Stranger ist lieb...
Stranger ist lieb
Einen Tag lang will ich mich mal benehmen, will lieb sein zu jeder Pfeife, die mir dämlich kommt, will freundlich und verständnisvoll sein, egal wie man mir begegnet.
Ich stehe extra um sieben Uhr auf, damit ich lange zu leiden habe an diesem furchtbaren Tag. Die harten Frühstückseier toleriere ich, mein Werkzeugkasten ist schließlich gut bestückt.
„Schatz, das macht gar nichts“, lächle ich großzügig, „Das ist mir auch schon passiert, dass die Eier nach zehn Minuten immer noch nicht weich waren.“
Gegen 8 Uhr 30 kommt Hilde, die Nachbarin, und will die Zeitung von gestern schnorren.
„ist was passiert, dass ihr schon auf seid?“, fragt sie boshaft.
„Ja, Hilde, aber komm erstmal rein auf einen Kaffee.“ Sie schaut mich ungläubig an, als lade ich sie zum Erwürgen ein. „Magst du vielleicht ein Ei?“ Sie schüttelt leider den Kopf.
„Weißt du“, beginne ich, „Heute habe ich meinen sozialen Tag. Ich rege mich nicht auf, ich stänkere nicht, wie ich es sonst tue, und ich schließe mich selbst der dämlichsten Meinung an.“
„Ist es so schlimm?“, fragt sie ängstlich.
„Es geht mir gut, Hilde“, antworte ich und vermeide gerade noch, ärgerlich zu klingen.
„Du tust ja so, als wenn ich sonst ein Kotzbrocken bin.“
„Quatsch, das war doch nur Spaß“, winkt sie ab. „Sag mal, kannst du mir 50 Euro leihen?“
„Natürlich. Du sagtest doch „leihen“?“
Der Briefträger kommt um zehn, ignoriert den Briefkasten an der Pforte und läutet lieber.
„Rate mal, was ich habe?“, begrüßt er mich, als ich öffne.
„Keine Ahnung. Krampfadern?“ Ich schelte mich für meinen Rückfall.
Er verdreht die Augen und klopft mit der Postkarte in seiner rechten Hand unentwegt in die Innenfläche seiner linken Hand.
„Dein Sohn hat geschrieben. Er kommt dich nächste Woche besuchen.“
„Ach? Und warum schreibt er mir das nicht?“
„Hat er doch.“ Er drückt mir die Karte in die Hand und geht an mir vorbei ins Haus.
„Verdammt heiß heute…“
Ich drücke ihm eine Cola in die Hand und frage: „Gibt es eigentlich das Postgeheimnis noch?“
„Keine Ahnung. Bei uns gibt es keine Geheimnisse.“
Angewidert trinkt er einen Schluck. Seine Miene bessert sich, als ich einen Magenbitter einschenke. Die Flasche kaufe ich nur für ihn.
Zwei Stunden später klingelt Frau Weirich. Die Dame ist eine Zeugin Jehovas und nebenbei Spendenbeauftragte für alles Mögliche. Sie mag mich nicht. Ich bin ein gottloses Ungeheuer.
Sie bekreuzigt sich, als ich die Tür öffne.
„Ist ihre Frau vielleicht da?“
"Ihnen auch einen schönen Tag, Frau Weirich. Meine Frau liest gerade in der Bibel und kann jetzt nicht. Sie können mir auch den Termin sagen.“
„Welchen Termin?“, fragt sie verwundert.
„Na, sind Sie nicht wegen dem nächsten Weltuntergang da?“, vermute ich freundlich.
„Sie sind boshaft, aber ich ertrage ihren Spott wie immer in Demut.“
Oha, das wird teuer. Ich zeige mich zerknirscht.
„Entschuldigen Sie, Frau Weirich, ich werde mich bessern. Ich meine ja auch nicht Sie persönlich, und ich schätze es sehr, dass Sie sich für soziale Zwecke einsetzen.“
Mehr ist nun wirklich nicht drin. Sie lächelt, und ich könnte wetten, sie ärgert sich, dass ihr jetzt keine Träne gelingt. Aus dem oberen Stockwerk höre ich meine Frau rufen, ob sie hinzukommen soll.
Frau Weirich lugt um mich herum ins Haus und schaut mich fragend an. Ich rufe zurück: „Nein, Schatz.“ Für zwei Frauen reicht mein Vorsatz jetzt nicht. Und zu Frau Weirich gewandt antworte ich: „Meine Frau meint, der Zug von der Tür…Ich meine, die Fenster…Sie verstehen… Bitteschön…“
Ich drücke ihr 10 Euro Ablassprämie in die Hand, entschuldige mich noch einmal und schließe erleichtert die Tür, als sie dankend geht.
Meine Frau kommt trotzdem herunter.
„War das nicht eben Frau Weirich?“
„Ja, und ich bin froh, dass die Krähe weg ist.“
„Wolfgang! Nur weil du sie nicht magst, musst du sie nicht beleidigen.“
„Ich mache es ja freiwillig. Die Frau will entweder schnorren oder bekehren. Ich hab´ ihr ja etwas gegeben.“
„Du musst die Menschen einfach akzeptieren, wie sie sind“, antwortet sie vorwurfsvoll.
„Natürlich, du hast Recht. Der Klügere gibt nach.“
„Ja, das hat sie denn ja auch.“
Irgendwie ist meine Mission nicht so erfolgreich, und ich überlege, ob ich mich nicht doch lieber einschläfern lasse, aber eine Chance gebe ich mir noch. Den nächsten, der mir begegnet, werde ich in Grund und Boden schleimen.
