Ich freue mich über jede konstruktive Kritik. Leider verträgt sich mein erstellter Text nicht ganz mit den hiesigen Darstellungsmöglichkeiten, deshalb im Voraus sorry für seltsame Leerstellen...
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Ich wurde anscheinend von einem Vogel geweckt, der vor meinem Fenster sang. Er hüpfte auf dem Efeugewucher des Baumes herum und zwitscherte in den schönsten Tönen. Ich sah ihn kurz an- bis mir bewußt wurde, daß es das Klopfen an der Tür gewesen war, daß mich aus seltsamen Träumen geweckt hatte. Es war sechs Uhr, wie mein Wecker verriet- der dummerweise anscheinend nicht mehr funktionierte. Wir wollten noch Einiges aufräumen, bevor die Handwerker kamen, also hatten wir beschlossen, zeitig aufzustehen. Ich rief, daß ich kommen würde und quälte mich aus dem doch nicht so bequemen Bett. Mein Gesicht verriet, daß es gestern recht spät gewesen war, als wir aufhörten, allen möglichen Kram auszusortieren und gleich erstmal eine Müllstation eröffneten. Ich hatte nicht gedacht, daß es hier soviel Krempel gab, der wohl noch von Großvater Wilson war- denn Richard kannte Vieles davon nicht. Aber nun war es überschaubar.
Von außen muß es seltsam ausgesehen haben, als das große alte Haus plötzlich seine Augen öffnete. Alle Vorhänge verschwanden- und wir gingen raus, um etwas staubfreie Luft zu schnappen und die Läden zu öffnen. Und wie erwartet bot sich an einem Montag Morgen, selbst um diese frühe Zeit ein ganz anderes Bild des Ortes. Einzelne Autos fuhren schon zur Arbeit, der Zeitungsjunge fuhr herum- und die Ortsansässige Müllstation brachte den bestellten Container, damit wir auch ja nicht aus der Übung kamen. Jetzt zwitscherten auch die Vögel und die Luft war noch angenehm kühl von der Nacht- aber es würde wieder so ein schrecklich heißer Tag werden. Richard setzte sich kurz auf die Verandatreppe und ich sollte mich danebensetzen.
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Mr. Jacobs öffnete die Tür zu seiner Veranda und schlürfte in seinen alten Morgenlatschen zur Zeitung. Er sah überrascht auf das alte Haus, welches von seinem Haus aus von dem der Morrisfamilie halb verdeckt wurde. Er sah, wie Richard die Fensterläden öffnete- und er sah die junge Frau, die bei ihm war. Sie setzte sich neben ihn- und sie unterhielten sich. Es war nicht seine neue Freundlin- das wußte Jeder im Ort- auch er als alter, einsamer Mann. Der Dorftratsch ging halt an niemandem vorbei. Sie war das, was es nicht geben sollte. Nicht wieder.
„Warum tust du ihr das an, Junge?“ murmelte er traurig und ging wieder hinein, um seinen Kaffee zu trinken.
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„Und- wie war die erste Nacht im fremden Haus?“ Er genoß etwas die Sonne und machte die Beine lang.
„Abgesehen von der doch etwas durchgelegenen Matratze- ging so.“
„Wußtest du eigentlich, daß das, was man in der ersten Nacht in einem anderen Bett träumt, wahr wird?“
„Oh.“ Ja- den Spruch kannte ich- und wenn das wahr werden würde- ohoh.
„Was hast du geträumt?“
„Ähm- nichts- ich weiß nicht- kann mich nicht erinnern.“ sagte ich schnell.
„Lügnerin. Wir haben eine Vereinbarung- immer offen und ehrlich- was war es?“
„Wenn ich das sagen würde, dann würden sie mich feuern.“
„Dann muß ich es erst recht wissen.“
„Tut mir leid- das ist privat. Das kann ich ihnen nicht sagen.“ Verlang das nicht von mir- das nicht!
„Dann muß ich dich entlassen- ich will nicht, daß du Geheimnisse vor mir hast, verstanden?“ War er denn so begriffsstutzig? Aber wenn er es unbedingt wollte- was würde der so moralisch einwandfreie Richard dazu sagen? Oh toll- das hab ich auch geträumt?
„Richard- das wollen sie nicht wissen, okay?“
„Doch.“ Er grinste. Was ahnte er? Vor allem- ahnte er überhaupt was? Oder fing das jetzt schon an- diese Spielchen- Katz und Maus- und am Ende heult wieder Einer, weil es zu heftig wurde.
„Nagut- wir trieben es wild und hemmungslos auf ihrem Art deco Eßtisch und ihre Mutter kam rein und sagte: Junge- hast du´s endlich begriffen? Reicht das?“ plapperte ich so schnell, daß er hoffentlich nicht alles verstanden hatte. Aber es ratterte- und dann sah er mich ernst an.
„Das hast du nicht wirklich geträumt, oder?“ Er wirkte vollkommen verwirrt.
„Sie glauben doch nicht etwa an solche Träume? Das ist Quatsch- hören sie? Vergessen sie das alles wieder- wir wissen Beide, daß das nie passieren wird- ich träum dauernd solche Sachen.“
„Du träumst von Sex mit Männern, die du erst kurz kennst. Dauernd.“ Das war keine Frage- das war eine Feststellung- sowas wie- oh- du bist also schon 28.
„Ich lern nicht dauernd Männer kennen, wenn sie das beruhigt.“
„Wild und hemmungslos also.“ Er nickte.
„Richard? Hören sie auf, darüber nachzudenken, okay? Wenn sie wild und hemmungslos sein wollen- hier ist ein Müllsack- da rein werfen- verstanden?“ Ich drückte ihm den Sack mit den alten Zeitungen in die Hand und beeilte mich, fort zu kommen. Das war ein Fehler gewesen- ich wußte es. Nun war wohl klar, daß wir eben nicht die allerbesten platonischen Freunde sein könnten- weil- naja- weil ich mir anscheinend auch mehr vorstellen konnte, was beunruhigend war. Und es wohl etwas gab, was mich von ihm unterschied- ich hatte kein Problem mit allen möglichen Versionen von Sex- aber er? Was war da wirklich los? Ich brauchte Jemanden, der ihn kannte- und der mir etwas sagen konnte, daß nicht mit Mama und Söhnchen zu tun hatte. Etwas über Richard- und warum zum Teufel er manchmal so seltsam reagierte. Hatte er am Ende eine heimliche Geliebte, die er Mama verschwieg- und ich war das Alibi? Ich räumte stillschweigend die Säcke auf die Veranda- und er schleppte sie zum Container. Arbeitsteilung ohne Absprache- aber der Tag war wohl gelaufen. Jetzt dachte er sonstwas von mir- denn das sagte sein Blick. Ich würde ihn nicht enttäuschen, würde keine fremden Männer anschleppen- aber wenn man ständig das Täubchen vor der Nase hatte- wer wollte da noch den Spatzen? Es war eindeutig zu weit gegangen, das wußte ich jetzt. Er weckte Timmy und wir frühstückten stillschweigend. Timmy brachte er heute zu Robert und Julie, also war ich eine Stunde allein mit den Handwerkern und hatte Zeit zum Nachdenken. Was war daran so schlimm? Ich meine- ich hatte es ihm ehrlich gesagt- er wollte es wissen. Hatte er ein Problem mit solchen Phantasien? Oder hatte ich da etwas unbewußt getroffen, daß ihn ebenso beschäftigte? War wohl wieder so ein deutsch- amerikanisches Problem. Ich sollte nicht so offen sein, verdammt!
