MIasma
Kapitel 5
Miasma
Ich spürte die verständnislosen Blicke der andere auf mich ruhen, als wir auf das Essen warteten. Eine unbehagliche Stille hatte sich zwischen uns ausgebreitet. Mein Gewissen meldete sich schimpfend zu Wort, aber mir fiel nichts gescheites ein, um die Stille zu brechen. Meine Gedanken kreisten einfach noch zu sehr um die jüngsten Ereignisse. Und ich machte mir Sorgen. Richtige Sorgen. Bis jetzt war es mir noch nie passiert, dass ich von Menschen angegriffen wurde. „Was ist sie? Was sind ihre Ziele?“ fragte ich mich immer wieder, wohl wissend, dass ich darauf alleine durch Grübeln keine Antwort bekommen würde.
Doch dann atmete Suyi plötzlich lautstark aus, schaute mich vorwurfsvoll an und fragte mich tadelnd: „Sag mal hast du dich Teitos Fantasien angeschlossen oder warum habt ihr euch gerade so gegenseitig angefahren?“ Ich zuckte mit den Achseln und schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich habe ehrlich gesagt nicht die geringste Ahnung.“ antwortete ich wahrheitsgemäß und schaute ihr dabei direkt in die Augen. „Ach komm das glaub ich dir nicht! Normalerweise geht sie nie so schnell in die Luft. Irgendwas musst du doch getan haben?“ bohrte sie hartnäckig nach. Ich zuckte wieder ratlos mit den Schultern und murmelte dann mit einem gequälten Lächeln: „Wenn du es unbedingt wissen willst, musst du sie gleich selber fragen.“ „Die Antwort ist ganz einfach!“ rief plötzlich eine wütende Stimme hinter mir. Ich drehte meinen Kopf und Reika stand mit dem Tablett auf dem unsere Getränke standen hinter mir. „Ach ist sie das?“ fragte ich ruhig und zog erwartungsvoll die Augenbrauen hoch. „Du existierst!“ fauchte sie und knallte das Tablett so auf den Tisch, dass der Inhalt der Gläser überschwappte. „Äußerst aufschlussreich...“ erwiderte ich und konnte nicht verhindern, dass sich ein sarkastischer Unterton in meine Antwort schlich. Unbeeindruckt schaute ich sie direkt an und entdeckte in ihren Augen den Ausdruck lodernder Wut und tiefen Hasses. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich wahrscheinlich auf der Stelle tot umgefallen.
Es entstand eine unangenehme Stille, bis sich Reika plötzlich schwungvoll auf der Stelle umdrehte. Ihre langen Haare wirbelten umher, peitschten mir ins Gesicht und mit energischen Schritten verschwand sie wieder in der Küche. Ein erschöpftes Seufzen entglitt mir und ich ließ meinen Blick über die verwirrten Gesichter meiner Freunde schweifen. Ich zuckte erneut mit den Schultern und beteuerte: „Ausnahmsweise bin ich wirklich mal unschuldig. Ich habe genauso wenig Ahnung wie ihr.“ „Das werden wir noch sehen! Ich werde mich später mal mit ihr unterhalten. Dann wird sich wohl herausstellen was du angestellt hast.“ meinte Suyi und bedachte mich mit einem seltsamen, abschätzenden Blick. Ich hob abwehrend die Hände. „Gerne! Ich würde wirklich gerne wissen, was ich ihr getan habe, dass sie so extrem gut auf mich zu sprechen ist.“ murmelte ich nachdenklich. „Was es auch war, es muss auf jeden Fall richtig schlimm gewesen sein. So wie sie reagiert hat...“ sinnierte Lia und schaute dabei abwechselnd zu mir und dann zu Suyi. Plötzlich warf Teito mit einem breiten Grinsen ein: „Ich wusste es!“ „Du wusstest was?“ fragte ich vorsichtig und musterte ihn neugierig mit einer gewissen Vorahnung. „Du tust immer nur so als ob du meine Theorien ignorieren würdest, aber in Wirklichkeit führst du Versuche an lebendigen Exemplaren durch.“ lachte er mit einem bedeutungsvollem Unterton. „W-was? Das meinst du doch jetzt nicht ernst?!“ fragte ich aufgebracht. „Aber es wäre eine Erklärung.“ flüsterte Lia kleinlaut und bewirkte damit, dass mich Suyi mit einem bösen Blick bedachte. „Stimmt das?“ rief sie aufgebracht aus. „Nein natürlich nicht! Im Gegensatz zu Teito besitze ich einen Hauch von Taktgefühl!“ wehrte ich mich entrüstet. „Ich kann mir aber auch nicht vorstellen, dass Zane so etwas tun würde... Er ist viel zu feige dafür.