Es ist Hanna. Ausgerechnet. Zur Kaffeezeit um 16 Uhr. Hanna ist meine Schwiegermutter. Meine letzte Einladung zum Drachensteigen hat sie mir übel genommen. Ich weiß nicht mal mehr, ob ich sie noch duzen darf. Diese Prüfung ist zu hart für mich, und ich verbarrikadiere mich auf dem Klo. Nach zwanzig Minuten komme ich auf Druck meiner Frau heraus und mache ein leidendes Gesicht.
„Der Magen“, sage ich entschuldigend nach der Begrüßung.
„Dir fehlt einfach die Beschäftigung und die Bewegung“, sagt Hanna mitfühlend zynisch und schielt nach der Torte. Wieso Torte? Meine Frau hat also mit dem Besuch gerechnet.
„Aber Wolfgang arbeitet doch den ganzen Tag. Und leider meist nachts auch noch“, fügt meine bessere Hälfte vorwurfsvoll hinzu.“
„Ich meinte ja mangelnde Bewegung“, spottet Hanna, ohne mich anzusehen und tätschelt mitfühlend den Arm meiner Frau.
„Wolfgang ist fleißig und lieb“, antwortet meine Frau streng.
Ich greife unschuldig nach meiner Lesebrille und streiche sinnlos über die Bügel, während ich, von meiner Frau unbeobachtet, den Mund spitze, als würde ich ein stilles Liedchen pfeifen. Ich bin froh, dass keine geladene Schrotflinte in Hannas Nähe ist. Sie nimmt ein großes Stück Torte auf ihre Kuchengabel, und ich frage freundlich: “ Wie geht es deinem Zucker?“
Sie isst genüsslich weiter und ignoriert die Frage.
„Wolfgang meint es nur gut. Er macht sich halt Sorgen um dich“. Ich nicke so traurig wie ich kann.
Hanna beugt sich zu meiner Frau hinüber und antwortet mitleidig: „Kind, das ist doch schon grammatikalisch falsch. Wie kann es denn meinem Zucker gut oder schlecht gehen, hm? Aber, um euch nicht zu enttäuschen: Meinem Zucker geht es gut, mir geht es schlecht.“
„Entschuldige, Mama. Ich bin so unaufmerksam. Ich habe auch Diät-Kekse da, die deinen Zucker nicht belasten. Ich hole sie gleich.“ Und meine Frau rennt los, dorthin, wo die Kekse sind.
„Nein…!“ ruft Hanna empört, aber ich weiß sie zu beruhigen.
„Sie hat recht. Die Dinger sind zwar hart, aber enthalten keinen Zucker. Ich hole dir einen neuen Teller.“ Und weg bin ich. Als ich zurückkomme, muffelt Hanna widerwillig an den Keksen. Das Tortenstück hat sie trotzdem verzerrt in neuer Rekordzeit. Meinen Teller braucht sie nicht mehr.
„Ich würde so gerne meinen kleinen Enkel noch mal sehen“, klagt Hanna.
„Der Kleine ist 20“, sage ich trocken, „Und was heißt denn hier „nochmal“? Du schaffst doch locker die 80.“
„Möglich. Ich bin ja schon 78, du Unhold!“
„Sorry, das vergesse ich immer wieder. Du siehst doch noch so jung aus“, versuche ich mich zu retten. Meine Frau schaut mich böse an, und ich gehe besser wieder aufs Klo.
Der Abschied verläuft wie immer. Hanna umarmt meine Frau, tritt mir mit eigens angefertigten Stahlkappen unter dem Hacken auf die Zehe und macht eine verächtliche Handbewegung, die meine Frau als Winken interpretiert. Dann grummelt sie sich hinter das Lenkrad ihres Fiat Panda und fährt im 2. Gang nach Hause.
„Zum Friedhof da lang“, murmel ich unhörbar und winke wie wild hinterher, damit sie auch merkt, dass ich mich freue. Dabei mag ich sie, weil sie so gemein stänkern kann und wir uns zumindest auf dieser Ebene hervorragend verstehen.
Abends kommt niemand mehr, und ich kann in Ruhe im Schlafzimmer Fußball schauen. Selbstverständlich bin ich partnerorientiert und blockiere nicht den TV im Wohnzimmer, wo wie immer ein haarsträubender Liebesfilm läuft. Es reicht wirklich, wenn nur einer von uns verblödet.
In der Halbzeitpause kommt sie herein.
„Na, wie steht’s?“, fragt sie scheinbar interessiert.
Ich schaue an mir hinunter und grinse.
„Ich hätte jetzt 15 Minuten Zeit…“
Sie wirft sich mit einem Schrei auf mich und ruft:“ Du altes sexistisches Ekel! Du kannst so unverfroren sein.“
„Das ist nur mein Charme. In Wirklichkeit bin ich ein hochsensibler Mensch. Gerade jetzt spüren das meine empfindlichen Antennen…“
„Deine Antenne lass mal stecken“, lacht sie. Und wird gleich wieder ernst, streichelt mit dem Zeigefinger über meine Wangen und kuschelt sich an mich.
„Schatz, würdest du mir einen Gefallen tun?“, fragt sie zärtlich.
„Na klar. Man muss doch der Fantasie eine Chance geben.“
„Vielleicht später. Morgen kommt doch mein Bruder mit seiner Frau, und ich weiß, ihr mögt euch nicht besonders. Ich gebe zu, ich mag sie auch nicht, aber trotzdem lasse ich nicht durchblicken, dass sie doof ist wie 10 Meter Feldweg, wie du es mal formuliert hast. Könntest du nicht mal einen einzigen Tag lieb und freundlich sein, so ganz ohne zu stänkern und ohne Zweideutigkeiten? Würdest du das für mich tun?“
Ich schaue sie verblüfft an und denke lange nach, während sie mich mustert.
Dann habe ich mich entschieden.
Ich werde lieber die zweite Halbzeit schauen…