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Mr. Jacobs blickte aus seinem Lehnstuhl auf der Veranda zum Wilson- Haus und schüttelte nur mit dem Kopf. Er beobachtete es schon den ganzen Morgen. Sie schienen alles verändern zu wollen- alles neu zu machen. Dabei wußte doch Jeder- selbst Richard, daß man manche Dinge lieber nicht wecken sollte. Und beim Alten lassen. Der Junge hatte es all die Jahre geschafft, und niemand hatte mehr an diesen Fluch geglaubt, aber nun schien er ihn mit allen Mitteln herausfordern zu wollen.
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Nach stundenlangem Hämmern, Bohren und Poltern waren erste Erfolge zu sehen. Ich hatte mich in die Küche verkrochen und versuchte, zu ordnen, was von all dem noch verwendbar war. Weder die Gewürze noch die anderen alten Zutaten waren noch in gutem Zustand- also warf ich alles raus. Und da tauchte wieder der Mann auf, dem ich eigentlich aus dem Weg gehen wollte- vorerst. Richard setzte sich an den Tisch und war etwas genervt von dem Lärm.
„Warum so still?“ fragte er leise.
„Ich sollte meine Aussagen auf ein vernünftiges Minimum begrenzen.“
„Das wäre schade- ich gewöhn mich grad an deinen freien Umgangston. Kommst du bitte mit, die neue Küche aussuchen? Ich hab keine Ahnung davon, was wichtig ist und was Schnickschnack. Aber du solltest dir was Sauberes anziehen- wir fahren in die Stadt. Viertel Stunde, okay?“
Na toll. Jetzt mußte ich auch noch allein mit ihm im Auto sein. Es waren 30 Minuten bis zur Stadt- viel zu lange, um nichts zu sagen. Aber wenn er es so wollte.
Wir ließen das Haus unter den wachsamen Blicken des Vorstehers allein zurück und fuhren los- in seinem Chrysler. Es war ein Monsterteil. Angeberschlitten, wie ich es nannte- mit allen Schikanen. Solche Autos fuhren Männer, die es im Bett nicht mehr brachten,schwirrte es mir durch den Kopf. Nein- nicht Mr. Wilson. Der war noch nicht so alt. Hatte sicherlich ne Stange Geld gekostet- aber was machte das schon? Wer seiner Haushaltshilfe 4000 geben konnte, konnte auch so einen Schlitten fahren. Wir kamen aus dem Ort heraus- und anstatt weiterzufahren, bog er in einen Sandweg ein. Hier war bestimmt kein Küchenstudio versteckt- also was hatte er vor? Mir wurde mal wieder bewußt, daß ich ihm zu sehr vertraute- und das das heut früh wie ein Freischein geklungen hatte. Verdammtes Mundwerk!
Er hielt am Eingang zum Wald und stellte den Motor ab. Und mir wurde Angst und Bange.
„Okay- wir sind hier vollkommen allein. Keiner, der etwas hören könnte. Also schön. Ich muß mit dir reden.“ Er wandte sich mir nur kurz zu.
„Äh- Und im Haus geht das nicht?“
„Dieses Haus ist anders. Und dieser Ort. Dort denken alle, ich bin absolut frei von solchen Gefühlen. Ich hab noch nie darüber gesprochen- und es fällt nicht leicht. Nicht einmal mein Bruder weiß davon- und wir erzählen uns alles.“ Gefühle? Hallo? Ich kenn sie keine 24 Stunden, und soll schon ihr Gefühlsleben analysieren? Warum mußten Amerikaner immer so offen sein? Konnten die ihre Probleme nicht für sich behalten? Da wurde alles so lange beredet, analysiert und ausgebreitet, bis es unspektakulär war, einen Menschen noch näher kennen zu wollen- man kannte ihn ja schon, war durch sämtliche Tiefen seines Daseins geführt worden und hatte zu allem gelächelt und ihn ermutigt, er sei normal. Aber das brauchten die wohl. Weil sie es selbst nicht schafften, sich als Individuum zu sehen.
„Und sie wollen es mir erzählen? Warum?“
„Weil du so frei denkst. Weil du- mir vielleicht helfen kannst- keine Angst- so ist das nicht gemeint. Ich brauch nur Jemanden- zum Reden. Es gibt hier niemanden, der so frei darüber spricht- Gott- ist das schwer.“ Echt nicht? Hier sagte doch jeder frei von der Leber weg, was er dachte- oder etwa nicht??? Und alle waren doch so sexuell befreit, das sie damit kein Problem hatten. So taten sie jedenfalls immer. Wie frustriert man sein mußte, um darüber zu sprechen, es aber nicht zu tun, sollte mir bald klar werden.
„Vorteil deutscher Frauen- wir nehmen kein Blatt vor den Mund. Erzählen sie mir ihr Leid- mal sehen, ob ich ihnen eine Antwort geben kann.“ Ich atmete tief durch. Das wurde hier die Offenbarung eines sexlosen Amerikaners, keine Frage. So hatte ich mir den Job wohl nicht vorgestellt- gestern das mit Emma- heute allein auf einem Waldweg- was kam Morgen? Ich bin übrigens ein Massenmörder?
„Ich bin 38, ich hatte erst zwei Frauen in meinem Leben und für die war alles, was jenseits der Missionarsstellung liegt nicht akzeptabel. Wenn du mir von hemmungslosem Sex auf Tischen erzählst hat das eine ziemlich extreme Wirkung auf mein Gefühlsleben- und ich weiß nicht, ob das so gut für unser Verhältnis zueinander ist. Punkt.“
„Oh-kay.“ ich atmete tief durch.
„Und um es noch genauer zu analysieren- während der letzten 6 Jahre nahm ich an, ich wäre impotent und Timmy wäre ein Glückstreffer. Noch Fragen?“ Das fiel ihm sichtlich schwer.
„Wenn sie sagen- sie nahmen an, sie wären- dann- oh.“ Also das war die eigentliche Reaktion gewesen- bei Mr. Wilson hatte sich ein vergessenes Körperteil geregt. Interessant. Viel erschreckender- die Theorie mit dem Auto stimmte. Oh Gott- wo war ich eigentlich gelandet? Aber ich konnte es also noch. Naja- Amerikaner waren leichte Opfer. Nun mußte ich mich wohl nur noch entscheiden, ob ich es drauf ankommen ließ- denn das schien er ja wohl wissen zu wollen- warum erzählte er mir sonst all das?
„Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich mich darüber freuen soll oder es vergessen, weil du es warst, die es auslöste. Tu mir einen Gefallen- kein wild und hemmungslos mehr in meiner Gegenwart.“
„Alles klar. Wir- schweigen. Ich möchte, daß sie wissen, daß ich nicht so eine Frau bin, die mit jedem Mann ins Bett geht- ich hab meine Prinzipien. Ich werd nicht mehr drüber reden, wenn sie es nicht wollen.“
„Nur noch eins: Sag mir, daß ich nichts verpaßt habe.“
„Tut mir leid- das kann ich nicht.“ Es wäre eine große Lüge- und die tat ich ihm nicht an. Dieser Mann hatte wohl 20 Jahre lang alles Gute verpaßt- und er tat mir verdammt leid. Es wäre kein Mitleidsding- ich wollte ihn ja irgendwie schon vorher- aber das machte alles komplizierter. Versagensängste, das Gefühl, keine Ahnung zu haben- das konnte ich ihm nicht antun. Außer, wenn er damit anfing.
