Romane & Erzählungen
Die Geliebte Teil 1 - Warten

Warten

Es ist wieder einer dieser Tage. Seit zwei Stunden stehe ich am Fenster und warte auf dich. Deine Worte hämmern in meinem Kopf: "Du kannst schon mal kochen, ich komme gleich. Und stell den Champagner kalt, es gibt was zu feiern!"

Hinter mir steht ein liebevoll gedeckter Tisch, Kerzen erleuchten das Zimmer und der Duft des Essens durchfüllt den Raum.
Beim perfekten Dinner würde ich die volle Punktzahl für Raumdeko, Gastfreundschaft und gutes Essen bekommen... Essen? Es riecht verkohlt, die Kerzen sind halb abgebrannt, der Champagner perlt schon lange nicht mehr.
Mit Blick auf dieses traurige Schauspiel wächst die Wut in mir.

Die Uhr schlägt zehn und ich stehe hier - allein. Das Telefon klingelt. Du kannst mich mal! Heute habe ich keine Lust auf fadenscheinige Erklärungen. Lasse es klingeln und kippe das Essen ins Klo. Am liebsten würde ich dich gleich mitspülen, aber du bist ja nicht da. Dein Glück!

Alle möglichen Gedanken wandern durch meinen Kopf. Was für eine Überraschung hast du wohl? Und dann wieder diese unbändige Wut. Es ist wie im Karrussel. Höhen und Tiefen durchlebe ich in diesen Stunden und meine Leere wird immer wieder vom Klingeln des Telefons oder Brummen meines Handys unterbrochen.

Irgendwann beschleicht mich eine ungewisse Panik. Vor meinem inneren Auge sehe ich dich - Intensivstation, fast tot, weil dich der Teufel, den ich dir auf den Hals gehetzt habe, mit ner Planierraupe überrollt hat.

Alles meine Schuld! Ich habe dir das Leben zur Hölle gemacht und dabei alle Gebote der Bibel gebrochen. Ich sehe sie schwarz auf weiß vor mir: Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht deines Nächsten Weibe begehren...usw. Das volle Programm! Endlich haben wir eine Schuldige gefunden - nämlich mich!

Ich versuche mich, daran zu erinnern, wie es so weit kommen konnte. Warum habe ich mich auf dieses Spiel eingelassen? Deine Worte klingen in meinen Ohren "Lass mir Zeit, unsere Ehe ist am Ende, ich warte nur auf den richtigen Zeitpunkt. DU bist die Liebe meines Lebens!" Hm, soll ich das aufgeben, weil du heute abend nicht kommst?

Zwei kleine Männchen kämpfen in meiner Brust. Der eine hat Flügel und einen sanftes Lächeln umspielt seine Lippen "Verzeih" und dann ist da noch der mit den Hörnern und der Mistgabel in der Hand, mit der er mich jeden Moment aufspießen könnte "Vergiss es, fang ein neues Leben an".

Irgendwann halt ich es nicht mehr aus und lese deine letzte sms. Zorn, Enttäuschung, Verletztheit, Unverständnis, Mitleid, Liebe, Hass und dieses bekannte Gefühl in meinem Magen, das mich letztendlich in die Knie zwingt.

Morgen reden wir. Ok, ich warte... Ist nicht das erste Mal, dass ich auf dich warte!

Traurig gehe ich ins Bett, obwohl an Schlaf nicht zu denken ist.

Zu viel geraucht (...morgen höre ich damit auf...) und wieder dieses Karrussel - diesmal vom Champagner, den ich haltlos in mich hineingeschüttet habe. Dieses Gefühl ist bescheiden und aus lauter Selbstmitleid und einer gewissen Selbstverachtung fange ich an zu weinen.

Der Kummer meines ganzen Lebens wird an die Oberfläche gespült und erleichtert meine Seele.

Ich sehe mich als kleines Schulmädchen mit der großen Schultüte in der Hand und spüre wieder diese Angst, nicht mehr Kind und beschützt sein zu dürfen. Dann beschleicht mich diese Verlassenheitsangst und der Kummer über die Trennung meiner Eltern, Abschied vom Opa, erste unglückliche Liebe usw.

Das volle Programm zieht an mir vorüber und ich weine mich in den Schlaf.

Plötzlich stehst du mit Koffern vor mir und sagst, dass du dich entschieden hast. Vor lauter Freude wache ich auf und bin allein mit einem zu großen Schädel, der jegliche Bewegung unmöglich macht.

Und da ist sie wieder diese Wut, die mich eines Tages auffressen wird. Was soll ich mit dir? Ein gemeinsames Leben aufbauen, wenn du nicht mal Entscheidungen treffen kannst?

Fortsetzung folgt...

(c) November 2009 SK