Kurzgeschichte
Vom Ertrinken im Karpfenteich

0
"Vom Ertrinken im Karpfenteich"
Veröffentlicht am 13. November 2009, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
http://www.mystorys.de

Über den Autor:

Bin ich unverwechselbar? Nein. Ich wurde schon manches Mal verwechselt. Und wie viele andere auch schreibe ich gern. Lyrik und Prosa. Das ist weder einzigartig noch unverwechselbar. Wenn ich auch noch verrate, in welchem Genre mein großspurig auf fünf Bände angelegtes Romanprojekt (zwei davon sind tatsächlich fertig) angesiedelt ist, kann ich gleich einpacken. Da bin ich nicht nur verwechselbar, sondern außerdem auch noch ein Herdentier. Sollte ...
Vom Ertrinken im Karpfenteich

Vom Ertrinken im Karpfenteich

Beschreibung

Eine Handvoll pubertierender Bengel wagt sich auf frisches Eis hinaus. Einer von ihnen stiftet einen idiotischen Wettbewerb an und erlebt sein blaues Wunder.

Vom Ertrinken im Karpfenteich

„Eh Mann“, rufe ich, „schieß mal den Puck rüber!“
Es ist frühe Nacht, ein Sternenhimmel, der sich gewaschen hat, prangt. Mitten drin der Mond. Er schaut sich die vier Blödmänner an, die an einem Novembertag, nachdem es ein paar Nächte zaghaft gefroren hat, ihre Schlittschuhe eingepackt haben und hierher aufgebrochen sind, zum Karpfenteich, weil einer von ihnen, der kleinste, Cremer, behauptet hat, das Eis würde schon locker tragen.
Vielleicht hat es ja den Zwerg locker getragen, als er nach der Schule hier vorbei gekommen ist und sich vorsichtig über die trügerische Fläche getastet hat. Jedenfalls, als wir jetzt, vier Mann hoch, auf dem Eis herum kurven, macht es verdächtige Geräusche, ächzt und kracht, und ich verstehe, was mit dem Wort ’auf Biegen und Brechen’ gemeint ist. Doch bis jetzt hat es gehalten, und nach ein paar Minuten schon sind wir ganz cool und relaxt. „Passiert nix“, hat Cremer gesagt und den Eishockeyschläger in die Hand genommen.
Wir haben es ihm gleich getan und dreschen jetzt den Puck über die pechschwarze, spiegelglatte Fläche, die so sauber gefroren ist, wie man es selten hat: keine Hoppelei über Wellen oder gefrorenen Dreck, keine Schneekruste, nein einfach eine schnelle, glatte, saubere Fläche. So macht es Spaß. Erst vor ein paar Tagen habe ich den Hohlschliff erneuern lassen.
Wir stellen Olav zischen zwei Zaunpfähle, die vom Eis eingeschlossen sind, und hauen ihm den improvisierten Kasten voll, wobei Iffe den Schläger eher dazu gebraucht, sich auf den Kufen zu halten als nach dem Puck zu schlagen. Als Olav die Schnauze voll hat, legen wir eine Pause ein. Cremer zaubert ein paar Bier hervor und Iffe, Geiz ist sein zweiter Name, schießt unter lautem Hallo eine Runde Kippen zu. Wir qualmen, trinken und labern dummes Zeug über Schule, die Weiber, den frühen Wintereinbruch, das geile Eis und das bevorstehende Wochenende.
Wie ich mich so umschaue, fällt mir ein von einem Obstbaum weit über die Eisfläche hinausragender Ast auf, und ich stifte die anderen zu einer Art Mutprobe an: Jeder soll versuchen, sich aus dem Fahren heraus an diesen Ast zu hängen, durch zu schwingen und sicher zu landen. Mir scheint das gar nicht weiter schwierig. Irgendwann habe ich sie so weit, dass sie mitmachen. Anerkannte Sportskanone, hebe ich mir meinen Auftritt bis zuletzt auf. Cremer ist natürlich viel zu klein, und der Hüpfer, den er zustande bringt, hebt ihn bestenfalls ein paar Zentimeter übers Eis. Iffe, der lebende Widerspruch zu jeder Art sportlicher Betätigung, ein Amotoriker, ein hin gekritzelter Schlenker im Wüstenwind, ist schon beim Anlaufen eine Augenweide und dieser bockbeinige Absprung mit anschließender krachender Landung auf dem Hintern (nur gut, dass er trotz seiner zwei Meter ein klapperdürrer Stecken ist, der kaum etwas auf die Wage bringt und vom Eis ohne weiteres verkraftet wird) eine Kunst, eine Clownsnummer allererster Güte, wenn man das jetzt hätte aufführen müssen.
