Beschreibung
Elmar ist unauffällig und konfliktscheu, Elmar ist kein Trendsetter, er ist Mitläufer. Aber Elmar ist hundert Prozent politisch korrekt. Seine heile Welt immer wieder ein Stück ins Wanken zu bringen, macht mir einfach Spaß. Sorry, Elmar.
Ich schaute nach links. Hatte der Typ neben mir da wirklich gerade "Sinti-Roma-Schnitzel" bestellt? Natürlich hatte er das, denn der Typ, das war Elmar. Mister "bloß-nicht-anecken", Mister überkorrekt, der Mensch, der mit seiner Art selbst Finanzbeamte zum Kopfschütteln bringen konnte. Die Verkäuferin im "El Greco" kannte das schon, sie kannte Elmar. "Sswei Ssigeunerschnitzel ohne alles", wiederholte sie seine Bestellung in ihrer Sprache. Elmar verzog beleidigt das Gesicht. "Der Herr?" erwartete die quadratisch kompakte Griechin mit der Hautfarbe ihrer Grillwürstchen dann meine Wünsche. "Ach nix, ich hab vorhin erst zwei Negerkussbrötchen gegessen", antwortete ich, und Elmar zuckte zusammen. "Das heißt Schokoschaumkuss!", hörte ich ihn umgehend korrigieren. Die Imbissangestellte wendete sich der Zubereitung des Schnitzels mit Paprika-Tomatensoße zu. Elmars Abendessen brutzelte im verhältnismäßig frischen Öl vor sich hin und der Geruch inspirierte mich, doch noch eine Bestellung hinterherzuschieben. So gut ich konnte, formulierte ich sie auf 'elmarisch'. "Ach, ich nehm doch ne doppelte Pommes, aus ökologischem Anbau, mit Mayo von freilaufenden Eiern." Wortlos wurde meine Order ausgeführt. "Einpacken?" "Nö, nehm ich so." Wieder ein Schreck für Elmar. Wie konnte ich es wagen, die keimfreie Existenz seines gerade mal drei Jahre alten Auto mit einer offenen Portion Pommes Frites zu gefährden? Hinter seiner Stirn arbeitete es. Wie konnte er mir sein Mißfallen vermitteln, ohne einen Konflikt zu riskieren? Er sagte nichts, nahm die Plastiktüte mit den zwei Schnitzeln und steuerte zum Ausgang. "Wiedersehen." "Danke gleichfalls." "Dankeschön." beantwortete er die Höflichkeitsfloskeln der Verkäuferin und hätte ich ihn nicht aus der Tür geschubst, hätte die Verabschiedung wohl noch einige Minuten in Anspruch genommen.
"Sei bloß vorsichtig, der Wagen ist frisch gereinigt!", wies er mich dann doch noch an, als er seine Tüte im Kofferraum verstaute und mir beim Einsteigen drei einzelne Kartoffelstäbchen auf die Straße fielen. Etwas Mayo am Türgriff konnte doch nicht so schlimm sein? Ich fragte ihn besser nicht, schließlich wollte ich unterwegs in Ruhe meine Pommes essen. Aber daraus wurde nichts. Elmar nahm Platz auf dem Fahrersitz, legte den Sicherheitsgurt an, schaltete die Zündung ein und dann passierte - gar nichts. "Wolltest du nicht fahren?" Elmar antwortete nicht. Vorwurfsvoll schaute er mich an und tippte mit dem rechten Zeigefinger auf ein lustiges rotes Lämpchen, daß am Armaturenbrett blinkte. "Was ist los? Spielt die Scheisskarre wieder Weihnachtsbaum?" Elmar rückte sein Ein-Euro-Brillengestell zurecht und formulierte es mit derselben Penetranz wie das rote Blinkelämpchen: "Der Sicherheitsgurt des Beifahrers ist noch nicht geschlossen!" "Ja wie denn?" hielt ich ihm vorwurfsvoll meine Doppelportion frittierter Kartoffeln in der einen und das ökologisch bedenkliche Plastikgäbelchen in der andern Hand unter die Nase. Und dann begann Elmar, mich zu umarmen. Ich deutete das wohlwollend als einen Versuch, meinen Sicherheitsgurt in die vorgeschriebene Position zu bringen, hielt ihn aber davon ab, indem ich ihm mittels des Satzes "Laß den Scheiss, fahr endlich!" zu verstehen gab, daß mir seine Bemühungen ein wenig unangenehm waren. Zumal die gerade draußen an Elmars Gefährt vorbeilaufenden Damen jüngeren Alters ihm kichernd dabei zusahen. "Elmaaaaar, fahr jetzt!" "Nur unter Protest!", schien sein Gesichtsausdruck mitzuteilen und er unterstrich sein Unbehagen mit Zitaten aus der Straßenverkehrsordnung, dem bundesdeutschen Bußgeldkatalog sowie mit sämtlichen Ergebnissen seriöser Unfallforschung der letzten zwanzig Jahre. Dann waren wir endlich in der Reihenhaussiedlung angekommen.
Meine leere Pommesschale fand kurz Platz in Elmars Restmülltonne. Elmar, der am geöffneten Kofferraum stand, leitete umgehend einen Korrekturvorgang ein, zögerte nur kurz, um darüber nachzudenken, ob eine Pommesschale Altpapier sei oder durch die hauchdünne Kunststoffbeschichtung, die ein Durchdringen des Frittierfetts verhindern oder zumindest verzögern sollte, zu einem Verbundwerkstoff mutiert war und als solcher zwecks Recycling dem Dualen System zuzuführen sei. Andererseits hatte die Schale keinen grünen Punkt. Elmar entschied sich dafür, Altpapier in der Hand zu halten. "Und die Mayoreste?" Ach Elmar, du bist so leicht zu verunsichern und so landet die Schale letztendlich doch wieder im Restmüll. "Schönen Abend noch!" "Gleichfalls."
