Plötzlich fühlte sie, wie sich eine unbeschreibliche Gänsehaut über ihren Körper legte, wie sich ihr ganzer Körper anspannte und jeder Muskel kurz vor dem Explodieren war. Es fühlte sich fast so an, als hätte sie ihren eigenen Körper nicht mehr unter Kontrolle, war es überhaupt noch ihr Körper? Gehörte er nicht längst schon dem anderen Wesen? Sie spürte, dass sie gleich etwas tun würde, was sie eigentlich nicht tun wollte, sie wusste, dass sie nicht mehr wegrennen würde, sondern stattdessen der alten Lady gegenüber treten würde. Aber sie wollte ihr doch gar nichts tun, nicht ein bisschen.
In einer schnellen Bewegung ging die Tür auf, und noch bevor Lanas Augen überhaupt die alte Frau wahrgenommen hatten, war sie schon auf sie zugesprungen und hatte sie in einen eisernen Griff genommen. „Bitte tun sie mir nichts!“, wimmerte die Frau, und ihre Stimme erweckte Lanas Verstand endlich wieder zum Leben. Was tue ich da nur? Doch auch als sie spürte, dass sie ihren Körper nun wieder besaß, ließ sie die Dame nicht los, sondern lockerte nur etwas den Griff. Aber nun hatte die Frau sie gesehen und würde die Polizei rufen, das durfte sie nicht zulassen, auch wenn es ihr schwer fiel… Oh sie hasste John…
„Wo ist die vertrocknete Rose?“, fast kam sich Lana lächerlich vor, doch die Alte antwortete ihr sofort. „Was wollt ihr mit der?“, es klang ängstlich. Lana drängte sie in das Wohnzimmer hinein, welches nur vom Kaminfeuer erleuchtet wurde und angenehm nach Zitrone roch, sie schaute sich suchend um, fand einen Schaukelstuhl, der vor einem großen gardinenlosen Fenster stand, und sie schob die hilflose, am ganzen Leib zitternde Frau dort hinüber.
„Setzen Sie sich!“, befahl Lana ihr mit äußerst fester Stimme. Die Frau gehorchte ihr sofort. „Ich warne Sie, tun Sie nichts Unüberlegtes!“, Lanas Stimme klang drohend. Dabei war sie selber voller Angst und fühlte sich in die Enge getrieben, so hätte es nicht ablaufen sollen! Schnell lief sie zum Schrank hinüber, wo sie zu ihrer Erleichterung einen langen Schal fand. Mit diesem in der Hand ging sie zu der Frau zurück, die sie mit schreckerfüllten Augen anschaute. „Tun sie mir nichts, bitte…“, bettelte sie zaghaft, in ihrem altem faltigen Gesicht, welches von langen grauen Haar umrahmt war, stand Entsetzen geschrieben, und die braunen klaren Augen flackerten vor Angst und Ungewissheit. Lana legte sanft eine Hand auf ihre Schulter, wobei die Dame zusammenschreckte, doch als Lana sie liebevoll anlächelte und mit ihren grünen Augen fest in die der Dame schaute, beruhigte sich diese seltsamerweise, so als wüsste sie, dass Lana ihr nichts tun würde. „Keine Angst, ich tue Ihnen nichts, ich möchte nur die Rose haben, dann bin ich verschwunden…“, sie hielt inne, griff nach den Händen der Frau, um diese mit dem Schal zu fesseln, und schnürte sie eng zusammen „Also wo ist sie?“.
Die Frau wehrte sich nicht, wie hätte sie dies auch? Lana war viel stärker als sie. „Sie steht in der Vitrine, aber sie ist doch völlig wertlos… Mein verstorbener Mann hat sie mir geschenkt, es war die erste Rose, die ich von ihm bekommen habe…Sie… sie bedeutet mir doch so viel…“, ihre Stimme erstarb fast. Nicht aus einer adligen Familie? Einfach nur eine wertlose Rose! Was will John damit?
