Drittes Büchlein des ersten Teils -für mich der wichtigste Teil vorerst, da- soviel sei verraten- die eigentliche Hauptfigur erscheint. Und endlich auch klar wird, wann diese Fantasy überhaupt spielt...
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„Die Sage von der Gotteskriegerin? Was meint ihr damit?“ Der Mann im langen schwarzen Mantel und den hohen Stiefeln setzte sich an den Tisch im Wirtshaus und gab dem Wirt das Zeichen für Wein.
„Was ist es euch denn wert?“ Der schmutzige Bauer wischte sich die Nase mit dem Handrücken.
„Es ist eine Sage, die ihr mit Sicherheit nicht erfunden habt- ein Essen.“ Der Fremde setzte erneut zum Zeichen an. Die Magd knallte einen Weinkrug und zwei Becher vor sie hin.
„Sehr freundliche Bedienung.“ knurrte der Schwarze, in dessen Augen etwas Furchteinflößendes stand.
„Ihr seid auf dem Land- erwartet nichts. Wie heißt ihr- ich will wissen, wem ich traue.“
„Das tut nichts zur Sache- aber wenn ihr darauf besteht. Man nennt mich Kruschov.“
„Ihr hört euch nicht an wie ein Russe.“
„Meine Vorfahren können euch einerlei sein. Erzählt lieber.“
Die Magd brachte die Platte mit dem fettigen Fleisch und einen Laib Brot.
„Woher das Interesse? Seid ihr ein Fahrender?“
„So etwas in der Art.“
„Na gut- mir soll´s egal sein- es ist nur eine Sage, daß ihr´s wißt.“ Automatisch sammelten sich die anderen Anwesenden in der Schenke um den Bauern und hörten gebannt zu.
„Es war vor neun Jahren, da hatte einer von den Pfaffen- er war wohl gar ein Kardinal im Frankenland- eine Hure, die in ihrer Schönheit und vor allem Klugheit etwas Besonderes war. Sie war von den Russen- und keiner weiß, wie sie zu ihm kam. Aber der Teufel hatte wohl seine Finger im Spiel und verführte den Pfaffen. Dies ging eine Weile so- und die Oberen sahen nicht hin- nur einer von den Bischöfen- es war der Friedhelm aus teutschen Landen, der bei unserem Bischof oft verweilt, wollte sie loswerden. Sie wußte wohl viel von Kirchengut und falschem Zeug, daß die untereinander trieben. Also fängt er sie und sperrt sie hier ein. Sie verschwindet auf seltsame Weise- mag sein, der Teufel hat sie zurück genommen. Doch kurze Zeit später findet man des Kardinals Wagen- und er- geköpft- zum Fenster heraushängen. Es muß die Klinge Satans gewesen sein, so glatt war der Schnitt. Und stellt euch vor- der Kopf fehlte. Und mein Vetter zweiten Grades- der arbeitet bei dem Bischof in der Kantei- der erzählte mir, daß er im Schrank von der Sakristei einen Kopf gesehen hätte. Wenn das mal nicht seltsam ist!“
„Ein Bischof, der den Kopf eines Kardinals aufbewahrt? In der Sakristei? Das ist Gotteslästerung!“ empörte sich ein Anwesender.
„Mag sein- aber ich sage nur, was ich gehört habe- ich habe damit nichts zu tun- und Gott helfe mir, es sei nicht wahr. Aber wo ich wohne gibt es eine alte Feste, die verlassen steht. Manchmal, wenn der Wind schlecht steht, hört man dort Schreie und Verwünschungen. Es ist das Eigentum derer von Marzik, unseres gelobten Bischofs Familie. Niemand darf dort hin- aber alle sind sich einig, daß die Hure gar nicht tot ist. Sie ist dort gefangen und kann nicht sterben. Weil sie Gottes Diener angerührt hat ist sie zu etwas Abscheulichem geworden.“
„Woher willst du das wissen? Sie kann doch auch ein Mensch sein?“
„Das ist sie nicht.“ meldete sich die Magd.
„Woher willst du das wissen, Weib?“ fuhr sie ein älterer Bauer an.
„Weil ich es weiß. Weil ich jemanden kenne, der sie gesehen hat.“
„Hör auf, solchen Unfug zu reden- geh lieber Wein holen!“ scheuchte sie der Wirt weg.
