszubildender und Freund von Simon. Henry hatte den Job erwischt, den Simon sich eigentlich für sich erhofft hatte. Aber Simon hatte ihm die Stelle von Herzen gegönnt. Schliesslich hatte Henry - dessen muskulöse, leicht untersetzte Statur eher auf einen Ringer denn auf einen Buchhalter schliessen liess - sich im letzten Ausbildungsabschnitt in der Finanzverwaltung mit drögen Statistiken herumschlagen müssen.

 

„Salü Henry, na wie läuft dein Tag“.

„Gar nicht schlecht, ich habe aber gerade viel zu tun und keine Zeit zum Quatschen, Alter.“

Henry schaute nur einen Augenblick zu Simon hoch.

„Kein Problem, wir sehen uns ja später noch im `Angels`. Nur eine kurze Frage: Stimmt es, dass wir eine neue Auszubildende in unserem Jahrgang dazubekommen? Eine die nicht die komplette Ausbildung durchlaufen muss?“

Henry hob seinen breiten mit sehr kurz geschnittenen dunkelblonden Haaren bedeckten Schädel an und schaute verblüfft.

„Meine Güte, die Buschtrommeln sind aber wieder mal schnell. Woher weißt Du das denn nun schon wieder? Ich selbst habe ja gerade erst vor ein paar Minuten ihre Personalakte auf den Tisch bekommen. Ich muss noch einige Kopien machen und ihre Personaldaten an die verschiedenen Einsatzorte schicken. Eine Maria Rothe, sie muss was auf dem Kasten haben, wenn es ihr erlaubt wird, die Ausbildung so stark zu verkürzen. Mehr Infos gibt’s aber nicht von mir. Personaldaten unterstehen schliesslich dem Datenschutz. Aber du brauchst dich nicht auf eine neue Eroberungsmöglichkeit zu freuen. Ihr Passfoto sagt mir: Sie ist nicht dein Kaliber, eindeutig nicht.“

„Na ich bin doch sowieso in festen Händen“, gab Simon betont lässig zurück, „O.K, dann bis später im `Angels`“. 

 

„Maria Rothe“ sagte er auf dem Rückweg leise zu sich selbst, „Hm der Name sagt mir gar nichts“. Simon hatte das vage Gefühl die Frau bereits lange zu kennen, aber bei dem Name Maria Rothe öffnete sich keine Schublade in seinen Erinnerungen. Aber jetzt wusste er wenigstens ihren Namen. Er suchte noch schnell die fehlende Personalnummer zum Reisekostenantrag aus dem dafür vorgesehenen Computer und schlenderte gedankenverloren in das Revier von Frau Block zurück.

 

Nach Feierabend wartete er wie gewohnt im Schutze des Vordaches draussen vor dem Hauptportal auf seine Freundin Marlene. Marlene, schlank, hochgewachsen und mit einer Fülle langer, glänzend brünetter Haare gesegnet, begrüsste ihn mit einer zärtlichen Umarmung. Er genoss den Duft ihres frisch aufgelegten Parfüms, das er sehr mochte, und versuchte sich auf den gemeinsamen Abend mit Freunden im `Angels` – dem aktuellen In-Treff für Leute ihres Alters einzustimmen. Marlene hakte sich bei unter und sie schlenderten die wenigen Schritte in Richtung Innenstadt.

„Na was ist los mit Dir, Du bist aber gerade irgendwo anders unterwegs.“

Marlenes Worte weckten ihn aus seinen Gedanken.

„Einfach nur wieder ein langweiliger und daher anstrengender Tag“, gab er zurück, „das kotzt mich langsam an“.

„Ooch komm, lass die Arbeit Arbeit sein, jetzt stürzen wir uns erst mal rein ins Vergnügen.“

Sie kitzelte sie ihm mit einer ihrer langen, schimmernden Haarsträhnen über die Nase. Das verführerische Lächeln ihrer mit einem dezenten Rot betonten Lippen legte eine anmutige Zahnreihe frei. Überhaupt, alles an ihr war zum Anbeissen anmutig.

Simon nahm ihre Schönheit unerwartet sehr bewusst war, freute sich spontan und musste lachen.

„Ja, Du hast Recht, komm auf ins wahre Leben“ und öffnete mit einem Schwung die Türe zum `Angels`. Ihre Freunde erwarteten sie schon.

 

vvv

 

 

Als Maria am nächsten Morgen unsicher den Haupteingang zur grossen quadratisch geschnittenen Eingangshalle durchschritt, machte sie sich so unsichtbar wie möglich. Sie redete leise mit sich selber.

„Hier arbeiten 2000 Menschen, wahrscheinlich wirst Du ihm so schnell nicht wieder begegnen“.

Aber sie hatte sich getäuscht. Er stand ziemlich in der Mitte des quadratischen Raumes bei den Aufzügen und schien auf jemanden zu warten. So schnell sie konnte, versteckte sie sich hinter einem der grossen mit üppigem Grün bewachsenen Hydrokultur-Pflanzkübel und schimpfte sogleich wieder mit sich selbst.

 

 

„Du tust ja gerade so, als würde er auf dich warten. So ein Blödsinn Maria, er würde dich mit Sicherheit noch nicht mal bemerken, wenn du direkt neben ihm auf den Aufzug warten würdest.“

 

Die noch tief stehende Morgensonne, die fast waagerecht durch den Haupteingang schien, blendete Simon so stark, dass er kaum jemanden der hereinströmenden Menschen erkennen konnte. Das ärgerte ihn, denn er stand schon seit fast zehn Minuten in der Halle und hielt Ausschau nach Maria Rothe. Gleich würde Marlene kommen und er musste mit ihr in den Aufzug steigen. Dann wäre eine gute Chance vorbei, die fremde Frau wiederzusehen, mit deren Augen sich seine Gedanken so unbedingt beschäftigen wollten.

 

Aus ihrer Deckung heraus beobachtete Maria, wie eine schöne Frau, mit der unwiderstehlichen Ausstrahlung eines Filmstars, den Mann mit den Jesusaugen mit einer innigen Umarmung und einem Kuss begrüsste. Gemeinsam stiegen beide in den Aufzug, wobei er seinen Blick noch einmal suchend durch die Halle schweifen liess. Als Maria sicher sein konnte, dass der Aufzug in die Höhe entschwunden war, eilte sie zur Telefonzentrale. Und dort blieb sie den ganzen Tag, trotz des Sonnenscheins und Helenes Einladung gemeinsam in die Mittagspause zu gehen. Die schöne Frau an seiner Seite lag ihr schwer im Magen. Der Gedanke an ihre Arme um seinen Hals schnürten ihr die Luft ab. „Das ist grotesk, Maria, reiss dich zusammen“, schimpfte sie mit sich selbst.

 

vvv

 

Auch in der Mittagspause versuchten Simons Augen sie ausfindig zu machen. Wie so oft trafen sich viele der Auszubildenden auf den Treppenstufen des Vorplatzes, die ihnen gleichzeitig als Sitz- oder an besonders sonnigen Tagen sogar Liegegelegenheiten dienten. Von dort aus hatten sie einen guten Überblick über den Haupteingang der in Richtung der belebten Innenstadt zeigte. Das Sonnenlicht beleuchtete den hellen Steinbelag des Platzes und hinterliess ein gleissendes Licht.

Simon kniff, wie schon am Morgen, angestrengt die Augen zusammen und suchte Maria unter den vielen Menschen, die den Platz überquerten. Erneut ärgerte er sich, dass er seine Sonnenbrille nicht dabei hatte. Aber die Neue tauchte nicht auf. Er wusste nicht recht, ob er enttäuscht oder froh war, sie nicht zu sehen. Dieses intensive undefinierbare Interesse für eine völlig Unbekannte machte ihn nervös und ratlos.

 

In dieser Nacht träumte er sogar von ihr. In seinem Traum stand Sie einfach nur da, lächelte zaghaft und schaute ihn rätselhaft und auffordernd an, bevor sie sich quälend langsam aber unaufhaltsam in Rauch auflöste. Mit klopfendem Herzen wachte er auf und lauschte eine Weile der Stille der Nacht.

Als er Geräusche aus dem Badezimmer hörte, wurde er sich eines dringenden Bedürfnisses gewahr und tastete sich ohne Licht zu machen ins Bad. Vor der Tür traf er auf seine Schwester Verena, die der Durst aus dem Bett getrieben hatte. Als Verena bemerkte, dass er kam, ging sie zum Lichtschalter und knipste die Deckenbeleuchtung an. Der Flur erhellte sich schlagartig. Simon musste über den schreiend bunten Schlafanzug seiner nur zwei Jahre älteren Schwester lächeln. Verena hatte immer ein sicheres Auge für unmögliche Farbzusammenstellungen. Auch ihre bevorzugte Tagesgarderobe liess ihn oftmals schmunzeln. Es war eins seiner liebsten Hobbys, sie damit aufzuziehen. Aber Verena war hartnäckig, sie stand zu ihrem farbenfrohen Stil. Ihre ansonsten mittelblonden Haare erstrahlen derzeit in einem zarten Rot-Ton. Jetzt gerade hatte Verena sie zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst.

