Eine ganz besondere Blutwurst
Aufgeregt sauste Perry durch die Wohnung, über die Stiegen hinunter in die Halle.
Dort war der große Tranchiertisch aufgestellt, der riesige Kessel angeheizt – und es roch fantastisch.
Der kleine Dacke wusste, was dies bedeutete. „Wursttag“ war! Und er ließ Herrchen und Frauchen keinen Augenblick mehr aus den Augen.
Tatsächlich. Beide banden weiße Schürzen um und krempelten die Ärmel hoch.
Es war wieder an der Zeit, ihre allseits beliebten und überschwänglich gelobten Blutwürste zu erzeugen.
Die Verwandtschaft und etliche aus dem Bekanntenkreis warteten bereits voll Ungeduld und wässrigen Mundes.
Die Rezepturen waren elterlicher Herkunft. Durch viele Jahre erprobt und verbessert. Der Geschmack stimmte stets aufs Haar genau.
Es bedurfte nicht mehr vieler Worte - alles lief wie am Schnürchen. Zwiebel schälen, rösten. Knoblauch schälen, pressen. Wiegen. Die Gewürze bereit- und die Faschiermaschine aufstellen. Semmelwürfel herrichten und das nötige Blut umrühren.
Kathi, die Hausfrau, hob den Deckel vom Kessel, schnupperte und rührte vorsichtig um. Sogleich war Perry bei ihr. Doch sein Frauchen beachtete ihn nicht. Welcher Qual setzte sie ihn doch aus. Ein derart himmlischer Duft – und keine Kostprobe! Zumindest nicht für ihn.
Denn Kathi hob eine Schwarte heraus, kostete und nickte Hans, ihrem Mann, zu. „Gleich ist es so weit. Jetzt könnten die Kinder schon kommen.“
Obwohl in der Regel sehr kalorienbewusst, ließen sich die beiden Töchter und ihre Ehemänner das „Stockfleischessen“ nie entgehen.
Sie erschienen auch diesmal pünktlich.
Mit einer überdimensionalen Gabel hob die Hausfrau die dampfenden Sauschädel, Schwarten, Stelzen und Schweinshaxen in große Schüsseln auf dem Tranchiertisch.
Apfelkren, Salz, Pfeffer und Brot standen bereit.
Auch an Getränken mangelte es nicht, war doch der Hausherr selbst Weinhauer. Neben süffig spritzigem Wein standen Bier und Schnaps zur Auswahl.
Hungrig langten alle zu. Die einen versuchten vom Rüssel oder vom Ohr ein Stück, andere eins vom Göderl oder eine Scheibe von der Zunge. Es schmeckte herrlich!
Nachdem sich alle gestärkt und auch Perry endlich ein paar Leckerbissen bekommen hatte, klatschte Hans in die Hände. „Auf geht´s!“, gab er das Startkommando.
Sonja räumte die Teller und Gläser weg. Ihre Schwester Sofie wetzte noch einmal die Messer.
Dann ging es los.
Jeder schnappte sich ein Stück Fleisch, griff nach einem Messer und schnitt mit fetttriefenden Händen faschiermaschinengerechte Brocken. Dabei achtete man sorgfältig, dass auch die allerkleinsten Knochensplitter entfernt wurden.
Anschließend schaltete Hans mit wichtiger Miene die Küchenmaschine ein und ließ alles durch den Faschieraufsatz laufen.
Unter dem Tisch wieselte Perry aufgeregt hin und her, machte Männchen und bellte herausfordernd. Leider umsonst, er bekam nichts mehr. Der Hausherr entschied: „Er verträgt es nicht.“
Etwas beleidigt zog sich der Hund zurück.
Die Stimmung näherte sich dem Höhepunkt.
Man nahm noch einen Zielschluck und stieß auf gutes Gelingen an, ehe man zur entscheidenden Phase schritt: Zur Zubereitung und richtigen Würzung des Bräts.
Blunzensuppe, Blut, das Faschierte und Semmelwürfel wurden sorgfältig vermengt.
Kathi streute die genau abgewogenen Gewürze in die Masse. Hans rührte gründlich durch.