„Verzeiht meiner Tochter- sie ist manchmal etwas freizüngig.“ entschuldigte er sich.
„Und weiter weißt du nichts?“ fragte der Schwarzgekleidete nach.
„Nein. Es ist nur so, daß es diese Geschichte mit der Gotteskriegerin gibt, die eines Tages erwachen wird und in seinem Namen die Heiden vertreiben.“
„Wer glaubt denn sowas? Frauen taugen nicht zum Kampf.“ der Ältere mischte sich wieder ein.
„Wirt- ich will deine Tochter sprechen- allein.“vermeldete der Fremde und ging zu ihr in den Lagerkeller.
„Ein Maurermeister?“
„Ja. Es war vor etwa neun Jahren. Er war für einige Zeit hier- und -naja- mein Vater braucht es ja nicht zu wissen. Er erzählte mir schließlich, was er hier tun würde. Er müsse im Auftrag des Bischofs ein Loch zumauern- an der alten Feste. Er müsse darüber schweigen, aber mir könne er es sagen- er hat gesehen, was er da einmauerte. Es sei groß und graublau gewesen. Es hatte riesige Schwingen und eine wilde Mähne. Seine Fangzähne seien schrecklich spitz gewesen und es hatte überall Dornen an sich. Es hätte in dem Turm gelegen und sich nicht gerührt. Dabei wäre ein alter Aussätziger gewesen. Er habe einen Schlitz gelassen, weil er es dem totkranken Mann nicht antun konnte, in völliger Dunkelheit mit diesem Biest zu sterben. Aber vielleicht wäre es für ihn besser gewesen, dann hätte er sie nicht sehen müssen.“
„Sie?“
„Ja- das wunderte mich- er sprach immer von ihr. Der Bischof hätte es wohl so gesagt.“
„Du weißt, daß das den Bischof schwer anklagen würde, wenn es herauskommt?“
„Ja. Ihr dürft es niemandem sagen. Bitte- ich habe euch vertraut.“
„Keine Angst, Mädchen- dein Geheimnis ist bei mir in besten Händen. Aber sage mir- glaubst du diese Geschichte mit der Gotteskriegerin?“
„Ich darf es nicht- aber ja. Ich glaube es. Nicht der Teufel hat sie gemacht- der Kardinal war es. Er liebte sie so sehr, daß er sie unsterblich machen wollte. Es gibt den einen Zauber, der die Krieger erschaffen kann. Er kannte ihn bestimmt. Aber irgend jemand ist daran interessiert, sie zu verbannen und zu quälen und hat den Zauber falsch ausgeführt. Sie kann sich nicht verwandeln. Er ist unvollständig.“
„Mein liebes Kind- ich will nicht wissen, woher du dieses Hexenwissen hast! Schweige darüber! Ich weiß nun, was ich wissen muß- ich danke dir!“ Er tat so, als wolle er gehen, aber dann kehrte er um und gab ihr ein kleines Medaillon. „Ein Liebespulver. Nimm es und der Mann deiner Träume wird dir unterliegen!“ Er lächelte verschwörerisch und entfernte sich.
In der selben Nacht starb die Tochter des Wirtes auf mysteriöse Art. Man munkelte, es wäre Gift gewesen.
Der Mantel wehte im Wind, als der Fremde durch die nächtlichen Gassen Prags zog. Er hatte, was er brauchte- den Zauber, den Ort, wo sie versteckt war und die passende Nacht- Vollmond in zwei Tagen. Was ihm fehlte, war derjenige, der ihm dienen sollte. Der Garant für seine Auferstehung. Der sie schützen würde, wenn sie wieder frei wäre.
Und in diesem Moment stolperte ihm der Freiwillige direkt vor die Füße. Die Hure rief ihm noch hinterher, er solle nächstens Geld mitbringen, wenn er es haben wolle und knallte den Verschlag ihrer Hütte zu. Wie einfach es doch war, willige Opfer zu finden, wenn man im richtigen Stadtteil suchte.
„Hallo mein Freund- darf ich dich einladen?“ Er half ihm hoch und sah ihn an. Noch so jung! Und schon so verdorben! Perfekt!
