Beschreibung
Cian erfährt einiges über die Vergangenheit des Landes und des Lebensstroms.
Kapitel 14
Geschichtsstunde
Ich kämpfte mit meiner Trauer über den Verlust meiner Schwester und gleichzeitig staute sich in mir eine dumpfe Wut auf diese Macht, auf den Lebensstrom, die ich zu unterdrücken versuchte. Außerdem drohte eine übermächtige Verzweiflung mich zu überwältigen. „Alles... Alles habe ich verloren. Meine Familie... Mein Volk... Unser Erbe... Das Erbe! Dieser verfluchte Lebensstrom... Wieso hatte er uns erwählt? Wieso musste ich diese Bürde übernehmen?“ dachte ich düster, während Fey und Mera beständig auf mich einredeten. Ihre Worte prallten unverstanden an mir ab, ich wollte allein sein, um in Ruhe meine Gedanken zu ordnen. Plötzlich fing die Siel Kyrj an zu schwingen und Fey beklagte sich vorwurfsvoll: „So rede doch mit uns! Ich spüre deine Trauer... Und deine Wut. Was ist passiert? Was hat dir der Strom gezeigt?“ Langsam drehte ich meinen Kopf ein kleines Stück in ihre Richtung und riss meinen Blick von den Weiten des Himmels, in die ich am liebsten entflohen wäre. Durch einen Tränenschleier sah ich ihr direkt in ihre schönen Augen und plötzlich wurde mir klar warum ich ihr so bereitwillig meine Dienste und meine völlige Unterwerfung über die Siel Kyrj angeboten habe. Ein selbstironisches Lachen entschlüpfte meiner Kehle und erzeugte auf Feys Gesicht einen fragenden Ausdruck. Einen Ausdruck den ich nur zu gut wieder erkannte. „Ich glaube ich bin doch verrückt geworden.“ lachte ich so leise, dass es nur Fey verstehen konnte. Ebenso leise erwiderte sie: „Was meinst du? Jetzt sag mir doch endlich was los ist.“ „Später... Kümmer dich erstmal um deine Zeremonie.“ meinte ich zwinkernd und setzte mich langsam auf. Die Blicke aller Anwesenden waren auf mich gerichtet. Einige waren neugierig, andere abschätzend und andere zeigten offenkundige Abneigung. Das Rascheln des Grases begleitete meine Bewegung, als ich leichtfüßig aufstand und Mera zur Bestätigung das alles in Ordnung sei, zu nickte. Sie schüttelte nur den Kopf und murmelte irgendetwas davon, dass ich wohl ein Sorgenbringer sein würde und wandte sich dann wieder Fey zu, die mich immer noch besorgt anguckte. „Verehrte Eloi, sind Sie bereit das heilige Ritual der Reinigung zu vollziehen?“ Mit einem kurzen Zögern wandte sie sich von mir ab und erwiderte mit einem leichten Nicken: „Ja das bin ich.“ Mera beugte ihren Kopf vor Fey und zusammen näherten sie sich der Mitte des Kreises. In angemessenem Abstand folgten ihnen die anderen und ich schloss mich der Prozession schweigend an. Je näher wir dem Gebilde kamen, desto lebendiger fühlte ich mich, desto stärker wurde ich mir der umfassenden Präsens des Stroms bewusst. Jeder Muskel in meinem Körper sprühte vor Energie und mein Herz pochte so stark, dass ich glaubte es könnte jederzeit aus meinem Brustkorb heraus brechen. Wobei ich nicht wusste, ob es am Strom oder an den Gefühlen, die sich unentwegt in mir überschlugen. Nach wenige Minuten erreichten Fey und Mera die Mitte. Die Eloi faltete die Hände und beugte ehrfürchtig den Kopf. Ein kleines Beben schüttelte den Boden, einige der Kinder stießen einen erschrockenen Schrei aus, als sie die dicken Stiele langsam auseinander bogen und sowohl einen Eingang, als auch Einblick ins das Innere der