Ich muss meinen Job bewältigen, auch wenn ich schlecht träume, also ziehe ich es durch. Wäre da nicht mein guter Freund Michael, würde ich es nicht schaffen. Die Frage ist nur... ist er wirklich ein Freund?
Franjo Sandfeld lag in seinem Bett und wachte schweißgebadet auf. Neben ihm lag das Buch „Der fliegende Holländer“ in Tom Holts Version Flying Dutch. Mit einer unkontrollierten Handbewegung warf er es vom Bett, während er sich wälzte und streckte. Er fühlte sich wie gerädert, gefoltert, vom Auto überfahren und anschließend mit Sedativa ruhiggestellt.
Was für ein Albtraum, dachte er und stand auf. In seinem Kopf wühlten Gedanken, die von dunklen Gängen und zischenden Schlangen handelten. Doch am schlimmsten stieß ihm der Gedanke auf, dass sich sein Kopf langsam auflöste.
Minuten später, während er unter der Dusche stand, hatte er vergessen, was im Schlaf passiert war und konzentrierte sich auf seinen Arbeitsplatz, den er in dreißig Minuten aufsuchen würde.
„Guten Morgen, Kollege“, rief er ins Büro. Michael Meilhamm starrte ihn grinsend an.
„Auch schon wach?“, fragte er. Das fragte er jeden Morgen, weil er wusste, seinen Kollegen damit zu nerven. Die meisten fanden es lustig, doch Franjo konnte nie darüber lachen und er weigerte sich, darauf zu antworten.
Der Kollege wartete erwartungsvoll auf eine Antwort, als er erkannte, dass keine mehr kommen würde, sagte er:
„Lange Nacht, was?“
Franjo nickte genervt und setzte sich an seinen Arbeitsplatz ihm gegenüber.
Michael Meilhamm stutze über die Wortkargheit seines Kollegen.
„Würde es dich aufmuntern, wenn ich einen lauten Furz lasse?“
Franjo schüttelte den Kopf und hoffte, in Ruhe gelassen zu werden, doch wusste er auch, dass sein Kollege wieder die alte Leier anspielen würde. Er hatte so eine Idee in seinem Kopf, die er nicht mehr vergessen konnte. Sie lautete „Scheiße in Dosen“, die er über das Internet verbreiten wollte. Diese Metapher sprach er jeden Tag an. Sie spielte unsinnige Geschäftsideen an, wie die Berliner Luft, die man in Dosen kaufen kann, oder Sand vom Strand der Normandie oder ein Stück Rasen, das nach einer Fußballweltmeisterschaft vom Spielfeld gepflückt wurde und in luftdichten Dosen oder ähnlichen Behältern weltweit verschickt wurde. Meilhamms Scheiße in Dosen war täglich eine andere. Mal war es Kuhmist, der von einem afghanischen Terroristen abgefüllt wurde, mal war es der Mundgeruch eines türkischen Mitbürgers nach der Einnahme eines Döners, den man in Dosen verkaufen könnte. Seine Geschäftsidee, sein Millionengeschäft, seine Traumwelt.
Franjo war sichtlich genervt während Michael einen lauten Furz ließ und dann laut lachte, unterdessen streichelte er grinsend den imaginären Furz mit einer Handbewegung, als wäre es ein Hund, der neben ihm am Boden kauerte. Das Telefon klingelte. Franjo hob ab und Michael hielt inne, grinste weiter und begann wie wild in der Nase zu bohren. Während Franjo ins Telefon sprach, musste er doch lachen. Sein Kollege schaffte es immer wieder ihn in die richtige Stimmung zu bringen. Er schaffte es immer wieder und dafür war er dankbar.
„Die Meierbach hat wieder ins Bett geschissen“, rief eine Kollegin ins Telefon. Franjo legte den Hörer wieder auf die Gabel und verzog das Gesicht.
„Hat die Meierbach wieder abgedrückt?“, fragte Meilhamm neugierig.
Franjo nickte. „Wer geht?“
„Ziehen wir Streichhölzer“, schlug Michael vor.
„Ich geh schon, ich verliere ohnehin jedes Mal“, erklärte Franjo resignierend, stand auf und machte sich auf den Weg.
Man hat es nicht leicht, als Altenpfleger. Franjo dachte über seinen Job nach, während er die stumpfen Gänge der Pflegestation entlangging. Die Patientin Meierbach machte es ihm wirklich besonders schwer. Es schien, als betrachte sie es als Spiel. Wenn der Pflegedienst mit der Bettpfanne zu ihr kam, verweigerte sie den Stuhlgang vehement und behauptete steif und fest, sie hätte kein entsprechendes Bedürfnis. Kaum waren die Lichter ausgegangen und die Nachtruhe hatte begonnen, ließ sie alles raus, was keine Miete zahlte. Es war zum aus der Haut fahren, denn dann musste Franjo gleich nach Antritt der Frühschicht die Schweinerei beseitigen. Er musste sie aus dem Bett hieven um es frisch zu beziehen, was eigentlich einen Flaschenzug erforderlich machte, da die alte Schachtel gute 190 Pfund auf die Waage brachte, und sie lächelte ihn dabei immer lüstern an. Franjo hasste diesen Job, wenn es um die Meierbach ging.
Vor einigen Monaten hatte sie es auf die Spitze getrieben. Drei Tage hatte sie die Bettpfanne abgelehnt. Franjo hatte damals Spätschicht und musste Abends nach ihr sehen. Man hatte ihn bereits vorgewarnt und ihm geraten, die Bettpfanne mitzunehmen und den Moment abzupassen, ich dem sie ihr Geschäft in die Windeln schießen würde. Alle wussten, dass die Meierbach ganze drei Tage gesammelt hatte, um den Schuss ihres Lebens zu bekommen. Franjos Aufgabe war es, sie im richtigen Augenblick dabei zu erwischen und ihr rechtzeitig die Pfanne unterzuschieben. Andernfalls müsste er die alte Vettel und ihr Bett wieder sauber machen. Nach dem Abendessen besuchte er sie in ihrem Zimmer und sprach mit ihr.
„Brauchen Sie noch irgendetwas?“
Sie setzte diesen lüsternen Blick wieder auf, den Franjo so gar nicht leiden konnte.
„Nein, junger Mann. Ich habe alles, was ich brauche.“
„Ein Glas Wasser oder Milch vielleicht. Oder soll ich Ihnen die Bettpfanne dalassen?“, fragte Franjo.
„Nein Danke. Heute brauche ich nichts mehr.“
„Sind Sie ganz sicher?“
„Natürlich. Gute Nacht.“
Es war der Blick, der Franjo stutzig machte. Diesen Blick hatte sie immer dann, wenn er die Sauerei wieder bereinigen musste. Deshalb verließ Franjo ihr Zimmer und blieb vor der Tür stehen, lauschend, lauernd, hoffend. Nach etwa 5 Minuten verlor er die Geduld, öffnete das Zimmer und stürmte hinein, in der Hoffnung, sie dabei zu erwischen. Seelenruhig lag sie im Bett, eine Zeitschrift aufgeschlagen und lächelte ihn an.
„Haben Sie etwas vergessen?“
Scheinheiliges Biest, dachte er und verließ den Raum. Sie wusste es genau, diese Schlange und er wusste, dass es heute passieren würde.
...wird fortgesetzt...