Marouen war ein 11-jähriger aufgeweckter Junge, immer fröhlich und gut gelaunt, daher auch sehr beliebt bei den Klassenkameraden. Seine kirschschwarzen Augen und die lockigen dunklen Haare, fanden auch die Mädels ganz toll…
Seit einiger Zeit war er auf der Suche. Irgendwie musste es doch möglich sein, das Licht einzufangen. Sein Vater hatte ihm einmal von der Idee einer Dunkellampe erzählt, die man einfach anknipsen könnte und schon wäre es dunkel im Raum, ohne Vorhänge oder Rollläden. Dies zündete in ihm den umgekehrten Gedanken, das Licht
einzufangen, und wann immer man es bräuchte, könnte man ein wenig davon wieder freilassen.
Sehr schnell konnte Marouen seine Freunde für sein Vorhaben gewinnen. Schon am nächsten schulfreien Nachmittag trafen sie sich bei ihm zu Hause. In Papas Werkstatt fanden sie viele nützliche Gegenstände, die sie mit nach draußen auf die Wiese schleppten. Die Sonne strahlte vom Himmel und bot die allerbeste Voraussetzung, das Licht zu erhaschen. Zuerst versuchten sie es mit einem alten Kartoffelsack. Sie hielten ihn mehrere Minuten weit offen zur Sonne gerichtet und schnürten ihn dann
blitzschnell zu. Der anschließende Versuch im dunklen Keller aber misslang. Als sie den Sack öffneten, kam nicht die Spur von Helligkeit heraus. William meinte: Der Sack wäre wohl nicht dicht genug. Ihr Eifer kannte keine Grenzen. So versuchten sie es weiter mit einem Konfitüreglas, welches sie zuerst außen herum mit schwarzem Isolierband beklebten. Danach mit einem Metallrohr, das sie wie ein Fernrohr zur Sonne richteten und anschließend geschwind vorn und hinten zuhielten. Aber am Ende mussten sie einsehen, dass sich das Licht weder abschneiden, anbohren, aufsaugen, einatmen, noch umschlingen ließ. Abends waren sie todmüde und
völlig enttäuscht. Zu allem Überfluss wurden sie auch noch von Marouens kleiner Schwester ausgelacht, die natürlich alles schon von Anfang an besser gewusst hatte und sich freute, dass die müden Jungs die ganzen Geräte wieder ordentlich in Papas Werkstatt zurückbringen mussten.
Am nächsten Tag sprach sich die Geschichte ganz schnell in der Schule herum. Plötzlich distanzierten sich die Freunde von Marouen. Er wurde ausgelacht, wie verrückt denn jemand sein müsste, der das Licht einfangen wollte. Es tat ihm schrecklich weh, zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich
allein und unverstanden. Seine Lehrerin, wollte ihn trösten, seine Idee sei ja ganz toll, aber eben unmöglich umzusetzen…
Auf dem Nachhauseweg kam er am kleinen Baggersee vorbei. Dort spiegelten sich die Sonnenstrahlen im Wasser und funkelten ihm zu. Schnell lief er nach Hause und holte einen Eimer. Er war überzeugt, es würde gelingen. Nun hatte er die Chance, es allen zu beweisen. Flink tauchte er den Eimer ins glitzernde Wasser und schöpfte das Licht. Vorsichtig drückte er den Deckel zu. Jetzt hatte er es geschafft…
Sein Herz klopfte vor Aufregung, als er im Keller das Licht wieder freilassen
wollte, aber welch eine Enttäuschung. Auch diesmal hatte alles wieder völlig versagt.
Am Abend dachte er an seine Großmutter. Vielleicht könnte sie ihm weiterhelfen. Die wusste doch immer so viel. Mama erlaubte ihm, Oma noch schnell zu besuchen. Beherzt trat er in die Pedale und radelte durchs Dorf. Oma’s Haustür war noch nicht abgeschlossen, so trat er ein und pfiff, wie immer wenn er in ihr Haus eintrat, einen kleinen Zweiklang als Erkennungszeichen. „Bist du es, mein Sonnenschein?“ hörte er die Oma von oben herunter rufen…
Als er ins Wohnzimmer eintrat, saß die Großmutter im Halbdunkel in ihrem Sessel. „Oh Marouen, wie ich mich freue, du bringst mir das Licht!“ begrüßte sie ihn herzlich. „Wie meinst du das?“ fragte Marouen. „Weißt du, immer wenn du mich besuchst, wird es in mir hell. Du bist für mich die Sonne, das strahlende Licht, das mir mein Leben erhellt. Das wahre Licht ist die Liebe, die man in sich trägt, man kann es an andere Menschen weitergeben oder auch von andern, die es aussenden, einfangen“, erkläret ihm die Großmutter. Marouen umarmte seine Oma und war überglücklich. „Oma du bist die Größte!
Du hast mir meine Frage beantwortet, ohne dass ich sie zu stellen brauchte“. Die Oma begriff zwar nicht, um was es ging, sie genoss einfach den Moment mit ihrem Enkel…
Am nächsten Tag war er in der Schule ganz selbstbewusst. Er war die Lichtquelle und funkelte seine Klassenkameraden an. Und siehe da, wie es wirkte. Sie lächelten zurück und wollten alle auf einmal wieder mit ihm spielen. Die kleine Katlin zwinkerte ihm sogar zu…
Als er ihnen vom wahren Licht, dem Urlicht, welches man einfangen, in sich tragen und aussenden kann, zu erzählen
begann, hörten sie ihm gespannt zu. Selbst die Lehrerin war verblüfft und musste ihm Recht geben. Licht konnte man wirklich einfangen!
In der großen Pause spielten dann die Kinder auf dem Schulhof Licht senden und einfangen. Hei, war das ein Spaß!
Und als die Schule aus war, trugen sie ihre Lichter nach Hause, jedes Kind in seine Familie…