für alle, die gern wissen wollen, wie es weitergeht...
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Die Tür knallte laut ins Schloß. Lucilla schreckte hoch und versteckte sich sofort in der Ecke hinter dem Metallding, daß wohl ein Schrank war. Sie hörte Stimmen- Menschen. Das hatte ihr noch gefehlt! Sie wollte ihre Ruhe haben! Wenn diese Menschen sie auch nur sehen würden, dann würden sie sie wieder gefangen nehmen und wieder seltsame Dinge tun und dann würde sie nie zu ihm zurückkehren können.
„Hey- Rick- sieh mal an- der alte Zeth hatte doch noch was zu trinken da.“ Flaschen klapperten.
„Du hast auch nur das eine im Kopf, Juds.“ tadelte ihn sein Freund.
„Das sagt mir Einer, der jeden Abend ´ne Andere flachlegt! Naja- vielleicht gibt es ja hier noch andere gute Sachen. Der war doch auch ständig high- wo hat er das Zeug versteckt?“ Judic klapperte geräuschvoll mit den Flaschen im Regal, die bei der Razzia noch heil geblieben waren.
„Den Mist kannst du allein suchen. Ich interessier mich eher für deren Arbeiten. Was haben die hier gemacht? Irgendwelche Exerimente mit Kreaturen? Sieht so aus. Die Laborsachen sind zur Züchtung von Dämonen geeignet. Wußte dein Dad davon?“
„Nein. Das haben wir ja erst durch die Razzia erfahren, als die Bullen plötzlich vor der Tür standen und nach Zeth gesucht haben. Der ist spurlos verschwunden. Kann ich ihm nicht verübeln- hätte ich auch gemacht. Wer geht schon freiwillig auf Alcatraz?“ lachte Makushis Sohn und setzte die Flasche an.
„Du, wenn du nicht bald legal wirst. Mal sehen, was da hinten noch ist.“ Er stieg über die umgeworfenen Kisten und das zerstörte Glaszubehör am Boden. Dann ging er um die Ecke und spähte hinter den Schrank. Und erstarrte. Rick schluckte.
„Juds? Die haben echt Experimente gemacht. Scheiße.“ Er wich etwas zurück, als ihn das Wesen seltsam anstarrte und zum Sprung anzusetzen schien. Er wehrte mit den Händen ab, um ihr zu zeigen, daß er waffenlos war. Vielleicht verstand sie das ja. Sie duckte sich tiefer und knurrte leise. Die Jahre der Gefangenschaft hatten sie zu etwas gemacht, was sie nicht ahnte- sie war zu dem Tier geworden, was in ihr steckte- und so verhielt sie sich auch. Und das Tier fühlte sich in die Ecke gedrängt.
„Hi! Ähm- du brauchst keine Angst zu haben- ehrlich. Wir sind keine Gegner oder so.“
„Ich glaub, das da versteht kein Wort.“ flüsterte Judic seinem Kumpel leise zu, als der erste Schreck vorüber war und er zur Beruhigung einen weiteren Schluck aus der Flasche genommen hatte.
„Ähm- Rick.“ Er wies auf sich. Dann auf sie. Sie sah ihn schief an und knurrte erneut.
„Ohoh.“ murmelte Judic hinter ihm plötzlich.
„Was heißt ohoh?“ genervt sah Rick ihn an. Wenn Judic schon dumme Kommentare gab- mußte das gerade jetzt sein?
„Ich ahne was. Der Gargoyle. Zeth sollte ihn aus Prag holen- besser gesagt sie. Angeblich war sie nicht mehr da. Aber unser Schlaumeier Gary meinte, das könne nicht sein. Ich glaube, wir haben hier den lebenden Beweis dafür, das Zeth meinen Dad gelinkt hat.Und der Bulle mal ausnahmsweise Recht hat.“
„Schön. Und was heißt das? Das wir Tschechisch mit ihr sprechen sollen? Tut mir leid- stand nicht in meinem Stundenplan. Antike Sprachen waren noch nie mein Fall.“ Er dachte nach. Sie sah sie immer noch lauernd an. Was immer dieser Gargoyle vorhatte- es sah nach Blutbad aus, wenn sie sie weiter in die Ecke drängten.
„Lu-Lu- irgendwas war es in der Richtung.“ erinnerte er sich.
„Lu-?“ versuchte es Rick. Sie nickte kurz. Also hatte sie etwas verstanden. Er versuchte es wieder „Rick. Und du? Lu-?“
„Lucilla.“ flüsterte sie leise. Woher kannten sie ihren Namen? In den letzten Tagen war ihr etwas klar geworden- sie war hier nicht rein zufällig gelandet. Irgend jemand hatte sie aus ihrem Verlies geholt, sie ganz woanders hingebracht und wollte etwas von ihr. Diese beiden Burschen schienen ja nett zu sein, aber nach allem, was sie erlebt hatte, traute sie ihnen lieber nicht gleich. Sie kannten diesen Zeth, dessen Name auch vorher oft gefallen war.
„Lucilla. Toller Name- Antiquariatsmäßig, aber wenigstens ein Name. Wie wär´s mit Lucy?“
„Luci.“ ahmte sie ihn nach. Was blieb ihr weiter übrig, als aufzugeben? Sicher- sie könnte diese Jungen vielleicht töten- aber was machte das schon für einen Sinn? Raus wollte sie nicht, wegen all den seltsamen Dingen. Also saß sie hier fest. Früher oder später würde man die Beiden suchen- und dann sie dafür verantwortlich machen.