Ncoh zehn Minuten bis zum Ende der Mittagsruhe. Elmar tauchte auf und legte seinen Staubsauger, Marke 'Flüsterleise' bereit. Er schaute auf seine Uhr und kam dann zu mir herübergetrottet. Ich hatte die letzten drei Stunden damit zugebracht, mittels eines großen Hammers die verrotteten Auspuffragmente meines alten Ford Granada zu überreden, sich von ihrem angestammten Platz zu verabschieden. Sicher, ich hätte den Schrott auch einfach wegflexen können, aber es war schließlich Mittagszeit. "Kann ich was helfen?" fragte Elmar. Natürlich stellte er die Frage aus reiner Höflichkeit. Ein Elmar hätte nie gesagt: "Hör endlich auf mit dem Lärm, es ist Mittagszeit!" Für mich aber wieder eine willkommene Gelegenheit, ich hielt ihm den Hammer hin. "Klar, gerne, das meiste ist schon weg." Dabei staunte ich, daß er den Hammer zumindest am richtigen Ende festhielt, dabei aber wieder vorwurfsvoll auf seine Armbanduhr blickte. "Und was hast du mit dem Sauger vor? Ich dachte, der Wagen ist frisch gereinigt", versuchte ich, die verbleibende Wartezeit zu überbrücken.
Ja klar, ich wollte nur noch mal schnell durchsaugen, der Wagen geht gleich weg. "Schon wieder eine neue Karre? Mann Elmar, du mußt ja Kohle haben." "War ein gutes Angebot." "Und der alte? Haste verkauft?" "Nee, viel besser", freute sich Elmar. "Der wird verschrottet." "Bitte was?" "Klar, ich hab mir einen neuen bestellt und kassiere für den alten Wagen die zweitausendfünfhundert Euro staatliche Umweltprämie. Ist doch toll, oder? Zweitausendfünfhundert Euro vom Staat geschenkt. Einfach so." "Einfach so? Sag mal, bist du noch ganz sauber?" "Wieso?" "Wieso? Du schmeisst deine gerade mal drei Jahre alte Karre weg, die locker noch doppelt soviel wert ist wie diese beschissene Abwrackprämie und freust dich auch noch drüber?" "Umweltprämie!", korrigierte Elmar leicht verunsichert. "Solltest du auch machen, soviel Geld wirst du für deine alte Schrottkiste nie wieder kriegen."
"Elmar, laß mich bitte versuchen, wenigstens einmal deine Denke zu verstehen. Also, du hast ein Auto, das drei Jahre alt ist, richtig?" "Richtig." "Du bestellst einen neuen Wagen, der wieviel kostet?" "Knapp sechzehntausend Listenpreis, abzüglich..." "Ja ja, abzüglich Abwrackprämie, ist klar." "Umweltpr..." "Elmar!" "Was denn?" "Sag mal, glaubst du diese Verarsche wirklich?" "Was meinst du?" "Umweltprämie, so ein Humbug. Denk doch mal nach. Diese staatliche Förderung der Neuwagenverkäufe hat doch mit der Umwelt rein gar nichts zu tun. Erstens: der Staat verschenke kein Geld. Auch nicht an dich. Die holen sich das doch spätestens über die Mehrwertsteuer wieder rein. Jedes Auto, das durch diese Schwachsinnsaktion zusätzlich verkauft wird und rund sechzehntausend Euro oder mehr kostet bringt dem Staat über die 19 % Mehreinnahmen von mindestens 2.500 Euro. Na, merkst du was?" Elmars Gesichtsausdruck war irgendwo zwischen ungläubig und ratlos. "Ja aber, die Umwelt profitiert doch davon, wenn ich ein neues, sauberes Auto kaufe." "Absoluter Blödsinn. Weißt du eigentlich, was für einen Dreck die Produktion deines neuen Autos verursacht? Um das aufzuwiegen kann ich mit meinem alten, gammeligen, katlosen Granada noch Jahrzehnte die Umwelt vollstinken, und das werde ich auch tun, das kannst du mir glauben."
Das einzige, wofür diese Prämie gut ist, ist, die Autoindustrie wieder anzukurbeln, ihr kurzfristig Umsätze zu verschaffen, die dann nach Ablauf dieser Prämienaktion wieder wegbrechen und alles noch schlimmer machen als vorher. Voraussetzung ist natürlich, daß alle, die die Prämie in Anspruch nehmen, auch ein deutsches Auto kaufen. Und? Elmar? Woher kommt dein neuer?" "Japan", vermeldete er inzwischen kleinlaut.
Es waren ein halbes Jahr vergangen und mein Granada hatte wieder mal mit einigen Alterserscheinungen zu kämpfen. Er lag aber im direkten Vergleich mit Elmars neuem Reiskocher in punkto Zuverlässigkeit und Reparaturaufwand noch weit in Führung, da der inzwischen zum sechsten Mal zu Nachbesserungen in der Werkstatt stand. "Alles auf Kulanz", verteidigte Elmar diese automobile Katastrophe noch immer.
Sag mal, kannst du mich mal eben zum Griechen fahren? Ich geb dir auch ne Pommes aus." "Doppelt, mit Mayo", machte ich zur Bedingung und startete die sechszylindrige Dreckschleuder. "Aber im Auto gegessen wird nicht!"