Kurzgeschichte
Das Mädchen am Küchenfenster

Es gibt viele Gründe warum Menschen an ihren Fenstern sitzen. Einige sind neugierig was die Nachbarn so machen, haben oder sind. Andere wiederum schauen sich das treiben der vorbeiziehenden Passanten an. Und es gibt einige Leute die warten. Warten darauf das die Nacht vorbei zieht, das der Sommer kommt oder sie warten auf jemanden der weg gelaufen ist. So wie dieses Mädchen am Fenster gegenüber. Sie sitzt jede Nacht an dem Gleichen Fenster und starrt Löcher in die Luft.

Sie wartet.

Immer wenn die Sonne unter geht, setzt sie sich an das kleine Küchenfenster und verweilt dort bis die Morgendämmerung eintrat. Ich konnte oft ihre erwartungsvollen Blicke sehen wenn die Nacht herein brach und die Stadt von den Anstrengungen des Tages sich zu erholen begann. Und noch öfter sah man ihre enttäuschten traurigen Augen wenn ein neuer Tag begann und ihr warten wieder umsonst schien.

Anfangs sah man sie noch Abends durch die Straßen ziehen. Sie suchte oft bis in die Morgenstunden, legte sich kurz hin und ein paar Stunden später sah man sie schon wieder suchen. Später ging sie dann nur noch abends durch die Stadt, die Augen immer nach links und rechts gerichtet um ja nichts aus zu lassen. Nun sitzt sie nur noch an ihrem kleinen Küchenfenster umgeben vom sanftem Licht einer Kerze. Immer den Blick auf der Straße, falls er doch noch kommt.

Wenn jemand in einer großen Stadt verloren geht, ist er verloren. Sagt man.

Dieses Mädchen gab die Hoffnung nicht auf. Sie brachte kurze Zeit die gesamte Nachbarschaft dazu, beim suchen zu helfen. Man sah überall Leute auf der Straße die jemanden suchten. Sie verteilte Handzettel, konsultiere sämtliche Institutionen. Jedoch erfolglos. Es war als würde die halbe Stadt nach der Nadel im Heuhaufen suchen. Sie versprach hohe Belohnungen, doch niemand konnte ihr ihren geliebten Schatz zurück bringen. Einmal habe ich sie sogar mit dem Pfarrer in die Kirche laufen sehen aber auch Gott konnte wohl nichts für sie tun. Sie war innerhalb von kürzester Zeit bekannter als der Bürgermeister in unserem Viertel und jeder wollte diesem armen Geschöpf helfen endlich zu finden was sie suchte. Sie war irgendwann nur noch das suchende Mädchen. Manchmal scheint sie dann doch was zu hören. Sie springt dann auf rennt durch das Treppenhaus auf die Straße und steht da. Manchmal Minuten, manchmal Stundenlang. Doch sie geht immer allein nach Haus. Mit gesenktem Blick und hängenden Schultern.

Oft frage ich mich ob man diesen jemand nicht ersetzen kann. Doch niemand wagt es sich sie darauf an zu sprechen.

Sie weint oft an ihrem kleinen Küchenfenster. Meistens still, aber wenn man genau hin sieht und die Augen zusammen kneift, kann man ihre Tränen sehen.

Die Welt dreht sich weiter ohne sich zu fragen warum das Mädchen Nacht für Nacht am kleinen Küchenfenster sitzt und wartet. Die Menschen in der Umgebung haben schon lange aufgehört zu suchen. Viel hat sich verändert seit dem ihr Herz verloren gegangen ist. Was sich wohl nie ändern wird, ist das wartende Mädchen am Küchenfenster mit dem traurigen Blick.