„Sehen Sie es mal so, diese Rose rettet Ihnen nun das Leben“, mit diesen Worten wandte sich Lana von der Frau ab und ging zu der großen Vitrine hinüber, in der jede Menge Schnickschnack stand – und auch die Rose, die sorgfältig in einen Glaskasten eingearbeitet und völlig vom Glas umgeben war. Das Mädchen seufzte, öffnete die rechte der beiden Vitrinentüren und nahm behutsam die glasumschlossene Rose in ihre Hände. Vielleicht hat sie ja doch einen Wert... Wegen der Rose hatte sie die alte Dame ganz vergessen, schnell drehte sie sich wieder zu ihr um, doch die saß immer noch wie angewurzelt auf dem Schaukelstuhl, mit den Rücken zu ihr, da der Stuhl dem Fenster zugewandt war. Ich brauche einen Strick… schnell öffnete sie ein paar Schubladen. doch einen Strick fand sie nicht.
„Ich besitze kein Geld…“, wimmerte die alte Frau, es klang fast so, als würde sie weinen. Lana brannte das Herz, sie wollte das doch nicht, aber sie wusste auch, dass sie keine andere Wahl hatte.
Sie suchte weiter, aber statt eines Stricks fand sie eine Hundeleine. Ob sie einen Hund hat?? Das war nicht sehr wahrscheinlich, dieser hätte sich doch längst schon bemerkbar gemacht, aber die Leine konnte sie gut gebrauchen. Sie ging wieder zurück zu der Frau, legte die Rose, die sie immer noch in der Hand hielt, vorsichtig auf einem Tisch ab – und fing an, mit der Hundeleine die Dame an den Stuhl zu binden, so dass kein Entkommen mehr möglich sein würde. Jetzt war es nicht mehr zu übersehen, dass die alte Dame weinte, und das tat Lana weh. „Es tut mir so leid, Ihnen wird wirklich nichts passieren, gute Frau!“, versuchte sie, ihr Opfer etwas zu beruhigen.
„Mir liegt doch so viel an dieser Blume, bitte nehmen Sie doch etwas anderes mit, aber lassen Sie mir das Röslein da…“ Lana brannte das Herz, aber Auftrag war Auftrag, und als sie die Dame einigermaßen an den Stuhl gefesselt hatte, wollte sie nur noch weg und schnappte sich die Glasblume. „Es tut mir wirklich, wirklich leid…“, mühsam stieß sie diese Worte aus.
Sie verließ hastig das Haus und rannte durch den Garten, machte sich aber diesmal nicht die Mühe die Pforte zu öffnen, sondern sprang stattdessen mit einer unglaublichen Leichtigkeit über sie hinweg, und sie wunderte sich kein bisschen über ihre neuen sportlichen Fähigkeiten, nahm sie einfach so hin. Die Rose hielt sie fest umklammert in ihrer Hand und lief nun den kleinen Pfad zurück zum Auto, wo sie sich gelassen in den Sitz zurücklehnte und tief ein- und ausatmete. Ihr Blick klebte an der wunderschönen Rose, die in dem feinen Glas eingearbeitet war. Nein, es lag ihr wirklich nicht, Leute zu bestehlen, ganz und gar nicht. Dann startete sie den Motor.
An der ersten Telefonzelle die sie auf den Weg zu John entdeckte,, hielt sie an und sprang hinaus. Niemand war in der Nähe, und sie hoffte auch, dass keiner sie beobachtete, ihr Herz raste, als sie nach dem Hörer griff, natürlich hatte sie noch ihre Handschuhe an, sie wollte nirgendwo ihre Spuren hinterlassen. Dann wählte sie die Nummer 110, und es dauerte nicht lange. da nahm auch schon ein Mann ab. Sie ließ ihn nicht einmal ausreden, sondern unterbrach diesen sofort:
„Ich habe eben eine Frau bestohlen, Waldwinkel 18, in Buringhol, das Haus ist gut versteckt im Wald, man findet es nur, wenn man den Pfad zu Fuß entlang geht, beeilen Sie sich, die Dame ist schwer verletzt“, damit legte sie auf. Natürlich hatte sie die Frau nicht verletzt, aber sie wollte. dass die Beamten sich beeilen und nicht herumtrödeln würden, denn schließlich sollte die Dame nicht länger als nötig gefesselt bleiben.