„Und ist es schon zu spät, um es nachzuholen?“
„Naja- dann sollten sie aber langsam mal aktiv werden- ich meine- eine Frau dafür suchen- Gott- sie erwarten hoffentlich nicht von mir, daß ich ihnen dabei helfe?“
„Nein- natürlich nicht- obwohl es nett wäre, wenn du mir so ein paar Tipps gibst, wie Frauen so ticken heutzutage- ich meine- ich hab keine Ahnung, ob ich da überhaupt Chancen hab.“
„Glauben sie mir- sie haben die besten Chancen- und wenn alles nichts hilft- erwähnen sie ihr Gehalt- das wirkt sehr überzeugend.“
„Genau das will ich aber nicht- ich will nicht für mein Geld geliebt werden. Sind denn alle Frauen so?“ Dann bleib ich lieber allein, schien er sagen zu wollen.
„Ich wär auch für 1000 geblieben- und würd sie genauso behandeln. Aber da bin ich wohl die Ausnahme.“
„Verstehen sie jetzt, warum ich noch immer allein bin?“
„Ich glaub, sie haben eine komplexere Problemstruktur als zuviel Geld, das falsche Frauen anlocken könnte. Davor können sie sich sehr gut schützen, wenn sie schlau sind- aber vor dem Anderen nicht.“
„Und das wäre?“ Er wußte es eigentlich, aber wie in allem Anderen brauchte er wohl eine zweite Meinung.Wer hatte die ihm eigentlich sonst gegeben? Die Frage erübrigte sich eigentlich, wenn man sich sein bisheriges Leben besah- er hatte nichts dagegen getan.
„Ihre Angst- sie haben Angst vor allem, was ihnen zu nah gehen könnte. Sie engagieren mich, weil sie zwar einsehen, daß sie eine Frau brauchen, aber die Distanz suchen. Weil sie nicht wieder von einer Frau beherrscht werden wollen. Ihre Kontrolle über mich ist dieser Job- und weil ich kein Duckmäuschen bin, kann ich in ihrer Familie auch so bestehen. Korrigieren sie mich, wenn sie andere Gründe haben, so einen unorthodoxen Menschen wie mich auf ihr Haus loszulassen- denn wir sind uns wohl einig, daß ich bei dem Test der Haushaltshilfen im Bereich Untergebenheit eindeutig durchfalle.“
„Und deshalb brauch ich sie- treten sie mir in den Hintern, wenn sie es für nötig halten.“ Und bringen sie mich an die Frau- an eine Andere als sie- das war meine Grenze. Und verdammt- auch wenn es weh tat- ich würde es tun. Dieser Mann hatte die tollste Frau der Welt verdient- eine die ihn liebte, weil er so verletzlich war- eine, die seinen Sohn verstand- eine, die seine Mutter bändigte. Eine, so wie ich- aber eben nicht mich.
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Ich wußte in diesem Moment nicht genau, was er mir verschwieg. Was dieses Haus so anders machte. Warum er Abstand suchte und doch zum Wiederholungstäter wurde. Hätte er es mir damals gesagt, hätte er mich gewarnt vor dem, was passieren würde- vielleicht wäre ich an dieser Stelle aus dem Spiel ausgestiegen. Aber er tat es nicht. Und selbst jetzt, da ich alles zu wissen meine, kann ich ihm nicht böse sein. Er wagte sich in diesem Moment weiter vor, als er es wohl hätte tun sollen. Aber manchmal können wir das, was wir tun und denken gar nicht beeinflussen- manchmal ist es unser Schicksal. Und manchmal- da sehen wir einen Menschen, und wir wissen, er ist nicht gut für uns, sein Umfeld will unseren Niedergang- aber wir lieben ihn trotzdem. Wir beschliessen, für diesen Menschen zu kämpfen, obwohl wir wissen, das wir der Verlierer sind. Ich wußte es wohl damals schon, ahnte, daß da etwas lauerte, etwas, daß er nicht offen zeigte. Das dieser ganze Ort mir verheimlichte- und ich akzeptierte es vorerst. Weil manche Dinge besser unentdeckt bleiben.
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Nach stundenlangen Entscheidungsfragen war das neue Stück ausgesucht- cremeweiße Front, neueste Technik- und passend zum Haus mit Bleiglasfenstern und ein paar netten Griffen. Man nannte das wohl moderner Landhausstil- und ich dachte die ganze Zeit daran, daß es für ihn wohl eine Art Vorbereitung für eine neue Frau war- der er was bieten konnte. Mir dürfte das nicht weh tun- es war mein Job- dafür war ich hier. Ich dürfte nicht so viele Gefühle für ihn aufbauen, denn sonst ging ich kaputt daran. Aber war er nicht Mister Right für mich? Er hatte Geld, er sah gut aus- er war ein wundervoller Gesprächspartner und sein Sohn war ausbaufähig- und dann mußte er ausgerechnet mein Boss sein, mit dem ich besser nichts anfing. Das war wohl das wahre Schicksal für mich.
Wieder daheim stellten wir fest, daß die Arbeiter fertig waren- es war unglaublich- ebenso unglaublich wie der Staub, der in diesem Monsterraum, der Dreiviertel des Erdgeschoßes einnahm, herumlag. Es hieß also ordentlich saubermachen- dann konnten wir morgen die Farben aussuchen und streichen- oder erstmal Tapeten entfernen, wie mir schnell klar wurde. Es gab jetzt zwei Säulen statt der einen Wand im neuen Eßzimmer, und der Wohnraum gliederte sich durch schmale Mauerreste der alten Wand, die den Aufleger für die Decke hielten. Da mußte noch dran gearbeitet werden- aber zumindest war es machbar, in einer Woche alles so weit zu haben, daß die Küche kommen konnte und hier endlich wieder Ordnung herrschte. Ich fühlte mich irgendwie wie zu Hause, was wohl daran lag, daß ich alles mit aussuchen dürfte- das war fast so etwas wie mein Haus. Der kleine Egoist in mir pisakte mich plötzlich. Gäbe es noch diese eine Sache zwischen ihm und dir- dann wäre es deins, oder? Dann wärest du Eine vom Wilson- Clan. Du mußt nur das Aufnahmezeremoniell anstreben. Was wohl darin bestand, den vernünftigen Richard um den Verstand zu bringen. Und im Krieg und in der Liebe war alles erlaubt. Böse Betty- ich konnte doch nicht- oder doch?
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Ich lag lange wach und dachte nach. Seine Tür war direkt gegenüber. Und ich hatte ihn einfach so aus der Fassung gebracht- mit Worten. Was würde er tun, wenn ich plötzlich das schwere Geschütz auffahren würde- wenn ich ihn verführte? Aber war das Liebe? Wollte ich ihm das antun? Ich wäre nicht besser als Emma, wenn ich ihn mir schnappte, weil ich dieses Haus wollte- weil ich eine Familie wollte. Das war egoistisch- und nicht in seinem Interesse. Aber vielleicht konnte ich ihm einen Gefallen tun. Wir waren so offen zueinander- ich konnte ihm ja ein paar Tipps geben- so nach und nach. Er würde gar nicht merken, daß ich ihn zu dem Mann formte, der nur bei mir landen konnte- und wenn es mit den anderen Frauen nicht klappte, käme er weinend zu mir- und ich müßte ihn trösten- und bei der Gelegenheit-. Gott, war ich böse. Daran sollte ich gar nicht denken- aber warum spielte mein Herz so verrückt- warum wollte ich gar nicht, daß es eine andere Frau gab? Warum wollte ich, daß er nur mit mir glücklich war? Auch wenn das vielleicht hieß, es würde nie etwas passieren zwischen uns- und wir würden zusammen alt werden- wie Miss Daisy und ihr Chauffeur- und irgendwann stellen wir fest, daß es dumm war, diesem Gefühl nicht nachgegeben zu haben. Aber vielleicht hieß es einfach- abwarten, das Beste draus machen und ihn ein wenig pisaken, damit er nicht vergaß, was er noch alles erleben wollte. Damit er wußte, daß noch alles an ihm lebendig war.
