Jeden Morgen wartete ich gespannt, denn ich wusste, bald würde ich die dumpfen Geräusche eines Motorrades hören, dessen Fahrer ich zutiefst bewunderte. „Bewunderte“ ist eigentlich nicht ganz der richtige Ausdruck. Vielmehr noch, es war eine ganz spezielle Liebe, die sich zwischen uns aufgebaut hatte. Er war nicht sehr groß und auch nicht umwerfend gut aussehend, aber er hatte das gewisse Etwas, was die Frauenherzen höher schlagen ließ. Seine dunklen Augen und die perfekt dazu passenden schwarzen Haare, welche unter seiner Pöstlermütze herausragten, machten ihn so verführerisch. Eigentlich hieß er Hans-Jakob, aber die Leute nannten ihn Jack. Jack war im Dorf der allseits beliebte Briefträger. Meist hatte er ein breites Lachen im Gesicht, machte gerne mal ein Schwätzchen mit den gelangweilten Hausfrauen und fuhr dann schnell wieder weiter, von Briefkasten zu Briefkasten.
So gegen 10 Uhr war er immer bei mir. Er gehörte einfach dazu, ohne ihn wäre es kein Morgen für mich gewesen. Damit ich ihn auch ja nicht verpasste, begab ich mich immer schon frühzeitig in den Garten – ging mit Herzklopfen auf und ab. Mein größter Traum war es, ihn einmal anzuknabbern. Aber leider hatte sich nie eine Gelegenheit dazu ergeben. Er schaute mich zwar immer lieb an und richtete ein paar nette Worte an mich, aber weiter als bis zum Briefkasten hin, der direkt an der Strasse stand, kam er nie. Wie oft träumte ich von ihm, von seinen Beinen und von seinem knackigen Po…
Schneller als erwartet erfüllten sich dann meine geheimsten Träume. An jenem Morgen war alles ein wenig anders. Zuerst war da seine Verspätung, welche mich noch unruhiger werden ließ. Erst um 10:55 Uhr drangen die vertrauten Motorengeräusche in meine Ohren und ich war urplötzlich hell wach. Diesmal fuhr er nicht gleich weiter, sondern stellte sein Motorrad am Tor ab, betätigte die Klingel und trat in den Garten ein. Mein Herz schlug höher und höher, da war sie nun, die Gelegenheit, von der ich so oft träumte. Vor lauter Aufregung wusste ich nicht, wie ich mich verhalten sollte – jetzt hatte ich Jack für mich. Sollte ich es jetzt tun oder noch warten. Er lief durch den Garten in Richtung Haus, da gab es kein Warten mehr. Das war der Augenblick, jetzt musste ich es tun, so eine Gelegenheit würde sich nicht so schnell wieder bieten. Zuerst duckte ich mich, mein Körper berührte dabei beinahe den Boden. Dann merkte ich wie es in mir zündete, ein Schub voll Energie durchdrang mich und katapultierte mich förmlich nach vorn. Meine Zähne blitzten dabei auf und aus meinem Rachen drang ein lautes Knurren. Es gab kein Zurückhalten mehr, da war nur noch ein Ziel – Jacks Waden. Mit weiten, schnellen Sprüngen rannte ich auf ihn los. Geistesgegenwärtig erkannte er sofort die Gefahr und versuchte wegzurennen. Aber es war zu spät für ihn. Genüsslich gruben sich meine Zähne in seine strammen Waden, all das was sich über Jahre in mir angestaut hatte, kam zum Vorschein. Wieso nur musste mich dieser Mann jeden Morgen mit Motorenlärm quälen, wieso musste er mich immer aufwecken, wenn ich friedlich im Garten lag und von Felix, dem Hund im übernächsten Haus in unserer Siedlung träumte. Jetzt konnte ich ihm alles heimzahlen, krrrrr, jetzt war ich am Drücker…
Meine Freude währte nicht lange, es gab ein riesen Geschrei. Die Nachbarn liefen zusammen, ich bekam einen Besenstiel auf meinem Haupt zu spüren und erwachte erst Stunden später mit einem gewaltigen Brummschädel wieder. Für lange Zeit gab es dann Hausarrest und mein Frauchen unternahm alles, damit ich nicht eingeschläfert werden musste.
Aber es hat sich gelohnt. Jack kommt nicht mehr. Der neue Briefträger heißt Josef, die Leute nennen ihn Joe. Er ist etwas gemächlicher als Jack es war und lässt mich schon mal bis 10:45 Uhr im Garten schlafen. So ab und zu wirft er mir sogar ein Wursträdchen über den Gartenzaun herein.
Der Joe ist richtig nett, möchte ihn so gerne mal anknabbern – wann wird sich wohl einmal die Gelegenheit dazu ergeben?