Eustus Deff ist ein Wissenschaftler in einer hochangesehenen Forschungseinrichtung auf dem Gebiet der physikalischen Gesetzmäßigkeiten von Federn im Weltraum. Sein Leben verlief, von außen gesehen, in ruhigen Bahnen und er selbst konnte sich auch nicht beklagen. Schließlich hatte er einen Beruf, der ihm Spaß machte, war noch recht jung und hatte eine ausgefüllte Freizeit. Doch an diesem Tag sollte ihm eine Sache klar werden, die sein ganzes, restliches Leben verändern würde.
Eustus Deff war gerade dabei 50 Federn einzeln vom Tisch fallen zu lassen und mit verschiedenen Geräten alles akribisch zu dokumentieren. Der Einfallwinkel, die Geschwindigkeit und die Verdrängungsdichte spielten alle eine wichtige Rolle in diesen Versuchen. Schließlich brauchten die Astronauten doch weiche Kissen im All. Und man musste sicher gehen, dass diese Federn, sollten sie sich einmal aus ihrem Gefängnis der täglichen Erdrückung befreien, keinen Kamikazeangriff auf die Insassen der Station oder die Instrumente versuchten. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie blutrüstig misshandelte Federn werden können.
Jedenfalls war Eustus gerade bei der 25ten Feder, die er unter strenger Beobachtung, nicht ohne vorher sicher zu gehen, dass die Waffe neben ihm noch in Griffweite lag, fallen ließ, als er etwas von der Größe eines Staubkorns durch sein Blickfeld fliegen sah. Was ihn aber in Erstaunen versetzte, war die Tatsache, dass dieses Etwas so hell wie eine 50 Wattbirne leuchtete. Sozusagen ein fliegendes Superglühwürmchen. "Der Schrecken aller Energiekonzerne", dachte Eustus komischerweise in diesem Augenblick, bevor er beobachtete, wie dieses Lichtwunder unter seinem Microskop landete. Das Leuchten ließ ein wenig nach, da das Microskop den Großteil des Lichtes abschottete. Eustus wandte sich nun vollständig von dem möglichen, leichten Attentäter ab und ging zum Microskop.
Er versucht von der Seite auf den Träger zu schauen, wo sich das Staubkorn niedergelassen hatte, aber er konnte nichts erkennen. Daher war der nächste logische Schritt für Eustus durch das Microskop es selbst zu probieren. Bei dem ersten Versuch zuckte er aber sofort wieder zurück. Das Licht war einfach zu stark, als dass man hätte irgendwas erkennen können.
Glücklicherweise waren dies hochmoderne Geräte und mit einem einfachen Handgriff konnte eine Abblendung einschaltet werden. Nun auch geistig darauf vorbereitet die Augen vielleicht doch wieder von der Linse zu entfernen, weil die Abblendung nichts nütze, schaute Eustus abermals durch das Microskop.
Doch er wich nach wenigen Sekunden wieder vom Microskop und starrte gedankenverloren in die Luft. Die Abblendung erfüllte ihre Aufgabe tadellos, aber was Eustus dort gesehen hatte, verschulg ihm die Sprache. Es ging über seinen Verstand. Er konnte nicht das gesehen haben, was ihm seine Augen versuchten glaubhaft zu machen. Denn als Eustus durch das Microskop geblickt hatte, sah er einen kleinen Mann mit Flügeln, der genüßlich eine Zigarre rauchte, auf dem Objektträger stehen.
Es vergingen einige Augenblicke bis Eustus wieder durch das Microskop sah. Da stand tatsächlich ein etwas beleibter, kleiner Mann in einem anthrazitfarbenem Anzug und paffte genüßlich an einer Zigarre. Der kleine Mann sah auch noch direkt zu Eustus herauf. Eustus konnte es einfach nicht fassen. Der kleine Kerl hatte tatsächlich Flügel auf dem Rücken. Ein Paar heller, federnbesetzter Flügel ragten aus dem kleinen Rücken raus. Sie waren es auch, die dieses Licht erzeugten. Eustus war davon so gefesselt, dass er nicht bemerkte, wie der kleine Mann weiterhin zu ihm hochsah.