 

„Aha, noch ein Wanderer in der Nacht“, schmunzelte Verena ihn an. Kannst Du nicht schlafen kleiner Bruder?“.

„Nein, ich habe komisch geträumt und jetzt bin ich hellwach“

„Du schläft doch sonst wie ein Murmeltier. Was ist los? Ärger auf der Arbeit?“

„Nein eigentlich nicht, oder aber hm, vielleicht doch ja, ich weiss es auch nicht.“

Simon zuckte ratlos mit den Schultern.

Verena hob ihre Augenbrauen und überlegte.

„Das klingt stark nach einer nächtlichen Besprechung bei Kakao und Plätzchen.“

„Ja, vielleicht hast du Recht. Ich gehe noch kurz aufs Klo. Besorgst Du Kakao und Plätzchen. Wir treffen uns in deinem Bett.“

„Nein, nein mein Lieber, nicht wieder diese Krümel in meinem Bett. Ich komme zu Dir.“

 

Simons eher karg eingerichtetes Zimmer wurde durch das rötliche Licht seiner Nachttischlampe in eine anheimelnde Stimmung getaucht. In seinem breiten Bett war genug Platz für zwei.

„Also raus mit der Sprache, was beschäftigt dich?“

Verenas auffordernder, fast brüsker Ton war Ausdruck ihrer schwesterlichen Neugier.

Er zögerte, aber nur kurz, denn Verena konnte er vertrauen. Sie waren zwar nicht immer der gleichen Meinung, aber meistens half ihm ihre Sichtweise der Dinge weiter.

„Mir ist gestern etwas Merkwürdiges passiert. Ich bin im Aufzug einer jungen Frau begegnet und seither geht sie mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich habe heute sogar von ihr geträumt. Ich habe das Gefühl sie von irgendwoher zu kennen. Sogar gut zu kennen.“

„Was denn für ein Traum? Ein heisser Traum…?“

Simon schüttelte den Kopf.

„Nein, überhaupt nicht. Ich weiss auch nicht was ich davon halten soll, aber ich muss immerzu an sie denken.“

„Nun, ja nicht schön für Marlene, aber an sich ja kein merkwürdiger Vorgang oder? Man trifft halt ab und zu schon mal Leute, die einem nicht so leicht wieder aus dem Kopf gehen. Weißt du denn wie sie heisst, vielleicht kann ich ja mit ihrem Namen etwas anfangen.“

„Sie heisst Maria Rothe. Und doch, für mich ist das wohl ein merkwürdiger Vorgang. Diese Frau ist weder mein Typ, noch war unsere Begegnung alltäglich. Sie hat sehr dunkle Augen und die faszinierten mich sofort. Aber da war noch mehr. Etwas Anziehendes hinter diesen Augen. Ich konnte nicht anders, als sie einfach nur anzustarren. Es war ganz schön peinlich. Als sie in den Aufzug kam und mich anschaute, hat es mich fast von den Füssen gehauen. Unsere Blicke trafen sich und ich fühlte ich mich augenblicklich, als wäre ein Sturm über mich hinweggebraust.“

 

Verena machte eine abwägende Kopfbewegung.

„Hm, das alleine klingt für mich auch nicht merkwürdig. Was meinst Du wie viele Frauen sich nach einer Begegnung mit Dir und deinen schönen Augen im Aufzug genau so fühlen. Ich schätze, Du kannst immer noch nicht nachvollziehen, welche Wirkung Du auf Frauen hast. Der Name Maria Rothe sagt mir übrigens gar nichts.“

„HALLO, ich habe doch gerade erzählt, dass ich, ich Simon Mager, mich so gefühlt habe. Und das beim Anblick einer Frau, die zumindest vom Äusseren her eher ein Freak ist, und noch keine Zeit hatte, mich mit ihrem bestechenden Geist zu beeindrucken. Das ist mir noch nie passiert. Ich habe mich noch nie so gefühlt.“

„Wie ging die Sache denn weiter?“

„Ich brachte nichts anderes heraus als ein dämliches „Mahlzeit!“, da musste diese Maria Rothe laut lachen. Wir unterhielten uns kurz – wie gesagt, es fühlte sich einen Moment lang so an, als würde ich sie schon gut kennen - bis ihr wohl plötzlich mein Aussehen bewusst wurde. Sie wurde glühend rot und flüchtete geradezu panisch aus dem Aufzug.“

Simon musste in der Erinnerung an die Situation nachdenklich lächeln.

„Ich habe ja schon viele Frauen rot werden gesehen, aber so rot zu werden wie sie, ist schon eine Kunst für sich. Ich selbst fühlte mich, als stände ich kurz vor einer Grippe mit heftigen Schüttelfrostattacken. Und das Gefühl bin ich bis jetzt noch nicht wieder richtig losgeworden.“

 

Verena verdaute das Gehörte, tunkte ein Plätzchen in ihren Kakao und schmunzelte Simon schliesslich wissend an. Aber sie behielt ihre Gedanken für sich.

„Was kannst Du mir denn sonst noch über sie erzählen? Gefällt sie Dir?“

„Ich weiss nicht. Es ist, als ob, mein Hirnkasten nicht mehr richtig funktioniert. Ich könnte Dir noch nicht einmal richtig beschreiben wie ihr Gesicht aussieht. Nur ihre dunklen Augen habe ich bewusst wahrgenommen. Und ihr kurzes fast weiss gefärbtes Haar. Und ein leichter Gehfehler ist mir aufgefallen. Sie war gekleidet wie ein Grufti. Na ja, fast wie ein Grufti, ein dunkler Schlabberlook aber ohne Nieten und Löcher in den Klamotten. Wie ein Grufti, der sich gezwungenermassen für seine Arbeit im Stadthaus fein machen muss.“

„Weiss gefärbtes kurzes Haar, freakige Gothikkleidung und auch noch ein Gehfehler? Das wird schwierig Simon. Kein weishaariger Freak mit Gehfehler könnte eine nähere Bekanntschaft zu Dir auch nur ansatzweise in Erwägung ziehen. Ja, ich weiss, Vorurteile sind da, um überwunden zu werden, aber dann muss sie mit einem derart prachtvollem Selbstbewusstsein ausgestattet sein, und das scheint mir nach der Geschichte die du mir eben erzählt hast, nicht der Fall zu sein.“

„Ja ich weiss, Du hast Recht, das alles ist leidlich widersprüchlich.“

„Wenn ich dich so ansehe, fürchte ich dass Du es nicht schaffen wirst, das alles unter „ungeklärte Umstände“ abzuheften und zu vergessen. Zum Beispiel Marlene zuliebe, meine ich.“

Simon zuckte wieder mit den Schultern.

„Erstens hat das nichts mit Marlene zu tun und zweitens werde ich Sie ja irgendwann wiedertreffen und dann sehen wir weiter. Wahrscheinlich stellt sich dann alles als blosse Einbildung heraus“

Verena sah ihn wenig überzeugt an. „Hm, sei bitte vorsichtig Simon, denk an Marlene und an dich.“

 

Schweigen breitete sich aus.

Verena seufzte auf. „So jetzt ist Schluss mit guten Ratschlägen, ich gehe zu Bett.“

„Ich möchte jetzt nicht alleine sein, kannst Du nicht hierbleiben?“, bat Simon leise.

„Klar, mach mir aber bitte etwas mehr Platz, und verdammt, jetzt liege ich ja doch wieder in den Plätzchenkrümeln“.

Verena spürte wie Simon im Einschlafen seine Stirn gegen ihre Schulter legte. Das letzte Mal, dass er nicht alleine hatte einschlafen können, lag nun schon fast sechs Jahre zurück. Ein beklemmender Ring legte sich um ihre Brust. Sie konnte es kaum über sich bringen, an diese Zeit zurückzudenken. „Er ist schon seit Jahren so stabil. Was mag die Frau an sich haben, dass eine kurze Begegnung mit ihr ihn so aus der Bahn zu werfen vermag, dass er nach so langer Zeit der Stabilität plötzlich wieder auf diese Art und Weise anlehnungsbedürftig ist.“

 

vvv

 

Die nächsten Tage vergingen ohne dass Simon und Maria sich wieder begegneten.

Helene, die Auszubildende, die auch in der Telefonzentrale untergebracht war, erzählte den anderen in der Mittagspause von der Neuen. Maria sei ruhig und zurückhaltend, sehr freundlich, immer hilfsbereit und manchmal auch witzig. Leider wolle sie noch nicht mit in die gemeinsame Mittagspause kommen, sondern sich erst noch ein wenig ans Arbeitengehen an sich gewöhnen.

