Kurzgeschichte
Viola und Bruder Johannes - (Wie werde ich als Heiliger erfolgreich)

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"Viola und Bruder Johannes - (Wie werde ich als Heiliger erfolgreich)"
Veröffentlicht am 07. Januar 2007, 28 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

H E X E N M a c h t – ein spannender Roman von Raoul Yannik J e t z t i m B u c h h a n d e l 560 Seiten Hardcover ISBN: 978-3-939475-21-7 Schweitzerhaus Verlag
Viola und Bruder Johannes - (Wie werde ich als Heiliger erfolgreich)

Viola und Bruder Johannes - (Wie werde ich als Heiliger erfolgreich)

Beschreibung

Aus „Leben mit Viola“

Es war einer dieser Tage ...

Es war einer dieser Tage, an dem einen ohne erkennbaren Grund ein spirituelles Gefühl befällt. Das kommt manchmal vor, wenn man spürt, dass die Karawane des Lebens weiter zieht. Ich war deprimiert, mein bester Kumpel hatte sich eine Corvette gekauft und ich war auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Es war der Kampf zwischen Überlegung, Wille und Tun. Sollte ich aufstehen, mich meiner mentalen Krise hingeben, oder das dräuende Gefühl zulassen, dass das noch nicht alles im Leben gewesen sein kann. Gegen solche Gedanken gab es nur ein Mittel: Raus aus dem Alltagstrott und mein Bewusstsein erweitern. Nur ich allein besitze die Freiheit, Neues zu beginnen. Ich spürte das drängende Bedürfnis, mich, die Menschheit und die Welt zu verändern. Außerdem war mein Konto leer, ich fühlte mich einsam und ich hatte Langeweile.

Viola, meine beste Freundin war wieder einmal nicht erreichbar. Da fiel mir ein, dass es vielleicht angebracht wäre, Gesellschaft zu suchen und ich dachte spontan an meinen Friseur, den Künstler der Schere, den Meister der Farbe und der seichtgeistigen Inspiration. Aber wie es mit Künstlern so ist, entweder sind die schwul, überbeschäftigt, zicken rum, oder wollen sich bitten lassen. Mir sollte es nicht anders gehen, obwohl ich den Status des treuen Stammkunden innehatte. Nach telefonisch-rhetorischen Überredungskunststücken meinerseits und dem Hinweis, dass bei Verweigerung der ernste Notfall des Wechsels zur Konkurrenz eintreten würde, war er ausnahmsweise bereit, mir einen kurzfristigen Termin zuzuweisen. Da saß ich also, an einem heißen Dienstag Vormittag, zwölf Minuten vor 11 Uhr, und ich spürte, dass ein schlechtes Karma durch die heiligen Hallen meines sensiblen Friseurs schwebte. Er war ganz entgegen seinen Gewohnheiten schweigsam, fast traurig. Seine Hände zitterten, er hatte bereits ein kleines Fläschchen Veuve Cliquot verputzt und ich fürchtete um meine Ohren und meine Attraktivität. Meine besorgte Frage, was den los wäre, wurde mit einem unüberhörbaren Seufzer und einem schlürfenden Schlückchen Veuve beantwortet. Dann platzte es fast schluchzend aus ihm heraus.

„Die Welt geht heute unter.“

Ich war sprachlos, aber nicht überrascht. Die Welt muss ja untergehen, wenn Frauen an der Regierung sind und eine Steuererhöhung nach der anderen das mühsam Ersparte bis weit ins Negative dezimiert. Ich wollte schon tief ergriffen mitleiden und in den Trauergesang der gepeinigten Steuerzahler einstimmen, als er fast hilfesuchend weitersprach: „Er hat es prophezeit. Heute um Punkt elf Uhr geht die Welt unter. Der Antichrist kommt und das Jüngste Gericht auch.“