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Dienstag. Der Tag, an dem ich gleich mehrere Dinge feststellen mußte und Beschlüsse faßte.
Wir hatten Nachbarn- lebendige- wie überraschend. Und die wußten Dinge, die ich auch gern wüßte, aber die man wie immer erst langsam herausfand- und am Ende denkt man sich- ich habs doch gewußt.
Eine Küche kostete 60000 Dollar, wenn man es richtig machte. Und so ziemlich alles konnte man von der Steuer absetzen- auch Haushaltshilfen.
Etwas war faul in diesem Haus- und ich spreche nicht von nassen Kellerwänden- die blieben mir verborgen. So mysteriös es klingen mag- etwas wurde durch die Bautätigkeit geweckt- zumindest dachte ich, das wäre gemeint.
Heute fing ich an, die Tage zu zählen. Ich war am Sonntag, den 24. Juni hierher gekommen. Also ist heute der zweite Tag meiner Arbeit.
Timmy ist ein sehr seltsames Kind, auf das ich einen Blick haben sollte. Dafür, daß er seinen Vater kaum sieht, hängt er sehr an ihm- normalerweise sind Kinder sauer, wenn Eltern nie Zeit haben- aber dieses Kind ist vollkommen überzüchtet- anders kann ich es nicht nennen. Er verhält sich, als wäre er nicht 6 und ein kleiner Junge mit Flausen im Kopf. Ich wäre froh, wenn er mal eine Scheibe einschiessen würde- dann wüßte ich, daß er noch lebt.
Ich war unantastbar, solange der Clan zu mir hielt- aber wehe, ich tat etwas Unbedachtes.
Aber vielleicht sollte ich das alles genauer erklären.
Diesmal war mein Wecker vorbereitet, denn im Küchencenter gab es Batterien- was mich genau in dem Moment ablenkte, als der Preis für das neue Kochrefugium fiel- und ich behaupte, es war Richards Berechnung, mich über seine finanziellen Mittel im Unklaren zu lassen. Das war zwar überflüssig, denn schließlich war ich nicht so dumm, an den Weihnachtsmann zu glauben, aber als ich zufällig die Rechnung entdeckte, dachte ich schon darüber nach, wieviel Geld das wirklich war.
Er telefonierte gerade mit seinem Steuerberater- so klang es zumindest- und ich hatte mich auf die Veranda verzogen- was bei angekipptem Küchenfenster eigentlich überflüssig war- und obwohl ich nicht lauschen wollte- so Eine bin ich nicht- erfuhr ich doch so Einiges. Da wurde mal eben die gesamte Instandsetzung des Hauses und die Einrichtung von der Steuer abgesetzt! Deshalb wohl die geplanten Geschäftsessen und das Büro im Haus. War das eigentlich legal? Mir sollte es egal sein. Aber als Krönung erfuhr ich noch, wie bedeutend meine Position in diesem Haus war- ich wurde als Haushaltshilfe ebenfalls abgesetzt. Sämtliche Ausgaben für mich- und das hieß, ich würde alles kriegen, wenn ich nett war- gingen mal eben an Vater Staat vorbei. Gott- wenn sie dich damit erwischen, bist du dran- wer glaubte ihm denn schon, daß eine Hilfe so geschäftswichtig war? Andererseits war dieses Volk für seine Angst vor der Steuerbehörde bekannt- die wußten, was legal war. Wahrscheinlich hatte ich nur keine Ahnung, und das war alles ganz normal. Aber von mir erfuhr niemand etwas. Ich fragte mich nur gerade, ob man Ehefrauen vielleicht nicht absetzen konnte und das ein Grund war, mich einzustellen. Oder weil man mich im Gegensatz zu einer faulen Ehefrau feuern konnte- aus den Augen, aus dem Sinn. Dieser Mann war vielleicht nett- aber berechnend ohne Ende. Ich sollte besser aufpassen. Und dann wußte ich es- er war Schotte. Seltsam, daß der plötzlich Geld ausgab- aber wenn man dieses Haus im bisherigen Zustand betrachtete, war mir alles klar- auch nach fast 200 Jahren waren die Wilsons ihren Wurzeln treu geblieben. Dafür war er dann mir gegenüber sehr gönnerhaft- aber wer weiß, was Emma für einen Lebensstil geführt hatte- ihr Zimmer sah nicht so aus, als würde sie im schwedischen Möbelhaus kaufen. Ich mußte dringend wissen, wie sie so war- wirklich- nicht in seiner Phantasiewelt, die neulich einen verdammten Riß gekriegt hatte.
Ich fühlte mich beobachtet, aber als ich mich umsah, bemerkte ich niemanden als einen alten Mann, der sich nach seiner Zeitung bückte. Er mußte in dem kleinen Haus gegenüber der Wendeschleife, hinter diesem Puppenhaus, wohnen. Sein Blick streifte mich nur kurz, aber mir war so, als wäre da etwas, was mir eiskalt den Rücken runterlief. Plötzlich war es kälter geworden. Aber das bildete ich mir wohl nur ein. Als er wieder ging, war alles wie zuvor.
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Jetzt, gegen 10 Uhr, erwachte diese Strasse zu echtem Leben. Richard mußte heute nochmal weg- in die Stadt- ich nehme an zu einem gewissen Arzt, dessen Funktion er nicht aussprechen wollte. Es war ihm peinlich, psychisch angeschlagen zu sein (irgendwie seltsam- andere sprachen offen von den Ratschlägen ihrer Therapeuten), das merkte man, aber er hatte es Gott sei Dank eingesehen- ohne, daß ich ihm das raten mußte. Ich war schließlich nicht sein Kummerkasten, auch wenn ich mehr mitmachte, als das wohl je zuvor eine Haushaltshilfe tat. Ich übte mich in Diskretion und redete nicht mehr darüber, daß war wohl das Beste.
Und nun passierte so etwas wie der spontane Auflauf alleingelassener Hausfrauen. Da buddelte Eine im Garten, die Nächste schüttelte einen Staublappen aus- und als ich aus den Schatten des Wildwuchses trat, wußte ich, daß sie mich sahen- auch wenn sie es nicht taten. Eine dieser Vorortdamen trippelte gerade in akkorater Rückenhaltung und mit geflochtenem Einkaufskorb und Täschchen auf der anderen Seite der Wendeschleife vorbei und hielt vor diesem besonders dekorierten Puppenhäuschchen, vor dem gerade noch Miss Maulwurf bei der Arbeit war. Die Beiden grüßten sich- und schon gab es die militärische Rottung, die Frauen immer dann befiel, wenn es etwas Neues gab- also immer. Und in dem Fall mich.
Wenn die glaubten, ich sähe sie auch nicht- Fehlschlag- ich war bereit für den Frontalangriff, straffte die Schultern, Brust raus Babyspeck rein und trat in den Krieg- in dem Fall war meine Waffe das Zuckerwaffellächeln amerikanischer Familienwerbespots, das ich wirklich- kein Scherz- erst vorm Spiegel gelernt hatte, als ich in diesem positiven Land ankam. In Deutschland hätte man es wohl zur Gesichtsentgleisung degradiert. Und zu empfehlen war es im Alltagsgebrauch nur nach reichlich Übung- ein Kiefermuskelkrampf konnte sämtliche Kommunikation unmöglich machen.