"Ej, du Penner!" sagte auf einmal eine feste, männliche Stimme, die direkt neben seinem Ohr ihren Ursprung zu haben schien. Eustus schreckte sofort vom Microskop auf und sah sich um. Aber außer ihm war keiner in dem Labor.
Nur die Feder, die er bei seinem letzten Versuch fallen gelassen hatte, schien ein wenig weiter von der Stelle zu liegen, an der sie eigentlich hätte landen sollen. "Hier unten, du oller Sack" erklang erneut die liebliche Stimme, die er schon zuvor vernommen hatte. Eustus erkannte nun, dass das Wesen auf dem Objektträger zu ihm gesprochen hatte. Er schaute wieder durch das Microskop auf den geflügelten Mann und diesmal merkte er auch, dass dieser direkt zu ihm schaute. "Endlich hast du es begriffen, du Schimpanse" gab der kleine Mann von sich und zog wieder an seiner Zigarre.
Eustus Deff begriff nicht, was hier los war. Er fragte sich im Geiste, ob ihm Laborkollegen irgendwelche Versuchsmedikamente in den Kaffee getan hatten, die ihn nun halluzinieren ließen. Diese Gestalt konnte einfach nicht real sein.
"Moment Mal! Hatte der Kleine mich gerade beleidigt?!" dachte Eustus gerade etwas vor den Kopf gestoßen. Nun hatte er wieder ein wenig Kontrolle über seine Gedanken bekommen. Denn egal ob Halluzination oder natürliche Glühbirne, keiner durfte so mit ihm reden. So fragte er den kleinen Kerl auf dem Objektträger, was er gerade zu ihm gesagt hatte und erhielt als Antwort: "Werden wir unserem Nachnamen gerecht und verlieren unser Gehör? Ich sagte, dass du Schimpanse endlich begriffen hast, dass ich hier bin und mit dir rede".
Nun war Eustus völlig aufgebracht. Er sagte mit einer festen Stimme, dass so eine kleine Figur sich nicht so viel herrausnehmen sollte. Sie wären schließlich in einem Labor und er würde sicher Milliarden verdienen könnte, wenn er rausfände, wie die Flügel so viel Licht erzeugen können. Hörbar schwang in seiner Stimme aber die unterdrückte Wut, die er empfand, mit.
Seelenruhig zog der kleine Mann im Anzug wieder an der Zigarre und blickte weiter unbeeindruckt zu Eustus hinauf. Eustus verstand nicht, wieso der kleine Knilch so ruhig dort rumstehen und eine Zigarre rauchen konnte. "Nun bleib mal locker, du nasser Lappen." sprach der kleine Mann wieder zu Eustus.
Eustus wollte schon nach dem kleinen Mann greifen, als sich sein Verstand einschaltete und er Dinge bemerkte, die die ganze Zeit gegenwärtig, aber unmöglich waren. Wieso ist es ihm bis jetzt nicht aufgefallen, fragte sich Eustus kopfschüttelnd. Es mussten einfach irgendwelche Versuchsmedikamente sein. Anders konnte er sich nicht erklären, warum er die Stimme des kleinen Mannes so deutlich vernehmen konnte, als würde er neben ihm stehen, obwohl dieser nur durch das Microskop zu erkennen war. Auch verstieß es gegen jedes physikalische Gesetz, dass diese Fantasiefigur eine Zigarre rauchte. Sie zog zwar immer wieder an dieser, aber stieß keinen Rauch aus. Auch die Zigarre selbst bildete keinen einzigen Rauchfaden, obwohl sie eindeutig brannte und bei jedem Zug kleiner wurde.