Ich war erschüttert. Nicht nur ein Schicksalsschlag, sondern gleich drei. Das war selbst mir etwas zu viel. Nach einem Moment des Überlegens fiel mir ein, dass ich nicht wusste, wer „Er“ ist, und darum war mir unbekannt, von wem er sprach. Auch in meiner Tageszeitung hatte ich nichts diesbezüglich über den mysteriösen „Er“ oder anstehende Weltuntergänge, garniert mit jüngerem Gericht gelesen. Mein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es inzwischen eine Minute vor elf Uhr war. Mein mahnender Hinweis: „Es ist eine Minute vor elf Uhr“ veranlasste den Meister der Schere zum andächtigen Innehalten. Er hörte auf zu schnippeln und ich lies mich zu der vorlauten Bemerkung hinreißen, dass es im Angesicht des Antichristen, des Weltuntergangs und des Jüngsten Gerichts vollkommen sinnlos sei, weiterhin seine überhöhten Preise zu bezahlen, denn die Welt würde ja doch untergehen, und mit ihr der schnöde Mammon und alle Faulpelze, Finanzämter und Friseure. Sein ärgerlicher Gesichtsausdruck sagte mir, dass Friseure selbst im Angesicht des Weltuntergangs keinen Spaß verstehen. Eisiges Schweigen war im Raum und der Zeiger rückte unerbittlich auf die letzte Sekunde, den Beginn der Stunde Null und des Jüngsten Gerichts vor. Das Grauen war bis in die Trockenhauben spürbar. Sogar der Fön verstummte in banger Erwartung des Unabwendbaren.

Als die endlos erscheinende Schweigeminute fast vorbei war, und der digitale Zeiger mit kleinen, ruckartigen Bewegungen die letzten Sekunden verschlang, erkannte ich blitzartig, dass ich zu viele Fehler in meinem Leben gemacht hatte. Meine Hände krallten sich in die Armlehnen meines Stuhls. Meine Augen waren schreckgeweitet, und meine Stirn- und Achselnässe war unübersehbar. Ich bekenne, ich war ein großer Sünder und dazu noch bekennender Atheist. Halbbeschnitten und unfertig saß ich beim Friseur. Sollte ich armseliger Wurm mit schlechter Frisur, so vor ihn, den Allmächtigen und zürnenden Weltenlenker treten.

Ein inbrünstiges Sekundenstoßgebet Richtung Himmel und ein aufrichtiges Bereuen erschien mir angebracht. Vielleicht würde er mich, den Sünder der immer nur den breiten und bequemen Weg gegangen war, doch noch vor dem Höllenfeuer retten. Ich wollte aufstehen und in Erwartung der Flutwelle und der daraus resultierenden, nassen Füße auf den Stuhl steigen, aber mein Friseur hatte Bedenken wegen seiner Schonbezüge. So blieb ich bang sitzen und die Minuten vergingen. Der Zeiger rückte unerbittlich weiter und wir schwiegen. Mir war inzwischen langweilig und durstig auch. Mein Friseur öffnete das zweite Fläschchen der Witwe Cliquot und schenkte sich noch ein Gläschen ein, mich den verdurstenden und auf gnädige Aufnahme im Himmelreich hoffenden Sünder vergessend. Denn als Ungläubiger der an den Preisen rummäkelt hatte ich ja nichts anderes als den Tod durch verdursten verdient. Aber nichts geschah.

Inzwischen war es einundzwanzig Minuten nach elf Uhr und ich dachte, dass es an der Zeit wäre, zur Stärkung und Erbauung ein Cafe aufzusuchen. Der Maestro war inzwischen in einem Zustand von spiritueller Champagnermelancholie, als das Telefon klingelte. Er griff zum Telefon, hörte eine frohe Botschaft und kam freudestrahlend zurück.