verschiedenen Pflanzen ermöglichten. Die Blumen wuchsen um eine Kuppel aus bläulich glänzendem Licht herum, fast so als würden sie es beschützen wollen. Als ich jedoch genauer hinsah, entdeckte ich, dass sich die Farben in einem ständigen Wandel befanden. Es gab Wirbel, die mehrere Farben mit einander vermischten, Farbflüsse die ineinander mündeten und neue Mischungen erschafften. Alles schien zudem ein System, eine spezielle Folge zu haben, aber jedes Mal, wenn ich dachte die Abfolge erkannt zu haben schob sich ein anderer Wirbel, ein plötzlich auftauchender Punkt oder irgendeine andere neue Form dazwischen. Unweigerlich kam mir in den Sinn, dass der Strom seiner eigenen Logik folgte. Einer Logik die seit den Anfängen des Planeten in ihrer Struktur unverändert war und sich immer weiter fortgesetzt hat. Fey, die ohne zu zögern in die mystische Kuppel trat, riss mich aus meinen Gedanken und erstaunt spitzte ich die Ohren, als sie plötzlich anfing mit ihrer melodischen Stimme anfing einen Rhythmus zu summen, der mir sehr bekannt vor kam. Jedoch war die damit verbundene Erinnerung so flüchtig, dass ich sie nicht festhalten konnte. Das war mir aber ehrlich gesagt recht so. Für meinen Geschmack hatte ich für heute schon genug schlechte Neuigkeiten erfahren. Also sah ich gebannt zu der summenden Fey und musste gegen meinen Willen lächeln, als sie anfing zu tanzen. Sie vollführte erst langsame und anmutige Bewegungen, doch dann steigerte sie ihr Tempo und auch ihr Summen wurde immer intensiver. Gespannt beobachtete ich jede ihrer Bewegungen, wie sich langsam ein dünner Schweißfilm bildete, der ihre Haut durch das Licht der Kuppel zum glänzen brachte. „Was war los?“ Ich zuckte erschrocken zusammen und fuhr überrascht zur Seite herum. Mera stand mir gegenüber und guckte mich erwartungsvoll an. „Puh, schleich dich doch nicht an mich heran. Da wird man ja ganz nervös.“ tadelte ich sie halb fluchen, halb lachend. Ihre Antwort bestand weiterhin nur aus erwartungsvollem Schweigen. „Ehrlich gesagt wüsste ich nicht, was es dich angeht... Es waren persönliche Erinnerungen...“ Ich wich ihrem forschenden Blick aus und schaute wieder zu Fey. Sie sagte nichts, sondern folgte meinem Blick und ein unangenehmes Schweigen breitete sich zwischen uns aus. Ich spürte, dass sie mit meiner Antwort nicht zufrieden war. Um die Stille zu durchbrechen fragte ich: „Was ist mit dem Attentäter passiert? Habt ihr ihn gefunden?“ Mera nickte grimmig und berichtete: „Unsere Krieger haben ihn im Wald einen halben Tagesmarsch von Feys Haus gefunden. Tot. Wir wissen nicht ob er durch die Verletzung die Fey ihm zugefügt hat gestorben ist oder ob er seinem Leben selbst ein Ende gesetzt hat... Oder ob ihn was anderes erwischt hat.“ „Was anderes?“ wiederholte ich überrascht, doch sie zuckte nur mit den Schultern. „Momentan halte ich nur sehr wenig für unmöglich. Und das noch weitere Geschöpfe von denen wir nichts wissen existieren gehört eindeutig nicht dazu.“ „Wohl war...“ pflichtete ich ihr nachdenklich bei. „Konntet ihr denn noch etwas genaueres herausfinden?“ Betrübt schüttelte sie den Kopf. „Leider nicht. Er hatte nicht verwertbares bei sich. Wir können nur hoffen, dass es nicht noch mehr von ihnen gibt.“ Um nicht wieder in Schweigen zu verfallen fragte ich schnell: „Was ist dieses Ritual der Reinigung?