Kurzgeschichte
Auf der Parkbank

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"Auf der Parkbank "
Veröffentlicht am 28. September 2009, 6 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Im April 1960 erblickte ich die Welt. Bin hier auf der Durchreise, und versuche - einfach gestrickt - mein Bestes zu geben. Leise Musik ist mir lieber als laute Worte ...
Auf der Parkbank

Auf der Parkbank

„Darf ich mich zu ihnen setzen?“ fragte ich einen alten Mann, der allein auf einer Bank am Parkweiher saß. Langsam drehte er den Kopf in meine Richtung. Ein schmales eingefallenes Gesicht, seine graue Schirmmütze weit in die Stirn gezogen. Zwei markante tiefe Falten zwischen der Nase und den Mundwinkeln gaben ihm strenge Züge. Doch sein Blick durch die viel zu großen dicken Brillengläser und sein bedächtiges Nicken begegneten mir herzlich.

„Na, du bist doch auch einer, dieser gejagten Zeitgenossen“, begrüßte er mich murmelnd. „Wie kommen sie denn darauf“, versuchte ich mit einem gekünstelten Lachen abzuwehren.
„Ach mach mir nichts vor, ich weiß doch, wie es in dir aussieht“, kam der nächste Klaps.
„Ups, neben wen hast du dich da gesetzt, dieser Alte muss wohl ein wenig verrück sein“, versuchte mich meine innere Stimme, die ich hier Georg nenne, zu beruhigen.
„He, du da drinnen“, der Alte deutete mit seinem Zeigefinger auf mich, „ich bin nicht verrückt…!“
Die Verwirrung war perfekt, ich war völlig aufgewühlt. Georgs Rechtfertigungen wollten nach außen, aber ich war unfähig etwas zu sagen.

„Hört zu“, begann er nach einer Pause, die mir unendlich lange vorkam, wieder zu sprechen. Seine Stimmlage hatte sich geändert, die bestimmenden Töne wurden weicher: “Ihr seid auf der Suche nach euch selbst. Ihr steht mitten im Leben, schaut zurück, erkennt keinen Sinn in dem, was ihr geleistet habt und blickt nach vorn, wo kein Ziel am Horizont erscheint.“
„Warum nur redet er in der Mehrzahl mit mir?“, meldete sich Georg, „ich bin doch ich!“
„Du sagst es Georg“, schaute mich der Alte lächelnd an – ich begriff gar nichts mehr. „Und wer bin ich, wenn Georg Georg ist?“ brachte ich beklemmend über meine Lippen. „Du bist eine Marionette! – von außen gesteuert“, entgegnete er mir.

Georg und ich wollten aufstehen, zum ersten Mal im Leben waren wir uns einig, „schnell weg von hier, der spinnt ja ganz gewaltig!“

Doch der Alte hielt mich am Unterarm fest. „Läuft nicht davon, ich will euch helfen. Jeder Mensch hier auf Erden hat zwei Ich, ein äußeres und ein inneres. Mit dem einen kommuniziert er nach innen mit dem anderen nach außen.“ Langsam begriff ich worauf er hinaus wollte.

„Zu einem erfüllten Leben könnt ihr beide gelangen, wenn ihr die Steuerung dreht, sie muss von innen nach außen erfolgen. Nur in dieser Richtung ist es möglich, ein wirkliches Ich zu erlagen. Leider werden heute immer mehr Leute von außen gesteuert. Ganze Wirtschaftszweige leben davon. Menschen werden getrimmt, nicht mehr sich selber zu sein, den andern etwas vorzuspielen, um daraus Gewinn zu erzielen. Was Kundenfreundlichkeit ist, wurde längst definiert. Das einheitliche Lächeln, die Bogensätze, das Auftreten… all das wird geübt und geübt. Und je mehr man übt, verkümmert das innere Ich…“

Mir fiel es wie Schuppen von den Augen, wie viele solche Kurse hatte ich schon besucht. Managementkurse, Strategiekurse, Personalführungskurse… hatte ich damit wirklich Georg verkümmern lassen oder ihn einfach an seiner Entfaltung gehindert?

„Schau dir einmal deine Hände an. Ja, sie sind gepflegt und du bist stolz darauf. Ich aber sage dir: es wäre besser, wenn sie vernarbt wären und du damit etwas gemacht hättest!“
„Schau dir deine Füße an. Über wie viele Fußballfelder haben sie dich schon getragen, wie viele Kilometer bist du herumgerannt. Sie hätten dich auch zu deiner Mutter getragen, als sie noch lebte und allein war.“
„Schau dir deine Augen an, sie sind müde und blass. Warum musst du dir immer alle  „News“ ansehen, was bringt dir das?“

Beschämt schloss ich meine Augen, ich konnte seinen Blick nicht mehr erwidern. „Lass endlich Georg die Kontrolle über dein Leben übernehmen, und alles wird gut.“

Dann wurde es still, ich spürte, wie sich die Umklammerung an meinem Unterarm löste und schaute auf. Der Alte aber war verschwunden…
Ich saß noch eine ganze Weile wie benommen auf der Bank. Dann hörte ich Georgs Stimme: „Steh auf und mach was aus dem Leben!“

Seither bin ich – so oft es eben geht – als wirkliches Ich unterwegs…

 

 

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Luap
Im April 1960 erblickte ich die Welt.
Bin hier auf der Durchreise, und versuche - einfach gestrickt - mein Bestes zu geben.
Leise Musik ist mir lieber als laute Worte ...