„Wir sind gerettet. Er hat es noch einmal geschafft. Er hat mit dem Herrn gesprochen und sein direkter Kontakt und seine Fürbitte haben bewirkt, dass der Weltuntergang verschoben wird.“

In drei Minuten war ich gegen meinen Willen millimeterkurz zurechtgeschnitten. Mein wallendes Haupthaar lag auf dem Boden. Ich hatte die verdiente Frisur eines geschorenen Sünders und musste zähneknirschend die überhöhte Rechnung bezahlen. Außerdem war ich etwas irritiert. Was war geschehen und warum ist nichts geschehen? Hatte „Er“ versagt, so wie mein Deo? Erforderte die qualifizierte Planung des Jüngsten Gerichts mehr Zeit als angenommen? Waren organisatorische oder bürokratische Schwierigkeiten beim geregelten Untergang der Welt aufgetreten? Oder hat der Antichrist seinen Zug verpasst und saß nun in Kleinmachnow fest?

Das Rätsels Lösung ergab sich, als ich den Salon nicht verlassen wollte und um sofortige Aufklärung der seltsamen Vorkommnisse bat.

Mein sensibler Friseur war seit einigen Monaten Mitglied in der Gemeinschaft der Erleuchteten vom Heiligen Gral. Nach seiner mit großen Kinderaugen erzählten Geschichte, war er endlich auf dem direkten Weg zu Gott und im Zustand der spirituellen Erleuchtung. Sein geistiger Führer, der Prophet (orientalisch klingend, aber der Name ist mir entfallen) hatte verkündet, dass der Herr über einen Engel im Traum zu ihm gesprochen habe. Die Welt würde am Dienstag Punkt elf Uhr untergehen und die Gläubigen sollten sich sammeln, möglichst an einem etwas erhöhten Platz wegen der zu erwartenden Sintflut, und ihren irdischen Gütern entsagen. Das leuchtete mir ein. Wenn ich die Steuererhöhungsorgie sehe, dann weiß ich, dass ich allen irdischen Gütern entsagen muss, weil mir das Wasser bis zur Oberkante meiner Unterlippe steht.

Auf meinem Weg ins nächste Cafe war ich in mich gekehrt. Sollte dieses Erlebnis mein Leben verändern? Der Beruf des Heiligen, des Propheten mit einer Standleitung zum Allmächtigen erschien mir plötzlich als erstrebenswertes Lebensziel. Still setzte ich mich an einen kleinen Bistrotisch, der im hellen Sonnenlicht einsam und verwaist am Straßenrand stand. Auch die blonde, gutgewachsene Bea, die ich seit Jahren heimlich verehrte, weil sie mir meinen mittäglichen Cappuccino immer mit einer routinierten Handbewegung, angesiedelt zwischen Verachtung für nichtsnutzige Männer und weiblicher Grazie servierte, konnte mich nicht aus meiner tiefen Ergriffenheit locken. Etwas musste geschehen. Ich starrte den Cappuccino mit seinem weißen Milchschaum und sparsam darauf drapierten Schokostreuseln an. Ich sah wie der Schaum verging und die Streusel sich auflösten. Vor mir war das Sinnbild des Vergänglichen und des weltlichen Seins. Der Schaum erinnerte mich an die Auflösung aller Materie in den Universen. Dann, in meinen mystischen Cappuccinobetrachtungen hörte ich eine Stimme wie aus weiter Ferne, die zu mir sprach:

„Kann ich gleich abkassieren?“

Es war wie eine Erleuchtung. Sie, die Göttliche, ein, nein nicht ein, der blonde Engel hatte zu mir gesprochen, und mir dem Unwürdigen, die Botschaft des Herrn verkündet. Ich war auserwählt. Ich sah demütig zu ihr auf. Meine Augen waren mit Tränen gefüllt und meine Stimme war am Versagen. Im strahlenden Mittagslicht sah ich ihr blondgelocktes Haar und ich sprach die magischen Worte:

„Ja, du darfst.“

Jetzt wusste ich, mein Leben würde sich verändern. Ich hatte die für mich bestimmte Heilsbotschaft unverschlüsselt und auf direktem Weg empfangen. Ich, nur ich war dazu ausersehen eine neue Bewegung zu gründen und zu führen. Oder wie der von mir sehr verehrte Friedrich Nietzsche einmal sagte: „Wenn man sich vervielfachen, verhundertfachen will, muss man nicht die Einsen suchen. Man muss sich von den Nullen finden lassen.“