“ „Fey hat dir bestimmt erzählt, dass der Strom an dem heutigen Tag besonders empfänglich für äußere Einflüsse ist oder?“ Ich nickte und heftete meinen Blick wieder auf die tanzende Fey. „Das gilt sowohl für stärkende, als auch für schwächende und verändernde Einflüsse. Und damit sich die Kraft nicht so weit verändert, dass unsere grünen Wiesen, unsere Wälder und Blumen verdorren und zu Staub zerfallen wie es im Westen schon vor langer Zeit geschehen ist, wird dieses Ritual alle 20 Jahre abgehalten. Und ich muss eingestehen, dass Fey ihre Sache außerordentlich gut macht. Ich weiß nicht ob ich es selber so gut ausführen könnte.“ Plötzlich tauchten erneut die Bilder von den sieben Kriegern, die das Erbe des Windvolks, mein Erbe, angegriffen haben, vor meinem geistigen Auge auf. Und wieder erfüllte mich diese verwirrende Mischung aus Hass, Wut, Trauer und Verzweiflung. „Dann gibt es Men.... Nein eher Wesen, die danach trachten den Lebensstrom so zu verändern, dass die Welt einer Einöde gleicht?“ Mera stieß ein spöttisches Schnauben aus und schaute mich kopfschüttelnd an. „Ja es gibt sie. Aber sicherlich tun sie es nicht, weil sie Spaß daran haben ihr Dasein in einer verdorrten, leblosen Welt zu fristen!“ „Verdammt Mera! Jetzt tu doch zumindest mal für 2 Minuten so, als ob ich wirklich nichts wüsste! Egal ob du mir das glaubst oder nicht.“ meckerte ich und warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. „Na gut... Du hast gewonnen.“ seufzte sie resignierend. „Aber unterbrich mich nicht!“ Ich nickte zufrieden und schwieg erwartungsvoll. „Also... Wie der Name schon sagt gleicht der Lebensstrom einem reißenden Fluss. Seit Anbeginn der Zeit fließt er unterirdisch auf unbekannten Bahnen durch den Planeten und versorgt uns, alle Lebewesen die diese Welt ihr Zuhause nennen, mit der grundlegenden Kraft des Seins. Am Anfang gab es nur Pflanzen und Tiere, die sich den Bedingungen des Lebensstroms optimal anpassten und in geregelten Wegen mit ihm und von ihm lebten. Aber dann, niemand weiß genau warum, erschuf der Planet neue Wesen, die von nun an auf ihm wandern sollten. Sie waren anders als die anderen und besaßen etwas, das den uralten Naturzustand aufhebte. Sie waren intelligent und besaßen einen Charakter. Man könnte sagen sie waren unsere Vorfahren, auch wenn sie sich in ihrer Gestalt und Lebensdauer stark von uns unterschieden. Und wie es bei solchen Wesen üblich ist, führt das Vorhandensein eines Charakters, die Fähigkeit Emotionen zu haben, zu Schwächen, zu dem Verlangen nach Macht. So suchten diese Wesen nach einer Möglichkeit sich der unerschöpflichen Macht des Lebensstroms Zugang zu verschaffen. Viele Jahre vergingen bis sie es schließlich durch eine Zeremonie, die so grausam war, das ihre Einzelheiten aus der Geschichte getilgt worden waren, eine der Bahnen des Stroms ausfinding zu machen und ihren Schutz zu brechen. Jedoch hatten sie nicht erwartet, dass der Planet auf ihre Gier reagieren würde. Als er spürte, dass der Strom unterbrochen worden war, bäumte er sich auf und die Erde selbst soll unter dem unausgesprochenen Wort der Macht geschrien haben. Er wusste, dass seine Kreation ein Fehler war, aber durch ihr Tun besaß er nicht mehr die Macht ihr Leben zu beenden. Also blieb ihm nichts anderes übrig als sie daran zu hindern