Amerikaner hatten den entscheidenden Vorteil, daß sie diesen Gesichtsausdruck schon mit der Muttermilch saugten, während Deutsche eher diesen unsympathischen Muskel zwischen den Augen verwendeten, um jedem klar zu machen: Sprich mich nicht an- ich bin böse. Man konnte das Ehrlichkeit nennen- für mich war es Selbstmitleid. Nicht, das es besser war, den ganzen Tag rumzulaufen, als wäre man auf Valium- und ich weiß, daß das so mancher Amerikaner schafft- und irgendwann nimmt dieser Mensch eine Waffe und erschießt sich, weil er ja so glücklich ist. Ich habe bis heute nicht herausgefunden, was besser ist und wählte schon damals den Mittelweg- sei ehrlich und nett- und schlucks runter, wenn es deutsches Denken ist. Und so trat ich dem Feind vor´s Gesicht.
„Hi!“ strahlte ich den Komplott an und wußte in dem Moment, daß es schwer werden würde. Hier herrschte Rangordnung am Freßnapf- und ich war die Freche, die sich vorgedrängt hatte.
„Oh- Hallo- sie sind wohl die Neue?“ Auf diesen Spruch fiel mir immer wieder die eine Antwort ein, die ich aber nie aussprach: „Wieso- Gibt es auch eine Alte?“ So unpassend es gewesen wäre- hätte ich es nur getan. Es hätte mir sehr viel erspart, denn dann wäre ich wegen offizieller Kriegserklärung gegen die nachbarliche Freundlichkeit gleich rausgeschmissen worden. Ich lächelte also und sagte:
„Ja- ich bin Miss Betty- so nennt mich Mr. Wilson jedenfalls. Ich bin seine neue Haushaltshilfe. Und sie sind die Nachbarinnen, die mich genau beobachten werden, nehme ich an?“ Gewagt, aber mit dem passenden Schmunzeln lockerte es die Spannung.
„Mit dem Humor passen sie zum Clan. Ich bin Mrs. Morris, das ist Mrs. Sanders- und das Mrs. Ewerick- Birkenstein. Willkommen in Timbletown.“ Sie war eine schlanke Mitvierzigerin in Jeans und Karohemd, die vollkommen unscheinbar schien, aber anscheinend das Sprachrohr der drei Grazien bildete. Ihre Haare waren streng nach hinten gebunden- also äußerst praktisch. Sie hatte mit Sicherheit Kinder- man sah es einfach.
Mrs. Sanders war ebenfalls eine schlichte Frau- kein Make Up, Sommersprossen, Brille, kurze blonde Haare. Und ein T-Shirt, daß ihr zu klein war. Über ihre Hüftrollen reden wir lieber nicht.
Und dann war da Mrs. Ewerick-Birkenstein. Nunja- der Name war Programm. Vor 20 Jahren war sie sicherlich einmal eine attraktive Frau gewesen, nur leider hatte noch niemand die Kunde vom Ende der 80er bis zu ihr getragen. Rosa Lippenstift und knallrote Nägel machten nicht jünger! Und ein kurzer Rock wirkte nur gut, wenn nicht die Krampfadern aus den viel zu engen Pumps quollen. Warum war ich nur immer so vernichtend mit meinen Urteilen? Die 3 schienen sehr nett zu sein- aber das konnte auch täuschen. Doch irgendwie mußte ich ja einen Anfang finden, und mehr als höflich sein konnte ich nicht- das Urteil war leider ihnen überlassen.
„Wir waren schon erstaunt, als Richard diese Annonce aufgab- von ihm hätten wir es nicht erwartet. Aber so täuscht man sich. An sich hat doch Cecil immer alles für ihn getan- unverständlich, daß sie nicht wieder einzieht- jetzt, wo er so wenig Zeit hat für Timmy.“
„Ich nehme an, Cecil ist Mrs. Wilson- seine Mutter?“
„Oh- sie war sicherlich sehr streng zu ihnen- das ist verständlich. Aber machen sie sich keine Sorgen- Richard ist hier sehr angesehen, da vergibt man ihm sicherlich auch das.“ Häh? Wieso wurde ich dieses Gefühl nicht los, daß alle dachten, ich wäre der Feind in seinem Bett? Die heimliche Geliebte?
„Wissen sie- sie sollten sehr vorsichtig sein. Der Clan ist sehr stark- ich möchte ihnen nicht wünschen, daß sie daran zerbrechen. Sie wären ja nicht die Erste.“ murmelte Mrs. Sanders mehr zu sich selbst.
„Wie meinen sie das?“ fragte ich nach. Die Drei sahen sich wissend an, dann schienen sie meine Frage einfach zu vergessen.
„Und er macht das Haus jetzt neu, nicht wahr?“
„Ja. Er reißt die Wände raus und so- damit mehr Platz ist- und vor allem mehr Licht.“
„Wissen sie, warum er das tut?“
„Nein.“ log ich. Ich hatte natürlich meine Theorie- aber die ging niemanden etwas an.
„Vielleicht denkt er, daß er sie damit vertreibt.“ Mrs. Morris starrte auf das alte Haus- als würde sie jemanden darin suchen.
„Dafür tut er aber das Falsche.“ murmelte Mrs. Sanders- wahrscheinlich war das ihre Form von Kommunikation, die ich mehr als lautes Denken bezeichenn würde.
„Miss Betty?“ rief Richard mich von der anderen Seite hinüber. Die Arbeit wartete also- und ich stand vor einem schwarzen Loch, daß mich anzog. Hier war gar nichts so, wie es sein sollte.
„Er weckt sie.“ meinte ich von Fräulein 80er Jahre noch zu vernehmen, als ich mich verabschiedete und schnell zu ihm rüberlief- es sollte ja nicht heißen, ich stände auf der Strasse rum und würde tratschen.
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„Was gibt es denn?“ fragte ich so locker wie möglich. Was immer er mir verheimlichte, er machte es gut.
„Julie hat angerufen- Timmy will heim. Ich muß aber zum Arzt- können sie Auto fahren?“
„Äh- ja.“ Alte, verrostete Schachteln, an denen man nichts kaputt machen konnte- nicht mehr. Mit dem Prüfschein für Kentucky.
„Okay- die Handwerker kümmern sich allein- ich muß ins Stadtzentrum, auf dem Weg dahin sag ich ihnen, wo Robert wohnt- ist nicht schwer zu finden. Steigen sie ein.“ Er reichte mir meine Handtasche, was bedeutete, daß er in meinem Zimmer gewesen sein mußte. Ich wußte genau, daß ich es abgeschlossen hatte, weil man Handwerkern nicht trauen konnte...
Mir graute davor, ein Auto zu fahren, dessen Stoßstange allein wohl eines meiner derzeitigen Monatseinkommen fressen würde, aber ich sagte nichts davon. Er meinte, daß ich das schon machen würde- und das Auto sei gut versichert. Wie beruhigend- auch gegen klein geratene Haushaltshilfen, die kaum übers Lenkrad blicken konnten? Aber da sich mein Sitz auf sonderbare Weise plötzlich hob und er grinste, wurde es einfacher.
Ich bin keine dieser hilflosen Frauen, die mit 40 Meilen pro Stunde über die Landstrasse schleichen- aber Richard schien nichts dagegen zu haben, daß mein Fahrstil meinem Mundwerk entsprach. Es war einfach unglaublich- dieser Mann ließ mich an sein Spielzeug ran- seine sozusagende Schwanzverlängerung, wenn man fies war. Naja- alles andere war ja Sperrzone an ihm, obwohl ich damit zugegebenermassen gerne gespielt hätte. Aber sein Auto war ein guter Anfang.