Olaf schafft es immerhin, den Ast zu berühren, und kann es vermeiden, auf die Fresse zu fliegen.
Nun Charly, das bin ich. Ganz elegant, aus einer Kurve vorwärts übersetzend, laufe ich an.
Ich springe ab, erreiche den Ast, packe fest zu, schwinge durch und …
Konnte ich ahnen, dass dieses Miststück von Ast, eine Attrappe, ein hinterhältiges Täuschungsmanöver von diesem Schuft von einem Baum ist, der sich an diesem Ufer angesiedelt hat, über Jahrzehnte arglistig gewachsen ist, diesen Ast ausgebildet hat und ihn hat verdorren, absterben und verrotten lassen, bis er nur mehr ein Abbild seiner selbst, eine mit Rinde überzogene, morsche Angelegenheit war, und der auf mich gewartet hat, denjenigen, der eines Tages kommen würde, um an ihm seine Geschicklichkeit zu demonstrieren – hätte ich das wissen können?
Also dieser Ast bricht; mitten im schönsten Schwung katapultiert er mich hinaus in den Sternenhimmel. Und als ich wie eine tumbe Fliegerbombe schwer und stumpf dem Karpfenreich entgegen falle und auf dem Eis aufschlage, versagt es, völlig klar und gar nicht anders zu erwarten, den Dienst. Ein schwarzer Wasserstrudel dringt gurgelnd und kalt durch die klaffenden Schollen, und der Teich, abgefeimter Komplize des Baums, macht sich daran, mich in einem Stück zu verschlingen.
Ich schreie und brülle: „Hilfe, Hilfe, ich ertrinke.“
Wohl macht Cremer einen halben Schritt in meine Richtung, scheint herbeieilen zu wollen, um dem ertrinkenden Freund die rettende Hand zu reichen, auch Olav macht Anstalten, die darauf schließen lassen, dergleichen könnte seine Absicht gewesen sein, während Iffe einfach nur dasteht und glotzt. Und während das Wasser eiskalt meinen Hintern leckt und ich jegliches Gefühl für die gesamte Region da unten verliere, ist mein In-die-Tiefe-Sinken zu einem jähen Ende gekommen, und mit dem Arsch auf Grund, in dieses Loch geklemmt, liege ich da, hilflos wie ein Maikäfer auf dem Rücken, jedoch weit davon entfernt, wie die Bismark heroisch in den Fluten des Atlantik, in den Tiefen des Karpfenteichs zu versinken. Ich stelle mein jämmerliches Gebrüll ein, weil inzwischen auch mir klar geworden ist, dass ich zwar scheiße übel eingebrochen bin, aber, kaum einen Meter vom Ufer entfernt, keineswegs in den zweifelsohne sowieso nicht vorhandenen Untiefen dieser Pfütze versinken und ertrinken werde.
Das haben meine feinen Freunde schon recht bald geschnallt und jetzt stehen sie da, zu einer Seenotrettung ohnehin nicht mehr bereit, und lachen sich nach anfänglichem Gegluckse einen so mächtigen Ast, wie ich ihn an diesem Scheißbaum hätte gebrauchen können, um nicht in diesen blöden Teich einzubrechen.
„Charly, wenn du darauf bestehst“, sagt Olav, „ziehen wir dich da raus, aber es kann gut sein, dass das Eis dann weiter kracht.“ Ich grunze unwillig und schäme mich, eigentlich noch tiefer in den Teich hinein, weil ich, der große Charly, der selbstverständlich absolut relaxt ist und alles checkt, mir die Blöße dieses völlig verzweifelten und total danebenen Hilfeschreis gegeben habe, und versuche mich selbst aus dem Loch zu befreien. Wenigstens das will mir halbwegs gelingen und Olav hilft mir, indem er auf seinen Schlittschuhen am Ufer herüber gestakst kommt und mir den Eishockeyknüppel hinhält. Schon fast in der Hocke, packe ich dankbar zu und lasse mich auf die Beine ziehen. An Land mit nassem Hinterteil unter kaum verhohlenem Grinsen ziehe ich meine Schlittschuhe aus.
Schluss mit Eislaufen.
Cremer grinst und feixt, und grinst, und brüllt: „Hilfe, Hilfe, ich ertrinke!“
Ich stürze mich auf ihn. 