ihn zu benutzen. Er veränderte die Struktur des Stroms und erschuf die Quellen der Buße, Orte an denen der Lebensstrom die Erdoberfläche berührt. Für den Schutz der Quellen wiederum kreierte er eine komplett neue Rasse die den alten Wesen in Intelligenz mehr als ebenbürtig waren und nicht die gleichen Schwächen besitzen sollte. Die Menschheit war geboren. Und das, was du jetzt im Westen siehst ist der Beweis, das auch das mächtigste und weiseste Wesen, der Planet selbst, sich täuschen kann. Die alten Wesen waren den Menschen anfangs unterlegen und ihr Hass, ihre Gier wurden vertrieben, aber irgendwann, als die Menschen anfingen sich in Sicherheit zu wiegen und unachtsam wurden, fanden sie, wie zu vor auch, einen Weg sich die neuen Beschützer zu versklaven. Es entbrannte ein fürchterlicher Krieg zwischen den Alten und ihren neuen Marionetten und den restlichen Menschen, die sich ihrer Bestimmung noch bewusst waren. Beide Seiten wurde in diesem Krieg, der über mehrere Jahrhunderte dauerte sehr geschwächt, aber letztendlich schafften es die Menschen ihre Bestimmung zu erfüllen und die Quellen zu verteidigen. Die Alten wurden dezimiert und zurückgedrängt, aber ihr Einfluss auf die versklavten Menschen verschwand niemals ganz. Sie hatten ihre Gier nach Macht übernommen und haben das Verständnis für ihre Bestimmung verloren. Vielleicht ist das auch besser so... Sie geben sich damit zufrieden Krieg um wertloses Land zu führen und sich gegenseitig wie wilde Bestien abzuschlachten, während sie die restlichen Hüter in Ruhe lassen. Doch seit 3 Wochen gibt es die ersten Anzeichen dafür, das die Alten wieder zurückkehren. Wie du bestimmt schon gesehen hast, gibt es im ganzen Westen keinen grünen Baum mehr und keine blühende Blume... Vor 4 Wochen war es noch ein blühendes und wunderschönes Land.“ Endete Mera mit einem erschöpften Seufzen.
Meine Gedanken überschlugen sich und ich schaute hoch zu den beruhigenden Weiten des Himmels. Meras Vortrag hatte einiges in mir in Wallung gebracht. Erinnerungen flitzten durch meinen Geist ohne, dass ich sie erkennen konnte, ein Gefühl der Hilflosigkeit, dessen Ursprung ich nicht bestimmen konnte, überkam mich. Gerade wollte ich Meras Vermutung bestätigen, indem ich ihr meine Erinnerung an den Kampf um unser Erbe schilderte, als ein gellender Schrei meinen Geist durchzuckte. Sofort erkannte ich, dass es sich um Sivas Geist handelte und gewährte ihr die Vereinigung mit mir. Ich spürte die vertraute Freiheit ihres Geistes und Sekundenbruchteile später formte sich vor meinem geistigen Auge die Landschaft, die sie gerade erblickte. Nach wenigen Augenblicken schärften sich die Konturen und ich stellte fest, dass sie gerade hunderte Meter in der Luft war und lauernd eine Art Brücke umkreiste, die von dem Plateau runter führte. Das Sonnenlicht schien einfach so durch sie hindurch zu fallen und auch der frische Wind berührte das wacklig anmutende Konstrukt nicht im geringsten. „Das ist also dieser magische Pfad von dem die Legende gesprochen hat.“ vermutete ich und fing dann lauthals an zu fluchen, als ich entdeckte, wer, oder besser gesagt was gerade auf ihm das Plateau zu erreichen versuchte. Mera schaute mich fragend an und ich erklärte ihr halb fluchend: „Da kommt was über den Pfad. Und die Viecher sehen nicht sehr freundlich aus.“