“ kam mir Lia mit einem frechen Grinsen zur Hilfe. Ich warf ihr einen mehr oder weniger dankbaren Blick zu und wollte gerade den Mund aufmachen und ihr Recht geben, als Teito mir zuvorkam: „Blablabla wie auch immer. Was immer ihr meint.“ An seinem breiten Grinsen konnte ich jedoch genau erkennen, dass er mir kein Wort glaubte und an seiner Überzeugung festhielt. In meinem Stolz angekratzt, warf ich ihm einen das-kriegst-du-noch-zurück-Blick zu und war erleichtert, als er dann das Thema wechselte. „Sach mal Zane, hast du schon die neue DotA Version ausprobiert?“ Seine Frage wurde von dem lauten Stöhnen der Mädchen begleitet, dass wir beide geflissentlich ignorierten. „Nein hatte noch keine Zeit dazu.“ „Noob. Ich sag dir Earthshaker ist jetzt so imba...!“ Aber er wurde durch die genervte Stimme Suyis unterbrochen. „Teito kannst du eigentlich noch über was anderes reden als über irgendwelche doofen Computerspiele?“ „Ihr Weiber versteht doch eh nichts davon. Das ist ein Männergespräch.“ meckerte er und trotz der Zankerei zwischen den beiden wurde die Atmosphäre langsam, aber sicher immer entspannter und fröhlicher. Ich schaute schnell zu Lia, die die beiden schon alarmiert beobachtete. In einem kleinen, gespannten Moment, nutzte sie die entstandene Stille und fragte schnell: „Habt ihr schon von diesem neuen Kinofilm gehört?“ Zögerlich hörte Suyi damit auf Teito und mir aufgebrachte Blicke zu zuwerfen und wandte sich ihrer Freundin zu. „Ja der soll total süß sein. Da müssen wir unbedingt mal reingehen.“ „Süß? Hört sich ja sehr spannend an.“ meinte ich skeptisch und auch mein anderer männlicher Mitstreiter runzelte ebenfalls missmutig die Stirn. Doch Suyi ignorierte uns und schwärmte ungestört weiter: „Es geht um eine hoffnungslose Beziehung zwischen einem Deutschen und einer Jüdin, während der Nachkriegszeit. Quasi ein modernes Romeo und Julia. Und die Kritiken sind auch alle unglaublich gut.“ „Anstatt ins Kino zu gehen, sollten wir uns lieber darüber unterhalten, wie ich die Weltherrschaft an mich reißen kann!“ warf Teito plötzlich in die Runde, was mich lauthals zum prusten brachte. „Wenn du die jemals bekommen solltest wirst du eh nichts mehr beherrschen können... Jeder Mensch, egal ob mit gesundem Menschenverstand oder ohne, würde sich in dem Augenblick, in dem du die Macht bekommst, selbst umbringen!“ fauchte Suyi und wir anderen lachten zustimmend. „Nein jetzt mal im Ernst. Ich würde die Welt verändern... Natürlich braucht das seine Zeit und ich würde erst Deutschland unter meine Kontrolle bringen und es nach meinen Vorstellungen gestalten, bevor ich meine Macht auf die gesamte Welt ausdehne.“ erklärte er todernst. „Nur dafür müsstest du die Demokratie überrennen und vollkommen einstampfen...“ überlegte ich laut, wurde jedoch von Reika, die unsere Bestellungen zum Tisch trug, unterbrochen. Sie würdigte mich keines Blickes und verteilte die herrlich duftenden Gerichte. Mit einer abweisenden Kälte fragte sie, ob wir noch was haben möchten und verschwand dann wieder in der Küche. Ich machte mir keine Gedanken mehr über ihr seltsames Verhalten und stürzte mich mit knurrendem Magen auf meine Brutzelpfanne. Während des Essens unterhielten führten Teito und ich noch kurz die politische Diskussion über seine Pläne weiter, bis sie von den genervten Mädchen unterbunden wurde. Unser Thema wechselte zur Schule und dem neusten Klatsch und Tratsch. So erfuhr ich unter anderem, dass unsere Schulschlampen auf der letzten Party wohl mal wieder so hacke gewesen waren, dass sie mit allen möglichen Typen rumgeleckt haben und sich am nächsten Tag an rein gar nichts mehr erinnern konnten. Ich fand es immer wieder lustig, wie sich die Mädchen, vor allem Lia, so über diese Partyluder aufregen konnten. Ich mochte sie zwar selbst nicht besonders, aber genau deswegen waren sie mir auch absolut egal.