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Die Stadt besaß sage und schreibe 20000 Einwohner und mehrere Stadtteile, die auch noch über eine Art Highway verbunden waren. So war es nicht schwieriger als den Sandstrand auf der einsamen Insel zu suchen, um auf Kaddle zu treffen, den Stadtteil mit der einen großen Strasse und den 7 kleinen Strassen, von denen ich die zweite Rechts nehmen mußte und vor dem Wald anhalten- bitte nicht hineinfahren. Da stand ein süßes, kleines Schloß- oder was auch immer- mit Swimmingpool, hoher Hecke und Rosenbeet als Auffahrt. Also war Geld in dieser Familie kein Thema. Ich parkte also den Chrysler so weit wie möglich von allem entfernt, was Lackkratzer oder sonstwas verursachen könnte und klingelte. Eine junge Frau öffnete mir die Tür- die andere Haushaltshilfe?
„Hi- ich bin Julie. Und du bist Miss Betty?“
„Nur Betty, wenn´s möglich wäre. Wow- ich dachte- du- wärest älter- Entschuldigung.“
„Oh- kein Kunststück, wenn man mit 16 heiratet. Wenn dus genau wissen willst- ich bin 29. Und Robert 34. Dann wäre das wohl geklärt. Komm rein.“ Sie war unglaublich warmherzig, das merkte ich gleich. Und nur ein Jahr älter als ich- und hatte 4 Kinder. Sehr fleißig. Die Kinder sah man ihr nur etwas an- klar- sie war kein Model, eher süß mit ihren langen roten Locken und den Grübchen. Sie war sogar kleiner als ich- und bei 1,60 mußte man das erstmal schaffen. Die Wilson- Männer mochten es also klein und handlich.
„Meine Racker sind 3mal in der Schule und einmal hier. Jennice ist erst 2, aber Timmy spielt gern mit ihr. Ich glaub, er hätte auch gern ein Geschwisterchen, aber das gibt er nicht zu. Naja, die Hoffnung darauf hätte ich bei seinem Vater wohl auch aufgegeben. Die ganze Rasselbande kannst du ja dann am Wochenende kennenlernen, Richard hat uns zum Barbecue eingeladen. Ist nett, daß du dich so um alles kümmerst- ich meine- das Kochen und so. Wir haben dafür einen alten Butler- hab ich drauf bestanden- aber Richard ist ja allein, da ist es ja nicht so schlimm. Timmy?“ Quassel quassel quassel. Es gab also eine Frau, die es schaffte, mehr als ich zu reden. Und darin auch noch so viel Information zu verpacken. Jetzt wunderte es mich nicht mehr, daß Richard mich eingestellt hatte- er war das gewöhnt. Diese Frau gab der gefürchteten Mutter mit Sicherheit eine passende Antwort, wenn es darauf ankam.
„Darf ich dir eine Frage stellen?“
„Klar doch- ich meine- ich kenn Richard sehr gut- wir spielten schon zusammen im Sandkasten- daß heißt- Richard war immer der Stratege, der sich zu fein war, um im Sand zu sitzen. Aber so ist er ganz nett. Geriet wohl nur an die falsche Frau- naja- schlecht war sie ja nicht- ich mochte Emma sogar manchmal- wenn sie nicht ihre fünf Minuten hatte. Sie war nur eben die Falsche für Richard.“ Es war nicht das, was ich fragen wollte- aber ein Informationsbüro konnte nicht ausführlicher antworten als Julie. Von ihr konnte ich wohl alles erfahren, was ich wissen wollte- ich mußte nur lernen, zuzuhören und zu sortieren. Irgendwann fiel auch der Satz, den ich gerade suchte.
„Ich meinte eher eine andere Sache. Das Haus- ich meine- da ist etwas. Die Leute sagen komische Sachen, sie starren mich an- was soll das?“ Ich werde nie den Ausdruck in ihrem Gesicht vergessen. Eine unsagbare Bleiche stieg in ihr hoch, sie schüttelte sich kaum merklich- und sah mich ernst an.
„Betty- ich weiß, daß es komisch ist. Und ich weiß, daß du dir Gedanken machst, aber da ist nichts, vor dem du Angst haben mußt. Mach deinen Job- und zwar so gründlich, wie Richard es verlangt- aber laß es nicht an dein Herz. Er weiß damit umzugehen- und je mehr Schwachsinn du davon hören würdest, desto mehr triebe es dich dorthin- also laß es ruhen. Es ist ein altes Haus- nichts weiter. Alles, was darin vorgeht, ist physisch erklärbar- alles andere Einbildung. Fordere es nicht heraus.“ Sie hielt mich am Arm und es schien mir, als wollte sie ihn zerdrücken. Es gab etwas, daß sogar sie fürchtete, aber sie gab es nicht zu.
„Und die Sache mit dem Familienclan?“
„Oh- wir sind alle ganz nett- siehst du doch. Granny ist manchmal etwas- naja- typisch schottische Hochlanddame- aber nimms ihr nicht übel, sie sorgt sich nur. Robert und Richard sind sich sehr ähnlich, auch wenn bis jetzt nicht klar war, wer der wahre Wilson- Abkömmling ist. Es gibt da so ein paar Gene- die machen eben einen wahren Wilson aus. Ich hab nur eingeheiratet- die Blutbande versteh ich nicht. Sie sind eben eigen, wenn sie aufeinandertreffen. Ach- da fällt mir ein- hat Richard dir gesagt, wie du dich der Familie gegenüber verhalten sollst?“ Timmy kam herein und rannte gleich nach oben, um seine Tasche zu holen.
„Ähm- nett?“ Ich hatte keine Ahnung, was all dies sollte. In was war ich hier geraten?
„Personal hat in der Wilson- Familie eine lange Tradition, und vor allem Haushaltshilfen und Kindermädchen waren stets von der Partie. Richard hatte das eigentlich abschaffen wollen- aber irgendwas muß passiert sein, daß er dich eingestellt hat. Er wird dir sicherlich sagen, daß du gleichwertig bist, daß du dich natürlich verhalten sollst. Das ändert sich schlagartig, wenn die Familie aufeinandertrifft. Robert ist da ebenfalls komisch- hat er wohl von Granny. Unser Butler könnte dir Geschichten erzählen!- Was soll´s. Wenn die Familie also aufeinandertrifft, wird erwartet, daß das Hausmädchen auch ein Hausmädchen ist- egal, in welchem Verhältnis es zum Herrn steht. Du wärest nicht die Erste, die das zu ändern versucht- und jämmerlich scheitert. Wenn also Cecil bei euch ist, wird sie keinen Finger rühren- es ist deine Aufgabe, für die Gäste zu sorgen. Du wirst wahrscheinlich nicht mit am Tisch sitzen dürfen, du wirst von Richard Miss Betty genannt werden, du bist der Lakai- egal, um was es geht. Sie sind da manchmal regelrecht fies- und auch Richard weiß, wofür er dich bezahlt. Natürlich wird Jeder vermuten, daß ihr ein Verhältnis habt-.“
„Warum? Nur, weil ich bei ihm lebe und er keine Frau hat?“ Jetzt wurde ich aber wütend. Warum unterstellte mir das Jeder?
