Der Pimmel
Als Frank mit dröhnenden Kopf im kaltem Badezimmer vor der blitzblanken Kloschüssel stand und urinieren wollte, erblickte er den aufgedunsenen Pimmel sofort, der da im Abflusswasser schwamm. Zuerst hielt er ihn für eine Kackwurst, die sich beim letzten Abziehen weigerte seine Toilette zu verlassen, dann fiel ihm die ungesunde Fleischfarbe auf. Der Pimmel war beschnitten, die Eichel hob sich dunkel-lila von dem schweinchenfarbenden Schaft ab und es hingen keine Eier dran.
Erschrocken griff Frank nach seinem besten Stück und entspannte sich, als er ihn in Händen hielt. Dabei spritzte etwas Pisse heraus und Frank nahm all seine
Kraft zusammen, um das Geschäft zu verhindern – Ein stechender Schmerz durchfuhr seine Prostata und er fluchte böse. Angewidert schleppte er sich zum Waschbecken und pieselte hinein. Als seine Blase sich leerte, fiel ihm eine Last von der Seele. Es gab nichts schlimmeres, als nach einer durchzechten Nacht nicht pinkeln zu können.
Als er fertig war, spülte er das Waschbecken aus und warf seine Zahnbürste in den Mülleimer, bestimmt hatte sie einige tropfen abbekommen. Frank liebte Sauberkeit, aber er schaffte es nicht auf dieses Stück Fleisch zu pissen. Wie kam der Pimmel nur in seine Kloschüssel?
Er wusch sich die Hände, dann mit kaltem Wasser sein Gesicht, der Schlaf musste
verschwinden. Vielleicht war es nur eine Halluzination? Was machte ein abgeschnittener Pimmel in seinem Bad? Ihm war nicht bewusst, dass er gestern irgendjemanden mitgenommen hatte und außerdem nahm er, wenn überhaupt, nur Mädels mit. Es gab immer eine, die einen Thekenkraft für ein Bettstündchen abschleppte, also wo kam der Pimmel her?
Vielleicht hast du ja doch jemanden mitgenommen, der wurde aufdringlich und du hast ihm den Schwanz abgehackt? Ängstlich suchte er seine Beine und Unterwäsche nach Blutspuren ab, nichts. Er blickte über seine Schulter in den Flur, trat aus dem Badezimmer und rief zaghaft: „Hallo?“
Keine Antwort. Hm? Der Mann musste
schon tot sein. Er war meistens so gegen fünf Uhr aus dem Laden, halbe, bis eine Stunde Fußweg nach hause, da war es dann gegen sechs. Streit, Gerangel und SCHNIPP! war er ab, das musste gegen sieben passiert sein. Jetzt war es gegen zwölf, also gute fünf Stunden zum ausbluten. Aber warum sollte er im Streit einem Mann seinen Johannes abschneiden? Was wusste er denn von gestern noch?
Um 23 Uhr begann seine Schicht im Südpol, die Stimmung war gut, das erste Bier bekam er schon zehn Minuten Später aus. Der Dartclub war schon so angeheitert, dass die Pfeile die Wand öfter trafen als ein Bullseye, aber dennoch schmissen die Jungs und Mädels Runden
und um halb zwölf hatte er schon drei Stock intus. Dann zwei Bier von Helmut und einen Klaren von Jupp. Er erinnerte sich, dass eine fremde Frau am der Theke saß. Sehr groß und maskulin. Aber äußerst sexy. Er wusste noch, er hatte sie angesprochen. Sie schien nett und fragte ihn, ob man im Südpol was rauchen konnte.
„Klar, is ein Raucherclub!“
Sie verdrehte die Augen.
