Kurzgeschichte
Der 4. Stammtischbruder

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"Der 4. Stammtischbruder"
Veröffentlicht am 07. Januar 2007, 10 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Hermann Bauer, Jahrgang 1951, lebt in seiner Geburtsstadt München. Veröffentlichungen von Kurzgeschichten, Reisereportagen, Märchen und Lyrik in Büchern, Anthologien, Schulbüchern, Zeitschriften, Zeitungen und Kalendern. Sendungen im Rundfunk. Die Kurzgeschichten von Hermann Bauer zeigen großes Detailbewusstsein. Die Themen gehen über die Oberfläche hinaus. Hermann Bauer schreibt sanft und geht dabei liebevoll mit seinen Figuren um. Die ...
Der 4. Stammtischbruder

Der 4. Stammtischbruder

Der 4. Stammtischbruder

Es regnete wie aus Kübeln. Beim nächsten Halt der S-Bahn war ich an meinem Ziel angelangt. Doch bei diesen Regengüssen, die vom Himmel stürzten, noch mindestens zwanzig Minuten ohne Regenschirm zu gehen, das musste nicht unbedingt sein. Ich wollte lieber abwarten, bis der Regen aufhörte.
Also entschloss ich mich, die gegenüberliegende Bahnhofsgaststätte zu besuchen. Ich bestellte ein Bier und eine Gulaschsuppe.
Einen Tisch weiter befand sich der Stammtisch. Drei ernste Gesichter starrten regungslos ins Bierglas bzw. ins Leere.
Einer, den sie Gerd nannten, hatte einen gewaltigen Schnurrbart, der dicht und lang war, so dass man seine Lippen nicht erkennen konnte.
Sein Gegenüber war Werner. Mit seiner Glatze sah er aus wie ein Double vom Meister Proper.
Der dritte, Michael, sah aus, wie man sich einen typischen Landwirt vorstellt. Er war von kräftiger Statur, hatte rote Backen und wirkte recht gesund.
Schnell bekam ich mit, dass sie vorhatten, in den nächsten Tagen einen Stammtischbruder, der als Patient im Krankenhaus lag, zu besuchen.
Gerd, der gelangweilt an seinem Schnurrbart zupfte, unterbrach die Stille: „Besuchen wir ihn jetzt am Dienstag oder Donnerstag?“
Werner kratzte sich am Kinn und meinte nur: „Hm, das ist die Frage.“
Michael bestellte sich noch ein Bier und bemerkte so nebenbei, dass es dienstags bei ihm schlecht gehe, der Donnerstag wäre ihm wesentlich lieber.
Werner spielte mit dem Bierdeckel und stellte fest: „Na ja, am Donnerstag fahren wir immer zum Einkaufen in den Obstmarkt.“
Etwas gereizt fragte Gerd: „Und wie wäre es, wenn du ausnahmsweise an einem anderen Tag deine Fressalien kaufen würdest?“
Darauf sagte Werner nur: „Hm, na ja.“
„Ich würde vorschlagen“, meinte Gerd, „wir bringen ihm einen bunten Frühlingsstrauß ins Krankenhaus mit.“
„Du spinnst ja“, tobte der bisher eher stille Werner, „das kommt überhaupt nicht in Frage, Blumen bringt man doch nur Weibern mit.“
Michael studierte die Speisekarte, die nur aus einer Seite bestand. Nach fünf Minuten bestellte er eine Salatplatte. Seine Lesebrille behielt er noch auf, blickte über die Ränder und meinte: „Etwas zum Trinken könnten wir dem Hans bringen, obwohl er mit seiner Magengeschichte natürlich nichts trinken darf.“
„Also werden wir ihm etwas Vernünftiges mitbringen“, stellte Gerd genervt fest. „Ich werde mir etwas überlegen.“
Wieder starrten alle in ihr Bierglas, aber das brachte ihnen auch nicht die Erleuchtung. Gerd wollte wissen, wie lange Hans noch im Krankenhaus bleiben müsse. Seiner Meinung nach müsste er doch schon bald entlassen werden.
Nach langer Denkpause und vielen Vermutungen hatte Werner eine zündende Idee: „Ich werde mal die Maria anrufen, die muss es ja wissen.“
Erstmals erhellten sich die Gesichtszüge der Beteiligten und einstimmig waren alle der Meinung, das sei eine wirklich gute Idee, denn seine Frau müsste ja schließlich bestens informiert sein.
Anschließend gab es noch eine rege Diskussion, ob es überhaupt sinnvoll sei, den Kranken zu besuchen. Wenn nicht, würde sich auch die Frage nach dem Geschenk von selbst lösen. Am Ende war man sich einig, dass Hans am meisten davon hätte, wenn man ihn in seiner Stammkneipe nach seiner Genesung für einen Abend freihalten würde. Auf der anderen Seite wollte man ihn aber doch unbedingt besuchen. Jetzt kamen wieder neue Vorschläge für Geschenke, immer wieder die gleichen Argumente und Wiederholungen, Wiederholungen, Wiederholungen...
Ich schob den Vorhang zur Seite. Es regnete immer noch, aber nicht mehr so heftig. In der Ferne erhellte sich der Himmel schon. Die Sonne zeigte sich allerdings noch nicht. Ich wollte noch etwas abwarten. Obwohl ich nicht besonders neugierig bin, wollte ich den dreien bei ihrem Gespräch weiter zuhören.
Ich bestellte also noch ein Bier und lehnte mich genüsslich auf dem harten Holzstuhl zurück. Bauerntheater zum Nulltarif, Parkett erste Reihe!
Mittlerweile stand als Besuchstag mit ziemlicher, aber noch nicht endgültiger Sicherheit der Donnerstag fest.
Werner fragte den Wirt, ob er wüsste, wann der Bus nachmittags in die Kreisstadt fahre und wieder retour.
Der Wirt spülte gerade einige Biergläser. Mit seiner monotonen Stimme sagte er: „Ich bin schon Jahre nicht mehr mit dem Bus gefahren.“
Gerd schaute Michael an und stellte fest: „Du wohnst doch direkt an der Bushaltestelle, also müsstest du doch die Abfahrtzeiten kennen.“
Michael schob sich mit der Gabel ein riesiges Kopfsalatblatt in den Mund, putzte sich mit der Serviette sein öliges Kinn und meinte nach reiflicher Überlegung: „Ich kann ja mal bei Gelegenheit auf den Fahrplan schauen und die Abfahrtszeiten aufschreiben.“
Kopfschüttelnd und gereizt stellte Werner fest: „Noch heute Abend schreibst du dir die Abfahrtszeiten auf, damit wir morgen endlich Nägel mit Köpfen machen können.“
Wieder war absolute Stille am Stammtisch eingekehrt.
Nach einer Weile fragte Gerd den Wirt: „Sag mal, hast du eigentlich die Telefonnummer von der Maria?“
„Was für eine Maria“, wollte der Wirt wissen.
„Mensch – die Alte vom Hans“, stieß Gerd ungeduldig hervor, „die immer aufgetakelt ist wie die Pfarrersköchin bei der Fronleichnamsprozession.“
„Da muss ich mal in meinem schlauen Buch nachsehen“, antwortete der Wirt, leckte seinen Mittelfinger ab und blätterte in einem zerfledderten Notizbuch. Er kritzelte die Telefonnummer auf eine alte Zeitung und legte sie wortlos auf den Stammtisch.
Die Männer schauten nun in ihren Taschen und Geldbörsen nach und suchten verzweifelt eine Telefonkarte. Werner fand schließlich eine Karte zwischen Visitenkarten, unbezahlten Rechnungen und Zetteln in seiner Brieftasche. Er stand auf und sagte: „Ich rufe jetzt die Maria an.“
„Ja, ja, mach das“, lallte der inzwischen nicht mehr ganz nüchterne Michael.
Ich dachte mir, bei einem Bauernstück würde jetzt sicher die Tür aufgehen, die Männer vom Stammtisch würden verwundert schauen, der Patient würde unter großem Beifall des Publikums begrüßt werden, und das Stück wäre bald zu Ende. Aber das war kein Theaterstück, es war Realität.
Inzwischen hatte Werner das Telefonat mit Maria beendet. Umständlich erzählte er, dass Hans noch mindestens eine Woche im Krankenhaus bleiben müsse.
Die Stammtischbrüder wussten jedoch immer noch nicht, wann sie ihn besuchen und was für ein Geschenk sie ihm mitbringen sollten. An eine Entscheidung war nicht zu denken, ihre Gesichter drückten Ratlosigkeit aus.
Plötzlich ging die Tür auf, ein dynamischer, gut gekleideter Herr stürmte an den Stammtisch und sagte: „Hallo, Leute, ich habe nicht viel Zeit, ich muss gleich wieder gehen. Ich fahre morgen ins Krankenhaus, um den Hans zu besuchen. Wenn ihr wollt, könnt ihr in meinem Auto mitfahren. Ich hole euch um 18 Uhr hier ab. An seinem Krankenbett steht übrigens ein Radio mit CD-Teil und Kopfhörer, wie mir Maria mitgeteilt hat. Ich werde morgen noch zwei oder drei CDs kaufen, einen kleinen Blumenstrauß und eine Genesungskarte, auf die wir alle etwas Ermunterndes und Lustiges schreiben können. Das bringen wir ihm mit. Ihr könnt euch dann an den Kosten beteiligen. Alles o.k.?“
Die Männer vom Stammtisch nickten. Man sah ihnen an, dass sie froh waren, dass jetzt endlich eine Entscheidung getroffen war.
Der dynamische Herr drehte sich um, sagte: „Also dann, bis morgen“ und verschwand sofort wieder.
Michael meinte erleichtert: „Dann ist ja alles klar!“
Die Männer erhoben ihre Gläser und brüllten ein lautes „Prost“.
Ich winkte dem Wirt, weil ich zahlen wollte. Als er am Stammtisch vorbeiging, sagte er: „Na, das war aber jetzt eine schwere Geburt!“