„Na bitte. Du kannst also schon mal hören. Welche Sprache könntest du verstehen?“
„Tu nicht so, als könntest du mehr als deine Muttersprache!“ giftete Judic.
„Hey- ich hatte wenigstens zwei Monate Französisch. Nagut- Bonjour?“ Sie machte ein komisches Gesicht. Machte sie sich über sie lustig? Lucilla wunderte sich über den seltsamen Akzent- aber er hatte etwas gesagt, was sie kannte.
„Die ist tiefstes Mittelalter! Da haben die doch ganz anders geredet.“ Juds wurde ungeduldig.
„Ami?“ Es schlug voll ein. Plötzlich sah sie ihn direkt an.
„Ami?“ fragte sie nach. Freund. Er kannte das Wort. Und scheinbar bot er es ihr an. Er wollte sagen, daß sie keine Feinde waren.
„Okay- was hast du ihr gesagt?“
„Das der hinter mir ihr Frühstück ist!“ Er sah ihn genervt an. Manchmal konnte Juds echt ein guter Freund sein- aber manchmal- naja. Der Japaner giftete zurück- und Lucy kicherte leise.
„Oh- das scheint ihr zu gefallen. Das ist Juds- oder Judic.“
„Dschads.“ kicherte sie. Die Beiden waren lustig- und sie schienen keine Angst vor ihr zu haben. Vielleicht war doch etwas besser geworden in dieser Welt- sie verurteilten sie nicht gleich als Teufelskind.
„Genau. Die Kleine lernt schnell.“ Rick hockte sich hin und nahm einen Schokoriegel aus seiner Tasche. Sie zuckte zurück und dachte wohl, es wäre eine Waffe. Also packte er ihn aus und tat so, als würde er essen. Sie sah einfach putzig aus, wenn sie so neugierig dahockte wie ein Frosch mit zu langen Beinen und riesigen Flügeln. „Komm und hol ihn dir!“
„Du behandelst sie wie ein Dressierhündchen.“
„Juds- du kannst gehen, wenn dir das zu blöd ist.“
„Werd ich auch. Und morgen erzähl ich Dad, was für schlechtes Personal er hat.“ Damit verschwand Juds auch schon. Lucilla sah ihm traurig hinterher. Etwas schien ihm nicht zu gefallen.
„Ach- der ist doof. Nimms ihm nicht übel. Also- wie sieht´s aus? Bedarf auf was Süsses?“ Er brach den Riegel halb und setzte sich an die Wand. Eine Hälfte aß er, damit sie sah, daß er sie nicht vergiften wollte. Sie schien nachzudenken, dann kroch sie etwas näher und schien zu schnuppern.
„Was zum Teufel bist du?“
„Deuffel.“ ahmte sie ihn erneut nach.
„Ach- du bist der Teufel?“ Sie zuckte mit den Schultern. Was immer dieser junge Mann sagte- er war nett zu ihr. Und er hatte etwas, das gut roch und ihr das Wasser im Mund zusammen trieb. Schnell packte sie zu und nahm ihm den Riegel weg. Sofort verzog sie sich in eine Ecke und kaute daran herum. Es war klebrig und süß- aber es war gut. Was immer es war.
„Okay- was kannst du mir erzählen? Kennst du Paris?“ Sie nickte und kaute.
„Parie.“ mampfte sie. „Raymond et en Paris.“ sagte sie leise.
„Raymond?“
„Bon Ami.“ Sollte sie ihm sagen, das er ihr Geliebter war? Er schien nicht besonders gut Französisch zu sprechen.
„Tres bon ami?“ fragte er lauernd. Also verstand er doch mehr- auch ohne Worte. Sie nickte zur Antwort. Sie deutete auf den Riegel.
„Tres bon.“
„Schokolade.“
„Sjoku-?“ Sie verrenkte sich fast die Zunge.
„Süß.“vereinfachte er es.
„Sjüss.“ Sie mampfte weiter.
„Netter Akzent. Du hast Hunger, oder? Die haben dir nichts gegeben. Idioten.“ sagte er mehr zu sich selber.
„Idjotten.“ Sie grinste. Er war lustig- und seine Sprache klang komisch, aber sie war nicht so schwer zu sprechen, wie sie gedacht hatte.
„Hey- sprich mir nicht alles nach- du kennst die Bedeutung nicht. Also etwas zu essen. Ich bin gleich wieder da.“ Er stand auf und wollte gehen.
„Non!“ rief sie und stand auf. Jetzt erst sah er, wie riesig sie durch ihre Flügel wirkte. Damit konnte sie unmöglich auf die Strasse! Sie würden sie innerhalb von Sekunden wegschnappen. Also versuchte er sie zu beruhigen und anzudeuten, daß sie warten solle.
Die Pizza- Bringmaschine schrillte vor dem Fenster für die Lieferungen und schwebte wieder davon. Es war gerade einmal 9 Uhr morgens, aber bei Makushis ungewöhnlichen Arbeitszeiten war es normal, die Essenszeiten zu verschieben. Albert nahm die Pizza, platzierte sie auf einem silbernen Tablett und trug sie hinein.
„Sir- ihre Pizza.“ Er verbeugte sich und legte sie auf den Schreibtisch.