Aber wie sollte ich es anstellen? Wie meine Jünger um mich versammeln? Wie sollte meine neue Bewegung heißen, und vor allem, wie sollte ich mich in Zukunft nennen? Da fiel mir meine Freundin Viola ein, die sich gewohnheitsmäßig um diese Zeit entweder in einem bekannten Kaufhaus, oder bei ihrem neuesten Lover aufhalten würde. Aber in solchen großen Momenten braucht man Freunde, und der Kontakt war über das Handy schnell hergestellt. Wir verabredeten uns im Bellini, in unserem bevorzugten Bistro, um alles weitere zu besprechen.

Eine Stunde später saßen wir in der ersten Etage, in der zu dieser Zeit nur geringer Publikumsverkehr war. Im Halbdunkeln der kleinen Bar lauschte Viola ergriffen meinen Erlebnissen. Ich sprach zu ihr, dass der Herr über einen Engel zu mir gesprochen habe, und bekam zur Antwort: „Und warum hast du nicht direkt mit ihm gequatscht?“

Mein strafender Blick, der die möglichen Strafen für so viel Blasphemie schon in sich trug brachte sie zum Schweigen. Ich dachte: „Wen ich liebe, den weise ich zurecht und nehme ihn in Zucht“, und orderte zur spirituellen Erbauung zwei extrastarke Caipirinia. Dann sprach ich weiter zur Ungläubigen.

„Schatz, ich spüre, ich kann etwas bewegen. Und du kennst mich doch, ich hatte schon immer eine spirituelle Ader.“

Viola sah mich lächelnd an und ihre Antwort fiel entsprechend aus: „Ja ich weiß, du hast schon immer einen kleinen Sprung in der Empfangsschüssel. Aber darum liebe ich dich ja.“

Viola liebt mich. Die oberste Sünderin, meine erste Sünderin, meine Adeptin war auf dem Weg der Bekehrung. Ich sah sie an, und dachte einen Moment an die heilige St. Afra, deren Mutter vor vielen hundert Jahren ein Bordell im Schwäbischen unterhalten hatte, und die durch den Bischof Narzißus, der zufällig zwecks Bekehrung das Bordell frequentierte, sie wegen ihrer Leistung zur Heiligen machte. Aber ich brauchte noch Violas Rat. „Sag mal, ich weiß noch nicht welchen spirituellen Namen ich annehmen soll. Hast du nicht eine Idee?“

Mir schwebte irgend etwas prophetisches zwischen Moses, Hildegard von Bingen und Merlin vor. Aber Moses hatte es ziemlich schwer, dem ungläubigen Volk seine Steintafeln zu verkaufen. Vermutlich war er dem Leistungsdruck seiner jungen Frauen nicht mehr gewachsen, als er auf einen hohen Berg stieg, um mit den Göttern ein ernstes Wort zu reden. Außerdem hatte er dann die Last mit den schweren Steintafeln und musste das alles auf seinem Buckel schleppen. Das war mir zu mühselig. Auch Hildegard von Bingen erschien mir durchaus als Vorbild. Aber ins Kloster wollte ich dann doch nicht. Merlin erschien mir da schon ersterbenswerter, aber dann dachte ich daran, dass ich in Chemie noch nie gut war. Alle möglichen Heiligen gingen mit durch den Kopf. Ich dachte auch an den heiligen Simon, der dreißig Jahre, angekettet auf der Spitze einer Säule lebte, als Violas lauter Aufschrei die Stille der Stätte der Besinnung durchbrach:

„Ich hab es, Johannes, das ist es.“

Die wenigen Anwesenden in dem kleinen Bistro schauten zu uns herüber und es war mir einen Moment peinlich. Immerhin kannte man mich als guten Gast und ich hatte einen Ruf zu verlieren. Meine beschwichtigente Handbewegung zeigte Wirkung und Viola begann ihre Stimme auf ein verschwörerisches Niveau zu senken.

