Die Ausgrabung
Das Tosen und Donnern des landendes Schiffes unterbrach die absolute Stille. Doch da war weit und breit niemand, der sich daran hätte stören, aber ebensowenig jemand, der die vollendete Formschönscheit des Sternenkreuzers hätte bewundern können.
Im Inneren des Kreuzers lehnte sich Captain Oldenn gemütlich in seinem Kommandosessel zurück. „Ich habe selten ein schöneres Schiff geflogen. Für ein Forschungsschiff läßt es sich ungewöhnlich leicht handhaben. Der Hyperraumsprung war geradezu ein Kinderspiel.“
„Ja“, bestätigte Kane, „und die Kabinen sind der reinste Luxus.“
„Interessiert euch Männer eigentlich nur eure Bequemlichkeit“, fragte Gladia etwas spöttisch, „oder ist zufällig jemand an unserem Auftrag interessiert? Wir haben nämlich so ganz nebenbei auch das modernste archäologische Labor der Galaxis an Bord.“
„Sie hat Recht, Kane. Schließlich sind wir hier, um herauszufinden, ob es hier tatsächlich mal eine Zivilisation gegeben hat – Was ich allerdings bezweifle.“
„Du bist ein hoffnungsloser Skeptiker, Oldenn. Warum sollte es denn nicht so sein? Wir haben schon auf abgelegeneren Planeten Ausgrabungen gemacht.“
„Na, sieh doch mal raus! Wer oder was bitte schön sollte denn da draußen je überlebt haben? Dieser Planet ist trostloser, als Vega 3 – eine absolut tödliche Wüste.“
„Schon, aber wer sagt denn, das es immer so gewesen sein muß?“
„Jetzt hört schon auf zu streiten, Jungs! Wir müssen uns vorbereiten.“
Trotz der modernsten Antiwärmekleidung, fingen sie bald an zu schwitzen. Aber die Anzüge geben ihnen eine Reichweite von drei Tagen. Ohne die Thermoanzüge wären sie bereits nach wenigen Stunden tot gewesen, so tot, wie alles auf diesem Planeten. Sie sprachen nicht viel auf ihrem Marsch. Das war auch nicht notwendig, denn ihr Ziel lag klar vor ihnen. Sie waren so nah wie möglich an einer Region gelandet, die viele verschiedene Hügel hatte, die aber allesamt recht klein waren. Vielleicht, so hoffte Gladia, war es eine alte Siedlung, die der Sand zugedeckt hatte. Oldenn war da natürlich ganz anderer Meinung.
Schon nach wenigen Stunden hatten sie ihr Ziel erreicht. „So, welchen nehmen wir?“ fragte Kane.
„Den da“, beschloß Gladia, „das ist der größte.
Sie bewegten sich auf den bezeichneten Hügel zu, der sich fast in der Mitte des Feldes befand. Es kostete sie einige Mühe, die Erhebung zu besteigen. Der feine Sand erschwerte ihnen den Aufstieg ebenso wie das Graben, da er immer wieder nachrutschte. Dennoch kamen sie voran , hatten jedoch bis zum Abend trotzdem nichts gefunden.
Der Sonnenuntergang auf diesem Planeten erwies sich als faszinierend und völlig anders, als sie es gewohnt waren. Die Farbe des Himmels wechselte von einem tiefen Blau langsam über die vielfältigsten Mischfarben zu einem tiefen Rot, das die Beobachter an noch warmes Blut erinnerte. Dann wurde das Rot immer dunkler, bis es schließlich der Schwärze der Nacht wich.
Am nächsten Morgen stürzten sie sich bereits früh wieder in den heißen Wüstensand. Nach zwei Stunden wurden sie endlich fündig. Ausgerechnet Oldenn war es, der den Fund machte. Zunächst waren sie unsicher, um was es sich handelte, doch gegen Abend war es eindeutig, daß es sich um ein Gebäude handeln mußte, denn sie hatten das oberste Stockwerk zum Teil freigelegt.
