Kurzgeschichte
Freiheit

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"Freiheit"
Veröffentlicht am 17. September 2009, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Ich boykottiere Dich Realität
Freiheit

Freiheit

Beschreibung

Lieblingsgeschichte aufpoliert

Sterbehilfe?

Seit Stunden wartet er nur auf sie, nicht zum ersten Mal übt er den perfekten Blick im Spiegel. Lässig soll er wirken, aber doch interessiert. Bloß nicht arrogant wirken, das könnte sie abschrecken. Zum wohl hundertsten Mal an diesem Tag streicht er sich durch die Haare, damit auch alle Strähnen an ihrem Platz bleiben. Sein Spiegelbild offenbart bei einem leichten Lächeln frisch gebleichte Zähne. Er pustet sich in die Handfläche – Frischer Pfefferminzatem. Er ist perfekt auf den Moment vorbereitet. Nervös sieht er auf die Uhr, es ist 10 Minuten vor 8, draußen taucht die untergehende Sonne die Bäume vor seinem Fenster in ein orangefarbenes Licht. 10 Minuten Zeit im Kopf durchzugehen wie sie an seinen Lippen hängen würde, wie er sie berühren will. Ihre Kurven faszinieren ihn, er will sie besitzen und weiß doch, dass sie ihn irgendwann verlassen wird.

 

Tick, Tack macht die Wanduhr, das Haus ist geschmackvoll eingerichtet, alte Bauernmöbel, dunkler Parkettboden. Dezent und stilvoll, genau wie er als Person auch ist. Die Menschen beschreiben ihn als freundlich, zurückhaltend, er ist ein guter Zuhörer. Man kann ihn jederzeit anrufen, er hat immer einen guten Rat, grüßt die Verkäuferin an der Kasse ebenso höflich wie den Postboten. Ein angepasster Mann, in einem mittelständischen Unternehmen als Manager tätig, sein Gehalt macht ihn nicht reich, aber er muss sich auch keine übermäßigen Sorgen um das Geld machen. In seiner Freizeit mäht er den Rasen, der stets perfekt aussieht oder wäscht den BMW vor seiner Haustüre. Seine Nachbarn läd er manchmal zum Essen ein, dann serviert er einen guten Wein, diskutiert mit ihnen über Politik. Er ist unverheiratet, aber dennoch sieht man auf wichtigen Empfängen immer eine Frau an seiner Seite. Stilvoll, genau wie er. Sie dürfte Mitte 30 sein, ihre blonden Haare zumeist zu einem Dutt aufgesteckt, dezent geschminkt, immer in passender Kleidung. Im Abendkleid macht sie eine ebenso gute Figur wie in Sportkleidung. Ab und an gehen sie ins Fitnessstudio. Ihren Namen kennt so richtig niemand, wenn man nachfragt sind sich seine Geschäftspartner plötztlich unsicher, ob sie sich überhaupt vorgestellt hat. Sie wissen aber noch genau, dass er ihr den Stuhl zurecht gerückt, ihren Mantel aufgehängt hat. Er ist der perfekte Gentleman und sie scheint das zu genießen.

 

Ein letzter Blick auf die Uhr. Endlich ist der Moment gekommen. Er erhebt sich vom Bett und geht zum Schreibtisch. Diese Minute muss er auskosten. Sehr sorgfältig rückt er nochmals seine Krawatte zurecht, setzt sein Siegerlächeln auf. Dann nimmt er eine Zigarette aus der Schachtel. Endlich – Er hat einen genau festgelegten Zeitplan, ein perfekt strukturiertes Leben. Man gönnt sich ja sonst nichts. Das Rauchen ist hierbei keine Ausnahme. Das silberne Feuerzeug schnappt auf, während er sich auf den Balkon begibt und die Flamme bringt die Spitze der Zigarette zum Glühen. Er atmet den Rauch tief in die Lunge, während er seinen Blick schweifen lässt. Es ist Wahlkampf und weiter unten auf der Straße sind die ersten Plakate aufgehängt. Er versucht sie zu entziffern, jedoch ohne Erfolg. Ein weiterer Zug, der Wind bläst den Rauch zur rechten Seite. Er sieht ihm nach und sein Blick bleibt an einer Frage hängen, die auf einem großen Plakat an der Wand hängt. „Sterbehilfe?“ steht da. Er wird kreidebleich, seine Hand in der er die Zigarette hält beginnt zu zittern. Sein Kopf schmerzt. Wütend drückt er die Zigarette im Aschenbecher aus. „Sterbehilfe?“ Das Wort hämmert zwischen seinen Schläfen, er presst die Handballen davor um es zum Schweigen zu bringen. Im Aschenbecher erlischt die Glut der Zigarette als er zusammenbricht, seine Stirn knallt mit einem bösen, stumpfen Ton vor das metallene Balkongeländer.

 

Als ihn die Putzfrau am nächsten Morgen findet erschrickt sie. Seine Lippen sind in einem seltsamen Lächeln hochgezogen, die Zähne darunter gelb vom Nikotin. Seine Haare sind wirr und er trägt seinen Schlafanzug. Alles an ihm wirkt gebrochen, vor allem aber seine Schädelknochen. Sie alamiert Polizei und Krankenwagen, aber der Notarzt kann nur den Tod feststellen. „Es tut mir leid, aber es scheint als habe der Krebs ihn doch besiegt.“ Er blickt misbilligend auf die ausgedrückte Zigarettenkippe im Aschenbecher.