„Sei nicht so steif, Albert.“ Manchmal hatte dieser Diener seltsame Aussetzer. Er sollte ihn mal überprüfen lassen.
„Wie sie befehlen.“ Er stellte sich entspannter hin.
„Morgen, Albi.“ Miaki tauchte im Büro auf und schwang sich in den Sessel- im Schlafanzug.
„Hast du deinen Lieblingsbruder gesehen?“ Makushi sah kaum auf, während er weiter arbeitete.
„Kam erst gegen fünf heim. Hat Krach gemacht, als wären zehn Weiber mit ihm unterwegs.“
„Also ich hab ihn nicht erwischt.“ entschuldigte sich Gary, der gerade auftauchte und Miaki einmal im Stuhl herumdrehte.
„Hey!“ protestierte sie.
„Hey auch! Ungeschminkt! Ich erblinde!“ Er schreckte demonstrativ zurück und lachte. Dann wurde er aber wieder ernst.
„Was gibt es Schlechtes?“ Es war einfacher, bei Gary gleich auf den Punkt zu kommen, denn lange Plänkeleien mochte er nicht. Er war so ziemlich der Direkteste Mensch, den Makushi kannte. Ihm selbst sagte man nach, er sei auch direkt- so wie seine Kinder. Unpassend eigentlich für die japanische Gesellschaft, die es bevorzugte, dich anzulächeln und hinter deinem Rücken die Waffe zu laden. Aber er hatte Jahre in Europa verbracht und dort gelernt, daß falsche Freundlichkeit nicht immer richtig war. Und diese Gesellschaft war so durchtrieben, daß Anstand und gute Manieren nicht mehr zum Erfolg führten.
„Autsch- ich hab sowas von schlecht geschlafen.“ murrte er und ließ sich von Albert einen Kaffee einschenken. An diesen Service konnte man sich gewöhnen- wenn er nur nicht immer wieder in sein Loch zurückmüßte!
„Und deshalb beehrst du uns mit deiner Anwesenheit?“ Miaki tat genervt.
„Es geht um das von neulich- was wir besprochen haben- du weißt schon. Aeon.“
„Oh. Miaki- Albert- Raus!“ ordnete der grosse Boss an. Unter Murren verließ sein Töchterchen den Raum- Albert war ein gebauter Diener- er protestierte nie.
„Und? Neue Erkenntnisse?“So, wie Gary aussah, war ihm das Gegenteil der Jungfrau Maria erschienen.
„Ähm- Blut. Krieg. Sex. Das volle Programm. Ging ganz plötzlich los. Ich hab mich an Dinge erinnert, die nicht sein dürften. Und das Schlimmste war- es tat weh- körperlich.“
„Er bricht aus.“bemerkte Maku trocken. Er hatte es bereits geahnt- Gary war wohl so etwas wie die Hülle, in der Aeon überlebt hatte. Nur wollte der Gute das einfach nicht einsehen.
„Danke für die Analyse. Ich dachte, ich könnte ein anständiges Leben ohne größere Ereignisse führen. Aber nein- da steckt ein Mentor in mir, der sich jetzt überlegt hat, herauszukommen.Aber die Frage ist doch vielmehr- warum?“ Er nahm sich eine Zigarre und zündete sie an. Wenigstens den Anschein von innerer Ruhe konnte er ja anstreben, auch wenn Maku ihn garantiert durchschaute. Dann besah er sich das Bild, was, wie schon seit Monaten, auf Makushis Schreibtisch lag. Die Kriegerin. Eine alte Zeichnung- von der sie nicht wußten, wer sie gemacht hatte. Er legte die Hand darauf- und schnellte zurück. Tausende Bilder rauschten durch seinen Kopf. Paris. Der König. Ein Bett voller Rosen- und Blut. Er stöhnte leise auf. Aja- zeichnen konnte Aeon also auch noch.
„Was?“ Der Dämonenhändler wirkte beunruhigt.
„Verdammt. Es kommt alles auf einmal. Tausende Eindrücke aus alten Zeiten.“ Er versuchte es noch einmal- aber diesmal war da nichts. „Komisch. Aber es ist alles da. Irgendwie.“
„Wie eine Festplatte, die gebootet wird. Es kommt alles zurück, damit du es wieder weißt.“
„Und warum ging es dann vorletzte Nacht los?“ Sie hatten sie nicht gefunden- und wenn die Theorie stimmte, würde sie wach sein müssen, damit das passierte. So viel zum Thema Theorien.
„Weil du sie gespürt hast.“ Die Stimme kam vom Eingang. Es war Judic.
„Was?“ kam es von Beiden gleichzeitig.
„Dein treuer Zeth hat reichlich Dreck am Stecken, würde ich sagen. Er hat sie gefunden- und sie ist hier.“
„Das ist unmöglich.“ wunderte sich Makushi.
„Doch- ich fürchte.“ Gequält rieb Gary sich die Augen. „Pizza? Was soll das? Pizza? Was hat Pizza mit ihr zu tun?“
„Was ist denn in den gefahren?“ Judic sah den Polizisten ernst an.
„Animalische Witterungserscheinungen?“ mutmaßte Maku. „Sie lebt?“
„Ja- Dad. Und wie. Sie verhält sich zwar wie ein- Wesen Galaxie 9, aber naja. Wird schon. Rick ist bei ihr- zumindest war er das letzte Nacht. Vielleicht hat sie ihn auch gefressen- wer weiß.“ Damit wollte Juds wieder gehen.