„Klar- immer doch. Und etwas zu Essen wäre doch auch nett, oder? Was wollt ihr?“
„Ich suche einen Helfer für eine sehr wichtige Aufgabe. Ich garantiere dir eine lebenslange Anstellung, und du kannst so viele Frauen haben, wie du willst- doch am Ende wirst du eine Göttin besitzen. Wie klingt das?“
„Wie ein Märchen.“ zweifelte der junge Bursche.
„Manchmal werden Märchen wahr- komm mit.“
Die Zeit steht nie still.
Sie fließt dahin.
In endloser Qual verharrst du,
wartend dem Feuer, daß dich zerfrißt.
Toky, 2198 Antiquariat von Makushi Takuri
„Was bist du nur für ein Buch? Ich wünschte, ich könnte dich lesen.“ murmelte der Ladenbesitzer und sah auf, als die Türanlage piepte. Draussen war es dunkel- wie immer, aber es mußte wohl gerade Abend werden.
„Moment- ich komme.“ Er stand auf und ging nach vorn. Ein Mann anfang vierzig in einem langen braunen Tweedmantel stand vor ihm. Er sah sich neugierig um und bemerkte ihn dann.
„Oh- sie sind der Besitzer? Schön. Ich hätte ein Buch zu veräußern. Kann ich das bei ihnen?“ Er rückte seine rundbegläserte Brille zurecht und fuhr sich durch die hellbraunen, halb ins Gesicht hängenden Haare. Er wirkte wie ein nervöser Professor, der sich auf falschem Gebiet befand.
„Das kommt darauf an, was es ist. Romane und derlei nehme ich nicht an. Mein Interesse richtet sich mehr auf die Mysterien der früheren Jahrhunderte. Leider werden sie immer rarer.“ Der etwas kräftigere Japaner mit der tiefen Basstimme nickte verlegen.
„Ja- leider.“ der Fremde lächelte verstehend. „Aber ich denke, daß ich das Richtige für sie habe. Es ist wohl weniger ein Mysterium als vielmehr ein Wörterbuch. Ein sehr altes Wörterbuch.“ Er zog das Buch aus seiner Tasche.
„Altböhmisch- französisch? Woher haben sie das? Es muß unglaublich alt sein? 18. Jahrhundert?“
„Leider nur ein Nachdruck- 1854. Aber ich denke, daß es bei ihnen gut aufgehoben ist.“
„Ich gebe ihnen 4000 dafür. Ich hole das Geld, wenn sie damit einverstanden sind.“ Makushi konnte es kaum fassen! Dieses Buch würde ihm vielleicht weiterhelfen! Er hatte so viele Bücher, die er nicht verstand- und die alle aus der alten Gegend Europas stammten.
„Ja. Gut.“ Der Fremde wandte sich wieder den Auslagen zu. Makushi war nur kurz weg, aber als er wieder nach vorn kam, war der Fremde fort- aber das Buch lag noch immer auf dem Tresen.
Makushi rannte zur Tür und sah gerade noch, wie er in einen der Airliner stieg und sich kurz zu ihm drehte. Für einen kurzen Moment glaubte der Antiquariatsbesitzer, etwas ganz anderes als einen Menschen vor sich zu sehen. Aber er verwarf den Gedanken wieder. Die Dämonen waren nicht zu bezwingen- und sie stolperten nicht in seinen Laden, um ihm ein Buch zu schenken.Und sie sahen auch nicht so wie dieser Verirrte aus.
Aber in dem Moment ahnte er bereits, daß sich vieles ändern würde. Und das er etwas viel Größeres beherrschen könnte als diesen Laden.
Feste Marzik, 1217
„Ein Tropfen Blut- und doch nicht tot!“ flüsterte sie belustigt. Sie schlitzte mit ihrem Fingernagel über ihren Unterarm und die darunter befindliche Schlagader. Der tiefe Schnitt blutete kurz und heilte sofort wieder zu. Von innerer Pein gequält lehnte sie sich gegen die nasse Wand. Ihre Schwingen federten sie ab und umgaben sie wie schützende Engelsflügel.
