Abschied für immer
Flöckchen will gehen
Flöckchen und ich sitzen im Garten. Die Sonne strahlt herrlich, es ist wunderbar mild, ein traumhafter Herbsttag. Wir haben Fotos gemacht, nein nicht als Andenken, sondern um dann, wenn es ihr wieder gut geht zu sagen, schaut was wir alles geschafft haben, unsere Kleine ist wieder gesund.
Sie sieht mich immer wieder wissend an, gerade so, als wollte sie sagen, „sieh nur Frauchen wie tapfer ich bin. Guck dir diesen blauen Verband an, da steckt diese große Nadel drin“. Ja da steckt sie die Infusionsnadel und ja, die muss da stecken, weil ja sonst jedes Mal neu gepiekst werden muss, wenn wir zur Infusion müssen. "Bist eine ganz Brave, mein Engelchen, Frauli ist unheimlich stolz auf dich", sag ich zu ihr und bin mir absolut sicher, dass sie mich versteht. Schließlich leben wir ja nun fast 14 Jahre zusammen, jeden Tag und immer, das soll bitte auch noch lange so bleiben.
Irgendwann wird es uns aber doch ein bissel kalt, wir packen die Decken und Kissen zusammen und gehen ins Haus.
Ich denke an gestern und daran, dass uns, naja eigentlich mir, die Tierärztin nahegelegt hat, sie doch einschläfern zu lassen. Die sollte jetzt mal hier sein und sehen, wie glücklich meine Kleine ist, dann würde sie sich aber schämen, mir so einen Vorschlag unterbreitet zu haben. Ach was soll ich mich ärgern, ich bin froh, dass alles ist wie es ist. Dieser Tag heute ist ein Geschenk und dafür bin ich unendlich dankbar.
Naja der große Optimist war ich am Wochenende nicht, doch mein Mann hat mir so viel Mut gemacht, dass ich nun auch wieder ganz positiv an das Leben glaube. Wäre doch gelacht, wenn wir das nicht schaffen.
In der Küche kocht das Wasser für meinen Tee. Flöckchen liegt auf dem Sofa und wartet darauf, dass ich mich nun endlich zu ihr setze. Mit der heißen Teekanne und meiner Schutzengeltasse hocke ich mich neben sie und streichel sie voller Dankbarkeit. Klein kuschelt sie sich dicht an mich, so dass ich mich kaum noch rühren kann. Will ich ja auch gar nicht, ich will diese Nähe genießen für immer in mich saugen und nur an schöne Dinge denken.
Unsinn, was heißt an schöne Dinge denken, dass einzige was wirklich schön wäre und was ich mir von ganzem Herzen wünsche, na ist doch klar, dass mein kleiner Engel wieder gesund wird.
Mir fällt ein, dass wir diesen Sommer, schon einmal für ein Wunder gebetet haben. Meinem Flöckchen, ging es nicht so gut und sie hatte ganz viel abgenommen. Am Marterl, oben beim alten Bauern hab ich sie auf den Arm genommen und habe den Christus gebeten, alles wieder gut werden zu lassen. Ja, er hat es gemacht, für eine Weile jedenfalls.
Wir haben alle Drei richtig gut geschlafen, ok wir mussten 3 mal in der Nacht aufstehen, weil die Kleine solch einen Durst hatte und die natürliche Folge, dann ein Gartenbesuch war. Wenn sie jetzt noch was futtern und ein bissel Wasser zu sich nehmen würde, dann, ja dann ginge es mir doch gleich noch viel besser. Ganz bestimmt wird sie auch wieder zunehmen, aber das kommt erst, wenn es ihr wieder besser geht. Da bin ich mir absolut sicher.
Flöckchen hupft vom Sofa runter und geht an den Wassernapf, sie trinkt. O welches Glück, sie trinkt ganz von alleine. Hilfe was bin ich erleichtert. Danke, danke, danke.
Nun bekommt sie noch ein wenig von der Astronauten-Nahrung mit der Pipette zwischen die Lefzen und der Tag ist meiner. Wahnsinn wie das klappt. Stolz schaut sie mich an, gerade so, als wollte sie sagen: "Und Frauli, glücklich" natürlich ich bin sowas von glücklich und zufrieden, Vor Dankbarkeit muss ich weinen.
Als Herrli am Abend kommt, wird meine Kleine wieder mal richtig putzmunter, rennt ihm entgegen als wäre sie der gesündeste Hund, weit und breit. Ich frag mich wo diese Energie so plötzlich her kommt. Der ganze Tag war Sofa-Tag und jetzt tut sie so, als hätten wir Bäume ausgerissen. Na und was bekomme ich zu hören: „Na euch Beiden geht`s aber gut. Ok ich will es auch glauben, also geht es uns Dreien mal wieder so richtig gut.
Vermutlich liegt es an der Grundstimmung meines Mannes, irgendwie spürt Flöckchen das. Er ist so viel entspannter als ich. Ja, ich schäme mich, daaa ich so oft weine und verspreche ihr, dass ich ab sofort nur noch positiv denke und endlich auch von einer Genesung überzeugt bin. So wie ich streckenweise drauf bin, das geht nicht.