Teito war, wie immer, als erstes fertig und fragte mich nach der Uhrzeit. „Ist schon kurz nach neun.“ antwortete ich nach einem kurzen Blick auf meine Armbanduhr und stopfte mir den letzten Hühnerbruststreifen in den Mund. Zufrieden lehnte ich mich zurück und schaute gedankenverloren zur Decke. „Bald ists Zeit... Ich werde sie heute Abend noch abpassen.“ nahm ich mir vor und seufzte erschöpft. „Ich wünschte, dass wäre nie passiert. Ich habe ein schlechtes Gefühl dabei.“
„So... Sind alle fertig?“ fragte Lia und fischte, genauso wie Suyi, ihr Portmonee aus ihrer Handtasche. „Sicher.“ antworten Teito und ich fast synchron und holten unsere Geldbörsen aus den Hosentaschen. Suyi holte Reika und wir bezahlten unsere Bestellung.
Dabei bat ich Teito gerade so laut, dass auch mein neuer Feind alles mitbekam und sich vorbereiten konnte. „Würdest du die beiden bitte nach Hause begleiten? Ich muss noch eine wichtige Sache erledigen.“ „Was? Du lässt mich mit diesen beiden Quälgeistern alleine? Himmel, Arsch und Zwirn, deinen Terminplan will ich nicht haben.“ meckerte er. Ich lächelte ihn entschuldigend an und fragte: „Also? Machst du es?“ „Sicher... Aber dafür schuldest du mir was.“ „Dank dir.“ lachte ich und wandte mich dann von ihm ab, um zu bezahlen. Als ich Reika das Geld gab, schaute ich ihr direkt in die Augen. Sie waren schön, aber ihr Ausdruck war hasserfüllt und eine Spur arroganter Überlegenheit hatte sich in das tiefe Blau ihrer Pupillen geschlichen. Eine spürbare Spannung entstand zwischen uns, die ich aber nach wenigen Augenblicken abbrach, indem ich ihr die Scheine in die Hand drückte und ihr den Rücken zu drehte. „Gehen wir?“ fragte ich die anderen mit einem gespielten Lächeln und ging schon einige Schritte vor. Suyi unterhielt sich noch kurz mit Reika, doch dann kam auch sie und wir verließen gemeinsam das kleine Restaurant.
Wir gingen einige Meter gemeinsam, diskutierten über die Qualität des Essens und kamen zu dem Ergebnis, das wir noch des öfteren dort hingehen werde. Wir kamen an einer dunklen Kreuzung an, wo ich mich dann verabschiedete: „Ich wünsch euch noch einen schönen Abend. Seid vorsichtig auf dem Weg. Zu dieser Zeit treiben sich gerade hier einige zwielichtige Gestalten herum.“ „Das sagst du uns? Pass lieber auf sich selber auf, du bist hier der Schlapschwanz, der ganz alleine unterwegs ist.“ brummte Teito und Lia stimmte ihm besorgt zu: „Er hat Recht. Sei bitte vorsichtig, ja?“ „Mach dir um mich keine Sorgen. Ich komme schon klar.“ beruhigte ich sie lachend und fragte mich, was sie sagen würde, wenn sie alles über mich wissen würde. Ich verabschiedete mich noch ein weiteres Mal und ging dann in die entgegengesetzte Richtung, wie die anderen. Ich nahm einen verschlungenen Pfad durch die Gassen, vorbei an Ansammlungen von Mülleimern, mehreren betrunkenen Obdachlosen und ein paar Jugendlichen, die meinte mich von der anderen Straßenseite aus beleidigen zu müssen. Ich ignorierte sie und stand innerhalb weniger Minuten vor dem Restaurant. Meine Uhr sagte mir, dass es bereits kurz vor zehn war. „In einer Viertelstunde hat sie Feierabend. Ich muss mich vorbereite.“ murmelte ich in die Nacht und begann die Magie in mir zu wecken. Gekräftigt durch die leckere Brutzelpfanne, webte ich meinen Zauber und versah das Gebiet um den Ausgang des Restaurants mit einer, im Moment noch schlafenden, Barriere. Dann nutzte ich meine Kraft, um alles, was sich in der Barriere befand, vor den Sinnen normaler Menschen zu verbergen. „Sie wird mir antworten geben.“ dachte ich düster, zog meinen Mantel enger, um mich vor der schneidenden Kälte zu schützen, versteckte mich in den Schatten der Gassen und wartete geduldig bis sie kommen und meine Falle tappen würde. Eine halbe Stunde verging, bis plötzlich die Tür geöffnet wurde und mein Opfer erschien. Anscheinend hatte sie meinen Zauber nicht bemerkt und trat nichts ahnend über die Barriere. Jetzt gab es für sie kein Entkommen mehr. Ich ließ die Magie strömen und trat aus den Schatten. Eine bläulich schimmernde Wand erhob sich und schloss uns beide in einer Kuppel ein. Reika blieb erschrocken stehen und starrte die Barriere an, die uns von der normalen Welt abschnitt. Dann entdeckte sie mich und der Hass kehrte auf ihr hübsches Gesicht zurück. „Was hast du getan?!