„Ab nächster Woche sitzt sie in der Info unten in der Eingangshalle auf dem Präsentierteller. Da könnt ihr ja alle einen Blick auf sie werfen. Sie ist nicht gerade heiss auf den Job in der Information. Ich glaube sogar, sie hat versucht eine andere Einsatzstelle zu bekommen. Hat aber nicht geklappt. Ich denke Maria ist etwas schüchtern, ich vermute mal wegen ihres Beines. Sie hat mir erzählt, dass sie einen Unfall hatte und längere Zeit im Krankenhaus lag. Das leichte Humpeln ist eine bleibende Erinnerung daran.“

 

Simon hatte sein Gesicht der Sonne zugewandt und seine Arme um Marlene gelegt. Je länger die Begegnung mit Maria zurücklag, desto sicherer war er sich, dass seine Einbildung ihm einen Streich gespielt hatte. Er merkte jedoch, wie seine Sinne sich augenblicklich auf Helenes Stimme konzentrierten, als Marias Name fiel. Wie als würde es einen unbestimmten Durst löschen, speicherte er begierig alle Informationen aus Helenes Worten. Ab Montag würde Maria also in der Information sitzen. Er würde sie jeden Tag sehen können, wenn er sie nicht bewusst mied, was ihm in Anbetracht der Tatsache, dass er in festen Händen war, sinnvoll erschien. Unwillkürlich tauchten wieder Marias dunklen Augen vor ihm auf. Ein inneres Warnsystem liess seinen Arm um Marlenes Schultern schwer werden. Er konnte ihn nicht mehr auf ihren Schultern lassen, sondern nahm ihn, von einem vage schmerzhaften, inneren Ziehen begleitet, herab. Marlene drehte sich zu ihm herum, lächelte und griff nach seiner Hand. Er verspürte den Impuls ihr seine Hand sofort wieder zu entreissen. Die ohnehin vorhandene innere Unruhe verstärkte sich.

 

vvv

 

Maria sah den Montag auf sich zukommen, wie das Kaninchen die Schlange. Vier Wochen sollte sie am Infoschalter auf dem Präsentierteller sitzen. Der Personalleiter Paul Schallenberg liess nicht mit sich reden, eine Umbesetzung würde die ganze Organisation durcheinanderbringen. Eine Krankheit konnte sie auch nicht vortäuschen, das wäre nach der Anfrage beim Personalleiter zu auffällig. Sein leicht genervter Gesichtsausdruck vom Vortag, mit den vielen steilen Falten auf der Stirn stand ihr noch gut vor Augen.  Ausserdem konnte sie die Krankheit ja auch kaum vier ganze Wochen durchziehen.

 

„Maria, was ist los, Du hast so viel in deinem Leben tapfer durchgestanden und jetzt regst Du dich so über eine Kleinigkeit auf. Ich verstehe das nicht, erklär es mir bitte.“

Marias Mutter Sophia schüttelte verständnislos den Kopf, während sie am Abend die Überweisungszettel für die Bank nach dem Zahltag sortierte und vor Maria auf den Küchentisch legte.

Maria, die die aktuellen Überweisungen derweil ausfüllte,  wirkte angestrengt.

„Ach Mama, da gibt es nicht viel zu erklären. Ich fühle mich einfach unwohl bei dem Gedanken, mich dort ständig präsent in der Öffentlichkeit aufhalten zu müssen.“

 

Sie konnte ihrer besorgten Mutter wohl kaum erklären, dass sie vor zwei Wochen eine Begegnung der dritten Art im Aufzug hatte und dass sie diesen Augen nicht wieder begegnen wollte. `Warum eigentlich nicht`, schimpfte Maria mit sich selbst. `Es war einfach nur ein kleiner peinlicher Moment im Aufzug, das erlebt doch jeder manchmal.`

Dieser Simon – dank Helene kannte Maria nun Simons Namen - hatte die Situation mit Sicherheit schon längst vergessen und freute sich gemeinsam mit seiner blendend aussehenden Freundin des Lebens.

 

Aber eigentlich ging es gar nicht in erster Linie darum, was er wohl denken könnte. `Ich selbst bin in Gefahr`, wurde ihr später am Abend beim Zähneputzen schlagartig klar, `in Gefahr mich sinnlos in jemand völlig Unerreichbaren zu verlieben.` Nach dem Ausspülen der Zahnpasta kam sie wieder hoch und betrachtete sich nachdenklich im Spiegel. `Völlig sinnlos, du blöde Kuh. Das wird wieder nur schrecklich weh tun, sonst nichts.` Andererseits war es wahrscheinlich ganz gut, dass er so völlig unerreichbar war. Unerreichbar wie einer dieser Hauptdarsteller in einer der vielen täglichen Fernseh-Serien. Täglich verfügbar, aber gleichzeitig so fern wie ein Planet im Orbit. Das bot ihr wenigstens den notwendigen Schutz vor sich selbst. So würde sie trotz aller mit hoher Wahrscheinlichkeit auf sie zukommenden Verliebtheitsgefühle nie auch nur entfernt auf den Gedanken kommen, sich ihm nähern zu wollen.

 

 

2. Kapitel / Gespräche

 

Simon sah dem Montag mit dieser ärgerlich undefinierbaren Unruhe entgegen. Am Montagmorgen erwachte er schweissgebadet. Seine blumenbekränzte Bettwäsche - die betagten Familienvorräte an Bettwäsche schienen nie ausgehen zu wollen - war völlig zerwühlt. Dieses Mal war sein Traum beunruhigender. Maria hatte ihre Arme nach ihm ausgestreckt, als sie sich wieder genau so quälend langsam wie im ersten Traum in Rauch auflöste. Im Traum hatte er  keinen Finger rühren können, er war wie gelähmt, dabei hätte er nur ihre ausgestreckten Hände ergreifen müssen, um sie vor dem Auflösen zu bewahren. Es fiel Simon schwer den Traum abzuschütteln. Er stand immer noch unter der Dusche, obwohl das warme Wasser im altersschwachen Boiler schon längst aufgebraucht war. Aber auch das kalte Wasser konnte den Kloß in seinem Hals nicht auflösen.

 

vvv

 

Nach einer aufgewühlten Nacht versuchte Maria ihrem Spiegelbild bei der Morgentoilette Mut zu machen. „Eine neue Stelle, neue Herausforderungen, das ist doch wunderbar“ wiederholte sie seit Stunden wie ein Mantra. Dann liess sich der Gang zur Arbeit nicht mehr hinausschieben. Der Empfang an der Info durch Frau Jakob war herzlich. Sie wies Maria in die Geheimnisse des oben nach allen Seiten offenen, etwa 4 mal 4 Meter grossen, überraschend geräumigen Informationsschalters ein. Sofort ging es los mit den ersten Fragen von Hilfesuchenden. Durch ihre Kenntnisse aus der Telefonzentrale konnte Maria schon erstaunlich häufig weiterhelfen. Das hatte sie nicht erwartet.

Der Morgen verging schneller als gedacht. Maria vermied suchende Blicke durch die Halle, sie konzentrierte sich ganz auf die Leute am Schalter. Als die Zeit für die Mittagspause heranrückte, tauchte eine Gruppe junger Leute am Schalter auf. Helene, die freundliche naturblonde Kollegin aus ihrer letzten Dienststelle war auch dabei. Maria erschrak augenblicklich, beruhigte sich aber schnell wieder, denn Simon war nicht unter ihnen auszumachen.

„Hallo Maria, na wie läuft es denn so an deinem ersten Tag.“ Helene strahlte Maria an.

Maria hatte ihren ersten Schreck überwunden.

„Danke der Nachfrage, es macht mir Spass.“

„Darf ich Dir die anderen Azubis hier vorstellen? Also, das ist Hajo, das ist Chan, das ist Jamaima und der hier ist Henry. Es fehlen noch ein paar von unserem Lehrjahr, aber die kommen vielleicht später noch dazu.“

Alle lächelten sie herzlich an, Maria spürte plötzlich, wie sehr sie es vermisst hatte unter Menschen ihres Alters zu sein.

Sie hörte Helenes fragende Stimme.

„Kommst Du heute mit uns raus? Zum allgemeinen Treffplatz auf der Treppe?“

„Ja genau Maria, es ist doch nett, das man dich schon abholt“, freute sich Frau Jakob, die unvermittelt hinter Maria auftauchte, „geh ruhig mit und geniess den Sonnenschein draussen. Es wäre schön, wenn du in einer dreiviertel Stunde wieder hier sein könntest, damit ich auch noch Mittag machen kann.“

Maria setzte ein Lächeln auf und nickte. Es blieb ihr kaum etwas anderes übrig, als sich der Truppe anzuschliessen.