Ich erinnere mich noch daran, als die Steffi, meine Tochter, mal krank war, da hat sich die kleine Maus neben sie gelegt und beide haben gelitten. Keine konnte aufstehen, man war krank, hat das Bett gepflegt und nur traurig geschaut. Alle Beide versteht sich und das Frauli hat sich solche Sorgen gemacht, weil sie echt dachte Hund und Kind sind fürchterlich krank. Hier war aber nur eine krank und das war meine Steffi. Dem Hündchen ging es gut, aber zu zweit wird man halt doppelt bedauert. Ich hab es natürlich gern gemacht und meine Zwei haben die Fürsorge genossen. Das bedeutet doch, geht es mir durch den Kopf, wenn es mir schlecht geht, dann geht es Flöckchen auch schlecht und das will ich absolut nicht. Also gute Stimmung, auch wenn es schwer fällt.
Mittwoch
o meine Güte ist das früh, 4 Uhr, meine Augen gehen noch gar nicht auf. Zum richtig wach werden, bekomme ich einen Nasenstüber, freue mich unbändig, dass Flöckchen neben mir sitzt und mich wohl schon eine ganze Weile beobachtet hat. Ich schnapp sie unter den Arm und raus in den Garten. Während sie draußen ist, koche ich rasch den Kaffee, mach das Frühstück und schicke einen liebevollen Lockruf nach oben : „aufstehen Schatz, Frühstück ist fertig“. Nichts, naja ich versuch es noch dreimal, der vierte Ruf, ist dann schon fast ein Schrei, der wird folglich auch wahrgenommen und mit: "was bist du so schlecht drauf", kommentiert.
Ich ruf das Hündchen und als keiner kommt, gehe ich nachsehen. Sie steht noch genau an der gleichen Stelle, genau dort, wo ich sie vor 10 Minuten hingestellt habe. Inzwischen ist der Herr des Hauses endlich am Esstisch erschienen. Püppy legt sich zwischen uns auf die Bank und wir frühstücken friedlich und einträchtig. Zum Abschied bekommen wir vom Herrchen ein paar aufmunternde Worte und wir sind allein. Gemeinsam packen wir uns auf`s Sofa und dann fang ich an zu erzählen:
„Weißt du noch wie du mich in die Nase gebissen hast, genau 2 Tage warst du damals bei uns. Erinnerst du dich noch dran, wie du hinter der Katze her gerannt, in Nachbars Teich verschwunden und fast ertrunken bist? Na und dann am Faschingsdienstag, als ich ein Glas Sekt bei den Nachbarn getrunken hatte, du den Geruch des Alkohol nicht mochtest und mich in die Lippe gebissen hast. Hilfe, das wird bluten dachte ich damals und als ich in das Bad komme, alles voll Blut, das ganze Gesicht, der Hals, einfach alles. Ich weiß nicht mal mehr, ob ich dir vor Schreck eine geschossen habe, aber plötzlich warst du unter dem Tisch verschwunden und hast ganz ängstlich geschaut. Ob das dein schlechtes Gewissen war oder der Schreck, ich weiß es nicht mehr, auf jeden Fall sah ich schlimm aus. Du hast die Lippe voll durchgebissen, die Narbe habe ich heute noch. Na und erinnerst du dich, dass Herrchen nicht dich, sondern mich ausgeschimpft hat. Ja wirklich und weißt du warum, er hat gesagt: „Wie kann man einen kleinen Hund küssen, wenn man eine Fahne hat“. 2 Glas Sekt waren das, mehr nicht und ich wollte dir doch nur Hallo sagen, weil ich dich doch vermisst hatte.
Je mehr ich in Erinnerungen schwelge, umso trauriger werde ich. Ja ich hab versprochen nicht zu weinen, nur geht das leider nicht so einfach, wenn ich unsere ganzen gemeinsam Erlebnisse Revue passieren lässt.
Schluchzend renn ich ins Bad, damit du meine Tränen nicht siehst. Pustekuchen du stehst hinter mir und schaust mich groß an, so als wolltest du mir sagen, „komm her, mein Frauchen, nimm es nicht so schwer“ .Ich will wieder ins Wohnzimmer, doch an der Treppe bleibst du stehen und schaust erst nach unten, dann wieder zu mir. Also trag ich dich runter und du schaust dir jeden Kellerraum genau an, gehst in jede Ecke und als du mit der Besichtigung fertig bist, stellst du dich wieder vor mich, deine schwarzen Augen sagen mir, „Frauli, auf den Arm, hier unten bin ich fertig“. Klar mach ich doch und auch besonders gerne, als ich dich wieder auf deine Füßerl setze, gehst du zur Treppe, die nach oben führt und das mit so einer Bestimmtheit, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als dich nun auch noch die Stufen nach oben zu tragen. Du gehst ins Schlafzimmer, machst einen Besuch im Gästezimmer, dann eine Wende in Herrli`s Bad und schließlich drehst du noch eine Runde im Ankleidezimmer. Ich muss dich auf die Betten heben, du legst dich hin und schaust immer nur, was ich mache.