„Wo sind sie?“
„Im Labor- 34.te Ecke 56.te. Er wird sie wohl nicht mit raus nehmen- hoffe ich für ihn.Viel Spass mit deinem neuen Spielzeug.“ Und damit war er weg.
„Au!“ Gary hielt sich den Schädel. Es war zuviel! Zu viele Eindrücke- zu viele Gedanken, die über ihn hereinbrachen.
„Und du willst ein 1000jähriger Mentor sein? Ich mach dir nen Vorschlag. Du gehst heim- und ruhst dich aus. Je näher du ihr anscheinend kommst, desto schlimmer wird es. Wenn es dir etwas besser geht, kannst du sie ja vielleicht mal sehn- vorerst hast du preventives Hausverbot, verstanden?“
„Danke.“ Er schlich sich leidend heim und versuchte, den Schmerz mit Unmengen von Tabletten zu bekämpfen.
„Tisch.“
„Tiesch.“ sagte sie und freute sich. Sie lernte wieder etwas- und er sagte nicht, daß sie eine Frau sei- daß sie zu dumm dazu sei- im Gegenteil- er war ein strenger Lehrer. Das machten sie schon seit 6 Stunden. Es würde wohl dauern, bis sie ihn fragen könnte, wo sie war und warum alles so anders aussah. Aber es gab einen Anfang für ein neues Leben. Und im Moment war ihr alles recht, was nicht mit Waffen, Folter oder Gefängnis zu tun hatte. Da klappte die Tür.
Sie wollte sich sofort verstecken, aber er deutete mit der Hand an, zu warten. Er schlich zur Labortür. Und atmete auf. Judic hatte also seinen Vater geschickt. Das war gut. Er wußte bald nicht mehr weiter- schließlich lernte sie alles Mögliche von ihm- und Dinge ohne Bedeutung zu lernen, war falsch- dann würde sie alles durcheinander bringen. Interessant fand er sie allemal.
„Okay, Lucy. Alles Okay. Keine Panik.“ Er winkte den Dämonenhändler hinein und flüsterte ihm zu, daß er vorsichtig sein solle- und möglichst Französisch sprechen.
Sie lugte hinter dem Tisch hervor und duckte sich ängstlich. Ein seltsam aussehender Mensch- er war bestimmt ein Dämon- mit diesen Augen, die so anders aussahen- und sein Gesicht war viel heller als Ricks. Dschads hatte nicht ganz so komisch ausgesehen- aber er hatte Ähnlichkeit mit ihm.
„Bonjour. Je m´appelle Makushi Katuri.“ Begann er. Sie starrte ihn an. Was schockte sie mehr- ein Japaner oder ein Japaner, der Französisch sprach? Wenn auch in seltsamem Dialekt- denn sie konnte nicht ahnen, daß es ein neues und ein altes Französisch gab.
„Ma-?“ Angesichts der vielen Silben blieb ihr der Mund offen stehen.
„Maku.“ vereinfachte er es für sie.
„O-Kaj.“ Katuri sah den Freund seines Sohnes fragend an.
„Was? Sie lernt schnell.“
Und dann versuchte Makushi ihr das zu erklären, was er selbst nicht verstand. Das sie versteinert war und nun wieder wach- und das sie mitkommen müsse, weil sie nicht hierbleiben könne- und dann würden sie sehen, was sie für sie tun könnten. Während der ganzen Zeit machte ihn etwas unruhig- sie verhielt sich wie ein Tier. Wie eine Wilde, die kaum begriff, was mit ihr passierte. Es war nicht nur der Schock über die neue Welt- da steckte eine viel größere Angst dahinter. Sie vertraute vielleicht Rick ein wenig- aber sie sah ihn mißtrauisch an. Und dann fragte sie etwas, daß sie zutiefst schockieren sollte- welches Jahr es wäre. Sie wurde plötzlich ganz still und zog die Kniee ängstlich an.
„Raymond?“
„Er ist schon sehr lange tot. Er starb im selben Jahr, als sie dich- einsperrten.“ sagte er auf französisch.
„Non!“ schrie sie und wurde zur um sich schlagenden Furie. Makushi packte sie und wollte sie festhalten, aber es gelang ihm nicht und er fing sich einen heftigen Schlag gegen das Kinn ein. Dann beruhigte sie sich wieder und sank weinend zusammen.
„Wir müssen weg hier, Lucy. Sie werden wiederkommen.“ Ihre Augen sagten ihm, daß es ihr egal war.
„Komm. Es gibt so Vieles, was du nun tun kannst, was du nie durftest- oder konntest.“
„Je suis en Creature Horrible!“ weinte sie.
„Ich kenne dagegen etwas- daß dich wieder zum Menschen macht. Versprochen.“ Er half ihr hoch und bedeckte sie mit einer Decke, die ihre Schwingen verstecken sollte, was durchaus nicht einfach war. Dann half Rick ihm, sie nach draussen zu bringen, wo Albert mit dem Privatliner wartete. Dort, kurz vor der Tür, stoppte sie und wollte zurück- aber zum ersten Mal zwang man sie, ein Gefängniss zu verlassen- und sich selbst und ihre Gedanken in eine neue Freiheit zu führen.