Die Geschichte vom Ertrinken im Karpfenteich hat mich bis zum Abitur verfolgt und wird auch heute noch gern erzählt, wenn die Rede auf alte Zeiten kommt.

http://www.mscdn.de/ms/karten/beschreibung_27117-0.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/beschreibung_27117-1.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_117790.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_117791.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_117792.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_117793.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_117794.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_117795.png
http://www.mscdn.de/ms/karten/v_117796.png
0

Hörbuch

Über den Autor

Volker
Bin ich unverwechselbar? Nein. Ich wurde schon manches Mal verwechselt. Und wie viele andere auch schreibe ich gern. Lyrik und Prosa. Das ist weder einzigartig noch unverwechselbar. Wenn ich auch noch verrate, in welchem Genre mein großspurig auf fünf Bände angelegtes Romanprojekt (zwei davon sind tatsächlich fertig) angesiedelt ist, kann ich gleich einpacken. Da bin ich nicht nur verwechselbar, sondern außerdem auch noch ein Herdentier. Sollte Dich das wider Erwarten interessieren, schau auf romansuche.de nach.

1958 geboren, als in Flensburg die Verkehrssünderkartei geründet, Elvis in Bad Nauheim stationiert und in Bonn beschlossen wird die Bundeswehr mit Atomwaffen auszurüsten (Njet, hat die Nato später gesagt.)
Als sie Kennedy erschießen, bin ich fünf Jahre alt. Ich darf bis zum frühen Morgen aufbleiben und zusammen mit den Sommergästen, die wir in diesem Jahr erstmals beherbergen, im Fernsehen dabei zusehen, wie im Juli 1969 Neil Armstrong den Mond betritt.
1974, ein Schicksalsjahr: Brandt verliert durch Günter Guillaume das Kanzleramt und ich meine erste große Liebe. Per Schulkonferenz wird beschlossen, dass ich trotz Leistungs- und Disziplinproblemen in die Studienstufe versetz werde. Mein Vater bringt die letzte Ernte ein. Ich fange das Tagebuchschreiben an.
1975 war einfach ein geiles Jahr.
1976: Ich gebe vor ABBA zu hassen, Led Zeppelin dagegen zu lieben. (Letzteres stimmt.)
Seit zwei Monaten bin ich im Zivildienst, als Weihnachten 1978 das Schneechaos über Norddeutschland hereinbricht.
Als ich anfange einen Roman zu schreiben, Titel: "1975" (bis heute nicht vollendet), gewinnt Boris zum ersten Mal Wimbledon.
1986, als Tschernobyl und Sandoz den Seelenfrieden nachhaltig stören, mache ich das erste Staatsexamen. (Lehramt. Das zweite ist nie gefolgt). Die Katastrophen inspirieren mich zu einem Promotionsthema.
Ein Jahr bevor aus Drüben Hüben wird, fliegt mir der Entwurf meiner Doktorarbeit um die Ohren. (Abbruch) Ich schreibe andauernd Gedichte.
1991, die Stadt ist noch deutlich geteilt, folge ich einer großen Liebe nach Berlin.
Im Sommer des Jahres, in dem Lady Di ums Leben kommt, verbringe ich mit einer anderen großen Liebe einen unvergesslichen Urlaub im "Land wo die Zitronen blühn, im dunklen Laub die Goldorangen glühn".
Die zwei Türme fallen, ich unterrichte Schulabbrecher und schreibe seit einem Jahr am ersten Band meines Romanprojekts.
Ich habe den zweiten Band zur Hälfte geschrieben, da wird Merkel Kanzlerin, und ich versuche seit zwei Jahren vergeblich den ersten auf dem Markt unterzubringen.
2009: Meine große italienische Liebe hält zu mir und unterstützt meine Schreiberei.