„Johannes passt gut zu dir. Du hast so etwas Überzeugendes. Und außerdem hat mir Fabienne einiges über deinen Johannes erzählt. Ich sehe es dir an der Nasenspitze an, der Name gefällt dir.“ Das war es also, die Gerüchteküche brodelte auf niedrigstem Niveau hinter meinem Rücken. Ich war ahnungslos auf dem Weg der Erleuchtung. Immer um das Seelenheil der Verzweifelten kämpfend und um meines großen Namens willen Schweres ertragen wollend. Aber Viola hatte recht. Der Name Johannes gefiel mir immer besser. Er hatte wirklich etwas, dass die Verbindung zwischen den Mysterien des Altertums und der Moderne schaffen konnte. „ Bruder Johannes“, der heilige Johannes ja so wollte ich mich nennen und meiner Anhängerschaft mit leuchtendem Vorbild voran gehen.

Zwar hatte ich noch Bedenken. Immerhin und soweit ich mich erinnern konnte, lief das klassische Vorbild nackt durch die Gegend und nuschelte wie ein durchgeknallter Drogenjunkie unflätiges Zeug. Aber es waren ja einige hundert Jahre vergangen und ich war mir sicher, dass solche kleinen Vorkommnisse eines großen Vorbilds nicht weiter ins Gewicht fallen würden.

Jetzt brauchte ich nur noch einen Namen für meine spirituelle Bewegung, die immerhin schon einen weiblichen Jünger hatte. Ich dachte an irgend etwas einprägsames, mit viel Licht und einer Menge Geist. Viola war von meiner Idee begeistert und kichernd sah sie sich schon mit demütig gesenktem Kopf. Den sündigen Körper in ein langes Gewand gekleidet, das bis auf die Füße reichte.

„Ja genau, so möchte ich dir folgen. Um die Brust möchte ich einen Gürtel aus Gold. Und darunter die schwarzen Strapse und sonst nichts.“

Ich wischte die Gedanken der Sünderin mit einer unwirschen Handbewegung beiseite und orderte den zweiten Caipirinia. Dann fiel mir mein erster Alfa Romeo, der rote Spider ein. Das war es, meine neue Bewegung sollte diesen erhabenen Namen tragen. Nein nicht Alfa Romeo, sondern Alpha Lux, die erste illuminative Bewegung des Lichts. Auch Viola war begeistert, aber die Frage, warum ich unsere Bewegung nicht „Porsche Lux“, oder „Fiat Lux“ nennen wolle, quittierte ich mit einem strafenden Blick. Ich nahm mir fest vor, solche lasterhaften Spitzfindigkeiten in Zukunft hart zu bestrafen.

Meine salbungsvolle Antwort mit dem bekannten Bibelzitat: „Miststück, diene dem Herrn in Furcht, und küsst ihm die Füße, damit er nicht zürnt“ wurde mit einem listigen Lächeln quittiert und ich orderte in weiser Voraussicht den dritten Caipirinia für mich und den Dritten für Viola.

Bis hierhin war die Gründung meiner neuen Glaubensgemeinschaft erfolgreich verlaufen. Der Name war gefunden, auch der Ort der heiligen Stätte war schon vorbestimmt. Mein Wohnzimmer sollte der religiöse Mittelpunkt der westlichen Hemisphäre werden. Das Weihevolle des Raums schien mir nur eine kleine Hürde auf dem Weg zum Erfolg. Ein heiliger Stuhl musste noch erworben werden und vielleicht einige gefällige Engelsfiguren, die wie zufällig meine Wohnung schmücken konnten. Viola war von meiner Erleuchtung begeistert und schon weiter, bei typisch fraulichen Themen. Lila, Rosè, oder ein zartes Blutrot, waren ihre bevorzugten Farben der Saison, in denen sie als Büßerin zu gehen trachtete. Einen Moment wollte ich solche modischen Auswüchse empört zurückweisen. Der Herr würden die Seinen auch ohne Kleider erkennen und ich war mir sicher, dass ich Viola, stellvertretend für den Herrn auch ohne Kleider gern sehen würde. Aber dann verstand ich das weibliche Drängen nach Zugehörigkeit und Schmuck. Wie sollten meine irdischen Jünger die Bekehrten von den Ungläubigen unterscheiden können.