 

„Er war ein guter Mensch.“ Steht auf seinem Grab. Viele Freunde vermissen ihn. Seine alten Arbeitskollegen beschreiben ihn als fleißig und besonnen. Niemand kann so recht verstehen, wie es so weit hatte kommen können. „Sterbehilfe?“  Das Plakat wird keine Woche später überklebt. Ein neuer Mieter für die Werbefläche ist gefunden worden. Nun hängt hier ein großes Werbeplakat einer Zigarettenfirma. „Freiheit.“ Steht darauf. Und frei ist er jetzt. Endlich.

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LadyLy
Ich boykottiere Dich Realität

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LadyLy Re: Ist zurecht deine... -
Zitat: (Original von PhanThomas am 22.07.2010 - 23:30 Uhr) ... Lieblingsgeschichte. DIe ist echt gelungen. Und sehr ungewöhnlich für dich. Aber das macht's ja gerade so toll. :-)

Liebe Grüße
Thomas


Lieber Thomas,

ich geb zu, die ist tatsächlich ein Unterschied zu sonst. *grinst* So realitätsnah und so. Und nicht total boshaft.

Ganz liebe Grüße dir Großer
Lyleinchen
Vor langer Zeit - Antworten
LadyLy Re: Vor -
Zitat: (Original von Luzifer am 22.07.2010 - 20:00 Uhr) etwas weniger als einem Jahr schrieb ich dazu, dass mir ein kalter Schauer über den Rücken lief. Heute, da ich die Geschichte schon fast überschrieben hatte, ist es Erkenntnis und Freude, wobei die Bahnen unterschiedliche Richtungen einschlagen.
Naja....
Schönen Tag
Luzifer


Hey ho,

immerhin hast du dich wieder hierherlocken lassen. Und wenn sich die Gefühle beim Lesen verändern, dann ist das für mich eine positive Überraschung.

Liebe Grüße dir
Ly
Vor langer Zeit - Antworten
LadyLy Re: bingo -
Zitat: (Original von Himmelskind am 20.09.2009 - 22:24 Uhr) lg

birgit


Verdammt, du warst schneller. Damit gewinnst du den Toaster. *lächelt*

Nein ehrlich, hab mich sehr gefreut.

Liebe Grüße dir
Lychen
Vor langer Zeit - Antworten
PhanThomas Ist zurecht deine... - ... Lieblingsgeschichte. DIe ist echt gelungen. Und sehr ungewöhnlich für dich. Aber das macht's ja gerade so toll. :-)

Liebe Grüße
Thomas
Vor langer Zeit - Antworten
Luzifer Vor - etwas weniger als einem Jahr schrieb ich dazu, dass mir ein kalter Schauer über den Rücken lief. Heute, da ich die Geschichte schon fast überschrieben hatte, ist es Erkenntnis und Freude, wobei die Bahnen unterschiedliche Richtungen einschlagen.
Naja....
Schönen Tag
Luzifer
Vor langer Zeit - Antworten
LadyLy Re: was soll ich denn nun -
Zitat: (Original von seelchen am 18.09.2009 - 13:17 Uhr) noch dazu sagen? Nichts mehr. Denn die Geschichte spricht so sehr für sich selbst... Heute in der schweizer "Bild" gibt eine berühmte Persönlichkeit einen Blick in ihr privates Leben. Der Titel: "Ich träume jede Nacht vom Tod" - das habe ich vorher, also vor knapp einer Viertelstunde gelesen, als ich an der Tanke war um Zigaretten zu holen.... Witzig, dass ich dann genau diese Geschichte auswähle, um den Nachmittag einzuläuten....

Liebe Grüsse von mir
seelchen


Liebe Seelchen,

manchmal spielt uns das Leben streiche. Vielleicht hier dir. Der Titel der "Bild" trifft es hier sogar ausnahmsweise Mal - Erschreckend.

Dir dennoch herzliche Grüße
Ly
Vor langer Zeit - Antworten
LadyLy Re: was soll im 2. Absatz das wort "ohnehin" -
Zitat: (Original von Boris am 17.09.2009 - 22:18 Uhr) das kann man weglassen!

Sonst ists ein guter text

LG Boris


Lieber Boris,

hab es geändert. Dankeschön.

Liebe Grüße
Lychen
Vor langer Zeit - Antworten
LadyLy Re: Einfach ... -
Zitat: (Original von Gunda am 17.09.2009 - 21:26 Uhr) ... nur gut, Lychen.
Stimmig in sich, angefangen bei der Beschreibung des ja nur in seiner eigenen Fantasie bestehenden stilvollen Auftreten des Mannes über die Bebilderung der (vermutlich früheren) Lebensumstände bis hin zu der Idee mit dem später überklebten Plakat.
Lieben Gruß
Gunda


Liebe Gunda,

perfekt erfasst, mehr kann man dazu nicht sagen. Achso doch - Danke für den Hinweis mit dem "aufgehangen", hab es natürlich korrigiert.

Liebe Grüße
Lychen
Vor langer Zeit - Antworten
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