 

vvv

 

Simon hatte das Treppenhaus genommen und den Seitenausgang benutzt. Nach der Mittagpause würde er den Stier bei den Hörnern packen, den Haupteingang benutzen und Maria wieder begegnen. Er wollte sie aber erst einmal aus dem Schutz der Grünpflanzen heraus beobachten und seine Empfindungen checken. Als er wie üblich auf den Azubi-Treffpunkt zusteuerte, war er in Gedanken versunken und entdeckte Marias weissen Haarschopf zu spät. Henry hatte den herannahenden Simon bereits bemerkt und rief „Mahlzeit! Simon“. Simon konnte jetzt nicht mehr abdrehen. Sein eben noch knurrender Magen war schlagartig satt.

 

„Hey, Leute, was geht ab“, begrüsste er seine Kollegen versucht lässig, erklomm ein paar Treppenstufen und versuchte einen Kontakt mit Marias Augen zu vermeiden. „Schau Simon, unser Azubi-Neuankömmling gibt sich die Ehre. Maria, das ist Simon. Simon, das ist Maria.“

Alle schauten Maria an, um zu sehen, wie sie auf den Schönling reagierte. Alle kannten Henrys Spielchen. Maria war nicht die erste Frau, die der `Simon-Versuchsreihe` unterzogen wurde. Maria wollte an Simons Gesicht vorbeizuschauen, doch ihr Gesicht überzog sich trotzdem wieder mit dieser verflixten rotglühenden Hitzewallung. Alle lachten herzhaft. Helene klopfte ihr beruhigend auf den Rücken und tröstete sie leise.

„Nimm es nicht zu tragisch. Du bist nicht die Erste, der das passiert. Henry liebt seine kleine Versuchsreihe über die weibliche Psyche. Aber Simon ist auch wirklich einfach zu schön um wahr zu sein.“

 

Als sich alle wieder Simon zuwandten, hatte sich auch Simons Gesichtsfarbe zart gerötet. Er hatte aber bereits die Treppenstufen wieder verlassen und war aber einige Schritte über den Platz zurückgewichen.

Mit einem „Leute ich muss heute noch kurz in die Stadt. Wir sehen uns später “, hastete er in Richtung Innenstadt davon.

„Wo will Simon denn hin?“ fragte Marlene, die gleichzeitig von der anderen Seite her auf die Gruppe zusteuerte.

Jamaima antwortete ihr immer noch lachend.

„Das wissen wir auch nicht, aber vielleicht hat ihm Henrys Scherz mit Maria nicht gefallen.“

„Wieso was habt ihr denn angestellt?“ 

„Der übliche Simon-Test, nur diesmal war Simon selbst nicht eingeweiht“

„Ihr seid ganz schön kindisch. Gerade Du Henry, weisst doch wie sehr ihn das nervt. Simon hat sich das schon bei euren letzten beiden Eroberungen verbeten.“

Henry strahlte über den wiederholten Erfolg seiner Testreihe.

„Er soll sich nicht so haben, Maria hat es ja auch überlebt. Nicht wahr Maria!“

Marlene nahm die rotglühende Neue in Augenschein.

„Du kommst mir bekannt vor, begrüsste sie Maria mit einem Händedruck.

„Ja vielleicht hast Du mich schon mal im Stadthaus gesehen. Ich arbeite seit zwei Wochen hier“. Maria bemühte sich um einen festen Klang ihrer Stimme.

„Schön, wieder mal jemand Neuen dabei zu haben. Herzlich Willkommen. Ich heisse übrigens Marlene Dedrich und ich bin Simons Freundin.“

Marias Rot verstärkte sich bei der Nennung seines Namens noch, sie bemühte sich jedoch um ein Lächeln und nickte.

Den Rest der Mittagspause verbrachte sie schweigend. Sie versuchte den anderen zuzuhören und spürte wie sich das Vakuum in ihrem Kopf langsam mit Kopfschmerz wieder auffüllte. Simon kehrte zum Glück nicht wieder zurück.

 

vvv

 

Der Nachmittag zog sich auf unangenehme Weise in die Länge. Maria hatte immer noch pochende Kopfschmerzen. Als sie nach der Mittagspause zurückgekehrt war, fühlte sie sich ausgepumpt. Die Begegnung mit Simon war schlimmer gewesen, als sie es sich vorgestellt hatte. Soweit man von dem kurzen Moment überhaupt von Begegnung sprechen konnte. Die öffentliche Zurschaustellung ihrer Gefühle war erniedrigend. Selbst wenn die anderen mit ihrer Reaktion gerechnet hatten, Simon schien nicht besonders angetan gewesen zu sein. Sein Rückzug hatte für Maria auffällig nach Flucht ausgesehen. Aber warum hätte er fliehen sollen. Was interessierte es einen Planeten im Orbit, wenn auf der Erde eine Frau die Gesichtsfarbe wechselte? Nach zwei Stunden musste sie Frau Jakob nach einer Schmerztablette fragen. Zum Glück war die erfahrene Rezeptionistin für alle erdenklichen kleinen Notfälle gut ausgestattet und reichte ihr eine schnell wirkende Brausetablette.

 

vvv

 

Simon rannte, voller Wut über sich und die anderen. Er wusste nicht wohin, aber die Bewegung tat ihm gut.

„Verdammt noch mal!“

 Es war unbedingt ein klärendes Gespräch mit Henry fällig. Simon hatte ihn schon mehrfach gebeten, dieses unwürdige Spielchen sein zu lassen. Maria tat ihm leid. Sie hatte nicht ausgesehen, als ginge es ihr gut damit. Er rannte fast zwei Stunden durch die Stadt über heisses Kopfsteinpflaster, sonnenbeschienene Plätze und schattige Gassen, bis er erschöpft an einem Brunnenrand halt machte und versuchte seinen Atem zu beruhigen. Er benetzte seine Hände und seinen Nacken mit dem kühlen Brunnenwasser. Den Versuch seine Gedanken und Gefühle zu ordnen gab er ergebnislos wieder auf. Langsam machte er sich auf den Weg zurück ins Stadthaus. Wieder benutzte er den Seiteneingang und beschloss das mit dem Stier und den Hörnern auf den nächsten Tag zu verschieben. Er würde die Sache mit Maria gleich am nächsten Morgen angehen. Frau Block erwartete ihn schon und verdonnerte ihn aufgrund seiner überzogenen Mittagspause zu einem späteren Feierabendbeginn. Simons war so erledigt, dass er noch nicht einmal seinen Charme spielen liess, um Frau Block umzustimmen. Stattdessen rief er Marlene an und sagte das Treffen nach der Arbeit ab. Marlene sprach ihn zu seinem Entsetzen auf die Mittagspause an.

„Ich habe Henry gesagt, dass er das kindische Spielchen in Zukunft lassen soll, Simon. Aber ein bisschen lachen musste ich schon. Ich glaube so rot wie Maria ist selten eine Frau bei deinem Anblick geworden. In Kombination mit den weissen Haaren sah sie ja fast niedlich damit aus. Oder was meinst du dazu?“

Simon hätte am liebsten einfach aufgelegt.

„Ich meine gar nichts, Marlene. Das Spielchen nervt mich einfach. So und nun muss ich weiterarbeiten. Wir sehen uns morgen. Tschüss.“

 

In Simons Kopf kreiste den ganzen Nachmittag alles um Maria. Er wusste so wenig über sie, seine Gedanken drehten sich immer wieder um die gleichen Dinge. Ihren weissen Haarschopf, die glühende Röte, die dunklen Augen und diese merkwürdige Anziehungskraft, die all dies auf ihn ausübte. Frau Block legte ihm, immer verdriesslicher werdend, jeden zweiten der von ihm bearbeiteten Reisekostenanträge wieder auf den Schreibtisch. Alle falsch berechnet. Bis zum Ende seines Arbeitstages hatte er sich durchgerungen. Er musste mehr über Maria wissen. Ein Aufschieben der Begegnung mit ihr, würde ihm nichts einbringen, ausser einem weiteren, mit Grübeln verbrachten Abend. Überdies war er es leid sich so daneben zu fühlen. Also nahm er nach der Arbeit, doch nicht das Treppenhaus, sondern den Aufzug, der ihn direkt in Marias Dunstkreis absetzen würde.

`Mal sehen was passiert, wenn ich ihr allein gegenüberstehe.` Im Geiste übte er mehrfach seinen Eröffnungssatz: `Hallo Maria, es tut mir leid, was heute Mittag geschehen ist.` Die Aufzugtüren öffneten sich und in der Halle war es aufgrund der fortgeschrittenen Zeit sehr viel ruhiger als sonst. Vorsichtig schaute er zur Information und entdeckte ihren hellen Haarschopf sofort. Er atmete ein paar Mal tief ein und aus, und ging dann auf Marias Schalter zu. Seine Schritte hallten wie in einem leeren Schloss-Saal. Die Halle war fast leer. Eigentlich wollte um diese Zeit meistens niemand mehr eine Auskunft, aber der Info-Schalter musste trotzdem bis 18.30 Uhr besetzt bleiben.