Irgendwie habe ich das Gefühl du inspizierst das Haus und zwar jeden Zentimeter, am Montag den Garten und heute das Haus. Gerade so, als wollte sie Abschied nehmen, denke ich während ich dir zuschaue. Und dieser Gedanke lässt mir wieder einen Kloss im Hals zurück, ich schlucke die Tränen runter und versuche dich ganz normal anzusehen.
Wir sitzen fast den ganzen Tag im Wohnzimmer. Du liegst bei mir auf dem Bauch, schaust mich an und ich erzähle, oder singe. Beides hilft mir gegen die Tränen, obwohl meine Stimme sich inzwischen verändert hat, sie ist tiefer und rauer geworden.
Ich bin so traurig, wenn ich denke, dass meine Kleine irgendwann nicht mehr bei mir ist. Ich schiebe diesen Gedanken immer wieder weit von mir und wie ein böser Teufel kommt er doch ständig zurück.
Inzwischen geht es Flöckchen sehr schlecht. Sie kann kein Wasser mehr trinken und fressen tut sie auch nicht mehr. Gestern haben wir keine Infusion mehr bekommen, weil die Ärztin meinte, es wäre zu anstrengend. Die Werte der Blutuntersuchung waren niederschmetternd. Dilerium hat die Ärztin gesagt. Irgendwann fällt sie ins Dilerium und alles versagt.
In der Nacht liegt die Kleine wie ein Baby in meinem Arm. Angst, dass ich gebissen werde, nein die habe ich nicht. Aus meiner Prinzessin ist inzwischen ein ganz kleines Häufchen Unglück geworden. Ich bete die ganze Nacht, bitte bitte lieber Gott, wenn es dich gibt, lass sie einschlafen. Ganz ruhig und in meinem Arm. Aber es geschieht nicht.
Im Garten torkelt sie wie betrunken herum und als ich sie in der Küche auf den Tisch stelle, rutschen die Beinchen weg. „Der Tisch ist zu glatt“ sagt mein Mann. Der Tisch ist schon immer so, seit wir hier eingezogen sind, da hat sich absolut nichts geändert. „Mein Gott“, denke ich, „siehst du denn nicht, dass sie keine Kraft mehr hat, dass sie einfach nicht mehr kann“. Ich sage es aber nicht, denn gerade sind wir so weit voneinander getrennt, jeder verarbeitet seine Angst anders. Ich will reden und du willst schweigen.
Ich trage Flöckchen den ganzen Vormittag durch die Wohnung, sie liegt schlaff in meinem Arm, jedes Geräusch lässt sie zusammenzucken. Plötzlich bekommt sie einen Erstickungsanfall, ich bin total hilflos und als dieser überstanden ist, rufe ich erst das Herrchen, als ich den aber nicht erreichen kann, die Tierärztin an.
„Ja, ich kann jetzt sofort kommen oder erst am späten Abend“. Sofort, komm sofort, denke ich, doch dann höre ich wie durch Watte ihre Stimme „ich bin in 20 Minuten da, nehmen sie Abschied von Flöckchen“. Bitte nein denk ich, ich kann doch diese Entscheidung über Leben und Tod nicht treffen. Bitte mein Flöckchen schlaf doch wenigstens jetzt ein, bitte lass mich mit diesem Schritt nicht allein, du bist die Stärkere, bitte kleiner Hund, hilf mir.
In der Einfahrt höre ich eine Autotür klappen und gleich darauf steht die Ärztin auch schon im Wohnzimmer. „Holen sie eine Decke und dann lassen wir sie einschlafen“. Plötzlich setzt sich Flöckchen direkt vor mich hin und schaut mich aus ihren schwarzen Augen an. Ja sie sitzt ganz normal vor mir und schaut. Die Ärztin legt sie vorsichtig wieder um und gibt ihr die Spritze, Flöckchens Atem wird leiser und dann ist nur noch Ruhe und absolute Stille im Raum.
Ich werde diesen letzten Moment nie vergessen, er wird mich mein ganzes Leben lang begleiten. Nie werde ich erfahren ob du mir dankbar oder böse warst, in diesem kurzen Augenblick, in dem du mich so tief und treu angeschaut hast.
Verzeih mir mein Flöckchen, was ich tat, tat ich aus unendlicher Liebe und großer Hoffnungslosigkeit. Du wirst immer bei mir sein. Im Herzen werde ich dich mit mir tragen und wenn du magst, bitte gib mir ab und an ein Zeichen, dass du auch an mich denkst.
Ich danke dir für all die Bisse und ich danke dir für jeden Augenblick.
Ich liebe dich kleines Flöckchen
Dein ganz trauriges Frauchen
(copyright) Ute Anna Maria Schuster