„Weil ein echter Wilson immer ein spezielles Verhältnis zum Personal hat. Mag sein, daß es bei Richard anders ausfällt und er nur eine Beraterin will- aber noch nie konnten sich die Angestellten über mangelnde Zuneigung von Seiten der Herrschaft beschweren. Deshalb haben wir ja einen alten Butler- gefahrenfreie Zone- verstehst du?“
„Soll das heißen, er erwartet sowas?“ Das erklärte so Einiges. Warum sonst die Gespräche über seine Libido- am zweiten Tag? Das ging mir entschieden zu weit.
„Nein. Gerade Rich wird das vermeiden wollen- aber irgendwie versteh ich nicht, warum er dann keinen Mann oder so anstellt, sondern sowas Hübsches und Nettes wie dich. Ich meine- will er testen, wie weit er durchhält?“
„Ich weiß nicht. Er sagte was von Geschäftsessen und er bräuchte eine Begleitung oder so- eine Gastgeberin.“ Ich kam mir so dumm vor. Das war alles ein Spiel- und ich war das Hühnchen, auf das die Jagd eröffnet war.
„Betty- ich kann dir diesen Tipp nur einmal geben- und du mußt entscheiden, was du daraus machst. Richard wird wahrscheinlich ein sehr enges Verhältnis zu dir suchen- rein platonisch von seiner Seite aus- was immer das in modern ist. Aber das heißt nicht, daß er dir damit nicht weh tun könnte. Dienstmädchen bleiben Dienstmädchen- sie werden nie zu Ehefrauen oder anerkannten Freundinnen. Die Wilsons heiraten nicht aus Liebe, sondern aus Vernunft- wir sind mit Robert die bekannte Ausnahme. Cecil wird versuchen, Richard wieder zu verheiraten, wenn sie merkt, daß sich seine Scheu vor Frauen gelegt hat. Es liegt also an dir, ihn entweder glücklich zu machen- um dann stillschweigend ertragen zu müssen- oder aber alles so zu erhalten, wie es ist. Dann hast du die Chance, lange seine beste Freundin zu sein- aber erhoffe dir nicht mehr- es tut nur weh.“
„Aber ich kann gehen, wenn es anders wäre.“ Das konnte ich nicht einsehen! War denn das hier das Verlies für den Rest meines Lebens? Das war ein freies Land- und ich war nur eine Angestellte. Man konnte mich feuern, wenn ich nicht mehr wollte. Ich konnte kündigen.
„Nein. Den Wilson- Clan hat noch nie jemand verlassen. Dafür wachsen sie dir zu schnell ans Herz.“ Timmy kam die Treppe langsam herunter. Er zerrte seine viel zu schwere Tasche mit sich und fiel fast hinterher. Ich nahm sie ihm schnell ab und versuchte zu lächeln, als ob nichts wäre. Aber eigentlich war mir nach Heulen zumute. Eindeutiger konnte meine Position nicht sein. Ich war akzeptiert, ich konnte tun und lassen, was ich wollte, denn man würde mich nur im Ernstfall entlassen. Aber dafür wurde eine Gegenleistung erwartet. Stillschweigend alles hinzunehmen, was Richard von mir wollte.Und wenn er Sex erwarten würde, dann wäre es nicht so schlimm, weil ich ja nur das Dienstmädchen bin- oder wie? In welchem Jahrhundert war ich gelandet? Hatte ich eigentlich auch Rechte? Das Schlimmste an all dem war, daß ich es sogar tun würde- das ich Richard mochte- aber wenigstens wußte ich jetzt, daß er keine Bedeutung darin sehen würde. Das ich nie Liebe erwarten konnte. Und das tat so weh!
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Timmy schwieg auf dem Heimweg. Er hatte gefragt, warum sein Dad ihn nicht abholte, dann gab er sich zufrieden und stieg kommentarlos ein. Ich fühlte mich so leer und mußte auch noch aufpassen, nirgends anzufahren. Am liebsten hätte ich diesen Schlitten an die nächste Mauer gesetzt, hätte ihm einen Zettel hinterlassen auf dem stand- Guter Plan für dein Leben- aber ohne mich, Wichser. Und wäre gegangen. Aber ich konnte es nicht. Aus irgendeinem Grund wollte ich zurück ins Haus, wollte Timmy in diesen Wildwuchsgarten schicken und ihm sagen, er dürfe soviel und so lange spielen, wie er wollte. Und wenn dabei zig Scheiben draufgingen, wäre es okay- sein Vater hätte doch genug Geld, um sich alles zu kaufen. Er kaufte sich ja sogar die Ehefrau, weil alle Anderen schlau genug waren, einen weiten Bogen um diese Familie zu machen. Und wenn ich ihm auch nur etwas Zuneigung zukommen ließ, hatte er sich die auch noch gekauft. 4000 Dollar, damit ich schwieg und ihn abends ins Bett brachte, oder wie? Und die ganze Familie glaubte, ich sei eine Schlampe, die nicht mehr wert sei als seine Gnade. Ohne mich! Wenn irgend jemand aus diesem Kaff jemals wieder behaupten sollte, ich hätte was mit ihm, dann war er an die Falsche geraten! Ich würde diesen Typen, diesen arroganten Wilson- Macho dermaßen auf Abstand halten- der wird sich wundern. Keine liebe Betty mehr, der man auf einsamen Waldwegen sein Herz ausschüttet, keine Traumbeichten. Ich würde das tun, wofür ich da war. Für das Haus und seinen Sohn sorgen- mehr nicht. Und meine Arbeitszeit ging von 8 bis 20 Uhr- und einen Tag in der Woche hatte ich frei. Schluß mit Ausbeuterei und Personalbelästigung- ihr wollt eine Miss Betty- ihr könnt sie haben.
„Timmy? Was hälst du davon, wenn wir einkaufen gehen? Euer Kühlschrank ist ganz leer- und ich könnte dir etwas kochen. Du darfst auch aussuchen, einverstanden?“ Der scheintote Pummel regte sich kaum, also nahm ich es als Ja und bog zum Parkplatz des Einkaufszentrums in der Nähe des Arztes ein, wo ich Mr. Wilson vor etwa einer Stunde abgeladen hatte.
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Er stapfte neben dem Einkaufswagen her und blickte sich mit großen Augen um, als hätte er noch nie einen Supermarkt gesehen. Das verwunderte mich schon, also hakte ich nach:
„Warst du mit Granny schonmal hier- oder mit deinem Dad?“
„Nein- nur einmal- mit Tante Judie- aber woanders.“ Und damit schwieg er wieder.
„Ihr geht nicht regelmäßig einkaufen?“
„Nein- warum? Granny kocht jeden Tag, und Dad ißt im Büro.“
„Und er bringt dann die Sachen für´s Frühstück mit und so?“
„Manchmal.“ Ich schleuste den armen Wicht durch das Drehkreuz und schob ihn etwas zur Seite.
„Timmy- weißt du- ich koche anders als das vielleicht die Mütter von deinen Freunden tun, aber ich versprech dir, daß es schmeckt, okay? Du darfst dir alles aussuchen, mit dem ich was machen soll, einverstanden? Aber es gibt Regeln: keine Fertigsachen für die Mikrowelle, nur drei Süßigkeiten oder Chips und ganz viel frische Sachen wie Gemüse, Obst und Fleisch oder Fisch. Ist das ein Angebot?“
„Schmeckt es besser als bei Granny?“ er rümpfte die Nase.
„Okay- wir machen einen Deal- ich koche heute abend- und du sagst mir danach, ob man es essen kann. Dann machen wir es morgen genauso. Wir probieren einfach aus, was dir schmeckt. Und ob dein Vater es auch mag. Das schreiben wir dann auf, und wenn du wieder einmal das essen willst, sagst du es mir.“
„Klingt fair.“ Er nickte und sah sich um.