Das Eustus nun wirklich voll bei der Sache war, sah auch der kleine Flügelmann, zog wieder an seiner Zigarre und sagte zu Eustus: "Da wir nun klar denken können, Federfolterer, können wir zur Sache kommen."
"Um am Anfang anzufangen: Ich bin ein Engel. Dein Schutzengel um genau zu sein" sagte der geflügelte kleine Mann. Eustus sah keinen Grund ihm nicht zu glauben. Dies machte die Sache für ihn einfacher und wenn es tatsächlich Versuchsmedikamente waren, die dies alles verursachten, würden sie schon irgendwann ihre Wirkung verlieren.
Jedoch konnte Eustus es nicht auf sich belassen, dass der kleine Mann im Anzug ihn andauernd beleidigte. Aus diesem Grund bat er ihn um eine Entschuldigung und eine Erklärung. Da die Gelegenheit günstig erschien, fragte Eustus auch gleich nach seinem Namen.
Er fand es unhöflich die ganze Zeit über so unpersönlich mit diesem Engel zu reden, wo ihn dieser doch scheinbar seit langer Zeit kannte. Außerdem wollte er auf diese Weise den Engel ein wenig beschwichtigen.
"Du willst meinen Namen erfahren? Na schön. Ich werde ihn dir verraten. Aber solltest du Lachen, werde ich mit deinem Sack Fußball spielen. Hast du verstanden?" entgegnete der kleine Mann mit einem strengen Blick, der Eustus verriet, dass es keine leere Drohung war.
Eustus verspach ihm nicht zu lachen. Er meinte dieses Versprechen auch ernst, da er gut erzogen wurde und es für selbstverständlich erachtete sich nicht über die Namen anderer lustig zu machen. Schließlich konnte man sich den Namen nur in den wenigsten Fällen aussuchen.
"Piep" hörte Eustus auf einmal. Verwundert fragte er den kleinen Mann, ob er dieses merkwürdige Geräusch von sich gegeben hätte. "Das ist mein Name, du Vollpfosten! P-I-E-P!" buchstabierte der geflügelte Mann seinen Namen schreiend mit rotem Kopf vor Wut.
Eustus Deff brach in schallendes Gelächter aus. Er konnte sich vor Lachen nicht mehr auf den Beinen halten. Vom Lachen geschwächt sackte er zu Boden.
Der Name war einfach zu viel für ihn gewesen. Er musste sich vorstellen, wie der Engel bei jedem Signal einer Microwelle denken musste, dass er gerufen wurde. Oder sich darüber aufregte, dass sein Name im Fernsehen immer missbraucht wurde um jugendgefährdende oder unpassende Ausdrücke zu zensieren.
Sein Bauch schmerzte schon und die Tränen floßen in Strömen, als er sich doch langsam beruhigte und wieder durch das Microskop zu Piep schaute. Bei dem Anblick des geflügelten Mannes konnte er sich jedoch nicht das Bild eines Kückens verkneifen und sagte sogar leise den Namen drei Mal hintereinander. Leider hörte dies Piep.
"Wir sind wohl ein wahrer Komiker heute, wie Herr Erdnussträger?" sagte Piep mit zusammengebissenen Zähnen. Eustus wusste, worauf er anspielte und entschuldigte sich überschwänglich bei Piep.
Piep atmete tief durch, nahm einen Zug von der Zigarre und sagte: "Nun gut. Belassen wir es dabei, du Eunuch. Ich bin nicht hierher gekommen um über meinen Namen oder deine mangelnde Männlichkeit zu sprechen. Heute soll der Tag sein, an dem du mich das erste und auch das letzte Mal zu Gesicht bekommst. Also freu dich, dass ich so gutherzig bin." Eustus verstand nicht. Das letzte Mal, dass er seinen Schutzengel sehen würde? Aus welchem Grund soll das der Fall sein, fragte er Piep. "Im Verlauf dieses Gespräches wirst du dafür sorgen." verkündete Piep prophetisch.