„Laß mich sterben!“ bat sie leise. Aber er hörte sie nicht. Er hatte sie nie gehört. Er hatte keinen ihrer Schreie gehört, keines ihrer Vaterunser, keine ihrer Reueklagen und ihre Bitten um Verzeihung. Für ihn wie für alle Menschen war sie tot. Aber sie konnte nicht sterben. Herr Ritter war auch gealtert. Er verlor immer wieder seine Körperteile. Es waren mehr als sieben Todsünden vergangen, mehr als sieben Siegel, Bücher- was auch immer. Sie war die Symbole leid. Sie bedeuteten nichts. Alles war nichts. Der Boden vor ihr übersäht mit Strichen und Kreuzen Johannes mal Johannes- mehr als sieben Winter- vielleicht etwas wie zehn. Das konnte sein. Es waren nicht zehn, aber nicht sieben. Eins vor zehn. Sie wußte nicht die Bezeichnung für diese Zahl. Die Gräfin hatte es auch nicht besser gekonnt, sie war damals noch so jung gewesen. Sie hatte den Grafen geheiratet- aber er starb im Krieg. Sie ging zurück nach Frankreich- und weil sie aneinander hingen, dürfte sie mit. So hatte sie ihn kennengelernt. Lucilla hörte auf das leise Tropfen des Wassers an der Wand. Tropf, Tropf, Tropf. Sie werden dich nicht holen- wahrscheinlich lebte der Bischof nicht mehr. Niemand wußte, wo sie war. Und würde man sie finden, würden sie sie jagen. Sie hatte die Fluchtpläne aufgegeben. Damals, als es noch das erste Jahr war, hatte sie darüber nachgedacht, nach Jerusalem zu ziehen. Vielleicht hätten die Heiden sie aufgenommen. Wie sahen die überhaupt aus? Raymond hatte gesagt, sie seien schwarz wie die Nacht, und sie gingen verschleiert, weil sie Gott mit ihrem Anblick nicht erzürnen wollten, weil sie so häßlich waren. Sie hätten vielleicht gar keine Angst vor ihr. Es lag doch alles nur daran, daß alle Welt an Gott und den Teufel glaubte. Wenn die Heiden das nicht glaubten- dann hielten sie sie doch nicht für des Teufels Tochter, oder? Verzweifelt begann sie zu weinen. Leider war der Irrsinn, der sie Jahrelang vom wahren Nachdenken abgehalten hatte, nicht mehr existent. Die Zeit des Tobens war vorbei, des Hoffens und auch der Liebe. Sie hasste. Sie starrte vor sich hin und hasste. Wen konnte sie zuerst töten? Außer sich selbst, was nicht funktionierte, wie sie in tausenden von Versuchen feststellen mußte. Sie hatte sogar gelernt, so hoch zu fliegen, daß sie sich mit dem Kopf zuerst nach unten stürzen konnte und das Genick brechen. Aber es tat kurz physisch weh, dann heilte es. Die Wunden, die es in ihre Seele riss, waren tiefer. Sie würden nicht heilen wie so ein Bruch, wie so ein Schnitt in den Arm. Es gab die Hölle, das wußte sie jetzt. Die Hölle war da, wo sie jeden Tag erwachte, wo das Wasser von der Wand tropfte- Tropf- Tropf. Wo Herr Ritter faul in der Ecke lag und sie aus hohlen Augen anstarrte. Wo sie tausende von Strichen verhöhnten. Ich bin ein ganzer Tag, schien jeder von ihnen zu sagen.Ein weiterer Tag in deinem sinnlosen, endlosen, lieblosen Leben. Dich wird nie ein Mann lieben, nie ein Mensch auch nur ansehen- denn du bist tot.
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Der Mensch sucht die Wahrheit.
Und der Mensch irrt.
Wissen ist Schmerz, denn Wahrheit ist Tod.
Toky, 2216 Die Literatursammlung des Makushi Katuri
„Maku? Hier ist ein Mann,der dich sprechen will.“ Das Mädchen wies ihm den Weg zu ihrem Adoptivvater und verschwand wieder. Der wichtigste Mann, wenn es um Dämonenbeschwörungen und deren befähigende Literatur ging, stand auf einer solaren Hebeplattform und suchte in seinen Büchern, als er den Mann wahrnahm, der ihm angekündigt war. Er wäre fast hinunter gefallen vor Schreck. Er kannte diesen Mann! Er war ihm schon einmal begegnet. Die markanten Gesichtszüge mit den hohen Wangenknochen würde er nie vergessen- aber das war unmöglich- er schien um keinen Tag gealtert!
„Wer sind sie?“ fragte er nur und kam herunter.