Ich entschied mich dann spontan für ein lange, blutrot gefärbte Gewänder, die ich preisgünstig zu erstehen gedachte, um sie dann zum Wohle der Gemeinschaft mit einem winzigen Aufschlag an die Novizen zu veräußern. Ich sah die Möglichkeiten zwischen Einkauf und Verkauf. Bei einem Einkauf von sagen wir mal grob geschätzt fünf Euro, und einem Verkaufspreis von hundert Euro, multipliziert mit der Anzahl der möglichen Anhänger, so in der ersten Ausbaustufe schätzungsweise einhundertvierundvierzigtausend, erschien mir der Gedanke durchaus erfolgversprechend. Damit war die Frage der einheitlichen Kleidung auch positiv verabschiedet. Mit des hoheitsvollen Handbewegung des zukünftig gutsituierten, Erleuchteten orderte ich den vierten Kelch mit leckerem Caipirinia.

Viola war von meinen spirituellen Gedanken sehr angetan und begann Fragen zu stellen. „Sag mal großer Guru, stimmt es, dass du jetzt immer die Wahrheit sagen wirst? Und wie ist das mit der verheirateten Nachbarsfrau. Dann darfst du doch auch nicht mehr mit Fabienne …“ Ich fuhr ihr etwas unwirsch über den vorlauten Mund und antwortete klerikal korrekt: „Und du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Und das Weib schweige in der Gemeinde. Merk dir das mal, wenn du in meinem erlauchten Kreis bleiben willst.“ Viola zog mit einem laut schlürfenden Geräusch an ihrem frischen Caipirinia, und ich begann mich meiner Verpflichtung zur Labung der Durstenden zu erinnern. Ich zog ihre Hand zu mir und sprach: „Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir“, und Viola schob mir gehorsam den leeren Kelch hin, auf dass ich ihn mit spirituosem Manna füllen solle. Ich gab die Order an die dienstbaren, aber seltsamerweise sehr verschwommenen Geister weiter.

Was jetzt noch fehlte, war ein Programm. Eine Botschaft des Herrn, der durch mich sprechen sollte und die ich an die Gläubigen auszusenden gedachte, damit neue Gläubige in Scharen kommen sollten. Doch das sollte sich schwieriger als erwartet gestalten, denn Viola bekam die ersten religiösen Visionen und lallte zwischen einigen klaren Worten nur noch unverständliches Zeug. Mit wachem Geist hörte ich auf sie, meine verwirrte Anhängerin. Denn auch in den sybillinischen Worten könnten sich Botschaften für die Ewigkeit verstecken. Dann erinnerte ich mich wieder an meine göttliche Eingebung von frühen Morgen. Und siehe da, der sechste Kelch stand wie von Engelshänden getragen vor uns.

„Ja, du darfst“, war das Menetekel, das ich nicht aus den Augen verlieren durfte. Es beinhaltete Abschreckung, Herausforderung und Liebe in einem Satz. „Du darfst, in Ewigkeit Amen.“ Nichts sollte mehr verboten sein, alle Zwänge von den Menschen genommen werden, alle Güter gleich verteilt werden, und Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit sollte herrschen, in Ewigkeit. Aber natürlich nur für die Anhänger der Bewegung Alpha Lux, deren geringster Bruder unter den Geringsten ich sein wollte.