„Au! Verdammt!“ Gary fluchte nun schon im Dauerkonzert. Er fegte vor Wut das Glas vom Tisch. Alles kam nun in Sekundengedanken auf- wie Kruschov ihn fand- wie er litt, weil er allein war- Bischof Friedhelms Tod- durch ihn ausgeführt. Die Jahrhunderte, die er erlebt hatte. Aber das Schlimmste waren die Tode, die er gestorben war. Er hatte sich sogar selber fünfmal ins kurzzeitige Jenseits befördert. Einmal allein, weil er den Bischof getötet hatte. Das war er auf keinen Fall wert gewesen, daß wußte er jetzt.Und es war nie so schlimm wie jetzt gewesen- weil er sich da nicht hatte erinnern müssen. Er hatte immer wieder dasselbe Leben verfolgt. Manchmal war es lang genug gewesen, die Erkenntnis zu erreichen, was er war, andere Male war schneller Schluß, als ihm lieb war. Im 20. Jahrhundert hatte er lange gelebt- die 70er und 80er hatten ihm gefallen- also war er mal eben für 68 Jahre geblieben. Er hatte Frauen ohne Ende gehabt- das überraschte Gary, den Junggesellen, schon. Wie konnte ein Mann so nymphoman sein? Das würde er nie jemandem erzählen- man könnte ja glauben, er hätte den Hauptteil seines Lebens in fremden Betten verbracht.
Und zu seinem jetzigen Leben passte es auch nicht- schließlich wußte er nun, warum er enthaltsam lebte. Vor etwa 50 Jahren, im vorherigen Dasein, war er einer Art Vereinigung von Männern beigetreten- einer Art modernem Kloster, die sich geschworen hatten, Frauen nicht mehr anzurühren. Aeon hatte sich wohl etwas verausgabt- jedenfalls spürte er seitdem keinen Bedarf mehr auf Sex.
Die Gedanken dagegen, die Aeon ihm über den Körper von Frauen jetzt einpflanzte, waren geradezu verdorben. Und dann passierte es- der Gargoyle brach heraus und zeigte ihm im Spiegel sein wahres Gesicht. Er schrak zurück. Wie konnte dieses Monster in ihm überlebt haben? Ohne, daß er es gemerkt hatte? Es waren seine Augen- aber alles Andere wirkte fremd und grauenvoll. Ein Dämon mit silbernen Haaren, die wie ein Irokese hochstanden und als Schweif weit über seinen Rücken reichten, mit Knochenwülsten über der Stirn entlang, pochenden Schläfen und raubtierhaft spitzen Zähnen starrte ihn an. Seine Haut wirkte kalt durch den blau- grauen Ton mit einem silbernen Schimmer. Aber das seltsamste war die Kleidung, die mit der Verwandlung gekommen war- er trug Blue Jeans und ein Ramones- T-Shirt.
„Hm. Fehlt nur noch die Lederjacke.“ schmunzelte er überrascht. Sogar Lederarmbänder trug er- und eine Kette mit einem kleinen Anhänger. Er erinnerte sich mit Schmerzen an die Frau, der die Kette gehört hatte. Emily. Er begann zu weinen- und da verwandelte er sich wieder zurück, und von Aeon war nichts geblieben ausser die Erinnerung, wie er sie getötet hatte.
Erst nach Stunden ließ das Fieber wieder nach. Und aus Gary war Aeon geworden. Er sah noch so aus wie immer- aber er fühlte sich nicht mehr so. Das Wissen darum, was er alles schon war- und vor allem, was er getan hatte, war zurück. Aber er würde es nicht einmal Makushi sagen können- denn er hatte Angst vor sich selbst. Der Fakt, daß er wohl dasselbe war wie sie, würde sein Geheimnis bleiben.
Lucy starrte die vorbeischwirrenden Dinge an, die sie immer wieder aufs Neue erschreckten. Es war alles so irreal- sie waren nach oben gestiegen, und nur mit Mühe hatte Makushi sie davon überzeugen können, daß alles in Ordnung sei. Sie war noch nie geschwebt- auch wenn man es eigentlich in der seltsamen schwarzen Kutsche- ohne Pferde, wohlgemerkt, gar nicht merkte. Sie sah es nur, wenn sie aus dem Fenster schaute, was sie nur zögernd tat. Er ermunterte sie dazu, sich alles anzusehen, aber es war einfach zuviel. Sie begann zu weinen und verkroch sich in sich selbst. Sie kam sich so vollkommen falsch in dieser Welt vor. Rick zeigte nach draussen und erzählte etwas. Sie verstand es nicht. Da waren überall Lichter, die nicht von Kerzen oder Talglichtern oder Fackeln stammten. Dann jagten seltsame, laute Ungetüme an ihnen vorbei. Es saßen Gestalten darauf, die lange schwarze Mäntel trugen und deren Gesichter durch seltsame Helme verdeckt waren. Wie schwarze Ritter- aber auf mechanischen Pferden. Sie duckte sich, als plötzlich ein riesiger Schatten auf das Glasdach fiel.
„Das ist nur ein Airliner- nichts Schlimmes.“ wollte Katuri sie beruhigen. Ein riesiges, ovales Ding schwebte über sie hinweg. Sie sah, daß es aus dunklem Glas war und darin viele Menschen waren.
„Es hat sie gefressen!“ stotterte sie zu Makuri.