„Oh- sie haben recht- vielleicht sollte ich mich endlich einmal vorstellen- Gary Milton- Police Inspector. Keine Angst- ich bin in privater Angelegenheit hier.“
„Warum sind sie damals gegangen?“ Er musterte sein Gegenüber nun eindringlicher. Keine Frage- er war kaum gealtert!
„Ich hatte es eilig. Nein- das ist eine Lüge. Ich nehme kein Geld für meine Informationen. Ich hoffe, sie haben ihre Hausaufgaben gemacht. Ich habe da ein neues Buch für sie. Kein Preis, keine weiteren Informationen. Ich will, das sie es lesen.“ Er legte ihm das Buch auf den Tisch. Es war nagelneu.
„Das ist der Katalog der Vatikansbibliothek. Normalerweise würde ich sagen, sie wollen mich veralbern- aber da sie mir schon einmal einen Gefallen taten, der mich zu dem gemacht hat, was ich heute bin, will ich ihnen glauben. Aber warum tun sie das für mich?“
„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Auf Wiedersehen.“ Und damit ging er, bevor Makushi mehr fragen konnte. Der lange Mantel, den er, so hätte Makushi schwören können, schon damals getragen hatte, wehte ihm hinterher und gab ihm etwas Unwirkliches.
Es ließ ihm keine Ruhe und er durchsuchte den Katalog sofort. Aber da war nichts zu finden. Erst bei genauerem Hinsehen entdeckte er einen winzigen Eintrag mitten im Text.
„Ist es nicht sehr unauffällig, daß es keine Dämonen in Böhmen Anfang 13.Jahrhundert geben soll?“
Nichts weiter. Kein Hinweis, wo er etwas darüber finden könnte. Aber es war ein direkter Tipp. Und die Notiz stand nicht etwa bei den Sagen über Böhmen, sondern bei der Abfolge der Kardinäle in Frankreich. Raymond de la Plague 1192-1208 Kardinal von ? . Wie konnte das sein? Ein Kardinal, dessen Wirkungsort nicht bekannt war? Er hatte noch nie von diesem Kardinal gehört.
Aber er würde etwas finden. Er wußte auch, wo.
Drei Wochen später hatte er ein erstes Anzeichen für diesen Kardinal gefunden. In einem Buch, daß er Jahre nicht mehr angesehen hatte. Ein Schmierenroman über die Lusthuren der Bischöfe. Irgendein Feind der Kirche hatte es wohl geschrieben. Aber genau da fand er die Antwort. Der Kardinal und seine Hure, die Lucilla Fertoit genannt wurde. Die Hure verschwindet in Prag, auf seiner Rückreise stirbt er auf geheimnisvolle Art. Nichts weiter.
„Zeth? Komm einmal her.“ Er rief seinen Angestellten und bot ihm einen Platz an.
„Wieder neue Erwerbungen zu tätigen?“ Der Mann Mitte dreißig mit dem etwas tolpatschigen Auftreten, daß er aber in entscheidenden Situationen wie eine Maske ablegen konnte, wenn es niemand sah, setzte sich Neugierde zeigend.
„Naja- so ungefähr. Ich kann hier nicht weg, aber du schon. Ich will, daß du nach Rom fährst und dort der Vatikansammlung einen Besuch abstattest. Wir suchen einen gewissen Kardinal Raymond de la Plague. 1208 gestorben. Und eventuell, was ich aber nicht glaube, eine Lucilla Fertoit. Tu, was du kannst. Es geht um Prag.“
„Wieder so ein schwammiges Ding, wo wir von x nach z kommen? Und im Endeffekt steckt ein simpler Vampir dahinter, der sich wichtig tun will?“Das kannte er zur Genüge. Ein großartiger Plan seines Chefs- ein waghalsiges Unternehmen nach Europa- natürlich nur für ihn gefährlich- und dann entpuppte es sich als eine Art Scherz, aus dem er wieder heil herauskommen mußte.
