Beschreibung
Eine Archäologie des Bürolebens
Büroleben – Eine Dia-Show
West-Berlin 1969. Selten war so viel Aufbruch und zugleich so viel Muff. Der junge Ben hat gerade in einem Büro mittlerer Größe zu lernen angefangen. Wer sind denn nun seine neuen Kollegen?
Da ist Frau M., Mitte sechzig, vorgealtert, schwerhörig, manchmal auch schwer von Begriff. Sie ist Schreibdame, fast schon verwachsen mit ihrem alten Bürostuhl. Wenn Ben einen Brief diktiert und darin die von ihm verwendeten Zitate kenntlich macht, kann es vorkommen, dass sie ihn anruft: „Auf Ihrem Band verstehe ich immer: Quellen. Quellen? Höre ich da richtig?“ - Ben erfährt, Frau M. war früher die Geliebte von Dr. L. Wer war Dr. L.? Geboren 1901, hat er vor und nach dem Krieg Karriere gemacht. Längst schon ist er als Verbandsgeschäftsführer in Pension gegangen und für die Nachwelt so gut wie tot. Sein Name ist jetzt nur noch ein Synonym für den dicken Kommentar, den er mitverfasst hat. Frau M. wirkt auf Ben wie stark verwitterter Fels.
Frau W. bekommt wie alle anderen Schreibdamen nur BAT VIII. Sie ist der Typ Lustige Kriegerwitwe. Ihre Heiterkeit ist teils Ausdruck vitalen Temperaments, teils aufgesetzte Trotzreaktion. Sie erzählt immer wieder von der Olympiade 1936. Mit dem Bund Deutscher Mädel (BDM) hat sie damals die Kulisse gebildet, auf den Hauptachsen der Stadt oder im Stadion. Die Olympiade 1936 war das glanzvollste Ereignis ihres Lebens. Sie war erst kurz verheiratet, als ihr Mann fiel. Seitdem ist sie Tippse. Wenn sie aus einem Urlaub zurückkommt, sagt Bens Ausbilder: „Achtung, Frau W. schreibt wieder!“ Frau W. ist klein und trägt den Kopf hoch. Etwas an ihr findet Ben rührend: Im Gespräch zieht sie die Schultern hoch, wie zur Verteidigung.
Herr S. ist der Vize im Bereich und befehdet sich ständig mit Herrn K., dem Bereichsleiter. Beide sind um die sechzig und politisch vorbelastet. Herr S. musste nach dem Krieg einige Jahre im Steinbruch arbeiten. Da hat er sich eine Steinstaublunge geholt. Er ist witzig, geistreich und verbittert. Er keucht, wenn er Ben verwickelte Rechtsfragen vorlegt und sie blitzschnell selber löst. Ein farbiger Druck an der Wand bei ihm zeigt einen Hasen mit einer Flinte, der dem Jäger eins auf den Pelz brennt. Einmal zettelt Herr S. eine Revolte gegen Herrn K. an, indem er sich mit allerlei Indiskretionen an den Vorstand wendet. Die Sache wird niedergeschlagen, Herr S. geht dann bald in den Ruhestand.
Bens Ausbilder erzählt von Herrn K.: „Der ist in der Nazizeit in Parteiuniform ins Büro gekommen – und sogar in Stiefeln!“ Herr K. war in den Fünfzigern am Wiederaufbau des Betriebes beteiligt und hat noch eine kleine Karriere hinbekommen. Jetzt steht er im Abwehrkampf gegen die jüngere Generation. Diese nutzt die beginnende elektronische Datenverarbeitung für ihren eigenen Aufstieg. Herr K. hat Übergewicht und hohen Blutdruck. Er tritt forsch auf. Weist man ihm einen Fehler nach, bekommt er einen roten Kopf und verlässt rasch das Zimmer, wenn auch in guter Haltung. Einmal erleidet er einen Schwächeanfall. Bens Ausbilder, einer von den jungen Bürohengsten, sagt süffisant vor den anderen: „Hoffentlich begreift er’s als Wink des Himmels.“ Herr K. geht auch bald in Pension.
Die Sachbearbeiterin Frau Z. ist Mitte zwanzig, hübsch, sympathisch. Sie ist schon einige Jahre verheiratet, bisher kinderlos. Sie ist übergewissenhaft und schafft daher ihr Arbeitspensum nur schwer. Frau Z. wohnt in einem neuen Hochhaus am Stadtrand und fühlt bei Sturm das Haus im vierzehnten Stock schwanken. Wenn sie Zeit hat, stellt sie sich gern die Unendlichkeit vor, und zwar am liebsten in Dunkelblau.
Mit Ben hat Klaus hier angefangen. Nach der Mode der Zeit trägt er sein Haar schulterlang, es ist kunstseidenweich. Er muss das Musical „Hair“ sehen und den neuesten Film von Stanley Kubrick. Er raucht eine Zigarette nach der anderen, Marke Rothhändle. Jeden Tag nimmt er sein Frühstück von zu Hause mit. Seine Mutter schmiert und belegt ihm Brötchen, pardon: Schrippen. Klaus hat noch nie eine der Schrippen gegessen. Doch wirft er sie auch nicht fort, er versteckt sie in einer großen Schublade seines Schreibtischs. Eines Tages entdeckt die Putzfrau den Berg großenteils verschimmelter Schrippen und schlägt Krach. Was ist nur mit dieser Jugend los?