 

vvv

 

Maria hatte ihn ebenfalls sofort entdeckt. Bei jedem Dong – dem Zeichen des herannahenden Aufzugs- hatte sie schon den ganzen Nachmittag lang die aussteigenden Fahrgäste gescannt. Der nervenaufreibende Tag schien kein Ende nehmen zu wollen. Sie atmete tief durch, setzte ein -wie sie inständig hoffte- freundliches Gesicht auf, stellte sich resigniert an ihren Schalterposten und sah Simon entgegen.

 

„Hallo Maria, es tut mir leid, was heute Mittag geschehen ist“, rappelte Simon seinen einstudierten Satz herunter. Da leuchtete Marias Gesichtshaut bereits wieder glühend rot unter den weissen Haaren hervor. Wortlosigkeit füllte den Zwischenraum zwischen ihnen dröhnend laut aus. Simon betrachtete die stumme Maria und musste unerwartet und wider seinen Willen über ihre Gesichtsfarbe lächeln.

„Keine Sorge, irgendwann, wenn Du mich erst besser kennst, hört das Rot werden genau so plötzlich auf, wie es gekommen ist.“

„Wenn ich dich erst besser kenne?“, wiederholte Maria seine Worte langsam, als hätte sie Mühe damit, deren Sinn nachzuvollziehen.

„Ja, ich weiss, was ich jetzt sagen werde wird wahrscheinlich  komisch klingen, das liegt wohl daran das es mir im Moment ungeheuer schwer fällt meine Gedanken in die richtige Reihenfolge zu bringen. Aber Tatsache ist, dass ich Dich gerne besser kennenlernen möchte. Einfach so, ohne Hintergedanken. Einfach nur kennenlernen.“

Simon stoppte seinen Redefluss, sein Blick verharrte nachdenklich auf Marias schweigenden Mund. Schliesslich bat er “Trinkst du bitte einen Tee mit mir drüben am Automaten in der Sitzecke?“

„Ich glaube ich kann jetzt nicht hier weg, ich muss noch...“

Simons Augen richteten sich auf Marias Ausbildungsleiterin, die am anderen Ende des Schalters Unterlagen sortierte. „Frau Jakob, würden Sie mir Maria für einen Moment ausleihen, ich bringe sie Ihnen gleich wieder zurück.“

Simons Stimme hatte einen warmen, vertrauenswürdigen Klang, sein Lächeln für Frau Jakob war unverschämt strahlend.

„Aber klar Simon“, flötete Frau Jakob zurück. Natürlich kannte sie seinen Namen.

Maria beobachtete voller Interesse Simons Charmeoffensive in Richtung von Frau Jakob und vergass für einen Moment ihre Angststarre.

„So machst Du das also. Ich habe das Gefühl dieses Schauspiel sollte ich mir einprägen, damit ich wenigstens weiss, wenn ich über den Tisch gezogen werde. “

„Keine Angst, das ist eine meiner Waffen, die ich nur im äussersten Notfall anwende. Ausserdem ziehe ich nie jemanden über den Tisch.“

 

Inzwischen waren sie in der Sitz-Ecke vor dem Getränkeautomaten angekommen.

„Du hast noch gar nichts zu meinem Gefasel von eben gesagt“, startete Simon das Gespräch erneut und stellte eine Tasse Tee vor Maria auf den Tisch.

Maria schwieg ein paar endlose Augenblicke lang und flüsterte.

„Warum sollte jemand wie Du jemanden wie mich kennenlernen wollen?“

Simon wusste genau was sie meinte, trotzdem fragte er zurück.

„Warum sollte ich dich nicht kennenlernen wollen?“

„Das weißt du doch ganz genau. Du hast doch bestimmt einen Spiegel zu Hause. Und ich selbst habe auch einen und ich schaue hier und da auch hinein.“

Maria sprach leise und bedächtig.

 

Simon fuhr mit einer Hand durch sein Haar, seine Hand blieb, erfolglos Entspannung herbeimassierend, in seinem Nacken liegen. Er versuchte erst gar nicht ihre Ausführungen zu widerlegen.

„Ich kann dir die Frage nach dem Warum nicht beantworten. Das finde ich vielleicht heraus, wenn wir uns besser kennen.“

Maria nahm allen Mut zusammen, hob ihre Augen und betrachtete sein attraktives Gesicht. Sie versuchte aus seinen Augen unter den angespannt zusammengezogenen Augenbrauen schlau zu werden. Seine Schönheit und der ratlose Blick, der aus den hellbraun glänzenden Augen auf ihr ruhte, schlugen ihr augenblicklich auf den Magen. Ihr wurde schlecht. Sie senkte den Blick und konzentrierte sich auf die unberührte Tasse Tee vor ihr.

„Was genau verstehst du unter - besser kennenlernen -?“

„Wir könnten uns hier und da mal treffen und reden. So was in der Art wäre schön.“

„Ich denke, da bietet der Azubi-Treff in der Mittagspause doch genug Möglichkeiten miteinander zu reden. Ich habe ohnehin beschlossen, jetzt öfters zu kommen.“

In Simons Gesicht zuckten ein paar Gesichtsmuskeln.

„Das ist nicht die Art von Treffen, die ich meine. Ich wäre gerne mit dir alleine – zumindest möchte ich nicht die anderen Azubis aus dem Lehrgang dabei haben.“

Das Rot in Marias Gesicht verstärkte sich wieder.

„Was ist denn mit deiner atemberaubend schönen Freundin Marlene. Willst du sie dabei haben?“

Maria sah an Simons Kehle, dass er ein paar Mal kräftig schlucken musste bevor er antworten konnte.

„Nein, ich möchte mit Dir alleine sein.“

 

Aus dem Hintergrund hörten sie die rufende Stimme von Frau Jakob.

„Maria, ich möchte Dir noch schnell die Abrechungen zeigen, bevor wir zu machen.“

Maria erhob sich, Simon schnellte ebenfalls hoch.

„Simon, ich halte das mit dem Kennenlernen für keine gute Idee. Ich habe kein gutes Gefühl dabei. Entschuldige bitte, aber ich bin mir sicher, es ist besser für mich, dich nicht näher kennenzulernen.“

Maria drehte sich entschlossen um und ging zurück in Richtung Infoschalter. Simon holte sie nach zwei Schritten ein und hielt sie am Arm zurück.

„Bitte Maria, ich wäre auch schon mit einem einzigen Treffen zufrieden. Ich lade dich ein. Ganz harmlos zum Eisessen in der Stadt. Morgen nach der Arbeit. Bitte.“

Maria machte den Fehler ihm noch mal in die Augen zu schauen. Sie standen zu nahe beieinander, um dem verwirrenden Moment auszuweichen. Ein paar Augenblicke lang blieb die Zeit stehen. Maria konnte dem berauschenden Gefühl einer hinter der Zeit verborgenen Ewigkeit nicht lange standhalten und schloss die Augen. Sie kämpfte sie mit sich.

„Du hast gesagt, du würdest deinen Charme nur im Notfall einsetzen.“

Simon betrachtete ihre geschlossenen Augen. Er war selbst noch im gerade vergangenen Moment gefangen, musste aber über ihre Worte lächeln

„Das hier IST ein Notfall!“

Maria drehte ihr Gesicht zur Seite und seufzte ohne ihn nochmals anzusehen.

„Gut, ein einziges Treffen. Ich schlage vor, du holst mich nach der Arbeit hier am Schalter ab. Aber denk dran, ich muss bis 18.30 Uhr arbeiten.“

 

Die nächsten knapp 24 Stunden verbrachten Maria und Simon hauptsächlich mit Warten. Beide liessen sich jeden Moment des Gesprächs immer wieder durch den Kopf gehen. Und beide bekamen eine Gänsehaut, wenn sie an den Augenblick dachten, als die Zeit stehen geblieben war.

 

Am Morgen des nächsten Tages grüsste Simon sie aus der Ferne mit einem Nicken, bevor er im Aufzug verschwand. In der Mittagspause trafen sie in der Gruppe vor dem Stadthaus aufeinander. Es war Simon äusserst unangenehm, dass seine Freundin Marlene ganz normal wie immer zur gemeinsamen Mittagspause dazu stiess. Er hatte vorher versucht sich einzureden, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hätte, aber als er mit beiden Frauen gemeinsam in der Gruppe stand, wurde ihm klar, dass er sich den ganzen Morgen etwas vorgemacht hatte.

Marlene legte wie so oft ihren Arm um seine Hüfte und beanspruchte seine Aufmerksamkeit. Simons ganze Aufmerksamkeit strebte aber unaufhaltsam zu der Stimme und den Bewegungen von Maria. Er traute sich nicht sich umzudrehen, um sie direkt anzusehen, aber ihm war es als könne er Marias Gedanken in seinem Nacken fühlen. Marlenes Arm um seinen Körper und ihre beiläufigen Küsse würden seinen Versuch, Maria am Abend beim Eisessen besser kennenzulernen, erheblich erschweren.