„Nein- das glaube ich nicht. Dieser Mensch hat mir schon einmal einen Gefallen getan- er scheint mir zuverlässig.“
„Ein dämonischer Kardinal? Das ist mal was anderes.“
„Wenn es das ist.“ Nachdenklich drehte sich Katuri in seinem Drehstuhl zum Fenster. Was war daran seltsam? Daß ein Mann, der anscheinend nicht alterte- oder zumindest einen guten Chirurgen hatte, bei der Polizei arbeitete, aber ihn für eine solche Aufgabe erwählte? Die hatten doch genügend Möglichkeiten, verlorene Seelen aufzutreiben- soweit er wußte, arbeiteten sie auch mit Dämonen zusammen. Nicht zu vergessen die Maschine, die dahinter steckte. Obwohl er bezweifelte, daß wirklich eine Maschine, die aus dem Lot geraten war, sie regierte und in ständige Angst versetzte. Sie handelte zu menschlich- zu diktatorisch. Diesen Machtanspruch entwickelten nur Menschen, Maschinen waren nicht egoistisch- sie führten Befehle aus, auch wenn diejenigen, mit denen sie es seit Jahren zu tun hatten, ein eigenständiges Regime errichtet hatten.
„Der Kardinal ist nicht sehr interessant. Tut mir leid. War nur irgendein Sexist, der es mit ner viel Jüngeren trieb. Was nun?“ Zeth war über Satelit mit ihm verbunden und sah enttäuscht aus.
„Was ist mit Lucilla Fertoit?“ Katuri hatte weiterhin alles gelesen, was dazu passen konnte. Und war zu einer seltsamen Feststellung gekommen. Es gab in Aufzeichnungen, die von Männern wie ihm stammten, manchmal eine Erwähnung der Gotteskriegerin. Das war anfangs nicht in Zusammenhang mit dem zu bringen, was sie suchten, aber als er las, sie sei im Böhmen des 13. Jahrhunderts vermutet worden, klingelte es bei ihm.
„Keine Einträge. Das ist ein Holzweg, Maku- gib es auf!“ Der Angestellte hatte im Verzeichnis gesucht, während Katuri nachdachte.
„Gotteskriegerin.“ sagte er nur.
„Getrennt oder zusammen?“
„Versuch Beides. Oder alles in der Richtung.“ Er wartete kurz und sah dann, wie sein Helfer erfreut dreinblickte.
„Gottes Krieger. Ein Eintrag. In einem Buch über Gargoyles? Seltsam. Ich seh nach. Bis dann.“ Er klinkte sich aus. Wenn es auch nur ein Strohhalm war- sie mußten doch etwas finden! Nicht schon wieder eine Nullrunde! Er wollte auch mal Erfolg haben- wofür arbeitete er sonst?
Zeth hatte es irgendwie geschafft, das Buch zu bekommen und blätterte darin. Es war nicht so spannend, wie er erhofft hatte. Und da fand er es- eine halbe Seite über eine Sage, die von den Kriegern sprach, die in Gottes Namen kämpfen sollten. Es würde mehrere geben, denen man nachsagte, sie seien die wahren Gargoyles- das war im 13. Jahrhundert. Sie würden ruhen, bis ihre Zeit gekommen wäre und dann zu neuem Leben erwachen. Doch es gebe einen Menschen, der alles beobachtet. Die Sage ginge auf einen russischen Magier zurück, der ihn erschaffen hätte. Aber er würde sich so gut verstecken, daß nur wenige seine wahre Identität kannten. Aber sein Name sei Ewigkeit und er sei der Mentor für die Eine von ihnen. Die Geschichte war ihm neu- kein Geschichtsbuch oder die Bibel selbst erwähnte diese Story! Was wurde hier gespielt? Und warum gab es mehrere, aber nur den Mentor für Die Eine?
Zeth rief wieder bei seinem Chef an und meldete alles. Jemand mußte ihn kennen! Vielleicht war es sogar der, dem sie all das verdankten.
„Ewigkeit? Was heißt das? Hast du es in anderen Sprachen versucht? Französisch? Latein?“
„Ja- bin so ziemlich alles durch, was mir einfiel für die Zeit, in der er entstanden ist.“
„Vielleicht ist er ja cooler, als ihr denkt. Wie wär´s mit Aeon, Maku?“ Miaki stellte ihrem Vater den Tee hin und lachte. „Ist zu einfach, oder?“
„Gratuliere zu deiner Tochter- bingo. Und für Mentor gibt es auch was. Wenn wir ihn jetzt nicht finden, weiß ich auch nicht.“
Durch die Hinweise, die wieder nur allgemein waren, aber vielleicht noch von Wichtigkeit, kam er zu einem Namen, den er eigentlich suchte- Kruschov. Der Erschaffer des Aeon- was immer er war, denn es wurde nicht klar, ob er ein Gargoyle wie die Anderen war, oder vielmehr eine andere Spezies, die so lange leben konnte. Und Kruschov hatte doch glatt ein wenig für Furore gesorgt- er war am Ende vom Mob abgeschlachtet worden und hätte noch geschrien- Aeon, beschütze mich. Der hatte es wohl nicht getan.
