"Irgendwas brummt doch hier", dachte er.
Ein monotoner, doch nerviger, Ton drang schwach an sein Ohr und veranlasste ihn dazu die Augen zu öffnen. Um ihn herum war noch alles in Dunkelheit gehüllt.
Er brauchte erstmal einige Minuten um zu begreifen, dass er in seinem Bett lag und dies seine Wohnung war. Der piepende Ton an seiner Seite wurde nicht leiser, doch sein Gehör war auch nicht mehr das Beste. Für ihn klang es immer noch nach einem leichten Brummen. Er konzentrierte sich, immer noch einfache Blicke in die Dunkelheit werfend, genauer auf das Brummen und es dämmerte ihm, dass es sein Wecker war.
Er musste aufstehen.
Doch sein Körper wollte ihm irgendwie nicht gehorchen und nur sein Rücken meldete sich mit leichten Schmerzimpulsen sekündlich zu Wort. Die Decke, die über ihm lag - diese schöne weiche Daunendecke -, fühle sich an, als hätten die Daunen über Nacht eine alchemistische Umwandlung zu Blei vollzogen. Doch konnte er nicht einfach liegen bleiben. Es kostete ihn eine ungeheure Menge an Kraft die Decke zur Seite zu schieben.
Die ganze Zeit über brummte es weiter in seinem Ohr. Das Aufrichten war in keinster Weise vergleichbar mit der Anstrengung, die er für die Decke gebraucht hatte. Es musste langsam und mit Bedacht vollführt werden. Nach einer gefühlten Ewigkeit saß er dann aber auf der Kante seines Bettes und atmete ein wenig schwer. So viele Jahre hatte er schon diesen Ablauf täglich machen müssen, doch mit jedem Tag wurde es immer schwerer und schwerer und kostete immer mehr Zeit.
Bei dem Gedanken an Zeit sprang seine Aufmerksamkeit auch wieder dem Brummen zu. Er tastete von der Bettkante aus nach dem Wecker auf dem Nachttisch. Das musste vorsichtig gemacht werden, weil er nicht das Glas mit seinen Zähnen umstoßen wollte. Der Zwischenfall eines verschütteten Glases blieb aber aus. So wurde der monoton, piepende Ton doch endlich ausgeschaltet und das Brummen in seinen Ohren ebbte ab.
Unter seinen Füßen spürte er seine weichen Hausschlappen. Doch bevor er sie anzog, wollte er sich noch sein Gebiss wieder reintun. Also tastete er wieder vorsichtig auf dem Nachttisch rum, fand aber nichts. "Komisch", dachte er sich, bevor ihm einfiel, dass er sein Gebiss schon seit drei Tagen nicht mehr gesehen hatte. Die Tage über hatte es nur Brei oder Suppe gegeben, daher hatte er es auch nicht so sehr vermisst. Er nahm sich aber vor in den nächsten Tagen doch einmal danach zu suchen.
Immer noch müde, rieb er sich den Schlaf aus den Augen. Seine Hände fühlten sich wie Leder auf seinem Gesicht an und die Glieder in den Fingern konnte er einzeln schmerzen fühlen. Glücklicherweise zitterten sie nicht an diesem Morgen.
Er zog seine Hausschlappen an und richtete sich langsam auf. Es hörte sich im Zimmer an, als würden gerade 50 Äste einzeln von jemandem zerbrochen werden und jeder seiner Glieder füllte sich auch so an. Am Schlimmsten schrie aber sein Rücken, der nun die ganze Last des Körpers tragen musste. Die Beine zitterten ein wenig beim Stehen, doch nach dem ersten kurzen Schritt kam ein wenig Sicherheit in die Glieder und er schlenderte zu seiner Kommode rüber. Dort hatte er sich am Abend davor schon alle Sachen für diesen Tag zurechtgelegt, damit er nicht unnötige Wege zurücklegen musste.
