Freizeit
Freizeit war ein kostbares Gut. Wenn man bedenkt, dass wir erst 20:00 mit der Arbeit fertig waren, dann blieb nicht mehr viel Zeit. Eigentlich!Wirklich hatten wir noch Power zum Volleyballspielen und es war ja auch noch bis ca. 23 Uhr hell.
Manchmal saßen wir am Lagerfeuer und sangen von der „Angara“ oder der „Ziganka molodaja“. Sprachbarrieren hatten wir kaum und was uns an Vokabeln nicht bekannt war, wurde mit Händen und Füßen übersetzt.
Die Vorschrift besagte, dass wir um 24 Uhr in der Falle zu liegen hatten, nur diesen Kodex hatten wir bald geknackt und wir sangen und tanzten bin spät in die Nacht.
Es gab auch Fußballwettkämpfe und einmal fuhren wir in eine Sowchose zum Tanzvergnügen. Ich kann mich noch erinnern, dass es dort CCR Musi gab und da haben wir mit unseren Mädels den „Freunden“ mal vorgemacht, wie man richtig tanzt. Die Russen kombinierten modere Stilelemente mit alten Volkstanzdetails und man dachte mehr an „Kassatschok“.
Argwohn kam bei der Kommissarin auf, wenn wir englische Titel zum Beispiel „Beatles“ hörten. Doch diese Musik hat offensichtlich zur Völkerverständigung beigetragen und die Dogmen überlebt.Nach der Lagerzeit schleppten uns die Studenten aus L. auch zu einem Konzert der „Skalden“. Leider gab es vorher das unvermeidliche „Esdranui Programm“, welche sehr ermüdend war. Dafür standen wir später auf den Sitzen und rockten zur Live - Musik.
Zitat aus einem wieder gefundenen, handschriftlichen Manuskriptfragment:„…01.08.Rundfahrt mit dem Bus durch Leningrad. Eine Menge Sehenswürdigkeiten. Sehr schöne Schlösser, aber ungestrichene Fenster, an normalen Häusern keine Gardinen und ziemlich dreckige Straßen. Essen im Wohnheim, ein wahres Sonntagsessen. Dann Freizeit – kaufe Äpfel und Konfekt für Xa, die krank ist und „zu Hause“ bleiben musste. Anschließend geht es ins Konzert mit den „Skaldowje“ aus der VR Polen. Vorher ein lahmes russisches Programm mit Conferencier – aber dann…Sind bald in Ekstase geraten. Farben, Farben und noch mal Farben und eine Musik – unbeschreiblich. Jetaime; Hey, you got your hide your love away; Procul Harum und andere. Haben in dem Laden erst mal Stimmung induziert. Zuletzt “tobten” dann alle. Wunderbar… Das Bühnebild war etwas spartanisch.Habe Xa die Äpfel geschenkt – sie hat sich riesig gefreut. Am Freitag, dass vergaß ich, waren wir in der Sauna – habe 3 Kilo abgenommen. Jetzt ist Mittagspause und wir schreiben Montag, den02.08.1971 Haben inzwischen im Keller ausgeschachtet und Steine abgeladen. Scheißarbeit, hatten die ganze Woche geschwollene Hände. Heute geht es besser. Na ja, man gewöhnt sich an alles. Abends waren wir in den „Pilzen“. Haben anstatt Pilzen Gemüse und Kartoffeln mitgebracht und am Lagerfeuer gebraten.03.08. DienstagGleiche Arbeit wie gestern. Abends junge Hündchen besichtigt (Schäferhund des Hausmeisters)04.08. Mittwoch Heute zur Melioration gewesen. Nix gut. Öfters pausiert und gepennt. Abends, nachdem ich mich auf den Feierabend gefreut habe, erfahre ich, dass wir den Sonnabend rausarbeiten und bis 24 Uhr weiterarbeiten – 14 Stundentag.05.08. DonnerstagIn der Orangerie gearbeitet – Mörtel mischen (mit der Hand) und hochziehen.Am Abend erwischen mich noch die Zahnschmerzen und dann wasche ich noch Wäsche…“
Alle Pflichtprogrammpositionen wurden erfüllt, wir sahen die Eremitage und den Winterpalast, besichtigten die „Aurora“ und waren vor Ort, wenn des Nachts die Newabrücken hochgezogen wurden, um die großen Kähne durchzulassen. Ganz nebenbei fiel uns da auf, dass ziemlich auffällig „unauffällige“ Personen dort standen, wo sich größere Gruppen gebildet hatten. Nur mit unserem Slang hatten sie sicher Probleme, denn selbst im Bus knurrten uns manchmal die Fahrgäste an, wir sollten russisch sprechen. Sie vermuteten, wir wären irgendwelche nationale Minderheiten – Letten oder Balten.Nach dem Ende unserer Bautätigkeit wohnten wir kostenfrei im Wohnheim der Bauhochschule an der Fontanka ( W Obschcheschitije Lisi na Fontanke).Der erste Höhepunkt war der Besuch des Restaurant „Metropol“ in Leningard und nach dem Festmahl teilten wir uns in die Kosten (siehe Beweisstück Rechnung – Rückseite)
Wenn auch der Zahn der Zeit an dem Dokument nagte, man kann noch den Gesamtbetrag von mehr als 95 oder 98 Rubel erahnen. Das war damals eine stolze Summe, wenn man bedenkt, dass es Facharbeiter etwa 150 Rubel im Monat verdiente.