Leser-Statistik
171

Leser
Quelle
Veröffentlicht am

Kommentare
Kommentar schreiben

Senden
Gunda MIr ist ... - ... beim nochmaligen Lesen etwas aufgefallen, Volker. Der ganze Text ist jungenmäßig frech geschrieben... und endet dann so ziemlich brav. Könntest du nicht den letzten Satz ein bisschen pfiffiger gestalten? So à la "nächste Woche steht wieder ein Klassentreffen ins Haus. Bin mal gespannt, wie lange es dieses Mal dauert, bis Cremer frech zu grinsen anfängt: Wisst ihr noch ...?"
oder so ähnlich ...

Lieben Gruß
Gunda

Bist du mit meinen Infos in der PN zurechtgekommen?
Vor langer Zeit - Antworten
Volker Re: Also ,.. - Danke, Gunda. Wie, bitte, mache ich das, wenn ich jetzt Dich, also die Texte, die Du hier veröffentlichst, abonnieren will?
Wenn ich jetzt auf "Eintragen" klicke, geht das an Dich, oder bleibt das hier bei mir? Ich probier's einfach mal.

Zitat: (Original von Gunda am 14.11.2009 - 14:29 Uhr) ... wenn einem so etwas passiert, kann ich mir lebhaft vorstellen, dass die Story auch noch nach 30 Jahren der Brüller auf jedem Klassen- und/oder Freundeskreistreffen ist.
Ich glaube, solche peinlichen Vorkommnisse, die einem immer wieder die Schamesröte ins Gesicht treiben, trägt jeder in seinem persönlichen Erinnerungsgepäck mich sich rum ...

Stilistisch so formuliert, lieber Volker, dass der Leser hin und her gerissen ist, ob er nun Mitleid mit Charly haben soll oder doch lieber schadenfroh grinsen ... Rate mal, wie es mir ging? :o))

Lieben Gruß
Gunda

Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Also ,.. - ... wenn einem so etwas passiert, kann ich mir lebhaft vorstellen, dass die Story auch noch nach 30 Jahren der Brüller auf jedem Klassen- und/oder Freundeskreistreffen ist.
Ich glaube, solche peinlichen Vorkommnisse, die einem immer wieder die Schamesröte ins Gesicht treiben, trägt jeder in seinem persönlichen Erinnerungsgepäck mich sich rum ...

Stilistisch so formuliert, lieber Volker, dass der Leser hin und her gerissen ist, ob er nun Mitleid mit Charly haben soll oder doch lieber schadenfroh grinsen ... Rate mal, wie es mir ging? :o))

Lieben Gruß
Gunda
Vor langer Zeit - Antworten
Zeige mehr Kommentare
10
3
0
Senden

27117
Impressum / Nutzungsbedingungen / Datenschutzerklärung