 

Marias Nervosität vom Morgen wurde in der Mittagspause um eine unangenehme Portion schlechtes Gewissen ergänzt.

„So fühlt man sich also als Ehebrecherin“, dachte sie sich während sie am Nachmittag für eine Auskunft im Ämterverzeichnis nach dem Namen des für die Stadtplanung zuständigen Amtsleiters suchte. Sie wollte das schlechte Gewissen wieder abzuschütteln. Zum Ehebruch würde es ohnehin nie kommen.  Aber die Bilder von Marlenes Mund an der Haut seiner Wange und seines Halses und Marias damit zwar einhergehende aber als unsinnig empfundene Eifersucht liessen sich nicht vertreiben.

So hatte sich Maria das Verlieben in einen völlig Unerreichbaren nicht vorgestellt. Um 18 Uhr beschloss sie, das Eisessen mit Simon kurzfristig und ersatzlos zu streichen. Sie fragte Frau Jakob, ob sie heute ausnahmsweise 20 Minuten früher gehen dürfte. Dafür würde sie morgen eine kürzere Mittagspause machen.

„Nein, Kindchen du kannst morgen ganz normal Mittag machen und heute trotzdem früher gehen. Ist sowieso nichts mehr los.“

Maria schnappte sich ihre Sachen.

„Wenn jemand nach mir fragen sollte, sagen sie bitte ich hätte es mir anders überlegt und wäre schon gegangen.“ Dann wandte sie ihre Schritte eilig in Richtung Haupteingang. Keine zwei Meter vor der grossen gläsernen Eingangspforte tauchte Simon wie aus dem Nichts neben ihr auf. Er hatte schon seit einigen Minuten vor ihren Augen verborgen auf ihren Feierabend gewartet und sie beobachtet.

„Abhauen gilt nicht!“

Maria wäre vor Schreck beinahe gegen den, um diese Uhrzeit feststehenden Teil der Glastüren gelaufen. Simon hielt sie in letzter Sekunde am Ellenbogen zurück. Sie blieben stehen. Seine Hand auf ihrem Arm schien sich durch den Stoff auf ihre Haut durchbrennen zu wollen.

„Es tut mir leid, aber ich will nicht mit dir zum Eisessen gehen!“, stürzte es aus Maria heraus.

„Dann machen wir etwas anderes.“

„Nein, ich will mich überhaupt nicht mit Dir treffen.“

„Aber du tust doch genau das. Hier und jetzt! Wir verlängern das Treffen jetzt nur noch etwas.“

Marias Lippen begannen zu zittern.

„Lass mich bitte in Ruhe. Bitte.“

Simon sah sie ernst an.

„Das kann ich nicht.“

Marias Unterkiefer zitterte immer noch.

„Ich verstehe das nicht. Was passiert hier eigentlich?“

„Ich kann es Dir nicht sagen, ich verstehe es auch nicht.“ Simon hätte gerne ihre Augen gesehen, aber Maria blickte zu Boden.

„Ich wünsche mir schon seit Tagen, dass ich für dieses starkes Bedürfnis nach deiner Nähe irgendeine Erklärung finde. Deswegen bin ich hier. Bitte Maria, wir setzen uns draussen auf eine Bank und reden ein bisschen. Das tut niemandem weh, auch Marlene nicht.“

 

Als Maria unschlüssig stehen blieb, schob Simon sie mit einer Hand in ihrem Rücken durch den noch beweglichen Teil der Drehtür hinaus und bugsierte sie links am Stadthaus lang bis in auf den nächsten Aussensitzplatz. Marias Sinne konzentrierten sich ungewollt auf den Druck von Simons Hand in ihrem Rücken.

Simon betrachtete die zu dieser Uhrzeit leeren Bänke, die durch eine Ansammlung von grossen Pflanzkübeln vor den Blicken der Allgemeinheit verborgen lagen.

„Hier können wir bleiben. Einverstanden?“

Mit einem tiefen Durchatmen setzte sich Maria auf eine der Bänke. Simon setzte sich neben sie. Sie schwiegen in angespannter Stimmung.

 

„Erzähl mir was von Dir, Maria, Irgendwas. Wo kommst du her, was machst du gerne, Solche Dinge eben. Vielleicht kennen wir uns von irgendwoher.“

Maria hob abwehrend ihre Hände und nahm all ihren Mut zusammen. Schliesslich hatte sie sich in der vergangenen Nacht für die Abwehrstrategie mit dem Namen - Offen über meine Gefühle reden - entschieden. Ihr Arzt Dr. Honer hatte ihr einmal in einer ihrer Sitzungen erklärt, dass sich die meisten der nur oberflächlich interessierten Männer abschrecken liessen, wenn man direkt zu Anfang von Liebe sprach. Nicht das Maria damals geglaubt hatte, diesen Tipp jemals gebrauchen zu können, aber nun war es wohl so weit.

„Nein, Simon, wir kennen uns mit Sicherheit nicht. Du kannst dir ganz sicher sein, an dich würde ich mich erinnern. Ich will dir nichts von mir erzählen. Ich will Dir nicht nahe kommen. Das hier heute, das ist schon viel zu nahe. Ich kann dich nicht einfach nur kennenlernen, Simon. Du bist einfach zu attraktiv. Ich würde mich mit Sicherheit in dich verlieben. Und ich kann keinen Liebeskummer gebrauchen. Durch den Unfall habe ich eine sehr anstrengende Zeit durchmachen müssen. Ich finde gerade erst wieder ins Leben zurück. Eine unglückliche Liebe würde mich jetzt nur wieder in das nächste Loch schubsen. Je besser ich dich kennenlerne, desto tiefer wird das Loch. Ich will das nicht, sonst komme ich da vielleicht nie wieder heil heraus.“

 

Ihre Offenheit machte Simon für einen Moment sprachlos. „Meinst du, du kannst Dir einen passenden Zeitpunkt für eine Liebe einfach aussuchen? Verliebt man sich nicht ohnehin in den ersten paar Sekunden des Kennenlernens in einen Menschen“, fragte er dann, ihre Wortwahl –unglückliche Liebe- verwirrt ihn. In diese Richtung hatte er das Gespräch nicht leiten wollen.

„Wäre es daher nicht ohnehin zu spät für Abwehrmassnahmen?“

Er zögerte kurz, sprach es dann aber doch aus.

„Warum bist du dir so sicher, dass es eine unglückliche Liebe würde, dass es überhaupt eine Liebe würde, vielleicht bin ich ja ein Arschloch.“

 

Schon wieder brandete die Rötung über Marias Haarwurzeln zusammen. Sie brauchte einen Moment um zu antworten und ignorierte einfach einige seiner Fragen.

„Es ist aus sehr offensichtlichen Gründen sehr unwahrscheinlich, dass du dich überhaupt in dieser Richtung für mich interessieren könntest. Ausserdem haben wir ja nun die berühmten ersten Sekunden des Kennenlernens schon hinter uns gebracht.“

Marias Stimme klang jetzt zynisch.

„Und was meinst du? Hast du dich unsterblich in mich verliebt?“

Simons Stirn legte sich in Falten.

„Ich will dich doch einfach nur ein bisschen besser kennenlernen.“

„Ich heisse Maria, bin 24 Jahre alt, ledig, lebe mit meiner Mutter hier in der Stadt, lese gerne und habe seit meinem Unfall einen Gehfehler, ich bin sehr gut in den schulischen Sachen und eher schlecht in praktischen Dingen, ich mag fast alle Musikstile, lese gerne und stehe auf Fantasyfilme. Ich gehe nicht gerne aus, habe keine nennenswerten Hobbys und bin ein ziemlicher Langweiler. So nun kennst du mich etwas besser. Viel mehr gibt es über mich ohnehin nicht zu erfahren.“

Simon verschränkte seine Finger und lehnte sich nach vorne. Sein Haar fiel ihm vors Gesicht. Er schwieg.

Ihre Argumente fortführend beharrte Maria auf ihrer Botschaft..

„Siehst du, du erkennst verständlicherweise selbst schon, dass du nicht in mich verliebt sein kannst. Das wäre völliger Unsinn. Ãœberdies hast du eine unglaublich schöne und dazu auch noch sehr nette Freundin. Ihr gehört zusammen, dass sieht man schon von Weitem. Ihr seid ein Traumpaar. Kaum zu glauben, dass ausgerechnet ich dich daran erinnern muss. Und stell Dir vor: Selbst wenn diese unglaubwürdige Variante eintreten würde und du plötzlich erkennst wie arg du in mich verliebt bist: Ich selbst will auf gar keinen Fall eine Liebesbeziehung eingehen. Mit niemandem! Ich brauche alle meine Kraft für mich selbst.“

 

Simon beobachtete ihre nervös mit einem Birkenblatt spielenden Finger.

