Sie schrie auf. Eine kräftige Hand hatte sie an der Schulter gepackt und zog sie brüsk nach hinten. Francois nahm sie am Arm und drehte sie zu sich. Der Mann schlug ihr ins Gesicht. Amélie konnte nicht schreien, sie war vor Entsetzen gelähmt.
„Was fällt dir ein, Mitstücks, du glaubst wohl, du kannst mir entwischen?“ seine Augen leuchteten spöttisch.
Tränen kullerten an Amélies Wange hinuter, sie hatte jegliche Hoffnung auf eine Rettung verloren, sie würde sterben, sie und ihre Mutter würden von diesem Mann getötet werden und dies wegen einem ihr unbekannten Grund. Sie hatte doch nichts getan!
„Lass mich los“, es war mehr ein Flüstern, der in ihren Schluchzen unterging, doch Fransois hörte es. Er lachte hämmisch.
„Was glaubst du, wie blöd ich bin, du bist zu kostbar um dich einfach gehen zu lassen“, sagte er und zog das benommene Mädchen zum Parkplatz
Amélie taumelte kraftlos, hinter ihm her.
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Als sie wieder bei der Raststätte ankamen, stiess Francois sie auf den Hintersitz. Vor ihr hörte sie das leise Wimmern ihrer Mutter. Sie war gefesselt worden, und ein dicker Kleber bedeckte ihren Mund.
Francois zog ein kleines Fläschchen aus seiner Hosentasche und betröpfelte ein Tüchlein mit deren Inhalt. Ein beissender Geruch stieg Amélie in die Nase
„Nein“, murmelte sie entsetzt.
„So“, er überhörte ihren Widerspruch, „damit du mir nicht noch einmal entwischt“. Er verschloss die Flasche.
Amélie versuchte, sich zu wehren, aber Francois war viel zu stark. Mit einer Hand drückte er sie in den weichen Sitz, mit der anderen presste er ihr das Tuch mit dem Betäubungsmittel über ihren Mund und die Nase.
Benebelt nahm sie wahr, wie sich ihre Mutter an ihren Fesseln zehrte, dann verschwand alles.
Sie öffnete die Augen und hob vorsichtig den Kopf. Ihr Kopf schwirrte leicht. Verwirrt bemerkte sie, dass sie sich nicht wie erwartet in ihrem Zimmer in Paris befand. Langsam stieg sie aus dem Bett und blickte sich im karg eingerichteten Zimmer um. Sie konnte durch das Fenster das Meer erblicken, was sie etwas beängstigte. Da viel ihr die ganze Geschichte wieder ein, Francois der mit ihrer Mutter und ihr an den Ozean Fahren wollte, ihr missglückter Fluchtversuch, das Betäubungsmittel.?Langsam stieg die Angst in ihr hoch. Sie lebte zwar noch, diese Tatsache könnte sich allerdings schnell ändern. Sie schritt auf den kleinen Schreibtisch zu, der in einer Ecke das Raumes stand. Die Schubladen waren allesamt leer, nichts was ihr die Flucht ermöglicht hätte.?Sie richtete sich wieder auf. Mitten in ihrer Bewegung hielt sie jedoch inne. Von ausserhalb des Zimmers drangen  laute Geräusche zu ihr. Sie wurden immer lauter. Waren es Schritte??
Ohne zu zögern sprang sie zurück in das Bett und legte sich schlafend. Sie brauchte unbedingt mehr Zeit!?Geräuschvoll wurde von aussen ein Schlüssel umgedreht und die Türe geöffnet. Amélie bemühte sich so ruhig wie möglich zu atmen. Sie hörte wie sich eine Person auf sie zu kam und sich über sie beugte. Sie spürte den Atem an ihrem Hals. Vor Angst gelähmt lag sie auf der Matratze und kniff angestrengt die Augen zu.?Die Person entfernte sich wieder und verliess das Zimmer. Erleichtert atmete sie auf. Nach einem kurzen Moment richtete sie sich auf und hielt das Ohr an die Türe. Stimmen drangen zu ihr, es waren mindestens zwei Männer. Ihr Stiefvater war also nicht alleine.?„Das Fischerboot muss noch vorbereitet werden“, hörte sie eine ihr unbekannte Person sagen.?„Ja“, stimmte Francois ihm zu, „lass uns dies erledigen bevor sie aufwacht.“?Dann entfernten sie sich und es wurde still.?Das war ihre Chance. Ihr blieb keine Zeit für langes Ãœberlegen. Suchend blickte sie sich im Zimmer um. Dann riss sie das Laken vom Bett und schob einen Zipfel unter den Türschlitz.
