"Sei vorsichtig!" höre ich ihn noch sagen, dann ist er weg. Im Dezember wären es 20 Jahre gewesen, hat er mir erklärt und dann die ganze Geschichte angehängt. Eine knappe Woche habe ich neben ihm in der Tiefgarage gestanden und heute wurde er abgeholt. Als ich ihn das erste Mal sah, den alten Blechhaufen, hab ich ihn belächelt. Schliesslich habe ich gestrotzt vor Jugendlichkeit, polierte Reifen, glänzender Lack und bereit für die Rennbahn. Doch dann hat er in seinem väterlichen Ton die Geschichte des Lebens erzählt. "Weisst du, als ich so jung war wie du, da kam ich zu dieser Familie und bin es bis heute geblieben. Vieles hat sich verändert, wir wurden alle älter, der Lack hat etwas gelitten, aber wir haben immer aufeinander aufgepasst. Als ich kam, da waren die Kinder noch klein, haben sich riesig über mich gefreut und mir Spitznamen gegeben. Elefäntchen oder graue Maus, sie waren sich nicht ganz einig, aber ich hab mich gefreut über die lustigen Namen. Ich war nie der grosse Racer, obwohl, wenn wir mal Schwung hatten, dann kam schon mal so richtig Tempo auf! Aber eigentlich bin ich doch eher ein Kraftprotz und hätte wohl besser bei Traktorenrennen mitgehalten als bei Rallyes." "Und du warst wirklich nur in dieser einen Familie?" hab ich ihn darauf gefragt. "War das nicht langweilig? Und hast du überhaupt etwas von der Welt gesehen?" "Ja und Nein und Ja“, antwortet er mir mit seiner tief brummenden Stimme und schmunzelt leise vor sich hin ab meinem ungläubigen Blick. "In 19 Jahren erlebt man so Einiges, Kleiner. Die ersten paar Urlaube zum Beispiel waren wir in Österreich, das war richtig cool. Und dann auch mal in Italien, Ausflüge nah Deutschland und in der Schweiz natürlich. Du siehst, ich war viel unterwegs. 248'532 Kilometer, danach hat das Zählerkabel den Geist aufgegeben, also waren's noch mehr. Schliesslich sind die Sprösslinge älter geworden und wollten selbst ans Steuer. Das war ziemlich abenteuerlich..." In Erinnerungen versunken lächelt er vor sich hin und seufzt schliesslich. "Weisst du“, wehmütig blickt er zu mir hinüber "es ist wirklich eine gute Familie. Die Jungen haben schnell gelernt, auch wenn ich mir ab und zu die Nase oder den Po angeschlagen hab. Und zwischendurch musste ich ihnen auch zeigen, wenn's nicht gepasst hat, da sind wir auch mal versehentlich über die Strasse gehüpft." Wieder lacht er, wird dann aber plötzlich ernst. "Einmal aber, da hat die Hausherrin versucht zu fahren und eigentlich hat sie's auch ganz gut gemacht“, er macht eine lange Pause und seufzt. "Ja, was denn?" frage ich gespannt. "Habt ihr einen Unfall gebaut?" "Nein, nein, aber eines meiner Elektrokabel hatte einen Wackel und mitten im Kreisverkehr wurde es schwarz. Hab dann eine Weile nichts mitgekriegt, aber wie es scheint, musste mich der Hausherr hinausschieben." Er grinst, ich grinse zurück. "Danach hat sich die Herrin nicht mehr getraut, schade eigentlich." Er verzieht die Karosserie, doch kurz darauf hellt sich seine Miene wieder auf. "In meinem 12ten Jahr auf der Bahn bin ich schliesslich zu deiner neuen Besitzerin gekommen, die jüngste Tochter der Familie. Das war dann schon manchmal recht aufregend. Zum Beispiel, als wir auf dem Parkplatz des Autobahn-McDonalds gleich drei Pfosten abgeschossen haben. Oder als wir beinahe im Schnee stecken geblieben sind." er schmunzelt vor sich hin. "Sie mussten mich hinausstossen, bei meinem Gewicht gar nicht so einfach." "Du scheinst diese Familie wirklich gern zu haben." Er blickt mich wehmütig an. "Ja, es war eine gute Zeit, aber weisst du, alles hat irgendwann ein Ende. Ich bin alt, mag nicht mehr wirklich, die Räder stehen bereits ein wenig schräg und die Lichter sind müde und matt. Ich denke, du wirst ein würdiger Nachfolger sein. Sei dir aber auch deiner Verantwortung bewusst, ich zähle auf dich!" Der Graue schliesst langsam die Augen und seinem zufriedenen Schnarchen entnehme ich, dass er wohl von den guten alten Zeiten träumt.
Am nächsten Morgen ist er schon früh vor mir wach und als ich mich gähnend auf meinem Platz strecke, grinst er mich an. "Na, Kleiner, gut geschlafen? Ab heute fängt der Ernst des Lebens an." Wir schwatzen den Morgen durch, er gibt mir Tipps und erzählt mir weiter von seinen Unfällen und Erfahrungen. Doch schliesslich wird es Zeit. Die Zündung blitzt, der Motor kommt mit einem tiefen Brummen in Schwung und die Kolben beginnen kraftvoll ihren Dienst. Langsam rollt er rückwärts vom Feld. "Ich wünsche dir ganz viel Glück, Kleiner. Pass gut auf sie auf und sei vorsichtig!" Dann ist er weg. Was bleibt, ist die Erinnerung an ein grosses Vorbild...