Dabei schnalzte er genüsslich mit der Zunge. „Das wird wieder eine prima Blutwurst, nicht zu lind und nicht zu scharf!“
Indessen wechselte Sofie den Faschieraufsatz gegen eine Wurstspritze. „Habt ihr genügend Knoblauch dabei?“ „Ja, ja,“ sagte die Mutter, „kannst schon die Därme holen. Sie sind oben auf dem Vorzimmertisch in einem Kübel. Und nimm auch ein Päckchen Neugewürz mit, das fehlt nämlich noch.“
Doch so sehr Sofie nach den Darmhäuten suchte - es waren keine da.
„Das gibt es nicht.“, erklärte die Hausfrau und machte sich selbst auf die Suche.
Sie fand nur den leeren Kübel. An den Spuren allerdings erkannte sie ziemlich schnell, wer der Missetäter gewesen war - Perry hatte alle Schweinsdärme verschlungen!
„Na, wenn ihm das bloß nicht schadet!“
Sie warf einen besorgten Blick auf den diebischen Hund. Dieser indessen schien sich jedoch pudel-, pardon dackelwohl zu fühlen.
„Na gut,“ seufzte Kathi und holte die Papierdärme aus einer Schublade. Gott sei Dank hatten sie diese immer als Reserve im Haus.
Dann ging sie in die Küche um das Päckchen Neugewürz.
Sie streute das Pulver in das Brät. Ihr Mann rührte noch einmal kräftig durch.
Die Papierdärme wurden gefüllt. Ruckzuck ging das.
Hans füllte das Brät ein, Kathi drehte die Würste in der gewünschter Länge und band sie ab.
Im Kessel siedete bereits das Wasser. Sofie und Sonja übernahmen die Aufgabe, die fertigen Würste in den Kessel zu legen.
Zum Abkühlen hängten sie diese später über eine lange Stange.
Wegräumen, abwaschen, sauber machen!
Noch ein Abschiedsschlückchen vom Marillenbrand - das Werk war getan! Darauf musste man anstoßen.
Morgen kam dann noch ein Teil der Würste in die Räucherkammer.
„Und nächsten Sonntag“, sagte Kathi, „kommt ihr alle, um die frischen Würste mit uns zu kosten!“
Der nächste Sonntag war der erste Adventsonntag.
Der Adventkranz stand auf dem Tisch, daneben das Servierbrett mit der appetitlich aufgeschnittenen Blutwurst. Brot, Kren, Senf, Zwiebeln und Gurkerln – alles hübsch angerichtet.
Nur Kathi schaute etwas versprengt.
„Ist etwas?“
„Hast du etwas?“
„Nein, nein! Ihr werdet schon sehen – ich habe heute eine Überraschung für euch!“
Alle waren neugierig, doch Kathi verriet nichts.
Als sie bei Tisch saßen und zu essen begannen, hielten sie nach den ersten Bissen inne und schauten einander fragend an.
Die Blunzen! Sie hatte diesmal einen eigenartigen Geschmack und roch so komisch.
Hans schaute seine Frau an. Doch Kathi legte den Finger auf den Mund und bedeutete ihm, nichts zu sagen.
Die Schwiegersöhne setzten die Biergläser an, taten einen großen Zug daraus und kosteten noch einmal. „Verflixt! Irgend etwas ist heute anders!“
Endlich lachte Kathi und klärte die Familie auf.
„Weil der Advent beginnt, dachte ich, wir machen diesmal eine besondere Blutwurst, eine weihnachtlich duftende Zimtblunzen ...... schmeckt sie euch denn nicht?“
Nein. Sie schmeckte niemandem.
Und Kathi gestand, dass sie die Päckchen verwechselt und statt Neugewürz Zimt erwischt hatte.
„Und Schuld daran“, fuhr sie fort, „ist nur Perry, weil er alle Därme aufgefressen hat!
In der Aufregung hab´ ich mich vertan.“
Die Gäste brachen in schallendes Gelächter aus.
Als Kuriosität nahm jeder einige Blutwürste mit nach Hause.
Und die Zimtblunzen wurden in diesem Winter bei allen gesellschaftlichen Zusammenkünften zum absoluten Geck!
Copyright Ingrid Höttinger