Er zog sich seine braune Bundfaltenhose an. Das Hemd wurde in die Hose gesteckt. Mit einiger Anstrengung wurden die Hosenträger angebracht, damit die Hose nicht eine Wanderung zum Südpol antrat. Nachdem dies erledigt war, schlürfte er langsam in seine Küche und machte das Licht an. Im ersten Moment war es viel zu hell für ihn und er musste die Augen schließen und abwenden. Dann aber schielte er langsam aus den Augen in die Küche und ging zum Wasserkocher. Bedauerlicherweise musste er feststellen, dass kein Wasser mehr übrig war. So nahm er einen Messbecher und öffnete den Wasserhahn. Immer darauf bedacht so viel abzufüllen, dass er es mühelos tragen konnte, verbrachte er die nächsten Minuten damit den Wasserkocher wieder voll zu machen. Er hätte auch nur für eine Tasse einfüllen können, aber dann würde er am nächsten Morgen wieder zum Wasserhahn müssen. So hatte er erstmal wieder für ein paar Tage Wasser. Nachdem er den Kocher einschaltete, ging er zum Schrank um seine Tasse und einen Beutel schwarzen Tees rauszunehmen. Mehr als einmal schon an diesem Morgen dachte er darüber nach, warum er die Sachen nicht sofort an einem Platz aufbewahrte, aber er vergaß jedes Mal aufs Neue sie umzuräumen. Auch war er es schon seit Jahren gewohnt, dass diese Dinge an diesen Plätzen standen.
Langsam köchelte auch das Wasser und er glitt zum Kühlschrank hin. Viel war nicht drin, aber er hatte auch für heute morgen schon vorgesorgt und sich eine Scheibe Brot abgeschnitten. Morgens war das wegen dem Zittern immer etwas schwierig. Daher wurden solche Sachen immer am Abend davor gemacht. Mit der Brotscheibe und Butter ging er zum Tisch und strich sich zeitlupengleich das Brot zurecht. Er nahm viel Butter. Denn in seinem Alter machte es ihm auch nichts mehr aus, ob viel Cholesterin in seinem Magen landete. Hauptsache es schmeckte.
Der Kocher pfiff ein wenig und stellte sich aus. Bevor es aber zum Wasser ging, packte er das Messer in die Spüle und den Rest der Butter in den Kühlschrank. Das Einschütten des heißen Wassers gestaltete sich leichter, weil er den Wasserkocher nur leicht kippen musste. Der Tee wurde so erstmal zum Abkühlen stehen gelassen und er zwang sich zum Schuhschrank zu gehen. Langsam gewöhnte sich auch wieder der Rücken an die Belastungen und legte eine leisere Klageart an den Tag. Er holte sich seine braunen Schuhe aus dem Schrank und zog sie mit dem Schuhlöffel an. Die Art Schuhe die man nicht binden musste, waren seine liebsten. Das ersparte ihm das schmerzhafte Bücken und Aufrichten.
Der Tee war mittlerweile so weit abgekühlt, dass er sich nicht die Zunge daran verbrennen konnte. So wurden das Butterbrot und der Tee verzehrt.
Nachdem die Tasse auch in der Spüle deponiert wurde, kruxte er wieder in sein Schlafzimmer und zog sich sein braunes Jacket über. Er verstaute das Portemonnaie in der einen und die Schüssel in der anderen seiner Hosentaschen und steckte seinen Hut auf den immer größer werdenden kahlen Fleck auf seinem Kopf. Den Spazierstock, der in der Ecke neben dem Hut gelegen hatte, griff er sich unter den Arm, ging zur Eingangstür und durchtrat sie.
Auf dem Weg zur Eingangstür ging er an einem Spiegel vorbei, aus welchem sein Spiegelbild traurig und mitleidig ihm nachsah. Das Spiegelbild konnte nicht verstehen, wie es so weit kommen konnte.
Dennoch hatte der junge Mann in Jeans und T-Shirt seinem Ebenbild mit leuchtenden, jugendlichen Augen einen schönen Tag in der Schule gewünscht.