„Warum willst du keine Liebesbeziehung eingehen? Was ist los mit Dir? Hängt das mit deinem Unfall zusammen?“

Maria presste die Lippen aufeinander und schwieg.

Simon versuchte es anders.

„Es ist doch überhaupt nicht die Rede von einer Liebesbeziehung. Und wenn du selbst noch nicht mal eine Liebesbeziehung willst, wo ist dann das Problem? Lass uns einfach ein bisschen Zeit miteinander verbringen und uns kennenlernen. Bestimmt können wir gute Freunde werden.“

Maria warf das in kleine Fetzen gerissene Birkenblatt in einer wütenden kleinen Bewegung auf den Boden.

„Hörst Du nicht zu? Ich habe gesagt, dass ich mich unweigerlich in dich verlieben würde. Wahrscheinlich sogar, wenn du ein Arschloch wärst, was du ziemlich offensichtlich nicht zu sein scheinst. Willst Du mich unglücklich machen? Brauchst du einen Fanklub? Macht es dir Freude mich zu ruinieren?

Simon hörte genau zu, spürte eine aufsteigende Verärgerung und wollte ihre Worte nicht an sich heranlassen. Er liess nicht locker.

„Maria, gib Du mir einen freundschaftlichen Rahmen vor, der Dir richtig erscheint, ich werde mich bemühen ihn einzuhalten. Ich kann nur einfach nicht so tun, als würde ich mich nicht für dich interessieren.“

Marias Augen füllten sich mit Tränen. Ihre Stimme klang jedoch erstaunlich klar.

„Simon, es ist ja nicht so, als würde sich nicht ein Teil von mir über das freuen, was Du sagst. Aber ich kann Dir ja noch nicht mal in die Augen schauen, ohne dass sich diese verdammte Watte in meinem Kopf ausbreitet. Es gibt keinen freundschaftlichen Rahmen, der mich davor beschützen kann, mich in dich zu verlieben. Es tut mir wirklich leid, aber muss Dich bitten, dich von mir fernzuhalten. Es ist besser, wenn Du ein Fremder für mich bleibst. Noch Mal in ganz deutlich zum Mitschreiben! Halte in Zukunft Abstand zu mir!“

Damit stand Maria auf, bückte sich um ihre Tasche aufzuheben und ging ohne weitere Worte davon.

 

Simon blieb ratlos auf der Bank sitzen. Für ihn fühlte es sich überhaupt nicht richtig an, ein Fremder für Maria zu bleiben. Auch wenn das Ergebnis der Unterhaltung nicht seinen Wünschen entsprach, hatten sich die Minuten des Zusammenseins mit ihr gut angefühlt. Es hatte Spass gemacht, sich mit ihr zu unterhalten. Sie konnten sich immerhin unterhalten, die Wellenlänge schien zu stimmen. Das war nicht unbedingt oft der Fall, wenn er eine Frau ansprach. Aber ihre Worte hatten jetzt sein Herz erreicht und ihre Tränen hatten ihn bestürzend tief getroffen. Er wollte sie auf keinen Fall unglücklich machen. Er staunte über ihre Ehrlichkeit.

Noch nie hatte ihm eine fremde Frau so offen gestanden, dass sie sich mit Sicherheit in ihn verlieben würde. Und sie hatte ja Recht. Es war schlichtweg unwahrscheinlich, dass er und sie ein Paar werden könnten. Das überstieg auch seinen Vorstellungshorizont. Wenn er nur wüsste, was das für Gefühle waren, die er für Maria hatte und wie er damit umgehen sollte. Ausserdem gab es da ja noch Marlene. Bis vor ein paar Tagen hatte er noch gedacht, er würde mit ihr alt werden. Diese Empfindung hatte Maria ihm genommen.

 

Nachdenklich kehrte er nach Hause zurück. Den Abend verbrachte er mit seiner Schwester vor dem Fernsehen im Wohnzimmer. Er liebte Filme, aber heute wäre ihm kaum aufgefallen, wenn dort nur ein weisses Rauschen gelaufen wäre. Verena knuffte ihn später in die Seite und flüsterte. „Na, Brüderchen, wieder mal abwesend? Erzählst Du es mir?“ „Nein, heute nicht mehr. Ich gehe jetzt zu Bett.“

 

vvv

 

Maria sass mit tränennassem Gesicht auf ihrem schmalen Bett, als ihre Mutter hereinkam.

„Maria, Mäuschen, was ist passiert?“

„Jemand von der Arbeit interessiert sich für mich. Ich habe ihm eben gesagt, dass es besser ist, wenn er ein Fremder für mich bleibt“

Sophia schwieg und verarbeitete das Gehörte.

„Es war gut direkt klare Verhältnisse zu schaffen. So wie Du es mit Prof. Honer besprochen hast“

„Ja, ich weiss Mama, aber als wir diese Situation so theoretisch besprochen haben, wusste ich nicht, dass ich mich so schlecht dabei fühlen würde.“

„Erzähl mir davon“

Marias Lippen zitterten.

„Ich, also Er, ähm also ich …Mama, er ist wirklich unglaublich... Selbst wenn ich dieses ganze Elend nicht mit mir herumschleppen würde, könnte ich nicht seine Freundin sein. Du kennst doch die Theorie, dass sich meistens Menschen zusammentun, die der gleichen Schönheitsklasse angehören. Während ich auf einer Scala von 10 Punkten ungefähr bei 4 einzuordnen bin, liegt er mindestens bei 400 Punkten.“

Eine Weile hörte man nur das mühsame Schlucken von Maria.

„Weißt Du noch das Märchen das ich als Kind immer so mochte – Die Schöne und das Biest-, es ist wie in diesem Märchen nur das hier der Mann der Schöne ist und das Biest immer ein Biest bleiben wird. Also keine Chance auf ein Happy End.“

„Warum interessiert er sich für Dich?“

„Irgendetwas ist zwischen uns, vom ersten Augenblick an, ich…, ich spüre das auch und er will eine Chance in einem freundschaftlichen Rahmen herauszufinden was das ist. Aber für mich wäre das reinste Folter. Ich muss ja jetzt schon dauernd an ihn denken. Aber bisher konnte ich ihn anhimmeln, wie man eben einen Filmstar so anhimmelt. Aber wenn ich ihm näher komme, dann wird es richtig weh tun. Weißt du Mama, er hat eine wunderschöne Freundin. Oh, Mann, ich habe es so satt, mich schlecht zu fühlen.“

Sophia nahm ihre Tochter fest in die Arme und wiegte sie tröstend hin und her.

 

In den nächsten Wochen bemühten sich Maria und Simon kunstvoll um so etwas wie Normalität. Er grüsste aus sicherer Entfernung, sie nickte kurz zurück. Wenn Maria in der Mittagspause dank Helenes Standhaftigkeit ab und zu zur Gruppe dazu stiess, fielen Simon dringende Dinge ein, die noch erledigt werden mussten. Simon schien ihren Wunsch zu respektieren. Sogar wenn sie im Aufzug stand, wartete er auf den nächsten. Nur ein einziges Mal konnten sie einer gemeinsamen Fahrt mit dem Aufzug nicht aus dem Weg gehen. Maria drehte Simon sofort den Rücken zu, als er mit einem Kollegen in das sechs Quadratmeter grosse Rechteck zustieg. Simon blieb nichts anderes übrig als ihr auf den sich rot einfärbenden Nacken zu schauen und ein merkwürdig quälendes Ziehen in seinem Brustkorb wahrzunehmen. Damit erschöpften sich ihre Kontakte. Maria schaffte es aber nicht die Situation mit Entspannung zu betrachten. Es schmerzte, sie kannte sich zwar aus mit Schmerz aber das hier war anders. Jetzt, wo sie wusste, dass er, aus welchen Gründen auch immer, an ihr interessiert war, gingen ihre Gefühle weit über das Filmstar-Anhimmeln hinaus. Trotzdem: Der tiefe Abgrund, der sich durch Simons Annäherungsversuch aufgetan hatte, rückte ein wenig in die Ferne. Aus der Ferne würde sie es aushalten können, hoffte sie. Die Zeit würde alles wieder gerade richten.

 

vvv

 

Nach einem Monat, inzwischen hatte ein heisser Sommer die Stadt nahezu täglich mit einem hell gleissenden, wolkenlosen Himmel fest im Griff, stellte Marlene Simon in der Mittagspause zur Rede. Sie sassen mit dem Rücken gegen einen Brunnen gelehnt und liessen sich durch die kühlen Spritzer, die vom Wasser herüberwehten, abkühlen. Über dem Asphalt der Strasse flirrte die Luft.

„Ich möchte jetzt auf der Stelle wissen, was los ist. Wo bist Du mit deinen Gedanken? Seit Wochen habe ich das Gefühl, mit einem Geist zusammen zu sein.“

Simon sah über seine Schulter zu ihr hinüber, wollte seine Hand heben, um ihr eine Haarsträhne aus dem geröteten Gesicht zu streichen, zögerte und liess seine Hand wieder sinken.