Eustus war wie vor den Kopf gestoßen. Er sollte etwas sagen, was dazu führte, dass er den Engel nie mehr sehen dürfe? Er konnte sich nicht vorstellen, was dies sein könnte. So fragte er Piep, ob er ihm sagen könne, wie er dies vielleicht verhindern könnte. "Warum willst du dies verhindern?" fragte Piep. "Bisher hast du doch auch nicht auf mich gehört, wenn ich versucht habe dir zu helfen. Wozu brauchst du mich also?" deutete Piep etwas an, was Eustus unangenehm aufstieß.
Er fragte Piep, wie er darauf komme, dass er nicht auf ihn gehört hätte. Vor allem aber, wie er auf ihn hätte hören sollen, wenn er ihn doch heute das erste Mal traf. Nun wurde Piep richtig wütend. "Sag mal, Vakuumbirne, hast du da oben wirklich nur einen luftleeren Raum übrig oder glaubst du tatsächlich, dass alle Engel solche Mickerlinge sind?!" schrie er Eustus an.
Eustus kam es so vor, als würde die Stimme durch ein Megafon direkt in sein Ohr umgeleitet werden. Er duckte sich unter dieser Lautstärke kurz zur Seite um danach wieder zu Piep zu schauen.
Piep hatte recht. Es war wirklich unwahrscheinlich, dass Schutzengel so kleine Geschöpfe sein konnten. Wenn man bedenkt, was sie alles zu leisten haben, müssten sie schon mindestens menschliche Größe haben.
Eustus gab Piep gegenüber zu, dass dies ein berechtiger Einwand wäre, aber er fragte auch, ob es nicht so wäre, dass es sie in unterschiedlichen Größen gebe. "Ja, uns gibt es in unterschiedlichen Größen, aber wir werden alle gleich groß auf die Welt, oder besser gesagt, unsere Schützlinge losgelassen. Eigentlich haben wir sogar die doppelte Größe unserer Schützlinge. Das garantiert, dass wir lange genug bleiben können. Nun darfst du drei Mal raten, wie wir kleiner werden, du Putzlappen der Evolution." gab Piep in barschem Ton von sich. Eustus überlegte ein wenig und entschied, dass die logiste Erklärung wäre, dass sie mit zunehmendem Alter des Schützlings an Größe verlieren, damit dieser immer mehr an Selbstständigkeit gewinnen kann. Dies teilte er Piep auch mit.
Piep schaute ihn eine Weile ungläubig an, rieb sich die Augen kurz und zog nochmal an der Zigarre bevor er mit ruhiger Stimme sagte: "Du bist doch wirklich mit einem nassen Streichholz als Geistesblitzauslöser gestraft worden... Wir nehmen mit dem Alter der Person an Größe ab, da hast du schon recht, ABER NUR WEIL IHR MIT DEN JAHREN IMMER SELTENER AUF UNS HÖRT!" Den letzten Teil konnte Piep einfach nicht mehr ruhig sagen. Schließlich ging es ihm sehr nahe, wie es wohl jedem anderen ergehen würde, dass jemand nicht auf einen hört, obwohl dieser ihn vor Schaden bewahren will.
Eustus entgegnete ungläubig, dass das gar nicht sein könne, dass Piep wegen ihm so klein wurde. Schließlich hatte er doch immer so gehandelt, wie es der Vorteil versprach und sich auch nie großen Risiken ausgesetzt. Selbst als Kind hatte er nicht einmal einen Unfall erlitten.
"Ach. Wir können also nicht daran schuld sein, dass ich so klein bin?" fragte Piep mit einer hochgezogenen Augenbraue.