Der nächste Morgen brach an, und Lana wurde unsanft von ihrer Mutter geweckt, die völlig aufgeregt in ihr Zimmer stürmte und das Licht anknipste.
„Lana Schatz, steh auf!“. Doch Lana dachte nicht im Traum daran, sondern presste ihr Kopfkissen fester gegen ihr Ohr. Ihre Mutter jedoch gab nicht auf, setzte sich auf ihr großes Bett und hielt die Zeitung auf ihrem Schoss aufgeregt fest. „Steh auf!“, sagte sie wieder unsanft. Brummig blinzelte ihre Tochter sie an, nicht nur dass sie mal gerade erst vor zwei Stunden ins Bett gekommen war, nein ihr Schädel schien fast zu explodieren, so sehr schmerzte er ihr, und ihre Gelenke fühlten sich unangenehm an, sie konnte dieses Gefühl nicht einmal beschreiben. „Lass mich schlafen…“, murmelte sie mit Anstrengung.
Die Mutter zog ihrer Tochter einfach die Decke weg und wurde dafür sofort mit einem zornigen Blick bestraft, um den sie sich jedoch nicht kümmerte. „Hier, lies doch mal!“, sagte sie zu ihrer Verteidigung und warf Lana die Zeitung auf den Schoß. Eigentlich wollte sich Lana gerade fürchterlich darüber aufreden, dass man sie weckte, damit sie die Zeitung las, aber dann erblickte sie ein Foto, welches sie hellwach werden ließ.
Donnerwetter…
Sofort richtete sie sich auf. In der Zeitung war tatsächlich ein Bild von ihr zu sehen, wie sie maskiert in der Telefonzelle stand und telefonierte. Ihr Puls schien zu rasen, und sie kämpfte mit einer unangenehmen Übelkeit, die sich in ihr breit machen wollte.
Sie kämpfte dagegen an und zwang sich dazu, den Artikel zu lesen.
JUGENDLICHE KLAUT ZUM SPASS WERTLOSE ROSE!
Was geht in den Köpfen unserer Heranwachsenden vor?
Eine alte Frau wurde in ihrer eigenen Wohnung überfallen,
man fesselte sie an einen Schaukelstuhl, bedrohte sie –
und raubte ein Andenken von ihrem verstorbenen Mann!
Das Opfer berichtete, dass die Täterin wohl noch recht jung war,
vielleicht gerade mal achtzehn Jahre alt, sie war ganz in Schwarz
gekleidet, trug eine zurechtgeschnittene Maske und Handschuhe.
Das einzige was das Opfer sonst noch erkennen konnte war:
Sie hatte grüne Augen!
Noch unglaublicher ist: Nachdem die Diebin ihre Tat vollbracht hatte,
hielt sie mit einem schwarzen Jeep im Nachbardorf „Grünwalde“ an,
rief von einer Telefonzelle aus die Polizei an und berichtete von ihrer Tat.
Zufälligerweise ging gerade ein Hundeführer mit seinem Hund spazieren.
Ihm fiel die ungewöhnlich gekleidete Frau in der Telefonzelle auf.
Da er die maskierte Frau für sehr seltsam hielt, fotografierte er sie.
Und er beobachtete, wie sie in den schwarzen Jeep stieg und davonfuhr.
Nun versucht die Polizei, die Unbekannte auf dem Foto zu identifizieren.
Die Polizei bittet um weitere Zeugenaussagen und Hinweise.
Dazu wenden Sie sich bitte an die Nummer: 0516/809080
Lana war kreidebleich im Gesicht, und sie hatte Angst, ihre Mutter könnte ihr ansehen, dass sie es war, die die Tat begangen hatte, sie fühlte sich schrecklich und das nicht nur, weil ihr Schlaf fehlte. „Seltsam nicht wahr, Schatz?“, Monis Stimme riss sie wieder aus ihren Gedanken zurück.