Ohne grosses Zögern ging sie auf den Schreibtisch zu, und nahm den einzigen Gegenstand, den es in diesem Raum gab, die Öllampe.
Den Griff löste sie nun vorsichtig vom Rest ab. Zufrieden betrachtete sie den dicken Draht. Das würde funktionieren.
Sie bog das Werkzeug zurecht und schob das eine Ende in das Schlüsselloch.
Der Schlüssel schien festzustecken, sie vermochte nicht ihn herauszuschieben. Sie wollte schon aufgeben, als er mit einem dumpfen Geräusch auf dem Laken aufprallte.
Sie atmete auf. Nun war sie ihrer Flucht schon etwas näher. Der Schlüssel durfte nur nicht auf das Parkett rutschen.
Langsam zog sie das Laken zurück in das Zimmer, Stück für Stück, bis sie den Schlüssel endlich zu fassen bekam.
Sie jubelte innerlich auf. Wenn sie Glück hatte, und ihre Entführer wirklich nicht im Haus waren, könnte es ihr nun gelingen.
Darauf bedacht, keinen Lärm zu machen, öffnete sie langsam die Türe und huschte hinaus. Von aussen verschloss sie sie wider und liess den Schlüssel stecken.
Sie befand sich nun in einem schmalem Gang. Die Wände waren blau gestrichen und an ihnen hingen Bilder von Fischerbooten die in stürmischen Wellen fuhren. An beiden Seiten von ihr, befanden sich je eine Türe. Die eine war nur angelehnt. Sie öffnete sie und gelangte so in eine gemütlich eingerichtete Wohnküche. Also musste sich ihre Mutter hinter der anderen Türe befinden. Sie wollte gerade zurückgehen, als sie draussen laute Stimmen hörte. Panisch schaute sie sich um.
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Ein kräftiges rütteln weckte Amélie am nächsten Morgen. Erschrocken richtete sie sich auf und weitete die Augen.
„Los, Amélie! Es geht gleich los, mach dich fertig,“ rief Francois.
Völlig verstört stand die junge Frau auf, was war mit ihm los? Freute er sich so sehr darauf, ihr Leid zuzufügen? War er deshalb so guter Laune?
Zügig zog sie die Kleidung an, die sie sich bereits gestern Abend bereitgelegt hatte. Es handelte sich um eine feine, hellrosa Bluse, einem weißen Jackett und einer schlichten blauen Hose. Dann suchte sie sich flache Schuhe aus, mit denen sie gut rennen konnte.
„So“, murmelte sie zu sich selbst, „das musst du jetzt durchstehen.“
Ihren Koffer hinter sich her ziehend, lief Amélie den Gang entlang auf die Treppe zu. Von unten kam ihr bereits ein Angestellter entgegen, um ihr das Gepäck abzunehmen. Als er ihr den Rucksack abnehmen wollte, schüttelte sie nur den Kopf, den wollte sie bei sich behalten, um keine Chance zur Flucht zu verpassen.
Etwas Angst stieg in Amélie hoch, als sie ihren Plan nochmal durchdachte, es würde bestimmt nicht einfach werden, Francois überwachte sicher jeden ihrer Schritte.
Sie hatte nur einen Vorteil, er ahnte wahrscheinlich nicht, das sie so viel über seinen Plan wusste.