„Es ist viel zu groß, um es in der kurzen Zeit komplett freizulegen“, bemerkte Oldenn.
„Vielleicht finden wir auch so einen Weg hinein“, antwortete Gladia, „Ich möchte etwas mehr erfahren über die Leute, die das hier erschaffen haben, bevor wir unsere Meldung absetzen.“
Nachdem er ein paar Berechnungen angestellt hatte, meinte Kane: „Eins ist schon mal sicher. Das waren keine Bauern, die dieses Gebäude errichtet haben. Wenn meine Kalkulationen auch nur halbwegs korrekt sind, ist es größer, als das Rathaus von Côras.“
„Wie viele Menschen mögen hier in der Siedlung gelebt haben?“
„Wer hat gesagt, das es Menschen waren? Denk‘ doch nur mal an die Troglodythen von Rigel 4. Und Rigel ist das nächste bewohnte Sonnensystem.“ Wieder war es Oldenn, der zweifelte.
„Die Troglodythen“, antwortete Kane, „bauen aber mit einem sehr speziellen Material. Dieses hier ist mir völlig unbekannt. Es ist sehr stabil, aber spröde. Außerdem habe ich noch nie eine so große Troglodythensiedlung gesehen. Nein, nein! Nur Menschen leben zu so vielen auf einem Haufen. Es müssen Tausende gewesen sein.“
Sie legten noch ein paar Meter einer Wand frei, bis es dunkel wurde, ohne einen Eingang zu finden. Doch ihr Wissensdurst brannte bereits in ihnen, also beschlossen sie, die mobile Beleuchtung einzuschalten und weiter zu machen. Und bereits der nächste Meter freigelegter Wand belohnte sie dafür. Im grauen Gemäuer befand sich ein Loch, in dem so etwas wie eine Tür war. Aber sie fanden weder Hebel noch Knöpfe – nichts, womit sie sich hätte öffnen lassen.
„Seltsam“, wunderte sich Gladia, „Das sieht aus, wie eine Polynaliumtür, zumindest ist sie durchsichtig. Aber diese Türen lassen sich schon durch leichten Druck öffnen, aber diese hier reagiert nicht.“
Ein anderes Material?“ fragte Oldenn.
„Kaum, oder kennst du ein anderes Material, durch das man hindurch sehen kann?“
„Vielleicht ist auch der Mechanismus beschädigt. Schließlich muß es Jahrhunderte her sein, das sie zuletzt benutzt wurde.“ Kane versuchte, die Tür mit ein paar Schlägen zu lockern, doch in dem Moment, in dem er das seltsame Material berührte, zersprang es mit einem lauten Klirren in tausend kleine Teile. Die drei sahen sich erstaunt an, bevor Kane beschloß, ein paar der Bruchstücke einzusammeln und zur Analyse mitzunehmen. Nach kurzer Beratung beschlossen die Archäologen, im Inneren des Gebäudes zu übernachten.
Um Zeit zu sparen, standen sie besonders früh auf. Spätestens gegen Mittag mußten sie aufbrechen, um das Schiff rechtzeitig zu erreichen. Der Raum, in dem sie übernachtet hatten, war nicht besonders groß und vollkommen leer. Sie versuchten es mit dem Rest des Bauwerks, doch sie mußten feststellen, das ihnen der Weg in den tiefer gelegenen Teil des Gebäudes durch Verschüttungen verwehrt blieb. Das war besonders enttäuschend, da auch in den anderen Räumen dieser Ebene nichts zu finden war. Erst der letzte Raum, den sie betraten, schien eine Ausnahme zu sein, denn auf der Tür, die wieder aus dem merkwürdig zerbrechlichen Material bestand, waren Zeichen angebracht, die sie jedoch nicht zu deuten wußten. Gewissenhaft machte Kane Aufzeichnungen, bevor sie versuchten, die Tür zu öffnen. Glücklicherweise hatte diese Tür tatsächlich einen kleinen Hebel, mit dem man sie öffnen konnte. Der Raum dahinter erwies sich jedoch auf den ersten Blick als genauso leer, wie die vorherigen. Doch plötzlich bückte sich Gladia, um etwas aufzuheben.