Was wir jetzt noch brauchten, war Musik. Etwas Modernes, Neues, etwas was es noch nie gab. Gitarren und Rap schieden als zu modisch und zu wenig innovativ aus. Flöten waren irgendwie zu brav. Obwohl ich der ungehorsamen Viola noch die richtigen Flötentöne beibringen wollte.

„Posaunen, Posaunen kommen gut. Sieben Posaunen und immer wenn die einen fetzigen Sound spielen muss was dramatisches passieren. Und Nonnen müssen blasen. Nonnen in Lackdessous, so wie damals beim Bohlen und seinem Blue System. Das wäre stark.“

Ich dachte einen Moment an das Weihevolle, aber dann gefiel mir Violas Vision. Sie hatte das Zeug zu einer Heiligen und ich hob segnend die Hände und der Keeper verstand den Wink. Es war ein Wunder. Der siebte Caipirinia kam wie von göttlicher Allmacht getragen auf unseren geweihten Tisch. Ich sah die funkelnden Gläser und wusste, dass die Getreuen nur mit sieben Kelchen errettet werden können. Viola begann langsam auf die Knie zu rutschen und verschwand unter dem Tisch um mir die Füße zu salben, oder so. Ja genau so sollte es sein. Ich nahm meine Hand und legte sie auf Violas Kopf um sie mit sanftem Druck nach unten zu segnen. Dann sprach ich: „Ja, du darfst“, und Viola tat wie ihr geheißen. Und es war gut was sie tat, in Ewigkeit Amen.
Dann kam der Kellner um mit empörtem Blick zu Uns zu sprechen: „Kann ich abkassieren.“

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In eigener Sache: Dieser Geschichte liegen wahre Begebenheiten zugrunde. Der Friseurbesuch und der ausgefallene Weltuntergang haben tatsächlich stattgefunden. Die Namen und Ort sind aus Diskretionsgründen und um nicht in den Verdacht unerlaubter Schleichwerbung zu geraten, leicht verfremdet. Die Inspiration zu diesem Text habe ich aus den Offenbarungen des Johannes entnommen. Große Teile der Offenbarungen musste ich gegen innere Widerstände, aber auf Anraten meiner juristischen Berater weglassen, da sie so schrecklich sind, dass schwache Seelen, oder sensible Jugendliche bleibende Schäden davontragen könnten. Darüber hinaus gibt es keine Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen. Auch vermutete Ähnlichkeiten mit aktuellen Ereignissen oder Märchen aus tausendundeiner Nacht sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Alles hier Geschriebene, die Erlebnisse, die handelnden Personen, die Namen, Orte und Zeiten sind von mir frei erfunden. Falls doch der Eine oder die Andere glaubt, sich irgendwo wieder zu erkennen, ist das ein reiner Zufall. Ich kenne Den- oder Diejenige nicht. Ich habe Sie noch niemals gesehen, gehört, gerochen, gespürt oder geschmeckt. Sollte also jemand vermuten, sich oder nahestehende Personen in diesem Text wieder zu erkennen, dann fühle ich mich wegen meiner blühenden, aber realitätsnahen Phantasie geschmeichelt. Aber der oder diejenige hat sich geirrt oder lügt. Ansprüche, welcher Art auch immer, können daraus nicht abgeleitet werden.

Zitat: „Diene dem Herrn in Furcht …“ Psalm 2,9 Der Herr und sein Gesalbter.

© Copyright 2007 by Raoul Yannik www.raoulyannik.de


Meine weiteren Veröffentlichungen:

Liebe – nur ein Wort ISBN-10: 393947505X

HEXENMACHT Roman (470 Seiten) ISBN-10: 3939475211 (Erscheint im Frühjahr 2007)

Schweitzerhaus Verlag www.schweitzerhaus.de oder im Buchhandel und bei Amazon
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Über den Autor

RaoulYannik
H E X E N M a c h t – ein spannender Roman von Raoul Yannik

J e t z t i m B u c h h a n d e l
560 Seiten Hardcover ISBN: 978-3-939475-21-7 Schweitzerhaus Verlag

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