“ fauchte sie und starrte mich mit zusammengekniffenen Augen an. „Ich habe nur die Bedingungen für eine ungestörte Unterhaltung erfüllt. Keiner wird uns belauschen oder sehen können.“ Nicht ohne mich aus den Augen zu lassen, ging sie langsam zu der Barriere und berührte sie vorsichtig mit einer Hand. Ihre Berührung hatte eine kleine Entladung magischer Energie zufolge, die ihr einen überraschten und schmerzhaften Schrei entlockte. „Und natürlich wirst du solange hier drin eingeschlossen bleiben, bis ich Antworten auf meine Fragen bekommen habe.“ ergänzte ich mit einem freundlichen Lächeln. Sie starrte mich nur wütend an und ballte ihre Hände zu zitternden Fäusten. „Nun da wir uns wohl verstehen, will ich mal anfangen. Warum hast du mich angegriffen?“ Ich meinte eine Spur von Überraschung in ihrem eiskalten Blick erkennen zu können, aber sie schwieg und ich konnte fühlen, wie sie ihre eigene Kraft sammelte. Ich war gespannt, was sie vorhatte. Viel blieb ihr ja nicht übrig, entweder versuchte sie die Barriere zu zerstören und zu fliehen, oder sie griff mich direkt an. Ich bereitete mich vor und war äußerst überrascht, als sie plötzlich den gleichen Teleportzauber wirkte, mit dem sie mich schon einmal in den Hinterhalt gelockt hatte. Sie verschwand aus meinem Blickfeld und tauchte sofort dicht hinter mir wieder auf. Ich hatte kaum Zeit zu reagieren und nutzte meine Magie um ein inneres Schutzschild aufzubauen, damit ihr unvermeidbarer Treffer keinen Schaden anrichten würde. Doch was dann kam überraschte mich noch sehr viel mehr. Sie umarmte mich von hinten. Ich spürte ihren warmen Körper und ihre Hände, die sich auf meine Brust legten. Doch als ich mich aus ihrer Umarmung befreien wollte, musste ich erschrocken feststellen, dass ich mich nicht bewegen konnte. Eine unsichtbare Kraft lähmte jeden einzigen Muskel. Fieberhaft überlegte ich, was gerade passiert, doch da spürte ich es. Eine leuchtende Kraft, die allmählich immer stärker wurde und in mich eindrang, ging von Reikas Körper aus. Langsam breitete sie sich in mir aus und jeder Teil von mir, der von diesem Leuchten erfüllt wurde, fühlte sich verloren an. So als gehörte er nicht mehr mir, als wäre meine Bindung zu ihm einfach aufgehoben worden. Und da wurde mir klar, in welcher Gefahr ich mich befand. Sie besaß eine Kraft, die keine Magie war. Sie fühlte sich uralt und mächtig an und gab mir ein Gefühl der Hilflosigkeit. Doch dann erwachte eine ungeheure Wut in mir und ich kämpfte mit all meiner Macht gegen diese seltsame Kraft an. Explosionsartig entluden sich meine Kräfte und verdrängte sie restlos aus meinem Körper. Ein ungeheurer Schmerz breitete sich in den Teilen, die von ihr angegriffen worden waren, aus und beraubte mich beinahe meiner Kontrolle über meinen Verstand. Es entstand eine Schockwelle von roher Energie, als sie meinen Körper verließ. Reika wurde, mit einem spitzen Schrei, von ihr erfasst und drohte mit voller Wucht gegen die Barriere geschleudert zu werden, was wahrscheinlich ihren Tod bedeutet hätte. Ich zähmte meine Wut, drängte meinen Schmerz beiseite und webte erneut einen schnellen Zauber. Blitzschnell wurde die gesamte Barriere von schwarzem Dampf erfüllt, der sich, kurz bevor Reika gegen das bläuliche Kraftfeld geprallt wäre, verfestige und sie aus dem Flug heraus fing und etwa einen Meter über der Erde festhielt. „Was in drei Teufelsnamen war das?“ brummte ich keuchend und beobachtete sie sorgfältig. Doch sie hörte mir nicht zu. Verängstigt starrte sie auf den schwarzen Dampf, der sich um ihren Körper wand und ihr jegliche Möglichkeit nahm sich zu bewegen. „W-was ist das?“ fragte sie mit zitternder Stimme, während sie verzweifelt versuchte gegen den Zauber anzukämpfen. Ein schiefes Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. „Nichts besonderes. Nur die manifestierte Dunkelheit meiner Seele. Oder wenn du auf einen Namen bestehst. Miasma.“