Kurzgeschichte
Warum ich Gemüse essen muss

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"Warum ich Gemüse essen muss"
Veröffentlicht am 24. August 2009, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Über den Autor:

Ich bin ein Ekel, aber ein liebenswertes.
Warum ich Gemüse essen muss

Warum ich Gemüse essen muss

Beschreibung

"Rotkehlchen" ist der Kosename meiner Liebsten.

Verliebte wünschen sich Sterne, Sternschnuppen, laue Sommernächte,
Liebesbriefe, Mondschein, Schmetterlinge im Bauch und Parkbänke.
Ich hatte mir einen klaren Kopf und einen wachen Verstand gewünscht
- von wem auch immer.
Vorsorglich ging ich die Treppen rückwärts ´rauf, legte mir Verbände
und Kompressen zurecht, konsultierte Apotheker und Ärzte und
Leidensgenossen, nahm Tabletten und Sitzbäder, kalte Duschen und
kontrollierte den Puls.
Leider hielten die Maßnahmen schon den ersten Angriff der Hormone,
Endorphine und Testosterone nicht stand, und kleine Teufel krochen
stattdessen durch meine Eingeweide.
Zeitweilig hatte ich das Gefühl unter Drogen zu stehen, doch die Fachärzte
fanden nur eine gesteigerte Akkordleistung der Nebennierenrinde, die
mir freundliche Impulse ins Hirn jagte, was beim Mann schnell dazu führt,
dass er mit anderen Körperteilen denkt.
Nun waren mir die auftretenden Erscheinungen nicht unangenehm, ich
fürchtete aber doch, nach Auskunft meiner noch arbeitenden Hirnzellen,
eine gewisse Verblödung, wie mir mein Verhalten in alltäglichen Situationen
zeigte.
So fing ich plötzlich an Gedichte zu schreiben, tolerierte schwachsinnige
Bemerkungen mir nicht genehmer Zeitgenossen oder aß plötzlich Gemüse.
Um der Ursache auf den Grund zu gehen, befragte ich Fachleute aller
Wissenschaften, verschiedene Orakel sowie Gundula, die Tarotexpertin.
Jene hielt mir aber nur grinsend eine Herz-Dame unter die Nase, worauf
ich auf weitere Bemühungen verzichtete.
Meine Verzweiflung wurde schließlich von einem Ornithologen bemerkt,
als ich im Stadtpark gedankenverloren versuchte Eichhörnchen zu füttern,
jedoch mit mäßigem Erfolg.
Der Mann wusste zwar auch keine geeignete Behandlung, diagnostizierte aber
zielsicher die Ursache meines seltsamen Verhaltens : Vogelgrippe.
Und zwar Vogelgrippe einer ganz besonderen Spezies, nämlich der
Rotkehlchen, und von diesen wiederum auch nur ein ganz besonderes
Einzelexemplar, welches besonders nachtaktiv ist. Es lässt aus seinem
Gefieder den Duft der Liebe strömen, welches das Opfer betört und völlig
willenlos macht, so dass es auf Jahrzehnte nicht mehr in der Lage ist,
andere Verbindungen einzugehen, und hilflos dem Rotkehlchenfieber
ausgesetzt ist.
Die einzige Möglichkeit der Gegenwehr, so der Ornithologe nachdenklich,
bestünde darin, das betreffende Rotkehlchen einzufangen. Man dürfe aber
keinen Käfig benutzen, keine Falle oder ein sonstiges Hilfsmittel, sondern
dürfe lediglich seine Hand ausstrecken.
Eines Tages, sprach er weiter, wird das Rotkehlchen von ganz alleine zu dir
fliegen, wird Vertrauen haben, wird den Zug der anderen verlassen, weil es
auf deiner Hand genügend Wärme findet.
Ja, und solange muss ich Gedichte schreiben und Gemüse essen.

 

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regenkind Du alter Gemüse_Fresser :o) - Du hast einen sehr eigenen Stil (versteh mich nicht falsch, ich meine nicht eigensinnig, wenn auch eigensinnig was sehr gutes sein kann). Ich habe mich nicht an den Worten entlanghangeln müssen, wusste schon früh worauf es hinausläuft, habe mich aber trotzdem gerne im Lesen vertieft und es sogar noch ein zweites Mal gelesen. Eigentlich gar nicht soooo viel neues aber unwahrscheinlich bildhaft beschrieben.
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LG vom regenkind
Vor langer Zeit - Antworten
rumpi Gelesen - und für gut befunden.

LG,Karsten
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Ha, ich ... - ... heiße zwar nicht Gundula, sondern nur Gunda, aber meine Diagnose wäre die gleiche gewesen ...

Formal reizte besonders der erste Teil zum Schmunzeln, während mich der Schluss etwas nachdenklich machte. Wenn das Rotkehlchen also Vertrauen gefasst hat und sich dem Protagonisten an die Hand gibt - um mal einen etwas altertümlichen, hier aber passenden Ausdruck zu verwenden - dann ist es plötzlich vorbei mit der an sich angenehmen Hochstimmung? Eigentlich schade, das klingt nämlich danach, dass in dem Moment, wo sich der Wunsch nach Zweisamkeit erfüllt, das Verliebtsein ein Ende findet ...

Lieben Gruß
Gunda
Vor langer Zeit - Antworten
mukk Ach, du Allerärmster! - Ich hoffe, dein Rotkehlchen findet bald Zutrauen und Geborgenheit auf deiner ausgestreckten Hand.
Vielleicht liest du ihm auch deine schönen Gedichte und Geschichten vor, um es zu zähmen, so wie der "der kleine Prinz den Fuchs" gezähmt hat(A. de Saint Exypéry - Der kl.Prinz)
Nebenbei, Gemüse essen schadet dir ganz bestimmt nicht.
Mit ganz lieben Grüßen
Ingrid
Vor langer Zeit - Antworten
Boris ein trauriges Los - gern gelesen

Boris
Vor langer Zeit - Antworten
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