Kapitel 5
Piroschka
Es war noch im selben Jahr, in dem ich das Jugendreiterabzeichen auf Torro erworben hatte... Es war ein Freitagabend und wir waren wie immer noch einige Zeit im Reitverein und saßen alle im Reiterstübchen zusammen. Familie Braun, der Torro gehörte hatte Thekendienst..
Wir hatten im Reiterstübchen mehrere Tische
und Stühle und große Fenster gaben den Blick in die Reithalle frei und so konnten wir dem Treiben darin zuschauen. An der Theke waren einige Barhocker und da saßen wir Jugendlichen recht gerne. Besonders gerne saß ich da, wenn Frau Braun bediente. Sie war eine liebe, herzensgute Frau und man konnte sich prima mit ihr unterhalten. An diesem Abend rief sie mich mit einer fast ernsten Miene zu sich, ich solle doch mal Platz nehmen. Ihr Sohn war auch dabei. Sie wusste, dass ich Torro so gerne als Reitbeteiligung gehabt hätte, aber sie hatte mir gesagt, das ginge leider nicht.
Darum war ich jetzt doch leicht irritiert, was sie denn wollte.
Sie hatte mir schon einmal erzählt, sie hätten noch ein Pferd, aber mit einer anderen Frau zusammen. Dieses Pferd stand auch nicht bei uns im Stall.
Sie kam ohne Umschweife zum Punkt und überrumpelte mich total mit der Frage: „Heidi, möchtest Du ein Pferd geschenkt haben?“ Ich sah sie ungläubig an und dachte an Torro – nein, das konnte nicht sein… Ich fragte sie: „Das ist ein Scherz, oder?“ Da kam Stephan, ihr Sohn zu mir – er war etwa in meinem Alter – grinste mich an und sagte „Nein, kein Scherz, willst Du sie sehen?“ und Mutter und Sohn übergaben mir ein Polaroidfoto mit ihm und einem braunem Pferd darauf. Ich war sprachlos, nahm mit zitternden Händen das Foto und schaute die Beiden ungläubig an. Dann erzählte mir Frau Braun, warum sie die Stute abgeben wollten. Die Reitbeteiligung hatte keine Zeit mehr und sie selbst hätten mit Torro allein eigentlich genug. Sie sagte mir aber noch eines – die Stute sei extrem bissig.
Sie war in Ungarn auf der Rennbahn gelaufen und wohl dort völlig verdorben worden.
Ob ich mir das zutrauen würde, beim Reiten sei sie aber fromm wie ein Lamm, sobald sie die Trense auf hätte. Ich hatte ein ganz komisches Gefühl, alles war wie im Nebel, ich hatte weiche Knie und ich war ein Wort von meinem sehnlichsten Wunsch entfernt…
Ich fragte Frau Braun, ob ich das Foto haben könnte, ich müsste meine Eltern fragen.
Als ich dann später mit unserem Reitlehrer Herrn Horn heimfuhr – er hatte im Ort, in dem ich wohnte, sein Pferd stehen – war ich nicht fähig, irgendetwas zu sagen, obwohl wir Vieles miteinander bereden konnten. Er merkte, dass mich etwas beschäftigte und fragte nach. Wir hielten an und ich erzählte ihm alles. Wir waren per Du und verstanden uns sehr gut und ich hatte großes Vertrauen zu ihm. Er war total begeistert und sagte mir, dass im Stall bei ihm gerade mehrere Boxen leer stünden. Ich fragte, was die Stallmiete kosten sollte, so konnte ich meinem Vater wenigstens mit Fakten kommen.
Zuhause angekommen hatte ich inzwischen realisiert, dass man mir soeben ein Pferd geschenkt hatte. Mit dem entsprechendem Leuchten in den Augen betrat ich unser Wohnzimmer. Meine Eltern saßen gerade beim Abendbrot und als sie mich sahen, fragten sie mich, was denn los sei.
„Papa, Mama, ich habe ein Pferd geschenkt bekommen“ brach es aus mir heraus. Es wurde totenstill im Raum und ich hatte ein recht beklemmendes Gefühl in der Magengegend. Mein Vater wurde richtig böse und sagte, ich solle ihn nicht auf den Arm nehmen. Auf mein „Papa, aber das stimmt wirklich“, fing ich mir eine Ohrfeige ein, die kam so reflexartig, dass mein Vater und ich beide gleichermaßen erschrocken waren. Er hatte mich sehr lieb und sowas gab es bei uns eigentlich nicht. Ich weinte und streckte ihm das Foto hin. Er nahm es und schaute mich lange und irgendwie traurig an. Dann brach es aus ihm heraus: „Wie willst Du das machen, Du musst in der Schule ordentlich ran, Du stehst vor der Mittleren Reife und musst viel lernen. Hast Du Zeit für ein Pferd? Wo soll es stehen? Was kostet das alles?“ Ich war dem Himmel dankbar, dass ich ihm auf alle Fragen antworten konnte. Normalerweise hätten wir uns kein Pferd leisten können. Aber durch mein persönliches Schicksal hatte ich doch etwas Geld, das ich verwenden konnte und trotzdem noch etwas auf der Seite für später.
Außerdem machte ich ja nach wie vor Stalldienst.
Meine Mutter hatte alles schweigend und Anfangs mit offenem Mund mit angesehen.
Nun wollten beide das Bild sehen und Beide wussten, dass ich mich auch um die Dinge kümmern würde. Mein Vater und meine Mutter nahmen mich in den Arm und sagten „Ja, Heidi, wir glauben, Du bist wirklich soweit, diese Verantwortung zu tragen. Nur eines bitten wir Dich, vernachlässige Deine Schule nicht!“.
Ich konnte es nicht glauben, ich hatte ein Pferd!!! Meine Eltern fragten mich“ Wie heißt das gute Tier denn?“ „Piroschka“ sagte ich.
Fortsetzung folgt...