Amélie stieg hinten in das Auto. Vor ihr am Steuer saß bereits ihr Stiefvater, daneben ihre zierliche Mutter.
„Da bist du ja endlich“, lächelte sie glücklich.
Scheinbar freute sie sich, sie hatte auch keine Ahnung, was ihr möglicherweise alles widerfahren würde.
Francois drehte den Zündschlüssel und fuhr langsam die Auffahrt hinab. Dann bog er links in Richtung Autobahn ab. Er schaltete das Radio an und summte mit.
Nach etwa einer Stunde brach Amélie ihr Schweigen.
„Können wir anhalten? Ich muss auf die Toilette“, fragte sie. Sie würde es versuchen, vielleicht ergab sich eine Möglichkeit zur Flucht.
Francois hielt gleich an der nächsten Raststätte, die aus ein paar Parkplätzen, einem Stück Rasen und einem kleinen WC-Häuschen bestand. Auf dem Rasen standen vereinzelte Holztisch, die zu einem Picknick einluden.
Amélies Blick schweifte suchend über den Platz. Hinter der Hecke, die den ganzen Platz umrandete, befand sich ein dichter Wald. Wenn es ihr gelang dorthin zu gelangen, hätte sie eine Chance zu entkommen.
Amélie war bereits bei den Toiletten angekommen, sie warf einen Blick zurück. Francois folgte ihr mit seinen Augen jede ihrer Bewegungen. Es wäre sinnlos, jetzt zu flüchten. Stattdessen ging sie in das Häuschen hinein.
Suchend schaute sie sich im Innern um, jedoch war kein Hinterausgang zu finden, nur ein kleines Fenster bot dem Raum ein wenig Licht. Amélie spielte mit dem Gedanken, es einzuschlagen, doch sie glaubte kaum, dass sie es schaffen würde, da hoch zu klettern und sich dann durch die Öffnung zu quetschen.
Vorsichtig öffnete sie die Ausgangstüre um einen Spalt und horchte. Von aussen hörte sie Stimmen. Langsam schaute sie hinaus, Francois unterhielt sich mit ihrer Mutter, keiner der beiden schien auf sie zu achten. Zögernd trat sie ins Freie, darauf bedacht, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Hinter dem Häuschen begann sie zu rennen, so schnell sie konnte. Mit einem Satz sprang sie über den Zaun und die dahinter liegende Hecke, dabei blieb ihre Hose hängen und riss der Länge nach. Amélie kümmerte sich nicht darum, sondern rannte gerade aus weiter.
Äste peitschten in ihr Gesicht und hinterliessen blutige Kratzer. Amélie spürte keinen Schmerz, sie fühlte nur die Angst, die in ihr hoch kroch. Dies war ihre einzige Chance, wenn sie scheiterte, war alles verloren.
Plötzlich hörte sie ein leises Knacken hinter sich, waren das etwa Schritte?
Am 25. April, Amélies Geburtstag, saß die Familie versammelt um den großen Holztisch. Die nun siebzehnjährige Amélie war dabei, die massenweise Geschenke auszupacken, die größtenteils von ihrer Mutter kamen. Als sie die vielen Kleider, Schuhe und den ganzen Schmuck aus dem glänzenden Papier befreit hatte, blieb nur noch ein kleiner, schlichter Umschlag übrig. Es war das Geschenk ihres Stiefvaters. Der Brief war mit einem roten Siegel versehen, das ihr Familienwappen trug. Vorsichtig löste sie es von dem dünnen Papier, ohne es zu verbrechen.
Dann zog sie, das mit einem kurzen Text beschriebene Blatt heraus.
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Liebe Amélie
Diese Jahr habe ich mir für deinen Geburtstag etwas besonderes ausgedacht, eine Reise.
Wo sie hingeht wirst du Morgen erfahren, denn dann geht es bereits los: Wir fahren morgen um 11Uhr. Also packe geschwind deine Sachen.
Dein Francois
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Verwirrt las das Mädchen den Brief erneut.
