Der kleine Elefant
Es war einmal ein kleiner Elefant. Er lebte mit seinen Eltern, Tanten und Onkeln und fünf anderen kleinen Elefanten in Afrika und war sehr glücklich. Wenn die Herde durch die Savanne zog und zu einem Wasserloch kam, ging es hoch her. Die Jungtiere stürmten übermütig zu den Wasserlacken, tranken gierig ... und dann ging die Spielerei los. Mit ihren langen Rüsseln spritzten sie sich
gegenseitig an und jagten einander wie Kinder beim „Abfangen spielen“.
Keine Spur mehr von Müdigkeit. Neugierig liefen die Jungtiere bald da-, bald dorthin. Aber die mächtigen Bullen ließen sie nicht aus den Augen. Sie wackelten mit ihren riesigen Ohren und trompeteten laut.
„Werdet ihr wohl hübsch bei der Herde bleiben!“, hieß das, und sie trieben die Ausreißer wieder in ihre Mitte.
Leider blieben sie nie lange, sondern brachen stets nach ein, zwei Tagen wieder auf.
Bei ihren Wanderungen begegneten die Elefanten vielen Tieren, aber sie mussten sich vor keinem fürchten. Nicht einmal vor den Löwen.
Eines Tages jedoch passierte etwas Fürchterliches.
Es war heiß, sehr heiß. Die Herde rastete im Schatten einiger Bäume, sogar die Jungtiere ließen sich erschöpft nieder. Nur unser kleiner Elefant trottete gelangweilt über die ausgedorrte Steppenlandschaft. Um sich Kühlung zu verschaffen, wackelte er heftig mit seinen großen Ohren.
„Fade Gesellschaft!“, murrte er mit einem bösen Blick auf seine Freunde und steuerte eine Gruppe von Büschen an, um wenigstens ein paar grüne Blätter zu naschen.
Gerade, als er mit seinem Rüssel nach
den saftigsten greifen wollte, knackste und krachte es im Dickicht dahinter.
„Ei“, dachte der kleine Elefant, „ vielleicht ist da jemand zum Spielen?“. Neugierig ging er ein paar Schritte weiter.
...... Und, oh weh, oh weh!
Bums .... war er in eine tiefe Grube gefallen!
Sein jämmerliches Schreien rief die anderen Elefanten herbei. Doch leider konnten sie ihm nicht helfen. Nicht nur das. Als Männer mit Gewehren auftauchten, ergriffen sie die Flucht und ließen den armen kleinen Elefanten allein.
Die Wildtierfänger betäubten ihn zuerst.
Dann fesselten sie ihn und zogen ihn mit dicken Seilen auf einer vorbereiteten Rampe aus der Grube. Auf einem Lastwagen wurde er abtransportiert und schließlich mit anderen Wildtieren an einen Tiergarten in ein fernes Land verkauft.
Nun lebte er in einem Elefantenhaus, wo er mit einem Fuß an einem Eisenpflock angekettet war. In der warmen Jahreszeit, durfte er sich in einem Gehege, das umzäunt war, frei bewegen. Natürlich war das schöner, als im Haus angekettet zwei Schritte vor und zwei zurück zu machen. Aber schön war es trotzdem nicht.
Die Tierwärter kamen, brachten ihm zu fressen und striegelten ihn. Sie waren eigentlich sehr lieb zu ihm. Trotzdem war unser kleiner Elefan sehr, sehr traurig und dicke Elefantentränen, so groß wie Kirschen, kullerten aus seinen Augen. Er hatte ganz starkes Heimweh und sehnte sich zurück nach Afrika. Nichts konnte seine trübe Stimmung aufhellen. Auch nicht die vielen Kinder, die am Freigehege stehen blieben, ihm Leckerbissen in den Rüssel steckten und ihn sehr bewunderten.
Im Gegenteil, wenn er sie so lachen und herumtollen sah, wurde er nur noch trauriger und erinnerte sich an das schöne, freie Leben in der Savanne
Afrikas. Er wandte den Besuchern den Rücken zu und trottete zu dem alten Baum inmitten des Geheges. In seinem Schatten grub er mit seinem Rüssel in der Erde und spritzte sich den Sand auf den Rücken, um die lästigen Fliegen zu verjagen.
Eines Tages fuhr sein Rüssel in eine Höhlung unter einer Baumwurzel und holte ein zappelndes Etwas daraus hervor. Neugierig beäugte er seinen Fund. Als er diesen Leckerbissen in sein Maul stecken wollte, vernahm er ein jämmerliches Stimmchen.
„Bitte, bitte, tu mir nichts. Verschone mein Leben – ich will dich dafür auch belohnen.“
Erstaunt hielt der kleine Elefant inne.
„Wer oder was bist denn du?“
„Ich bin ein Erdmännchen. Ich bin zwar klein, aber ich kann zaubern. Wünsch´ dir was!“
„Gut.“, sagte der kleine Elefant. „Ich habe Hunger und wünsche mir 5 Kilogramm Äpfel und 5 Kilogramm Weißbrot.“ Dabei lachte er, zum ersten Mal seit seiner Gefangennahme.
Es war ja wirklich zu komisch! Wie sollte das winzige Wesen solche Riesenportionen herbei schaffen?
In diesem Augenblick kam der Wärter mit zwei Kübeln auf den Baum zu.
„Na, du Dickhäuter, du?“, sagte er. „Schau, was ich dir da bringe: Eine
Extraration, weil meine Tochter heute Geburtstag hat. Da sollst auch du dich freuen.“
Er stellte die beiden Kübel, einen voll Weißbrot, einen voll Äpfel vor den kleinen Elefanten. „Lass es dir gut schmecken!“. Dann tätschelte er ihm den Rüssel und kehrte zurück ins Elefantenhaus.
