Beschreibung
Gedanken eines Babys über seine Mutter
Ich kam auf die Welt, alles war so kalt und hell, aber du warst für mich da. Du nahmst mich auf den Arm, hast mir die Wärme gegeben, nach der ich mich gesehnt habe. Ich trank das erste Mal, dann schlief ich ein und doch habe ich deine Nähe gespürt. Ja, ich habe gehört, wie du für mich gesungen hast und deine Stimme habe ich wahrlich geliebt.
Ich kam nach Hause. Mutter, du legtest mich in ein weiches Bett, hast mich zugedeckt. Du hast mir einen Teddy gegeben, mich mit einem Mobile zum Lachen gebracht. Da waren Sonne, Mond und Sterne. „Schau, sie tanzen für dich, mein Schatz“, hast du zu mir gesagt. Ich streckte meine Ärmchen aus, so weit ich konnte, quiekte vor Freude und du, meine geliebte Mutter, hast mich auf den Arm genommen. Du zeigtest mir die Welt, führtest mich zu den wunderbarsten Orten dieser Erde. Hast mit die Blumen gezeigt. Ich sah Schmetterlinge tanzen, hörte Vögel singen – ich liebte ihre hundert Lieder – und versuchte nach der Sonne zu greifen, die mir so warm in das Gesicht strahlte.
Ich war ein fröhliches Kind, habe viel gelacht und wenn ich doch mal weinte, dann hast du meine Tränen getrocknet
Doch einmal weinte ich mehrere Stunden und du kamst nicht. Ich schrie, brauchte doch meine geliebte Mutter, ich war doch erst zwei Monate. Dann kamst du in mein Zimmer gestürmt und hast mich angeschrieen, ich solle endlich still sein. Du wolltest schlafen, hast lange gearbeitet, die letzte Nacht. Ich bekam Angst vor die, geliebte Mutter und weinte noch lauter. Du nahmst mich auf den Arm und ich war wieder das glücklichste Kind unter der Sonne.
Das passierte öfter, dass du wütend auf mich warst, aber ich verstand nicht warum. Da warst so wenig bei mir und an vielen Tagen lag ich unzählige Stunden allein im Bett. Abends ging du aus der Wohnung und kamst erst früh am Morgen, wenn meine geliebten Vögel sangen, wieder. Am Tag warst du oft böse auf mich, wenn ich weinte. Wie gerne hätte ich dich gefragt warum, aber ich war doch nur ein Baby. Die Oma kam zu uns, sie spielte mit mir und endlich konnte ich wieder einmal vor Freude quieken. Sie sprach mit dir, bat dich mich öfter zu sich nehmen zu können. „Du schaffst das nicht allein. Du bist selbst noch ein Kind“, sagte sie zu dir und wieder wurdest du wütend.
„Ich bin mehr für das Kind da, als du es je für mich warst“, hast du geschrieen und die Oma ging. An dem Tag sah ich sie das letzte Mal. Du nahmst mich auf den Arm, ich freute mich, hoffte du würdest vielleicht mal wieder für mich singen, aber die bliebst still. Du hast mich ins Bett gelegt und das Licht ausgemacht. Ich hörte dich weinen, wollte zu dir, meine geliebte Mutter. Aber ich konnte ja nicht, ich war doch nur ein Baby, dennoch gab ich mit die Schuld daran, dass du so traurig warst.
Dann eines Abends kamst du zu mir, deine Stimme war sanft, als du sagtest, dass wir nun an einen besseren Ort gehen würden. Du nahmst mich auf den Arm und bist mit mir die vielen Stufen, auf das Dach des Hauses gestiegen. Ich sah die Sterne und die vielen anderen Häuser und die Menschen auf der Straße, die so klein waren wie Ameisen.
„Die Welt ist dunkel“, sagtest du und mit langsamen Schritten gingst du zum Rand. Ich verstand das nicht. Die Welt war doch gut. Die Sonne scheint am Tag, die Vögle singen und die Schmetterlinge tanzen.
„Ich bin allein“, hast du gesagt und dann bist du gesprungen, gemeinsam mit mir, geliebte Mutter.
Ich schlage die Augen auf. Mama? Mama, du sagst nichts, aber deine Arme sind um mich geklammert. Mama, du bist doch nicht allein. Ich bin doch hier, dein kleiner Sonnenschein. Mama, sie doch mal! Da ist ein Engel, ganz in weiß. Jetzt wird alles gut...
Die Sirenen des Krankenwagen durchschallten die gesamte Nachbarschaft. Die Menschen strömten herbei und sahen die tote Mutter, die noch immer ihr Kind in den Armen hielt.
„Ein Wunder, das Kind lebt“, sagte eine alte Frau.
„Gut, dass das Kind sich später nicht daran erinnern wird“, murmelte ein Arzt.
Ja, das Kind wird sich nicht daran erinnern können. „Zum Glück“, wie die Zeitung schrieb. Kinder, die sich nicht erinnern, können keine Fragen stellen und deswegen müssen wir das für sie tun.
„Warum musste meine geliebte Mutter sterben?“