„Wir fahren Morgen in den Urlaub?“ fragte sie ungläubig.
„Ja, das tun wir, wir drei, ganz alleine, das wird bestimmt grandios!“ Amélie glaubte für ein halbe Sekunde, ein hinterlistiges Blitzen in Francois Augen zu erblicken, doch sie redete sich ein, es sei nur Einbildung.
„Was ist mit der Schule, die Ferien beginnen erst in einem Monat?“
„Alles geregelt,“ antwortete er kurz, „ich muss los, es gibt noch viel zu tun.“
Noch immer verwirrt blickte sie ihrem Vater nach, der eben aus dem Raum trat.
Danach zog sie sich ebenfalls in ihr Zimmer zurück, jedoch nicht um ihre Sachen zu packen, dafür hatte sie später noch genug Zeit. Stattdessen setzte sie sich in ihren Sessel und schloss die Augen. Was konnte sie tun. Was wenn Francois diese Reise nur geplant hatte um sie aus dem Weg zu räumen, wie er es am Telefon gesagt hatte? Was wenn das alles zu einem bösen, hinterhältigen Plan gehört, an dem schon ihr Vater zu Grunde ging?
Oder stellte sie sich das alles nur vor? Hatte ihr Stiefvater gar nichts vor? War dies ein völlig normales Geburtstagsgeschenk?
Amélie grübelte weiter und kam nach einer knappen Stunde zum Schluss, das etwas nicht stimmen konnte. Immerhin legte ihr Stiefvater sehr viel Wert auf ihrer Bildung, da konnte es nicht sein, dass er in mitten des Schuljahres einen Urlaub plante.
Nach dem sie dies klargestellt hatte, überlegte sie sich einen Plan. Es musste eine Möglichkeit geben, sich und möglicherweise ihre Mutter vor Francois Bösetaten zu bewahren.
Es war bereits nach zehn. Amèlie war noch immer planlos, ihr fiel kein Fluchtweg ein, nichts. Da trat ihr Stiefvater in ihr Zimmer.
„Hast du deine Koffer gepackt?“ fragte er.
„Nein“, murmelte sie und starrte dabei auf den Boden. Sie konnte Francois einfach nicht in die Augen blicken.
„An die Arbeit, Mädchen, du musst doch auch noch schlafen!“ lacht er.
Um einen Streit zu vermeiden, machte sich Amélie schnell an die Arbeit. Als erstes rief sie nach dem Hausmädchen und ordnete ihr an, den Koffer aus dem Keller zu holen. Das schüchterne Mädchen machte sich gleich auf den Weg. Dann trat sie an den Schrank und zog Kleider heraus. Sie wählte die bequemsten und schlichtesten Sachen aus. Sie hatte beschlossen, während der Reise zu flüchten, ihre Mutter musste wohl oder übel durchhalten, bis sie die Polizei benachrichtigt hatte.
Sie nahm ebenfalls den weißen Rucksack aus den Gestellen ihres riesigen Schranks und füllte ihn mit den ausgewählten Kleidungsstücken.
Leise schlich das Hausmädchen ins Zimmer. Hinter sich zog sie den gewünschten braunen Koffer.
Amélie nickte kurz und bat das junge Mädchen, den Raum zu verlassen. Dann füllte sie den überdimensionalen Koffer wahllos mit dem Inhalt des Schranks. Wenn alles nach Plan verlief, brauchte sie die ganzen Dinge nicht.
Als sie fertig war, atmete sie tief durch schloss die Augen und legte sich auf ihr Himmelbett. Dabei fragte sie sich, ob dies ihre letzte Nacht in diesem Zimmer sein würde.
MagicMarlene WoW - Meine Kommentare kennst du ja langsam schon, aber ich muss es auch hier nochmal betonen: Einfach klasse!!! :D Diese Geschichte gefällt mir sehr gut und ich hoffe, dass du sie auch zuende schreiben wirst. ;) Bin gespannt auf die Fortsetzung... ~ Malli XXX |