Er galt als Schwarzmagier, der Dämonen erschaffen konnte. Und im Jahre 1217 hatte er in Prag, oder in der Nähe, seinen Helfer Aeon erschaffen. Der sei mittlerweile nun doch tot, weil er versagt hätte. Nach allem, was er nun aber wußte, konnte er das nicht so recht glauben. Aber es würde nicht mehr geben. Hier riß der Faden ab.
Zeth war etwas unzufrieden und knallte das Buch zu. Dabei rutschte ein Brief heraus. Er war verschlossen. Zeth sah sich kurz um, bemerkte aber niemanden. Er öffnete den Brief und begann zu lesen.
„Wie ich sehe, habt ihr den Punkt erreicht, den schon viele vor euch fanden. An dieser Stelle wäre dein Leben beendet, aber dein Glück ist es, daß die Zeit gekommen ist, einen weiteren Schritt zu wagen. Mein Helfer scheint gute Arbeit geleistet zu haben. Ja- ich bin Aeon. Und ich gebe euch hiermit die Macht, sie zu befreien. Aber ihr müßt euch beeilen- sie wird bald erwachen. Es wäre nicht gut, wenn andere sie in ihre Hände bekämen. Ihr findet ihr Grab in der alten Feste der Familie Marzik bei Prag. Sie ist nur noch als Rudiment zu erkennen, aber soweit ich weiß, ist ihr Grab erhalten geblieben. Ihr werdet hoffentlich eine steinerne Gargoyle- Figur vorfinden, die ihr nach Toky bringen müßt. Dort werde ich euch weitere Informationen zukommen lassen. Wenn ihr etwas anderes vorfindet- schütze euch Gott!“
„Wir haben sie!“ brüllte Zeth in die Leitung. Er war ausser sich. Der Mentor hatte ihnen den direkten Ort gegeben- keine Ratespielchen mehr. Aber warum? Hatte er es vielleicht eilig? Was meinte er mit: Schütze euch Gott, wenn ihr etwas anderes findet?
In der Nähe von Prag 1217, alte Feste Marzik
„Was machen wir hier?“ Der junge Mann schlenderte hinter dem alten Fremden her und kickte ein paar Steine weg. Er wollte nicht in der Nacht auf alten Festen herumkriechen- was suchten sie hier?
„Deine Arbeit beginnt. Du mußt das Buch halten.“
„Das ist alles?“
„Ja. Verstehst du Latein?“
„Nein.“ Hey- er war ein einfacher Streuner! Was erwartete der von ihm?
„Gut. Ich fange an.“ Der Fremde faselte unverständliche Worte und fuchtelte mit den Armen herum, daß sein Helfer sich zusammenreißen mußte, um nicht loszulachen. Plötzlich hörte er ein leises Wimmern- als würde es von unter ihnen kommen.
„Was tun wir hier?“ fragte er unschuldig.
„In nomine dei- Dormere!- Ruhe!“ fluchte der Magier los. Er verpaßte ihm einen Handschlag, der ihn zurückfallen ließ. Er landete neben einer Art niedriger Mauer mit einem Schlitz darin. Von dort war das Jammern gekommen. Aber er hatte keine Zeit mehr, etwas zu denken. Der Fremde sagte etwas über ihm zusammen- und da merkte er etwas Seltsames- etwas veränderte sich in ihm. Etwas brach in ihn ein, daß er nicht kannte. Die Schmerzen ließen ihn urplötzlich bewußtlos werden.
„Herr Ritter- da sind Menschen!“ flüsterte sie leise. Sie hörte zwei Männer reden- dann wurde sie seltsam müde. Langsam sank sie in die Hocke. Ihre Glieder fühlten sich schwer wie Stein an. Etwas veränderte sich und brachte sie zunehmend vom Leben in den Tod- oder in einen sehr tiefen Schlaf.
