Langsam verklärte sich der Blick, ich spürte, wie sich die Muskeln entspannten. Mit dem letzten Atemzug zog ich mich über die Nasenhöhlen zurück. Einen Moment schwebte ich im Raum. „Danke, alte Dame, für die 78 Jahre“ flüsterte ich und liess mich durch die Decke gleiten. Immer kleiner wurde das Haus und schliesslich wandte ich mich meinem Weg zu. Irgendwo zwischen Himmel und Erde war unsere Basis.
Als ich sie schliesslich erreichte, war Pee schon da. Ich war am äusseren linken Ende stationiert und Pee war mein einziger Nachbar. Sein leicht grauer Schatten zeigte mir, dass er verärgert war. „Was ist denn los, altes Haus?“ schickte ich einige Gedanken zu ihm hinüber. Er flackerte kurz. „Na, auch wieder einmal da? Dachte schon, du hättest eines dieser unsterblichen Fabelwesen gefunden, von denen alle erzählen“.
Verwunderung durchflutete mich. „Nein, nein, aber die Hülle hat sich ziemlich lange gehalten. Wir hatten eine schöne Zeit. Sie hat sich verliebt, verheiratet und vermehrt. Hab zwar ein paar Mal gedacht, dass wir die Kurve nicht kriegen, aber ist dann doch jedes Mal noch gut ausgegangen. Bei dir lief es nicht so gut?“
Sein Groll traf mich unvermittelt und lies mich erschauern. „Nein, nicht so wirklich. Zuerst war es eine Pferdehülle. Das war zwar noch ziemlich cool, die meiste Zeit durften wir mit anderen um die Wette rennen. Aber leider waren wir einfach zu langsam, die Pustepumpe hat nicht mitgemacht. Da wollten sie sein Fleisch und ich hab Glück gehabt, dass mich die Kugel nicht erwischt hat. Konnte grade noch rechtzeitig entweichen.
Das Zweite aber war eine Eintagsfliege und kaum waren wir auf der Welt, kam auch schon ein Vogel angeflogen. Auch da bin ich nochmals knapp entkommen. Dann musste ich mich zuerst einmal ein paar Jahre regenerieren.
Hab mich schliesslich entschlossen, nochmals aufzubrechen und diesmal war es ebenfalls eine menschliche Hülle, wie bei dir. Nur hatte ich die Nervenbahnen dieses Typen nicht so im Griff. Manchmal haben seine Hände vor Wut dreingeschlagen, obwohl ich gar keine Verbindung zu ihnen hatte. Und vor einem halben Jahr hat er sich schliesslich auf ein Motorrad gesetzt und wir haben vor lauter Gas geben die Linkskurve nicht gekriegt. Dabei hab ich ihn noch angeschrieen, doch der war irgendwie zugedröhnt und hat wohl gar keine Impulse mehr wahrgenommen.“
Das Mitgefühl liess mich rot einfärben. „Oje, da hast du es wirklich nicht sehr gut gehabt. Hoffe, das nächste Mal triffst du es besser.“ Ich sandte ein paar Glücksgefühle zu seiner Glaskugel und sah, wie er sich ein wenig entspannte und sich das Grau verflüchtigte.
Unterdessen hatte sich der Regenerator bei mir angekoppelt, wie immer, wenn einer von uns wieder angekommen war. Ich genoss die Zufuhr von jeglichen Gefühlen wie Freude, Glück, Zufriedenheit, aber leider auch Wut, Angst und Eifersucht. Letztere waren nicht so sehr meine Stärken, ich war halt typisch weiblich.
Neben mir war Pee in einen tiefen Schlaf gerutscht. Das geschah immer, kurz bevor wir wieder aufbrachen. Die ersten Minuten da unten waren die Anstrengendsten und die galt es zu überstehen.
Meine Regeneration dauerte über eine Woche. Ich war lange weg gewesen und musste manches einstecken. Nach ein paar Tagen konnte ich mir vorstellen, wie sich mein Nachbar gefühlt haben musste. Einsam betrachtete ich den schwarzen Nachthimmel und freute mich darauf, wenn ich endlich wieder losziehen durfte.
Nach mehr als einem Monat war es denn soweit. Ich spürte die Schläfrigkeit und eh ich es mir versah, zog es mich auch schon nach unten. Unweigerlich immer tiefer ging der Fall, bis schliesslich aus den kleinen Punkten Städte wurden und daraus einzelne Häuser und Strassen. Und schliesslich fand ich meinen Einsatzort, klein und glitschig lag es zwischen den Händen des Arztes. Indem ich als erstes den Atembefehl aussandte, kündigte das kleine Wesen mit einem schrillen Schrei meine Ankunft an. Nun hiess es auf in ein neues Leben…