Es ist brühend heiss. Ich fühle mich wie ein Stück Siedfleisch in der Suppe, nur dass ich auf einer pinken Luftmatratze im Meer herum schaukle und den Italienern beim planschen zu sehe. Heiss! Oh Gott der Typ der da links vor meiner Matratze auftaucht sieht aus wie ein junges Ebenbild von George Clooney!
„Ciao bella!“ Ich starre ihn an und mustere die Wasserperlen, die sich elegant über seinen muskulösen Body schlängeln.
„Ich heisse Fabio. Bist du alleine da?“ fragt er mich mit einem breiten Grinsen, welches seine Schaumkronen weissen Zähne aufblitzen lässt.
Nein ich habe eine Verabredung mit meiner Luftmatratze! Hätte ich ihm am liebsten gesagt. Da ich aus einer endtäuschenden Beziehung ans Meer geflüchtet bin, habe ich keine Lust mir schon wieder die Finger zu verbrennen. Oder noch schlimmer, das mühsam zusammengeflickte Herz (da gibt’s leider noch keinen Sekundenkleber dafür) wieder auseinanderbrechen zu lassen.
„Ich bin mit meinem Mann da!“ vage deute ich auf den erst besten Touristen der seinen Bierbauch in der Sonne röten lässt. Gerade dreht sich der Kerl auf den Bauch und lässt einen schwarzen Tanga zwischen seinen prallen Arschbacken aufblitzen. Du meine Güte!
Fabio lächelt milde und blinzelt mir zu: „Ist er wild?“
Wild? In was? Im Bett machen, Zähne putzen, Garten umstechen, Goldfische kaufen, Mofa polieren, die neusten Aktienkurse lesen, Bügelfalten beheben, Zwetschgen einmachen, Unterhosen falten? An was anderes mag ich bei diesem Exemplar von Mann gar nicht denken!
„Ehm jaaa.“ Das war etwas zögerlich!
„Kommst du heute Abend an den Strand? Nur wir zwei!“ Fabio streicht mir mit seinem Zeigefinger sanft über meinen gebräunten, rechten Arm und blickt mich aus azurblauen Augen verheissungsvoll an.
„Nein, ich muss jetzt ganz dringend…(hm was muss ich?) einkaufen gehen!“
„Einkaufen?“ Fabio blickt mich verdutzt an.
„Ja, da…da ist der Kokosnussverkäufer!“ Ich deute auf die wundersame Erscheinung des Verkäufers der mit seinem Eimer den Strand entlang spaziert und paddle dann entschlossen davon.
„Ist hier noch frei?“ frage ich höflich den Tanga-Tourist und er dreht sich erstaunt nach mir um.
„Ja, ja!“ brummelt er, bevor er sein eingeöltes Gesicht wieder in sein neongelbes Badetuch vergräbt.
Ein sanfter Wind zieht vom Meer her über den hellen Sandstrand und streift durch die Aeste der Pinien im nahen Wäldchen. Das Zirpen der grossen, ekelerregenden Heuschrecken ist bis hier her zu hören. Bevor ich in meiner Lethargie noch anfange, die Haare auf dem Arsch meines Tanga-Nachbarn zu zählen, entschliesse ich mich, mir ein Gelati zu holen.
„Sofiiiia! SOFIIIAA!“ schreit plötzlich eine Horde Italiener und stürmt frohlockend mit ihren Flip-Flops auf mich zu.
„Sie ist es! Sie ist es!“ „Was für ein Zufall!“ „Ein Geschenk des Himmels!“ „Wie hübsch sie ist, viel schöner als im Fernsehen!“ „Madonna mia!“ „Sing uns was Sofia! Bitte!“
Okee, die meinen tatsächlich mich! Da stehen sie nun und umringen eine gebrochene Frau, die nichts als ihre Ruhe haben wollte in ihrem Singel-Urlaub! Sieben Augenpaare bannen ihren Blick in freudiger Erwartung auf mich, dazu strecken sie mir ihre Hände zur Begrüssung entgegen.
Höflichkeitshalber stehe ich nun doch auf. Mein „Ich bin nicht Sofia“ wird nur mit einem verschwörerischen Augenzwinkern abgetan und dem Blick „Wir wissen genau wer du bist, werden es aber niemandem verraten“!
Ein dicker, kleiner Italiener in einer roten, engen Badehose zückt bereits einen Filzstift aus seinem Bauchtäschchen und will, dass ich auf seinem Bauch signiere. Damit er Ruhe gibt schreibe ich meinen „neuen“ Namen darauf und lächle ihn höflich an.
Jetzt verpisst euch aber wieder!
„Du wirst doch heute Abend für uns singen Sofia?“ fragt mich eine Italienische Mama und tätschelt mir mütterlich die Wangen.