„Ach klar! Sportzigarette,“ er grinste dümmlich. „Bei den Mülltonnen, hinten. Komm ich zeig es dir.“
Er gab Claudia, der anderen Bedienung, mit den Augen ein Zeichen, sie nickte und Frank verschwand mit der Frau auf den Hinterhof. Sie hatte schon einen fertigen
Joint in der Hand und fragte: „Willst du auch?“
Sie rauchten zusammen und als sie wieder in den Schankraum kamen, lief gerade Sido der zusammen mit Tony D und Kitty Kat „Ficken“ wollte. Die Fremde schaute ihn belustigt an und Frank nahm seinen Platz hinter dem Tresen wieder ein. Er blickte ihr nach, wie sie am Zigarettenautomaten eine Schachtel Benson und Hetches zog und ihm fiel dieser blöde und Jahrhunderte alte Witz ein: Wer ist der beste Torwart der Welt? BH – Der hält zwei Bälle! Er grinste blöde.
Vielleicht hatte er die Frau mit genommen und vielleicht war sie ein Transvestit? Hatte sie ihn heiß gemacht, war mit ihm auf die Bude gegangen und als es los ging, hing ihm plötzlich dieser Pimmel am Knie? Dann
schnipp, schnapp und ab? Oder biss er ihn ab?
Er ging zurück zur Schüssel und lugte hinein.
Der Pimmel schwamm immer noch an der Oberfläche. Er hatte die Länge eines Daumen und die Dicke eines alten Fünfmarkstücks. Die Eichel war geschwollen und wie gesagt frei geschnitten. Ein Moslem? Oder Jude? Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass einer seiner Gäste zu einer dieser Glaubensrichtung gehörte. Vorhautverengung? Wieso lag dieser verdammte Schwanz in seinem Klo. Und wo war der Hodensack?
Der Pimmel war nicht abgebissen. Abgeschnitten, oder abgehackt, so genau konnte Frank es nicht sagen, aber es
befanden sich keine Bissspuren an ihm. Es war auch kein goldener Pimmel, oder einer aus Plastik und von einem schwulen Gorilla schien er auch nicht zu sein.
Frank ging wie auf Eiern durch den Flur zur Küche und suchte alle Winkel seiner Wohnung nach einer Leiche, oder einer Blutlache ab. Vielleicht hatte er aber vor dem Schlafen gewischt. Mann, wieso konnte er sich nicht daran erinnern, jemanden den Pimmel entfernt zu haben? Dem Geschmack in seinem Mund zu urteilen, gab es wieder Absinth. Nach drei, wenn der Laden abgeschlossen wurde, holten sie das harte Zeug raus. Der innere Kreis trank mindestens eine Flasche am Abend und Frank sagte nie nein, wenn
er mit trinken sollte. Er hatte von einem Mann gehört, der sich im Absinthwahn den Fuß abnagte und manche der Konsumenten erzählten von Tobsucht, doch Frank war nie aggressiv – nicht mal auf Koks, welches Toni immer bei sich hatte und ihm, falls er nach ließ, hin und wieder ein Näschen davon gab.
Frank machte sich einen Kaffee. Als das Wasser noch nicht kochte inspizierte er das Wohnzimmer noch einmal, ob er die Leiche nicht hinter der Couch versteckt hatte. Nichts. Niemand lag tot in seiner Wohnung, dem der Schwanz fehlte.
Nach dem Absinth erinnerte sich Frank an nichts mehr. Absinth wischte alles bei Seite, Koks verschlimmerte den Zustand nur noch. Der Kaffee in seiner Tasse
schwappte durch seine zitternden Hände hin und her und verbrannte ihm den Daumen. Er erinnerte sich an eine Shortstory von Stephen King, die er in den Achtzigern gelesen hatte. Ein Mann hatte in seinem Waschbecken einen Zeigefinger gefunden. Blutend, aber noch lebendig. Er bewegte sich wie ein Wurm und schien zu leben, der Mann, Frank erinnerte sich kaum noch an die Story, war dann wohl verrückt geworden. Vielleicht wurde er ja auch verrückt? Man hatte ihm vor Jahren schon gewarnt, wenn er seinen Alkohol- und Drogenkonsum nicht drosselte, würde dies Auswirkungen auf seinen Geisteszustand nehmen. Sollte er überschnappen und auf Grund der alten
Geschichte einen abgeschnittenen Penis in seiner Toilette manifestieren?