"Ich muss dir an dieser Stelle tatsächlich einmal ein Kompliment zugestehen, Eustus. Du hast mich als Kind wirklich nur selten gebraucht und in den Gelegenheiten, wo du mich gebraucht hast, hast du auch auf mich gehört. Dies ist sehr selten unter den Schützlingen. So freute ich mich auch darauf dich bis ins hohe Alter begleiten zu können. Schließlich gibt es den Fall nur unter einer Milliarde, dass ein Schutzengel mit der Volljährigkeit seines Schützlings immernoch dieselbe Größe, wie bei seiner Entsendung, hat. Du Ochse jedoch hast dann so viel Mist in so kurzer Zeit gebaut, dass ich sogar im Himmel vorstellig werden musste." ließ sich Piep über Eustus aus.
Eustus fragte, was er denn so schlimmes getan hätte, dass Piep vom Himmel gerufen werden musste und war erstaunt, dass sie einen so einfach zu sich rufen könnten.
"Sie können einen nicht nur zu sich rufen, sondern auch ganz schnell einen von dem Schützling abziehen." belehrte er Eustus. "Sie befolgen Regeln strenger und genauer als jeder Richter es tun könnte. Und wegen dir, du Schwachkopf, musste ich 30 Jahre lang Formulare ausfüllen.
Bevor du was sagen kannst. Ja, 30 Jahre... Der Himmel ist zeitversetz zur Erdzeit. Egal wie viel Zeit wir dort verbringen, hier vergehen nur ein paar Minuten. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sauer ich auf dich Trottel war. Aber Gefühle dürfen meine Arbeit nicht behindern und ich war schon ein gutes Stück geschrumpft." sagte Piep ziehend an der Zigarre.
Langsam wurde Eustus aber sauer. Er wollte wissen, was er falsch gemacht haben soll und wurde hier mit irgendwelchen Gesetzmäßigkeiten bombardiert. Klar... Er hätte diese sowieso zuerst hinterfragt, aber das änderte nichts daran, dass er den verdammten Grund nun endlich wissen wollte. In einem wutunterdrückten Tonfall wurde Piep nun von ihm darauf aufmerksam gemacht.
"Hmmm..." überlegte Piep. "Wo soll ich nur anfangen..." Piep machte ein paar rauchlose Züge an der Zigarre und eröffnete dann: "Kannst du dich noch daran erinnern, als du 20 Jahre alt warst und eine Erkältung dir zu schaffen machte? Du hättest die ganze Wohnung vollkotzen können, so schlecht ging es dir." Eustus musste erstmal ein wenig überlegen, aber dann viel ihm der Sommer ein, wo er fast eine Woche lang das Bett nicht verlassen konnte. Er fragte Piep, was es damit aufsich hätte.
"Nun, um dies zu erklären muss ich ein wenig ausholen. Drei Wochen vor dieser Erkältung warst du mit einem Mädchen zusammen, welches ... ich sage es mal so ... den Reizen von Seife hätte etwas öfter erliegen sollen. Dich hat es natürlich nicht gestört, da du ja nur auf den Vorbauch geachtet hast, du Stümper. Und meine Mühen dich von ihr abzubringen, hast du völlig ignoriert. Ich habe dir ein Bein gestellt und du hast dir den Fuss umgeknackst. Trotztdem bist du weiter gegangen. Ich habe ihre Duftnote so stark ansteigen lassen, dass selbst die Fliegen um sie herum in Ohnmacht gefallen sind. Aber du hast nicht einmal gemerkt, dass der Gestank dir graue Haare zauberte, du notgeiler Esel. Und selbst als deine Mutter dich angerufen und dich um sofortige Hilfe gebeten hatte - dies hatte ich natürlich auch eingefädelt -, bist du stattdessen lieber zu ihr in die Wohnung mitgegangen. Wie kann man denn nur so blöd sein?! Hätte ich nicht mein Möglichstes unternommen, hättest du wesentlich mehr als eine Erkältung abbekommen. An diesem Tag habe ich fast 50 cm an Größe verloren. 50 CM! So viel verlieren andere Schutzengel in einigen Jahren!"