Ich kann nicht singen, das hört sich bei mir an wie wenn man quietschend die Luft aus einem Ballon lässt!
„Oh ja, ein Duett mit Georgio!“
Wer ist Georgio?
„Ich, ich weiss nicht!“ stammle ich verlegen und verstricke mich von Sekunde zu Sekunde mehr mit dieser mir imaginären Sofia. Hilfe, ich werde noch schizophren!
„Wo sind deine Bambinis?“ „Oh ja, wo sind Luca, Marina, Adriana, Leo und Larissa?“ Vier Frauen und zwei Männer blicken mich fragend an.
Ich habe Kinder? Fünf Stück?!!
„Zuhause?!“
„Oh, zuhause in Venezia, wie schööön!“ „Bestimmt passt Eros auf sie auf! Was für ein Mann!“
Eros Ramazotti?„Wie schlank du bist Sofia, der Babybauch deiner Zwillinge ist ja kaum ersichtlich!“
Babybauch? Ich starre an mir runter auf mein knappes Bikini. Okay, gestern hatte ich eine riesen Pizza verdrückt, dann noch einen XXL-Eisbecher mit Schlagsahne (das nächste Mal „senza Panna“ bestellen!) und heute schon habe ich einen Zwillingsbauch?
„Sofia?“ Die Mama tritt einen Schritt auf mich zu und blickt kurz prüfend um sich. „Stimmt es, dass Eros mal für die Mafia gearbeitet hat?“ flüstert sie.
Die Mafia! Mein Mann bei der MAFIA? Das wird ja immer wie besser!
„Wer behauptet das?“ Das klang jetzt ein Bisschen wütend von mir, aber ich hasse Ungerechtigkeit, niemand hängt mir einen Ehemann mit Mafiaverbindungen an den Hals, schon gar nicht wenn ich schwanger bin!
Okay, entspann Dich Kyra, du bist ja nicht wirklich schwanger!
„Ach das Fernsehen, die Zeitungen, Paparazzi… du weisst schon!“
„Ja die elenden Medien, arme Sofia!“ „Arme, wunderschöne Sofia!“ „Arme Kinder!“ „Armer Eros!“
ES REICHT!!!! Gleich heule ich!
„Weisst du was? Wir laden dich ein!“ „Ja, wir bauen dich wieder auf!“ „Echte Freunde halten zusammen!“ „Wir lassen dich nicht fallen Sofia, was immer du auch tust!“ „Du bist unsere Göttin!“
Du bist unsere Göttin! Das war eine neue, sonore Stimme in dieser Runde! Überrascht blicke ich von meinen Sand bestäubten Füssen hoch in ein hübsches Männergesicht das von Freundlichkeit nur so strahlt.
„Georgio!“ „Oh Georgio, come stai?“ „Georgio lass dich drücken!“
Doch dieser Georgio hat im Moment nur Augen für mich.
„Sofia?“ Sein Blick ist ungläubig.
Ich verneine in dem ich den Kopf schüttle, doch mein Fanclub bombardiert den Georgio mit „Si, si Jubelrufen“.
Er reicht mir seine kräftige Hand und ich spüre meine Knie weich werden. Was für ein Blick dieser Mann drauf hat!
„Jetzt aber ab ins Ristorante!“ Sie schleifen mich mit sich fort in Richtung Strandrestaurant.
Dann wird serviert: Conchiglie di Mare (ich hasse Jakobsmuscheln!), Capelli d’Angelo all’Aragosta (Hummer, das wird ja immer wie schlimmer!), Lasagne Bolognesi (Gott sei Dank!) und Pizza, soweit das Auge reicht. Der Lambrusco fliesst in Strömen und bald weiss ich wirklich nicht mehr, ob ich die verlassene Notariatssekretärin Kyra Beyeler aus der Schweiz bin, oder die grossartige Sängerin Sofia, deren Mann Mafiageschäfte und unglaublich gesegnete Spermien nachgesagt werden.
Wenigstens blieb mir für diesen Abend das Singen erspart, da ich mit der Ausrede „mit vollem Bauch sing ich nicht“ die Leute zufrieden stellen konnte. Ausserdem lallte ich bei jedem zweiten Satz und musste den ganzen Abend aufpassen, dass ich mich nicht zu sehr in diesen Georgio verguckte, denn schliesslich wartete ja Eros zuhause in Venedig auf mich. Und morgen würde mein Bauch einen noch grösseren Umfang haben und die Zeitungen spekulieren, ob es denn nun Drillinge werden im Hause Sofia!
Trotz allem war dieser Abend die Rettung meines Seelenheils, denn ich habe so herzhaft gelacht, dass meine Sorgen und Ängste in der klaren, mit Salz geschwängerten Meeresluft verpufften wie Popcorn in der Pfanne. Eine Sternschnuppe streifte das Firmament auf meinem Nachhauseweg.
Conny B.