Er ging zurück ins Bad kniete sich vor die Schüssel und tauchte mit der Hand hinein. Streckte den Zeigefinger aus und berührte mit der Spitze den schrumpeligen, kalten Pimmel und zuckte zurück.
„IIIHHHHH!“ kreischte er und robbte von dem Klo zurück.
Der Pimmel war genau so echt wie die Kloschüssel selbst, wenn nicht echter. Er verfluchte sich, dass er sein Leben so in die Gosse spülte, aber was sollte er tun? Er war halt ein Original. Die Kneipe passte zu ihm wie ein Smoking an James Bond. Er war ein wahrer Herr Lehmann. Er trug sogar den selben Vornamen. Es gab Leute die konnten musizieren, andere machten Filme,
oder malten. Er machte Leute besoffen, das konnte er sehr gut. Vor allem sich selbst.
Aber sein versoffenes Leben hatte nichts damit zu tun, dass nun ein scheiß Pimmel in seinem Klo schwamm! Verdammt was sollte der Scheiß?
Er drückte die Spülung. Der Pimmel wirbelte herum, wie ein Kajak auf einem wilden Fluss, doch er verschwand nicht durch den Abfluss und versaute den Tag eines städtischen Angestellten. Protzig schwamm er wieder im ruhigen Wasser. Vor seiner Wohnung hörte er Frau Schmitt.
Er spürtete zur Tür und riss sie in Unterwäsche auf. „Morgen Frau Schmitt!“
Die Rentnerin schaute ihn entrüstet an, tat es aber dann als bei ihm normal ab und erwiderte: „Morgen Herr Ransig!“
„Entschuldigen Sie meinen Aufzug, aber ich muss Sie unbedingt was fragen!“
„Worum geht' s?“
„Sie hören doch immer, wenn ich nach hause komme...“
„Glauben Sie ich belausche Sie?“ empört ließ sie die Alditüte fallen.
„Darum geht' s jetzt nicht! War ich heute morgen alleine?“
„Das interessiert mich nicht, aber ja. Sie waren wieder stark betrunken, haben gesungen, aber sie waren alleine.“
„Das ist mein Job!“
„Alleine sein, oder das Saufen?“
„Ich arbeite in einer Kneipe...“
„Ich glaube Sie leben in einer Kneipe!“
„Haben Sie auch keinen Streit bei mir gehört?“
„Junge, Sie sollten weniger trinken.“
Verbissen blickte sie ihn an, verschwand in ihrer Wohnung und ließ ihn stehen.
Frank ging wieder hinein. Erleichtert, er hatte niemanden mit genommen und hatte auch sonst keinen Besuch gehabt. Aber wie kam dieser verdammte Pimmel in sein Klo? Vielleicht sollte er die Polizei anrufen?
Sie würden seine Bude auf den Kopf stellen. Er wusste nie, ob nicht irgendwo Koks, oder sonstige Drogen versteckt waren. Nein, mit der Polizei wollte er nichts zu tun haben, sie gehörten nicht in sein Leben. Wenn er den Pimmel heraus fischte, und in den Müll warf, würden sie bestimmt auf ihn kommen. Auch wenn er nichts getan hatte, musste er erklären, wo der Pimmel her gekommen war.
„Meine Toilette...“ flüsterte er.