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Luap Re: -
Zitat: (Original von Carolyn2 am 07.05.2012 - 07:42 Uhr) Die Geschichte hat mich sehr nachdenklich gemacht! Toll geschrieben.

Gruß von Carolyn2


Vielen Dank Carolyn2!
Manchmal gelingt es mir die Steuerung zu drehen... aber nur manchmal ;-)
zumindest gebe ich mir Mühe...

Liebe Grüsse
Paul
Vor langer Zeit - Antworten
Carolyn2 Die Geschichte hat mich sehr nachdenklich gemacht! Toll geschrieben.

Gruß von Carolyn2
Vor langer Zeit - Antworten
Luap Re: -
Zitat: (Original von Norali am 09.01.2011 - 19:59 Uhr) Wow, ein toller Text.
Das was du schreibst und damit ausdrücken willst, gefällt mir wirklich gut.

Liebe Grüße
Norali


Vielen Dank Norali!
Freut mich, dass dir dieser Text gefällt...

Lieben Gruss
Paul
Vor langer Zeit - Antworten
Luap Re: -
Zitat: (Original von ulla am 09.01.2011 - 20:06 Uhr) Sehr guter Text
In der Theorie würden wir es alle wissen, doch die Praxis ist nun eben...
wir treten im Hamsterrad, nur nicht denken, nur kein Gefühlund vor allem keine Zeit vertrödeln, auch nicht auf der Parkbank...
lg
ulla (nachdenklich)


Vielen Dank Ulla!

Freue mich und wünsche dir einen schönen Sonntag...

Lieben Grüsse
Paul
Vor langer Zeit - Antworten
ulla Sehr guter Text
In der Theorie würden wir es alle wissen, doch die Praxis ist nun eben...
wir treten im Hamsterrad, nur nicht denken, nur kein Gefühlund vor allem keine Zeit vertrödeln, auch nicht auf der Parkbank...
lg
ulla (nachdenklich)
Vor langer Zeit - Antworten
Norali Wow, ein toller Text.
Das was du schreibst und damit ausdrücken willst, gefällt mir wirklich gut.

Liebe Grüße
Norali
Vor langer Zeit - Antworten
Luap Re: -
Zitat: (Original von Shari am 18.09.2010 - 08:35 Uhr) War heute Morgen spazieren und fand Deine Parkbank...
Nicht bewusst, aber zum richtigen Zeitpunkt...

Nach wie vor finde ich das mit einer Deiner besten Sachen, die Du geschrieben hast...

Lieben Gruss
Heidi


Ich finde mich oft auf dieser virtuellen Parkbank wieder und bin hin- und hergerissen, auf der Suche nach meinem wirklichen Ich und dem Sinn, in dem, was ich hier auf dieser Welt tue...

Lieben Gruss
Paul

Vor langer Zeit - Antworten
Shari War heute Morgen spazieren und fand Deine Parkbank...
Nicht bewusst, aber zum richtigen Zeitpunkt...

Nach wie vor finde ich das mit einer Deiner besten Sachen, die Du geschrieben hast...

Lieben Gruss
Heidi
Vor langer Zeit - Antworten
Luap Re: Richtige... -
Zitat: (Original von WortWichtel am 28.09.2009 - 21:15 Uhr) ...Gedanken, und doch ist das Leben voller Kompromisse, zu tief verwurzelt und verstrickt sind wir Menschen in unserer Umgebung - das beginnt schon mit diesem ollen Funkwecker, der mich fast jeden Morgen weckt... ;-)

Liebe Grüße
Uwe



Vielen Dank Uwe! Lach, dann habe ich ja einen Leidensgenossen, ich habe auch so ein olles Ding...

LG, Paul
Vor langer Zeit - Antworten
Luap Re: Lieber Paul, -
Zitat: (Original von Lilie am 28.09.2009 - 19:40 Uhr) deine Geschichte ist sehr gelungen, welch weiser alter Herr, der scheint genauso verrückt wie ich:-) und ich wünsche dem Herrn von Herzen, dass viele Leute seinen Worten lauschen, denn viel zu oft, trifft man auf taube Ohren.
Schön!!!
Liebe Grüße
Britta



Vielen Dank Britta! Da gebe ich dir Recht, viel zu oft trifft man auf taube Ohren...

LG, Paul
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