„Ja, schrecklich, war bestimmt nur ein dummer Streich oder eine Mutprobe oder so etwas…“, sie hielt kurz inne, dann gähnte sie – „und deshalb weckst du mich auf?“
Ihre Mutter lächelte sanft. „Irgendwie hat sie genau die Figur wie du… Hoffentlich finden sie das Mädchen!“ Lana bekam Angst, ihre Mutter würde schockiert sein, wenn sie erfahren würde, dass sie es wirklich gewesen war. „Ich bin müde, lass mich jetzt bitte ausschlafen!“, sagte sie leicht gähnend. Moni lächelte verständnisvoll und nickte „Aber natürlich, ich wollte es dir nur zeigen, und jetzt muss ich auch gleich wieder zur Arbeit. Schlaf gut!“, mit diesen Worten verschwand sie, und Lana atmete erleichtert auf. Sie wartete noch eine halbe Stunde, bis es keine Zweifel mehr daran gab, dass ihre Mutter wirklich weg war, dann sprang sie aus den Bett, zog sich an, griff nach der Zeitung und verließ das Haus.
John frühstückte gerade, als ihn die Klingel störte. Erst wollte er überhaupt nicht öffnen, doch dieses widerliche Summen hörte und hörte einfach nicht auf, also ließ er seinen Kaffee stehen und ging zur Tür. Als er sie öffnete, war er völlig überrascht.
„Lana, welch eine Freude!“, begrüßte er sie, doch ihr Blick verriet ihm sofort, dass sie nicht besonders gut gelaunt war. „Du Scheißkerl!“, wollte sie gerade loswüten, als er sie am Arm packte und sie in die Wohnung hineinzog, denn er hatte keine Lust darauf, dass seine Nachbarn etwas von der Sache mitbekamen. Kaum hatte er die Tür geschlossen, da meckerte sie auch gleich weiter herum: „Wenn ich wegen dir ins Gefängnis komme, dann kannst du was erleben und das alles nur wegen einer Rose!“, ihre Stimme zitterte fast, so aufgebracht war sie.
„Was ist denn los?“, John verstand nicht, warum sie sich so aufregte, gestern Abend, als sie sich getroffen hatten, war doch alles klar gewesen, es schien doch alles ganz gut gelaufen zu sein.
Sie trampelte förmlich in die Küche und schmetterte die Zeitung auf den Tisch. John folgte ihr und blickte dann die Zeitung verwundert an. „Sehr lieb, dass du mir die Zeitung vorbei bringst!“, sagte er spaßend.
„Hast du was zu trinken?“, ihr Ton war noch genauso wütend wie vorhin. Er holte ein Glas aus den Hängeschrank und goss Eistee hinein, den sie ohne abzusetzen austrank. Sie war zehn Kilometer mit dem Rad gefahren, nur um ihren Frust hier bei ihm auszulassen. „Schau sie dir an!“, sie stellte das leere Glas ab und deutete auf die Zeitung.
Als er die Anzeige, wegen der sie so aufgebracht war, endlich gefunden hatte, verstand er auch ihre Besorgnis. „Keine Angst, die werden dich nicht identifizieren. Die Fotoqualität ist viel zu schlecht, man sieht dich nur von der Seite, du bist gut verkleidet, das schaffen die nicht, außerdem bist du ja noch nicht einmal vorbestraft, du kleiner Engel!“, er zwinkerte ihr zu und setzte sich dann wieder auf seinen Stuhl, um seinen Kaffee weiter trinken zu können.
„Schön dass du das alles so locker siehst! Aber eins will ich dir sagen! Wenn ich ins Gefängnis komme, dann nicht alleine!“, drohte sie ihm an.
John nahm das gelassen hin, er trank einen weiteren Schluck vom dem schwarzen Gebräu und lehnte sich dann bequem zurück. Aber als er gerade etwas sagen wollte, sah er, wie sie sich auf einmal stark verkrampfte und ihre Lippen aufeinander presste, sie sank auf ihre Knie und krümmte sich zusammen, hielt ihre Augen krampfhaft geschlossen.
Entsetzt sprang er auf. „Laaana??“, fragte er besorgt und ging neben ihr auf die Knie, um sie festzuhalten. Doch als er sie in seinen Armen hielt, verlor sie das Bewusstsein.