Als ob er einen Röntgenblick besäße starrte
er an die Kacheln der Wand und stellte sich die Abflussrohre vor, die in der Wand verliefen und in die Wohnung unter ihm und den Wohnungen über ihm. Wer wohnte da? Direkt über ihm, diese Carmen und ein Typ unterm Dach. Er zog sich eine Jeans an dann stieg er hoch zum Dach und klingelte bei Yilmas. Ein Mann, Mitte dreißig und anscheinend aus der Türkei glotzte ihn giftig an. „Ey was'n – he?“
„Hallo Herr Yilmas. Ich … Ich wollte nur mal gucken, ob es Ihnen gut geht.“
„Gut geht? Ey … Biste schwul Kartoffel? Ich geh Nachts arbeiten! Bis du Doktor oder wat?? Scheise Hartzvierleude! Immer Zeit. Verpiss dich sonst mach ich deine Kopf in dein Arsch...“
Er schloss die Türe und Frank war auch
schon wieder auf dem Rückweg.
Wie sollte er jemanden erklären, dass in seiner Toilette ein Pimmel schwamm? Das war ja nichts was täglich vor kam. Er blieb an der nächsten Türe stehen und klingelte wieder. Was wollte er von dem Mädchen? Wie sollte sie an einen Schwanz kommen? Hatte ihr Freund sie geschlagen und sie hatte ihm dann den Schwanz abgeschnitten und die Toilette runter gespült?
Unten ging der Türsummer. Frank klopfte und rief: „Hallo!“
Die Türe ging auf und die junge Frau stand vor ihm. Nur ein Spitzen-BH, String und Lackstiefel. Ihr Lächeln erfror und sie machte die Türe bis zu einem Spalt zu. „Upps! Hi ich dachte du wärst...“
Ein Kunde! - schallte es durch Franks Hirn. Carmen hatte ihn vor Monaten
angesprochen. Die sexy Blondine machte Internetfilmchen. Für Youporn, mydirtyhobby, oder eine andere schlüpfrige Seite. Sie hatte ihn einmal gefragt, ob er nicht Lust hätte einen mit ihr zu machen. Frank war einiges gewöhnt, aber das hatte ihn doch geschockt. Man rechnete nicht im eigenen Haus damit, obwohl diese Seiten mit dem Slogan warben: „Schauen Sie was Ihre Nachbarn machen!“
„'Tschuldige ich wollte ….“ Was wollte er? Sie fragen ob sie jemanden kannte, dem ein Pimmel fehlte? „Es is etwas kompliziert... Also bei mir im Klo schwimmt ein Pimmel...“
„Komm rein!“ sagte sie.
Sie schien etwas beunruhigt, vielleicht
sogar neugierig. Er hatte nicht gedacht, dass er mit diesem Satz Einlass bei einer Frau bekam, aber was sollte er machen, er wusste nicht was er sagen wollte, als er in das Treppenhaus trat und den Weg unter das Dach antrat.
„Ich will dich nicht anmachen, oder so. Glaub mir, aber als ich gerade pissen...“
„Ist schon gut. Ich zieh mir nur eben was an.“ sie verschwand in einem Raum.
In der Küche saß eine Brünette, ebenfalls in Reizwäsche, die an einer Digitalkamera herum fummelte. „Hi ich bin Karin.“
„Frank. Ich hab deiner Freundin gerade erzählt, dass in meinem Klo ein Schwanz schwimmt.“
Karin richtete das Objektiv der Cam auf ihn und das rote Lämpchen zeigte ihm, dass sie ihn aufnahm.
„Ich will nichts von euch, aber ich dachte mir, vielleicht habt ihr einen Freund der... der... krank?..“ Frank kam sich blöde vor.
Karin lächelte. Kalt. Ohne Gnade. „Tut mir Leid für dich, Frank!“
Frank nahm hinter sich noch eine Bewegung war. Dann griff jemand in sein Haar und zog seinen Kopf zurück. Als die Klinge durch seinen Hals fuhr, dachte er, dass es gar nicht weh tut. Das Blut floss warm über seine Brust und sein letzter Gedanke war: Wie kommt dieser verdammte Pimmel in mein Klo?