„Mir geht es im Moment nicht so gut.“

„Aha, und gibt es dafür einen Grund?“

Simon schwieg.

„Simon, rede mit mir. Ich bin deine Freundin. Ich möchte dir helfen können!“

„Du kannst mir nicht helfen! Es tut mir leid. Wirklich, Marlene. Aber es wird bestimmt wieder besser.“

Simons Stimme klang müde.

„Hoffe ich“, fügte er leise und nachdenklich hinzu.

Marlene überlegte länger. Sie scheute sich die Frage auszusprechen, tat es dann aber doch.

„Simon, liebst du mich noch?“

„Bitte frag mich das nicht, nicht im Moment.“

„Was soll das bedeuten Simon. Mit dieser Antwort kann ich nichts anfangen. Ich frage dich noch einmal. Liebst Du mich noch?“

 

Simon senkte seinen Kopf und legte die Stirn auf seine angezogenen Knie.

„Ich weiss es nicht“, flüsterte er.

Marlene schaute ihn fassungslos an.

„Du weißt es nicht! Was heisst das für uns?“

„Ich weiss es nicht“

„Was weißt du denn überhaupt noch?“

Ein wortloses Achselzucken war die Antwort.

„Hat es etwas mit einer anderen Frau zu tun?“

Simon nickte fast unmerklich.

„Liebst Du sie?“

„Ich weiss es nicht.“

Marlene betrachtete ihn. Eine Träne hinterliess eine feuchte Spur auf ihrer Wange.

„Warum versuchst Du nicht, es herauszufinden?“

„Weil sie mich nicht lässt.“

„Warum hast du mir nicht gesagt, dass es jemand anderen für dich gibt.“

„Weil wir schon lange zusammen sind, weil ich immer noch Gefühle für dich habe, weil ich nicht weiss, warum ich mich überhaupt für diese andere Frau interessiere, weil ich versucht habe, sie aus meinem Schädel rauszukriegen, weil ich dich nicht verlieren will und schlussendlich weil ich ein egoistisches Arschloch bin, dass sich alle Möglichkeiten offen halten will.“ 

Marlene verbarg ihre Gefühle, indem sie ihr Gesicht in ihren auf den Knien verschränkten Armen versteckte. Leise tönte ihre murmelnde Stimme aus den Armen hervor.

„Hat Stella was damit zu tun?“

Simon spürte wie sich der Raum zwischen ihnen sich ausdehnte und eine unsichtbare Mauer aufbaute.

„Nein, es hat überhaupt nichts mit Stella zu tun. Das ist schon lange vorbei und das weißt du auch. Ich hab dir das mehr als ein Mal gesagt.“

 

Marlene konzentrierte sich auf das Plätschern des Brunnens und fing sich soweit, bis sie Simon wieder anschauen konnte. Auch ihm standen die Tränen in den Augen.

„Es tut mir ehrlich leid, Marlene, ich wünschte ich könnte dir etwas anderes sagen. Aber ich bin einfach leer. Oder überfüllt mit etwas, das ich nicht einordnen kann. Mir fehlt auch jede Idee, wie es weitergehen könnte.“

Maria wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und stand auf. Sie blickte auf Simon herab.

„Ich schlage vor, wir legen eine Pause ein und Du versuchst rauszufinden, was Du willst. Und ich versuche rauszufinden, ob ich mit diesem Vorschlag hier überhaupt klarkommen kann.“

Simon nickte, seine Mundwinkel verrieten jedoch, dass er wenig überzeugt war. Marlene registrierte sein Zaudern und hockte sich vor ihn. Sie schauten sich in die Augen.

„Du musst mir sagen, wenn es vorbei ist mit uns, Simon, bitte.“

Simon schluckte, hielt aber ihrem Blick stand und flüsterte „Mach dir nicht mehr zu viele Hoffnungen Marlene.“

Marlene zuckte zurück, als hätte er sie geschlagen. Sie federte hoch und ging eiligen Schrittes davon. Simon schaute ihr noch hinterher, als sie schon lange verschwunden war. Es tat ihm weh, Marlene mit dieser Abfuhr ziehen zu lassen. Er spürte seiner Trauer nach, Wut über sich selbst mischte sich herein.

„Das hat sie wahrlich nicht verdient.“

 

Er lehnte den Kopf nach hinten gegen den kühlen Stein. Feine Wassertropfen benetzen seine Stirn. Er liess die letzten Wochen Revue passieren. Er hatte vor vier Wochen nach einigem Nachdenken Marias deutliche Ablehnung gut verstanden. Sie hatte ihm die Unsinnigkeit seines Wunsches klar vor Augen geführt. Es musste ihm nur noch gelingen das, was sein Verstand schnell begriffen hatte, auch gefühlsmässig umzusetzen. Er hatte sich jede Information, die er nun über sie wusste ins Gedächtnis gerufen und drehte und wendete sie so lange hin und her, bis er sich sicher war, dass keine davon interessant genug war um ihn zu reizen. Nichts an ihr reizte ihn. Sie war eine nette junge Frau, genau wie viele andere auch. Mehr nicht. Er sah sie jeden Morgen aus der Ferne am Schalter stehen und versuchte sie ganz objektiv zu wahrzunehmen. Auch aus dieser Perspektive hatte sie nichts an sich, was sein besonderes Interesse verdient hätte. Er litt einfach unter einer Gefühlsverirrung, die er am besten einfach nicht beachtete. Am Ende der ersten Woche hatte er sich soweit, dass er glaubte, was er sich selbst versuchte einzutrichtern.

 

Dann kam die Sache mit dem Aufzug. Er hatte Mühe gehabt, die Unterhaltung mit dem Kollegen fortzuführen, als er mit ihr auf engem Raum zusammenkam. Ein Aufzug war eindeutig zu klein, um ihn mit ihr zu teilen. Marias Präsenz hatte sich wie ein Stahlseil um seine Brust gelegt und fortan nicht mehr losgelassen. Er schüttelte noch Tage später innerlich bedrückt den Kopf darüber, dass er nichts lieber getan hätte als ihren geröteten Nacken mit seinen Lippen zu berühren.

 

Vielleicht reizte Maria seinen Jagdtrieb. Er war ein Mann, der in Hinsicht auf die Frauenwelt noch nie eine ernsthafte Abfuhr hatte einstecken müssen. Bekanntlich war ja immer das am interessantesten, was man nicht haben konnte. Ganze vier Tage verwendete er darauf, seine Gefühle als Jagdfieber einzuordnen. Bis ihm plötzlich mit Macht die erste Begegnung mit ihr wieder vor Augen stand. Er erkannte: Das mit dem Jagdtrieb war Blödsinn. Er hatte vom ersten Moment an so für sie empfunden. Und da war er mit Sicherheit nicht auf der Jagd gewesen.

 

Die Tage vergingen und Simon kämpfte weiter mit dem Stahlseil um seine Brust. Eines Morgens kam er in die Eingangshalle und Maria stand nicht wie gewohnt an ihrem Platz an der Information. Drei Tage lang tauchte sie nicht auf. Morgens nicht, mittags nicht und abends nicht. Simon spürte wie sich das Stahlseil um seine Brust enger zuzog. Er brauchte zwei Tage Anlauf, bis er sich überwand und Frau Jakobs nach Maria fragte.

 

Er fand er heraus, dass Maria einige der theoretischen Prüfungen für die Ausbildung nachholte. Er war erleichtert, dass ihr Fernbleiben einen so harmlosen Grund hatte. Es war also alles in Ordnung. Er konnte zur Tagesordnung übergehen. Aber ein sehnsüchtiges Gefühl hatte sich in seinem Bauch breit gemacht, und schien nicht verschwinden zu wollen. Schliesslich konnte er nicht anders. Er musste vor sich selbst zugeben, dass er ihren Anblick vermisste. Sehnsüchtig vermisste.

Maria war nach vier Tagen wieder an ihrem Platz erschienen, aber die Sehnsucht nach ihr blieb. Seitdem wusste Simon, dass er doch versuchen musste ihr näher zu kommen, auch wenn sie selbst das nicht wollte. Er wusste nur nicht, wie er es angehen sollte. Sie hatte ihren Standpunkt klar dargelegt.

 

Simon hörte die Uhr vom alten hölzernen Stadtturm dreizehn Uhr schlagen und wurde aus seinen Gedanken aufgeschreckt. Die Mittagspause war vorüber. Da hatte er sich gerade von der Frau getrennt, mit der er ein ganzes Jahr seines Lebens verbracht hatte und er machte nichts anderes als an Maria zu denken. Er schüttelte den Kopf über sich selbst. `So kann es nicht weitergehen, ich muss dringend etwas unternehmen, sonst drehe ich durch.`

 

 

 

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