„Nein. Es ist zum Transport- eine Art große Kutsche.“ Nun sah sie, daß ein anderes dieser Monster unter ihnen angehalten hatte und Menschen und auch andere Wesen ein- und ausstiegen, indem sie über einen langen Steg aus dem Haus kamen und der dann wieder eingezogen wurde, als wäre er die Zunge eines anderen Monsters, das in dem Haus lebte. Und dann donnerte etwas schrecklich laut und sie hielt sich die Ohren zu. Ganz unten, auf der dunklen Erde, die von hier oben wie ein Ameisenhaufen wirkte, zitterte es. Ein Dämon würde wohl direkt aus der Hölle ausbrechen!
Aber Katuri lächelte nur. „Das ist nur die Erde. Sie wackelt manchmal. Hier oben merkst du davon nichts.“ Wenn er das sagte! Sie glaubte, sie sei direkt in der Hölle angelangt. Wenn sie genau hinsah, konnte sie erkennen, wie die Häuser schaukelten, als würden sie auf einem weichen Kissen ruhen. Durch die Fenster konnte man nicht hineinsehen- sie hätte gerne gewußt, wie sich das anfühlte, wenn man da drin stand und plötzlich wackelte alles. Aber es war bestimmt unglaublich gefährlich. Diese Stadt- denn das mußte es sein- war einfach jenseits aller Vorstellungskraft.
Und dann drehten sie in eine Seitengasse- oder wie man diese engen Schluchten nannte. Es wurde schrecklich dunkel- und am Ende öffnete sich ein riesiges Metallmaul und verschluckte sie.
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Sie hockte in der hintersten Ecke ihres gläsernen Gefängnisses. Alles war grell erleuchtet von seltsamen Kerzen, die strahlten, als wären sie Gottes Augen, die sie vorwurfsvoll anstarrten. Wo war sie? Und was waren das für seltsame Dinge um sie herum? Die Menschen allein wirkten wie die Dämonen der Hölle, wie sie überall herumsprangen und seltsame Dinge taten. Sie sprachen in Dinge und drückten darauf herum. Sie kochten seltsame Zaubertränke und alles war so hell und sauber und sie trugen alle weiße Kutten wie Mönche, aber sie waren etwas Anderes- so etwas wie Zauberer. Sie sprachen unverständliche Dinge und sahen sie immer wieder seltsam an. Dann schrieben sie etwas auf und wandten sich wieder ab. Sie wagte nicht, sich zu bewegen noch, etwas zu sagen. Es war alles kalt und beängstigend. Nicht, daß sie sich in ihr altes Gefängnis zurücksehnte- hier konnte sie wenigstens beobachten- aber auch sie wurde angestarrt- und das machte sie innerlich wütend. Und diese seltsamen Gitter, die man nicht sah, aber die sie banden, machten ihr Angst. Sie kannte aus der Burg die kleinen, bunten Butzenscheiben- es war unglaublich, wie schön das Licht durch sie strahlte und alles in tausend Farben hüllte. Aber das hier war kalt und gemein. Es hatte nichts mit Tag oder Nacht zu tun- die Menschen hatten sich eine künstliche Welt erschaffen, in der es nur Licht gab. Und nach neun Jahren der Dunkelheit war es ein furchtbar grelles Licht. Aber wie hatte sich die Welt so schnell verändern können?
„Was macht unsere Schöne denn heute?“ Frank kam herein und sah sich die Beobachtungsergebnisse an. „Du wirst langsam langweilig, weißt du das? Seit drei Tagen hockst du unbeweglich in deiner Ecke. Wie wäre es einmal mit etwas Unterhaltung? Kannst du mich überhaupt hören?“ Er stand vor dem Glasgefängnis und dachte nach. „Gebt ihr doch einmal etwas zu essen. Vielleicht hast du ja nur Hunger?“ Über ihr öffnete sich eine Luke und eine Plattform mit etwas Quiekendem kam herunter. Sie zuckte zurück. Eine Ratte. Sie dachte nach. Vielleicht schlief sie ja nur- das war ein Traum. Sie war immernoch in ihrem dunklen Gefängnis. Und der Ritter war auch da- aber wo?
Quiek.
Langsam tastete sie sich vor- der komische Mensch in langen blauen Hosen und dem seltsamen Ding auf der Nase, durch das er hindurchsah, lächelte aufmunternd. Sie kroch auf allen Vieren etwas nach vorn und packte zu- doch die Ratte wehrte sich auf seltsame Art- sie stach zu. Lucilla zuckte zurück. Der Mensch lachte und die Ratte wurde wieder hoch gezogen. Was war das hier? Innerlich stieg die Wut in ihr hoch. Sie spielten mit ihr!
„So kriegt man eine nette Haut- und Blutprobe, ohne hineinzumüssen- ich liebe diese realistischen Tierchen.“ Er nahm die Ratte von der Plattform und tat etwas an ihr, daß das Tierchen erstarren ließ. Dann nahm er etwas kleines, Durchsichtiges heraus und gab es einem anderen Mann.
„Sei nicht böse- aber woher sollen wir denn wissen, ob du nicht die Pest hast? Ach- wie wäre es mit etwas Musik?“ Er schaltete die Anlage an- was Lucilla sofort zusammenzucken ließ. Eine Frauenstimme ertönte in quäkender, unmenschlicher Höhe. Dazu war irgendwelches Knallen und Brummen zu hören. Sie hielt sich die Ohren zu und begann leise zu wimmern. Wo immer das herkam- es machte ihr Angst. Wann würde sie endlich aufwachen?