„Da ist er!“ Die Menge kam mit Fackeln und Heugabeln den Hang hinauf. Er wachte gerade auf und hielt sich den Schädel.
„Komm! Wir müssen weg!“ drängte ihn der Fremde.
„Was habt ihr getan?“ Er merkte, daß etwas ganz und gar nicht mit ihm stimmte. Er hörte viel besser als früher, konnte alles scharf sehen- und er fühlte sich stark.
„Das erkläre ich dir, wenn wir hier weg sind.“
„Nein- jetzt!“
„Du mußt sie beschützen. Aeon- es ist an dir, sie zu retten!“
„Aeon?“
„Du bist ihr Mentor. 1000 Jahre lang muß sie ruhen- wenn sie eher erwacht, wird sie alles töten, was sie sieht. Achte auf sie- sie ist deine Göttin! Aeon- du mußt mich beschützen!“ Der Fremde sah ihn gehetzt an, als der Pöbel näher kam. Aber Aeon reagierte nicht. Er starrte ihn an und schüttelte den Kopf.
„Was immer ihr getan habt- ihr verdient Gottes Strafe.“Etwas in ihm schrie auf. Es war ein Biest- etwas, daß er diesem Zauberer verdankte, und das ihm nun gehorchen wollte. Aber der junge Bursche war hartnäckig- er würde dieses Ding nicht freilassen- denn es war böse. Die ersten Bauern erreichten den Alten, der ein paar Schritte zur Flucht angetreten hatte- vergebens. Aeon stand einfach nur da und sah fasziniert zu, wie Mistgabeln und Äxte auf den Herrn des Biestes niedersausten. Blut spritzte, der Alte schrie um Hilfe. Er schrie seinen Namen. Sie ließen nicht ab, bis der Leichnam blutüberströmt dalag- dann spuckten sie auf ihn und machten das Kreuzzeichen. Sie gingen.
Aeon wartete ab. Warum sie ihn nicht angegriffen hatten, war ihm nicht klar- aber sie waren an ihm vorbeigestürmt, als hätten sie ihn nicht gesehen. Wie in Trance schritt er den Hügel zu dem Leichnam hinauf. Es schreckte ihn nicht ab, wie er es erwartet hatte. Er stand über dem Alten und betrachtete ihn aus tiefster Kälte und Abscheu heraus. Was hatte er ihm angetan? Langsam hockte er sich neben ihn und nahm den Schwertgürtel an sich. Es war ein gutes Schwert- wie er es noch nie gesehen hatte- es war gebogen und sehr leicht. Das Metall mußte besonders verarbeitet sein. Vielleicht war es eines von diesen Schwertern aus dem heiligen Land- eines von diesen Heiden. Er ließ es durch die Luft surren und stoppte vor dem Hals des Magiers. Hatte er recht gesehen? Es kam ihm vor, als würde der Alte noch leben.
„Was bin ich?“
„Beschütze sie.“ formten die blutüberströmten Lippen.
„Wen?“
Aber es kam keine Antwort. Die Wut stieg in ihm hoch und ließ ihn ausholen. Das Schwert sauste durch die Luft und enthauptete den Alten mit glattem Schnitt. Aeon brach zusammen und krallte seine Hände in die Erde. Wer immer ihm das angetan hatte- und es mußte einen Anderen geben, daß wußte er aus unerklärlichen Gründen, würde dafür büßen. Der Geruch des Blutes ließ ihn auffahren. Was hatte sich da gerade in ihm gerührt? Eine Art Hunger, den er nicht kannte. Er mußte hier weg! Aber etwas mußte er noch herausfinden. Er ging mit gesenktem Blick zurück an die Stelle, an der er gefallen war. Wie eine unsichtbare Kraft beschlich es ihn. Was immer da drin ruhte- es war gefährlich. Und er war wohl der Einzige, der es wußte. Aber er wollte ihm gegenüber treten- es herausfordern. Er kniete sich vor die Mauerspalte und begann, an den Steinen zu ziehen, als könnte er sie mit bloßer Hand bewegen. So unlogisch es erschien- es funktionierte! Er brach ein Loch hinein, sodaß er hindurchpaßte. Aber es ging steil abwärts in der Höhle oder was immer es war. Er würde ein Seil brauchen und am Tag wiederkommen, um auch etwas sehen zu können.