Eustus musste sich eingestehen, dass er damals noch sehr jung gewesen war und es eigentlich hätte besser wissen müssen. Aber das könne doch nicht der Grund dafür sein, dass der Himmel Piep zu sich gerufen hatte. "Nein", sagte Piep "dies ist auch nicht der Grund gewesen."
"Erstmal will ich dir noch eine Geschichte erzählen, Eustus. Weißt du noch, wie du zu deinem ersten Job gekommen bist?" fing Piep damit an Eustus Nerven auf eine harte Geduldsprobe zu stellen.
Eustus konnte sich noch sehr gut an seinen ersten Job erinnern. Er war damals mit dem Studium gerade fertig geworden und hatte sich bei unterschiedlichen Institutionen und Firmen beworben. Aber daran wollte er nicht denken. Er fragte Piep, mit einem leicht gereizten Ton, ob man dies abkürzen könne.
"Warum sollte ich für dich etwas abkürzen, wo du doch über die Zeit mich so sehr gekürzt hast? Kannst du mir das sagen?" entgegnete Piep recht barsch. Dies konnte Eustus nicht.
"Dann denken wir mal zurück" fuhr Piep mit der geistigen Rückblende fort. "Es wollten sich bei dir ein paar Firmen melden und auch ein oder zwei Istitutionen hatten dir schon abgesagt. Du warst an diesem Tag bei einer Firma zu einem Vorstellungsgespäch eingeladen, aber du hattest furchtbare Bauchschmerzen. Ja, Eustus, ich war für die Schmerzen verantwortlich und langsam sollte dir auch klar geworden sein, warum du mir dies nicht übel nehmen kannst. Aber ich will dies ja nicht verkürzen" lächelte Piep genießerisch.
"Trotz der Bauchschmerzen hast du dich aber auf den Weg gemacht, du starker Kerl.
Wer macht denn bitte sowas?! Jedenfalls warst du dann bei der Firma angekommen und hattest Müh und Not dich aufrecht zu halten und nicht zusammenzuklappen. Ich muss gestehen, dass ich vielleicht etwas hart mit dir umgesprungen bin. Aber im Nachhinein denkst du dir wohl, dass ich es noch zu gut mit dir gemeint habe, oder?" zog Piep die Augenbrauen hoch und sah Eustus direkt in die Augen. Eustus konnte nur nicken, denn er wusste, was gleich kommen würde.
"Ja, du hast sogar vor dem Vorstand in den Mülleimer gekotzt und trotztdem haben sie dich eingestellt. Du hattest dich nicht einmal gefragt, warum. Sie jedoch wussten es genau.
Mit deinen Erkenntnissen konnten sie Milliarden machen und du gingst völlig leer aus, weil im Vertrag stand, dass alle Rechte und Patente der Firma anfallen.
Klasse Leistung... Vor allem, wenn man bedenkt, dass du zwei Tage später eine Stelle bekommen hättest, die dich finanziell völlig unabhängig gemacht hätte." Piep schwieg eine Minute, damit sich Eustus mit den schmerzhaften Erinnerungen an diesen Abschnitt seines Lebens auseinandersetzen konnte. "An diesem Tag haben wir beide verloren. Ich, 1,50 Meter und du, das Labor deiner Träume." versetzte Piep noch den letzten Stich in Eustus Gedankengänge.
Nun wurde Eustus aber wirklich sauer. Er sagte Piep, dass wenn er nicht gleich zum Punkt kommen würde, er selbst dafür sorge, dass er ihn nie mehr zu Gesicht bekommen würde.
"Reg dich ab, du Hercules für Arme. Dazu wollte ich ja nun kommen." sagte Piep unbeeindruckt von Eustus Drohung.
"Vergangenes Jahr hattest du eine Freundin. Du hast sie sehr geliebt, was ich aber auch versuchte zu unterbinden."