Gary schreckte schweißgebadet hoch. Er hatte einen verrückten Traum gehabt. Er war irgendwo gewesen, wo es Pferde gab. Er hatte gekämpft- mit einem Schwert. Und da war Blut- überall Blut.
Ein Krieg. Er fuhr sich durch die Haare und stand auf.
Er tapste zu seiner kleinen Kochecke, die ihm auch als Arbeitstisch diente und nahm sich ein Glas Wasser. Was immer hier los war- es war nicht mehr normal. Seine Hand zitterte und das Wasser schwappte über. Ruhig werden- es war nur ein Traum!
Durch das Fenster seines Mini- Appartments im 5. Stock konnte er die Nacht Tokys sehen. Schwarz. Düster. Bedrohlich. Verboten.
Wer jetzt draussen war, mußte mit allem rechnen. Makushi hatte es da besser. Er lebte da oben- wo auch nachts die Lichter schienen und das Leben etwas schöner und bunter war. Wie er Toky haßte. Aber er war schon immer hier. Gab es jemals ein Leben vor diesen 18 Quadratmetern? Vor der Zeit als Polizist? Wo waren seine Erinnerungen? Es mußte doch welche geben? Er schloß die Augen- doch da war es wieder- Blut. Er trank einen Schluck Wasser, doch es wurde zu Blut. Die Wände stürzten auf ihn ein und er wollte schreien, konnte es aber nicht. Dann war es vorbei. Er stützte sich an die Wand und lehnte seinen Kopf gegen das kühle Metall. Diese Welt war krank- oder vielleicht war er es nur. Wieder schloß er die Augen. Doch diesmal sah er etwas Anderes. Eine Frau- nackt. Sie lag unter ihm und kicherte angetrunken. Das war doch auch nur ein Trugbild! Er hatte nie Interesse an Frauen gehabt- nicht in diesem Leben. Sie waren einfach nichts für ihn. Aus einem undefinierbaren Grund traute er ihnen nicht.
Feste Marzik 1227
Er hob die Streitaxt und zielte. Wenn es wirklich so war, das sie daran schuld war, mußte sie sterben. Dann konnte er vielleicht doch noch glücklich werden. Dieses ganze Leben war die reinste Hölle für ihn. 9 Jahre Klosterschule in Irland waren nur schleppend vergangen- und er war um keinen Tag gealtert- nur sein Innerstes war reifer geworden. Er hatte alles gelernt, was sie ihm beibringen konnten. Aber er wollte kein Mönch sein- und der Abt hatte nur Sorgen mit ihm gehabt. Ständig gab es Zwischenfälle mit den Bauerstöchtern, die ihm den Kopf verdrehten. Nein- zur Keuschheit war er nicht geboren, dafür liebte er den Wein und die Weiber zu sehr. Also war er gegangen- im frühen Morgengrauen. Ohne ein Wort des Abschieds. Er hatte es sich fest vorgenommen. Friedhelm mußte Recht haben. Wenn er sie zerstörte, wurde er wieder zum normalen Menschen. Keine schelen Blicke mehr auf ihn, weil er anders war und seine Mitbrüder es merkten. Und vor allem nicht mehr diese Gier, die ihn regelmäßig zu befallen schien. Er konnte sich an nichts erinnern, was in diesen Nächten passierte- aber im Morgengrauen hatte man meist eine weibliche Leiche gefunden- oder ein Mädchen war blutüberströmt nach Hause gekommen und hatte erzählt, es wäre der Morgenstern gewesen, den die Bauern natürlich nicht kannten. Sie wußten nicht, daß sein Name dasselbe bedeutete, und die Mönche glaubten nicht an die abergläubischen Behauptungen des Volkes, schließlich schien er die Lösung für das Problem im Orient zu sein. Er war dafür bestimmt, die Heiden zu bekehren- in christlicher, friedvoller Mission. Sollten sie nur weiter daran glauben, dachte Eous grinsend. Ich und Heiden bekehren! All eure Gebete und eure Strafen konnten ja nicht einmal aus mir selbst einen frommen Bruder machen!
Er zögerte einen Augenblick zu lange, um es auszuführen. Langsam ließ er die Waffe sinken. Er kniete sich vor sie hin und sah sie einfach nur an. Wie schön sie doch war! Trotz all dem Dämonischen, all dem, was sie zu etwas machte, was nicht Menschlich sein konnte. Er hatte es gespürt- die Liebe, die sie einst fühlte. Und das Leid, das ihr diese Liebe eingebracht hatte. Und trotz allem haßte sie IHN nicht dafür. Sie gab dem Kardinal nicht die Schuld. Wie konnte ein Mensch nur so lieben? Er wünschte, er könnte es auch. Aber das hatte er nie. Er liebte Frauen, weil sie Frauen waren- nicht, weil sie Menschen waren, mit denen man Freundschaften haben konnte. Aber er haßte sie nicht so, wie es der Bischof tat. Er konnte es nicht tun- er konnte sie nicht zerstören und damit töten. Es war nicht des Teufels Liebe, die sie umgab.Und tief in sich faßte er einen Entschluß. Wenn es Gott so wollte- und nur, wenn Gott es wollte, sollte es so sein, wie Kruschov gesagt hatte. Er würde auf sie warten. Er machte seinen Vertrag nicht mit Mutter Kirche noch mit dem Höllenfürsten, sondern mit Gott und ihr.