„Na dann- viel Spaß beim Suchen- aber zeig es mir, bevor du es in den Korb legst.“ Ich erkannte dieses Kind erstmals kaum wieder. Wahrscheinlich hatte ihn nie jemand dazu animiert, sich etwas auszusuchen- alles war ihm vor die Nase gesetzt worden. Und wenn der eigene Sohn zugab, daß die Mutter schlecht kochte- oje. Da war das, was ich konnte, wohl Zauberei dagegen.
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19 Minuten später und mit einem halbvollen Korb voller Dinge bewaffnet, die Timmy in ihrem Urzustand nicht kannte aber toll fand, klingelte mein Handy und Mr. Richard Wilson war dran. Ich könne ihn nun abholen. Pech gehabt.
„Geht nicht- wir sind im Supermarkt- ich fürchte, sie müssen entweder warten oder hierher kommen- ist gleich um die Ecke von ihrem Doc dieser Einkaufstempel. Momentan bewegen wir uns in der Gemüseabteilung- das ist Paprika, Timmy. Kriegen sie das hin?“
Er hoffte es und legte auf. Achtung Achtung- der kleine Mr. Wilson sucht seine Haushälterin- bitte holen sie ihn an der Information ab. Wenn der mal nicht verloren ging. Aber es war mir egal. Sein Sohn blühte gerade auf und zerrte mich von einer Gemüseart zur Nächsten. Er kannte nur fertige Salatteller oder die Überreste zerkochten Gemüses in irgendwelchen Gerichten. Schockierend, wenn man bedachte, daß er dieses Jahr in die Schule kam und von nichts eine Ahnung hatte, was jenseits seiner Playstation vorging. Die hatte er plötzlich ganz vergessen- genauso, wie er gar nicht heim wollte. Erst als Dad um die Ecke bog, erinnerte er sich daran, wer er war und wurde ruhig. Als hätte er Angst davor, ein Kind zu sein und traute es sich nur bei mir.
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„Hey- mein Großer- was machst du denn Schönes?“ Richard beugte sich herab und hielt seine Arme hin.
„Hallo Dad. Einkaufen.“ Er umarmte ihn kurz und schaute sich dann weiter um. Das verwirrte den Vater doch etwas.
„Okay- was hast du meinem Kind angetan?“ lachte er und strahlte, als der Wonneproppen eine Gurke anschleppte.
„Ich tu nur das, was jede Mutter tun würde- den lieben Nachwuchs davon abhalten, allen möglichen Mist zu kaufen. Bringst du mir noch drei Tomaten?“ Ich reichte ihm eine Folietüte und schob den Korb weiter.
„Das machst du toll, ehrlich. Und was darf ich dir bringen?“ Wenn der glaubte, er könnte mich mit seinem Süßholzgeraspel beeindrucken, irrte er sich.
„Hm. Salz, Pfeffer, alle möglichen Gewürze, sämtliche Grundzutaten wie Mehl, Reis, Nudeln- ich würde sagen- sie kaufen mir schon die Küche- da besorg ich das Inventar. Machen sie nen netten Eindruck- passen sie auf- ich zeig es ihnen. Väter und genervte Ehemänner stellen sich hinter den Korb, lümmeln sich auf und setzen diesen genervten was- bringt- sie- jetzt-schon- wieder- an- Blick auf. Sie müssen nörgeln, daß es zu lange dauert, daß sie heim wollen und in einer Stunde Fußball anfängt.“
„Und dann bin ich ein echter Kerl.“ Richard gab sich große Mühe- aber ein Mann in seiner Position war immer steif und korrekt.
„Dann sind sie normal.“ Ich kannte die meisten Produkte, also brauchte ich nicht lange, um voranzukommen. Timmy sprang in den Gängen rum und fand alles toll.
„Und was bin ich sonst?“
„Wollen sie die Wahrheit hören?“
„Solange sie nicht wieder so direkt wie gestern früh ist.“
„Okay. Ich hab mit Julie gesprochen- besser gesagt- Julie hat geplaudert, ich lauschte andächtig. Und da fiel so etwas wie enges Verhältnis zum Personal, besondere Erwartungen der Familie ihrem Dienstmädchen gegenüber- soll ich fortfahren oder einigen wir uns gleich?“ Er senkte den Kopf und hielt den Wagen an.
„Können wir das heut Abend klären? Ich lad dich ein- wir gehen wohin-.“
„Nein. Ein für allemal. Ich bin ihre Haushaltshilfe. Die führen sie nicht zum Essen aus, die hat ihre geregelten Arbeitszeiten- und ihre rechtlichen Grenzen. Wenn ihnen etwas juckt- und ich weiß, daß es das tut- dann suchen sie sich eine Frau dafür, die sie entweder für diese Dienste bezahlen oder die das kostenlos macht. Ich bin weder ihre private Hure noch heimliche Geliebte oder sonstwas. Sie sagten, ich verdiene Respekt. Ich hoffe, den haben sie auch für mich, denn sonst mach ich ihre Tradition zunichte und kündige. Ist das klar?“
„Das war eindeutig. Aber vielleicht interessiert es dich zu wissen, daß ich das nicht beabsichtigt habe- in keinem Moment. Ich dachte nur, ich hätte endlich jemanden gefunden, der unvoreingenommen an alles geht- der mich nicht dafür verurteilt, ein Wilson zu sein. Ich hab mich wohl getäuscht.“
„Ich verurteile sie nur, wenn sie genauso feige sind wie ihre Vorgänger und nicht dazu stehen. Wenn sie mir aus lauter Familienehre das Herz brechen, brech ich ihnen das Genick. Denken sie sehr gut darüber nach, ob sie sich auf Dinge einlassen, die ihr Leben verändern könnten. Liebe bedeutet nicht, einen Menschen dafür zu bezahlen, daß er ihr Freund ist.“
„Ich hab verstanden.“ Die Holzkeule traf also genau. Ich hoffte, daß er es auch wirklich einhielt, aber schon damals ahnte ich, daß es nur eine Vereinbarung auf Zeit war. Das einer von uns die Grenze doch wieder überschreiten würde- und wir dann dasselbe Problem hätten.
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Der Tag ging erstaunlich ruhig vorbei- wir hingen alle im einzigen noch halbwegs bewohnbaren Raum- sprich der Küche- rum und ich versuchte meine Kochkünste auf den alten Ofen anzuwenden, was bei Nudeln mit Gemüsesoße noch funktionierte- alles Andere wäre wohl ein Risiko für die Familiensicherheit geworden. Timmy war wieder sehr schweigsam geworden und hörte seinem Dad andächtig zu, als der berichtete, daß morgen die Maler kämen und dann endlich alles wieder bewohnbar würde- mit Klimaanlage- nachdem ich natürlich den ganzen Dreck aus den letzten Ritzen gekratzt hätte und die Fenster gescheuert- aber daran dachte der Hausherr natürlich nicht. Er machte schon neue Pläne. Der Garten müsse als Nächstes freigelegt werden- eine passende Bezeichnung, wie ich fand. Freilegen- wer weiß, was sich darunter alles fand. Langsam hatte ich meine zwischenzeitliche Angstkrise zu diesem Haus überwunden und glaubte, alles wäre nur Humbuk. Ein paar Gruselstories, damit die Neue erstmal geschockt wäre. Seltsam, daß man alle Warnungen in den Wind schreibt, wenn man nicht mehr daran denkt. Wenn man abgelenkt wird.