© by Hermann Bauer
Diese Geschichte ist aus dem Buch „Ein hungriger Bär tanzt nicht",
erschienen im Geest-Verlag. ISBN 3-937844-78-3
Illustration: Franziska Kuo.
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Über den Autor

Hermann
Hermann Bauer, Jahrgang 1951, lebt in seiner Geburtsstadt München. Veröffentlichungen von Kurzgeschichten, Reisereportagen, Märchen und Lyrik in Büchern, Anthologien, Schulbüchern, Zeitschriften, Zeitungen und Kalendern. Sendungen im Rundfunk.

Die Kurzgeschichten von Hermann Bauer zeigen großes Detailbewusstsein. Die Themen gehen über die Oberfläche hinaus. Hermann Bauer schreibt sanft und geht dabei liebevoll mit seinen Figuren um. Die Sinnlichkeit wird oft nur angedeutet, nicht ausgesprochen und liegt zwischen den Zeilen und in Bildern. Die Geschichten regen zum Nachdenken an und zeigen neue Wege. So erreicht der Autor durch seine beobachtende und leise Teilnahme beim Leser eine ruhige Stimmung und eine positive Lebenseinstellung.

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Gast Der 4. Stammtischbruder - Das sind glatte 5 Sterne !!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Tolle Geschichte !!!
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