„Die Maschinen! Verdammt!“ brüllte Frank und sicherte die wenigen Dinge, die er tragen konnte. Es war ganz plötzlich passiert. Jemand mußte verraten haben, daß sie hier Dinge taten, die nicht mit dem zu tun hatten, was ihr Auftrag war. Sie erforschten ein unbekanntes Wesen. Und das war verboten- das dürfte nur die Oberste Regierungsbehörde für zuchttechnische Studien. Und seit Zeth´ “Unfall“ ahnten wohl so Einige, daß hier nicht alles mit ganz rechten Dingen zuging.Er dachte kurz nach. Was sollten sie mit ihr tun? Niemand wagte sich zu ihr hinein- aber wenn sie sie finden würden- was dann? Sie verstand ihn nicht, sonst hätte er ihr ein Versteck erklärt- in der Hoffnung, sie würde zurückkommen und nicht ausbüchsen.
Also tat er etwas, daß er wohl ewig bereuen würde. Er ließ die Scheiben herunter und flüchtete, bevor die Maschinen von der Sondereinheit ihn erwischen konnten und wahrscheinlich gleich eliminierten. Und dann waren alle verschwunden- und Lucy saß immer noch in ihrer Ecke und begriff die Aufregung nicht. Sie hatte sich langsam an das Licht gewöhnt- und die Stimmen sagten oft dieselben Dinge. Aber verstanden hatte sie nichts. Nur etwas wie Maschns- was das auch war. Vorsichtig lugte sie zu der Scheibe, die nun nicht mehr da war. Sie hatte begriffen, daß sie ihr nichts tat, also tastete sie mit der Hand nach vorn. Wenn das nun wieder eine Prüfung war? Sie wollte raus aus diesem Alptraum- weg von hier- zurück nach Paris, daß sie kannte. Etwas sagte ihr, daß Raymond längst tot war. Sie hatte geschlafen, das wußte sie jetzt- aber wie lange?
Vorsichtig kroch sie von der Plattform herunter, die den Boden ihres Gefängnisses bildete und sah sich um. Draussen stampfte etwas Seltsames vorbei. Sie duckte sich hinter den Tisch und spähte hervor. Eine wahre Höllenkreatur stand vor der offenen Tür. Etwas summte und surrte. Seltsame Lichter durchfluteten den Raum. Es klackte, schepperte- und ging dann weiter. Es hatte sie nicht gesehen! Deus ex Macchina! Oder gab es auch noch andere Dämonen hier? Vielleicht war sie hier nicht mehr allein- wo immer und wann immer es war. Auf allen Vieren und an den Boden gepreßt schlich sie zur Tür. Überall waren diese Ritter. Sie liefen aber nicht auf zwei Beinen- sie rollten. Und dann kam ein anderes Wesen- eine Art Mensch, aber er hatte einen riesigen schwarzen Kopf und trug seltsame Sachen- wie eine Rüstung aus Leder. Er winkte den metallenen Rittern zu und dann gingen alle. Sie war wieder allein. Etwas in ihr hatte sie davon abgehalten, ihnen hinterher zu laufen und sie zu rufen. Zu stark war die Angst, wieder eingesperrt zu werden. Auch wenn sie anscheinend etwas gelernt hatte- Menschen waren böse- sie hatten sie wieder gefangen gehalten. Dann waren diese Ritter gekommen und alles war vorbei. Endlich könnte sie wieder frei leben. Und Raymond suchen. Er würde vielleicht doch noch leben. Die alte Verwirrtheit setzte wieder kurz ein- gefolgt von einer Panik, daß alles anders war, als sie es kannte. Aber das war bestimmt nur hier drinnen so- draussen würde es Dinge geben, die sie kannte. Bäume. Pferde. Bauernhöfe. So viel konnte sich doch nicht gleich geändert haben!
Sie wurde eines Besseren belehrt. Vollkommen panisch knallte sie die Tür wieder hinter sich zu und sackte zuckend zusammen. Sie hatte nur wenige Sekunden nach draussen gesehen- aber was sie sah war mehr, als sie begreifen konnte. Alles war so fremdartig, daß sie nie wieder da hinaus gehen würde. Etwas Schwebendes hatte sie fast erwischt, als sie nur den Kopf hinaus steckte. Es war unglaublich laut und voll. So viele Menschen und fahrende Dinger und Lichter und Gerüche und Farben. Da waren weder Kutschen noch Reiter noch Wachen noch Natur oder Burgen. Komische, riesige Häuser oder was immer das war verdeckten die Sonne und glänzten wie Silber. Hilfe! Schrie es laut in ihr. Das war viel schlimmer als die Hölle, die sie in diesem Turm erlebt hatte. Dort war es eng und geschlossen gewesen- aber hier war alles offen! Hier war alles so groß und wunderlich, daß es ihr wirklich Angst machte!
Gary hielt sich die Hand vor Augen. Licht! Schrecklich viel Licht! Aber warum störte ihn das- sonst war er doch froh gewesen, wenn er mal so weit nach oben kam, um die Sonne zu sehen. Aber jetzt war da eine unbegreifliche Angst vor der Welt in ihm. Etwas schien Kontakt zu suchen, um nach aussen dringen zu können.
„Lucilla!“flüsterte es bedrohlich in ihm. Er konnte nur zusammensacken und blieb für einige Minuten halb ohnmächtig, weil die Eindrücke und der Hass auf die Welt zu groß wurden.