Unser kleiner Elefant war baff.
„Hupps!“, machte er, weil er vor lauter Überraschung nichts anderes sagen konnte.
Das Erdmännchen sah ihn triumphierend an.
Von diesem Tag an ging es dem kleinen Elefanten etwas besser, denn
jetzt hatte er einen Freund. Jeden Tag, wenn er sich zum alten Baum stellte, kam das Erdmännchen aus seiner Höhle. Der Elefant hob es mit seinem Rüssel behutsam zu seinem Gesicht hinauf, so dass er es sehen konnte. Dann erzählte er ihm von Afrika und wie schön es dort gewesen war. Er erzählte von der Savanne, von den vielen Wildtieren, den hohen, schlanken Giraffen, den Löwen, Zebras und all den anderen, aber auch von seiner Gefangennahme.
„Das ist ja traurig“, sagte sein winziger Freund, „furchtbar traurig. Du möchtest wohl wieder zurück nach Afrika? Stimmt ´s?“
„Natürlich! Das ist das Einzige, was ich
mir wünsche und wovon ich Tag und Nacht träume.“
„Pass auf, vielleicht kann ich dir helfen?“, sagte das Erdmännchen. „Ich kann ja zaubern. Aber ob ich DAS kann? Du bist ja so schrecklich groß.“
Am nächsten Tag erschien es nicht. Doch am übernächsten war es ganz zeitig am Morgen wieder da.
„Ich habe geübt!“, rief es, „fleißig geübt. Und jetzt weiß ich den Spruch, mit dem ich dich nach Afrika zaubern kann!“
Es setzte sich im Schneidersitz vor den Elefanten, schloss die Augen, beschrieb mit den Händen magische Kreise und murmelte einen Zauberspruch.
Das Unglaubliche geschah. Langsam hob sich der kleine Elefant vom Boden, stieg 10 cm, 20 cm, ja sogar 1 Meter hoch .... doch dann plumpste er zurück auf den Boden.
„Oh, je!“, rief das Erdmännchen. „Zu schwach. Da muss ich noch weiter üben.“
Nach einigen Tagen schaffte es der kleine Wicht, den Elefanten 3 Meter in die Luft zu heben und sogar ein Stückchen fliegen zu lassen.
Unser kleiner Elefant geriet dermaßen in Aufregung, dass er den nächsten Morgen kaum erwarten konnte, denn das Erdmännchen versuchte sein Zauberstück immer nur morgens, wenn noch niemand im Tiergarten war.
So ging es durch den ganzen Sommer und den halben Herbst. Die Tage wurden kürzer und kälter.
Bald würde der Winter kommen, der Elefant nicht mehr im Gehege herum gehen und die Höhle des Erdmännchens zugeschneit und zugefroren sein. Bis dahin mussten sich alle Erdmännchen in die Tiefe der Erde zurückgezogen haben.
Das machte die beiden Freunde sehr traurig. Besonders der kleine Elefant fürchtete sich vor der Kälte und der Einsamkeit. Und wieder einmal kullerten Elefantentränen, so dick wie Kirschen, aus seinen Augen.
Doch was ein richtiger Freund ist, ist genau dann da, wenn die Not am größten
ist.
So staunte der kleine Elefant nicht schlecht, als eines Morgens sein Freund aus dem Erdloch kraxelte und hinter ihm noch 35 ebensolche Männchen.
„Meine Familie“, stellte das Erdmännchen die kleinen Gesellen vor.
Zu gleicher Zeit kamen von überall Erdmännchen gelaufen, aus jedem Gehege. Und alle stellten sich im Kreis um den kleinen Elefanten.
„Meine Freunde“, stellte das Erdmännchen die Hinzugekommenen vor.
Dann hielt es eine beinahe feierliche Rede: „Mein lieber Freund“, sagte es, „wir alle wollen dir helfen. Wir werden heute gemeinsam versuchen, dich nach
Afrika zu zaubern. Ich hoffe, du findest deine Familie wieder und wirst endlich glücklich.
Vorher aber will ich dir danken, dass du mich geschont hast und dass ich dein Freund sein durfte. Ich werde dich nie vergessen. Lebe wohl und alles Gute!“
Das Erdmännchen schloss die Augen. Alle anderen hockten sich im Schneidersitz nieder, beschrieben mit den Händen magische Kreise und murmelten gemeinsam einen Zauberspruch.
Und siehe da. Unser kleiner Elefant hob sich leicht wie eine Feder empor, stieg höher und immer höher.
Sanft segelte er zwischen Wolken über Länder und das Meer, glitt durch das Himmelsblau und wusste nicht, ob er träumte oder das alles tatsächlich erlebte.
Erst, als er in der Savanne gelandet war und nach zwei Tagen sogar auf seine Familie stieß, wusste er, dass dies kein Traum war. Er war wieder daheim! Daheim in seinem Afrika, daheim in der weiten Savanne.
„Hupps!“, machte er, weil er vor lauter Überraschung nichts anderes sagen konnte.
Und wieder rannen Elefantentränen, groß wie Kirschen, über sein Gesicht – aber diesmal waren es Freudentränen.
Mit den Rüsseln umarmten die Elefanten ihren wiedergefundenen kleinen Elefanten.
Er war nun der Held, der Star der Herde, denn jeder wollte die Geschichte über ihn und die braven Erdmännchen hören.
Der kleine Elefant erzählte sie gerne. Dabei dachte er voll Liebe und Dankbarkeit an seinen winzigen Freund.
Er bat die Zugvögel und den Wind, dem Erdmännchen seine Grüße zu bringen und ihm zu erzählen, wie glücklich er jetzt wieder war.
Und die haben das bestimmt getan ......
( C ) I . H.