Eustus sah Piep voller Zorn an, denn auch daran wollte er nicht erinnert werden.
Doch Piep fuhr unbekümmert fort: "Sie hatte dich dazu gebracht für sie ein Vermögen auszugeben, die meisten deiner Freunde in Stich zu lassen und auch noch den Kontakt zu deinen Eltern fast zu beenden. Und was hattest du davon, in deiner blinden Liebe? Richtig, du Schimpanse im Liebesrausch. SEX in der KIRCHE!
Wie kannst du so dämmlich sein und sowas in einem Haus Gottes machen?!
Deine Eltern hatten dir doch Anstand eingetrichtert und du lässt deine Wundertüte in den heiligen Hallen platzen.
Der Chef war davon wirklich nicht begeistert.
Oder um es besser zu sagen: Du kannst froh sein, dass ich so lange noch bei dir bleiben durfte bis die Schnäpfe abgezog. Ansonsten wärst du heute nicht nur dein Dach über dem Kopf, sondern auch ein paar Gliedmaßen los.
Sie wollte nämlich dich zum Organspender machen. Und gespendet hättest du, das glaube mir mal, du Ochse. So wie ich fast meine ganze Größe gegeben hatte um dies zu verhindern."
Piep zog schnell drei Mal an seiner Zigarre, die schon fast ausgebrannt war und sah vorwurfsvoll zu Eustus hoch.
Eustus war nun nicht mehr zu halten in seiner Wut. Er schrie Piep an, was das überhaupt für ein Grund sei. Schließlich wäre Liebe von Gott selbst gewollt.
Er ließ sich so sehr in seiner Wut leiten, dass er schlußendlich sagte "Wenn dies wirklich Gottes Haus ist, dann hat er hoffentlich nach unserem Besuch die Hände eine Zeit lang nicht ins Weihwasserbecken gesteckt!"
Piep lachte laut auf. Eustus war sofort wieder still geworden und, von Pieps Lachen überrascht, auch nicht mehr sauer. Er verstand nicht, warum der kleine Wicht vor ihm lachte. Was war denn so komisch, dass ein Schutzengel über so etwas lachen konnte, fragte sich Eustus.
"Ich habe dir doch gesagt, dass du innerhalb unseres Gespräches dafür sorgen wirst, dass du mich nie wieder zu Gesicht bekommen würdest und ich endlich in den Ruhestand gehen kann." sagte Piep amüsiert. "Für einen Moment dachte ich schon, dass du dich doch fängst und einsichtig wirst. ...
Sollte ich nun glücklich sein, dass du es nicht geworden bist? Eigentlich ja nicht, da ich dein Schutzengel bin - entschuldige - war, aber du hast mir so viele Schwierigkeiten gemacht, dass selbst der Chef ein Auge zudrückte und mir diese Freude ließ" sagte Piep überglücklich.
"Ab heute bist du auf dich allein gestellt" verkündete Piep mit einem Lächeln im Gesicht.
Er schmiss den Zigarrenstummel zu Boden, wo sich dieser sofort in Luft auflöste und breitete seine Flügel aus.
Eustus sah verdutzt und ohne in der Lage zu sein, etwas zu sagen, wie das Energiewunder vom Microskop aufstieg und vor seinem Gesicht ein paar Drehungen machte.
Plötzlich war das Licht vor Eustus Augen nicht mehr zu sehen. Dafür fühlte er aber einen heftigen Schmerz in seinem Eierversteck, der ihn zu Boden beförderte. Gleichzeitig wurde er an die Warnung des Engels erinnert.
Durch schmerzverzehrte Augen sah er das Licht verschwinden und ein letztes, lautes Lachen verklang im Raume.
Bevor er von den Schmerzen in Ohnmacht fiel, sah Eustus nicht weit von sich vier Federn auf dem Boden liegen.
Seine letzten Gedanken waren: "Wieso vier Federn?! Ich hatte doch nur eine fallen gelassen ..."