„Was hast du da?“ fragte Kane.
„Ich weiß nicht genau. Meiner Meinung nach ein Beweis, das die Bewohner dieser Welt keine Kristallspeicher kannten. Das Material ist eine Art Papier. Sie haben viele Seiten aneinander geklebt und mit denselben Zeichen bedruckt, wie sie auf der Tür sind. Aber ich werde aus dem Inhalt nicht schlau.“
„Nun“, meinte Oldenn, „es ist das einzige Artefakt, das sich hier befindet. Es muß für die Menschen hier etwas ganz besonderes gewesen sein. Vielleicht hat es religiöse Bedeutung oder es ist eine Aufzeichnung ihrer Gesetze.“
„Ja, das könnte sein. Auf jeden Fall ist es unser einziger Schlüßel zu ihrer Kultur.“
„Glaubst du, du kannst es entziffern?“
„Mit genügend Zeit? Auf jeden Fall!“
Der Weg zurück führte sie einmal mehr durch die drückende Hitze dieses unwirtlichen Planeten.
„Eins“, bemerkte Oldenn“, frage ich mich immer wieder. Wie konnte jemand nur auf dieser Welt überleben, ohne Biosphären zu errichten? Hier ist doch alles und jeder auf Dauer zum Tode verurteilt.“
„Der Planet muß einmal ganz anders ausgesehen haben, das ist die vernünftigste Erklärung“, antwortete Kane. „Aber frag‘ mich bitte nicht, was ihn so verwüstet hat.“
Zurück an Bord, machten sie eine kurze Pause, und stürzten sich dann sofort wieder in die Arbeit. Jeder von ihnen versuchte eines der Rätsel dieses Planeten zu lösen und es dauerte einige Tage, bevor sie sich alle zu einem ersten Informationsaustausch trafen.
„Also“, fragte Oldenn, „hast du herausgefunden, aus was diese Türen bestanden?“
„Ja“, antwortete Kane, „aber ihr werdet es kaum glauben. Es ist größtenteils einfach nur Sand.“
„Sand?“ fragte Oldenn erstaunt, „Zugegeben, davon gibt es hier mehr, als genug. Aber seid wann ist Sand durchsichtig?“
„Das habe ich mich auch gefragt, also habe ich die Tests mehrfach wiederholt. Aber das Ergebnis war immer wieder dasselbe. Es ist definitiv Sand. Es scheint, als ob er stark genug erhitzt worden wäre, um zu schmelzen, nur um dann in Form gebracht zu werden. Die Durchsichtigkeit scheint ein Nebeneffekt zu sein.“
„Na gut“, wandte Gladia ein, „überlassen wir es den Leuten in der Zentrale, die Sache weiter zu untersuchen. Wie sieht es mit deinen Untersuchungen aus, Oldenn?“
„Nicht eindeutig, aber die Geo-Sensoren haben Spuren von organischem Material gefunden. Außerdem scheint es so, als habe der Planet einmal über große Wasserreserven verfügt. Der Anteil an Treibhausgasen in der oberen Atmosphäre muß also irgendwann einmal unter dem kritischen Wert gelegen haben. Aber alles weitere wäre pure Spekulation.“
„OK, ich bin mit der Entzifferung der Zeichen ebenfalls weiter gekommen. Bislang konnte ich allerdings nur die Aufschrift auf dem Artefakt eindeutig entziffern, obwohl sie nicht viel Sinn ergibt.“
„Wie lautet sie?“
„Der Hobbit“