Beschreibung
Die Freiheit von Unternehmern und Kunden - mehr als ein Märchen?
Karstadt und wir
Wer sich in diesen Tagen über die Pleite von Karstadt äußert, blendet fast immer einen wichtigen Aspekt aus: die Beteiligung von Staat und Gesellschaft an der Misere, an ihrer Vorgeschichte. Wir hören nur von autonomen Subjekten reden: hier die Unternehmer, die richtige oder falsche Marketingkonzepte verfolgen, dort die Kunden, die sich nach ihrem wechselnden Geschmack und für das modernere Konzept entscheiden. Fragt sich nur, wie autonom diese Subjekte tatsächlich sind.
Gehe ich durch eine durchschnittliche Großstadt, sehe ich oft Folgendes: zum einen ein neues Einkaufszentrum in allerbester Lage, mit idealer Anbindung an Bahn und Bus und mit sehr vielen Parkplätzen, die von der Peripherie schnell erreichbar sind. Dieses Einkaufszentrum ist fast immer gut bis sehr gut besucht. Zum anderen ein Warenhaus aus vergangenen Jahrzehnten, zwar modernisiert, doch in der Regel nicht ganz so verkehrsgünstig gelegen wie das neuere Einkaufszentrum, nämlich zwei- oder dreihundert Meter abseits der zentralen Verkehrsdrehscheibe, im Innern einer Fußgängerzone. Das Warenhaus hat ein Parkhaus, doch bietet es viel weniger Platz als das des Einkaufszentrums und ist nicht ganz so leicht anzusteuern. Die Etagen des Warenhauses sind oft fast menschenleer und selbst in den besten Zeiten nur mäßig besucht. Um das Warenhaus finde ich vor allem Billiggeschäfte, auch den einen oder anderen Leerstand. Dem Anschein nach gibt es in dieser Stadt inzwischen zu viel Verkaufsfläche.
Damit sind wir bei einem entscheidenden Punkt, dem hemmungslosen Zubau immer weiterer Verkaufspaläste. Keiner von ihnen konnte ohne Baugenehmigung errichtet werden. Die Städte haben sich oft sehr aktiv um die Ansiedlung neuer Einkaufszentren bemüht, sie haben das Planungs- und Baurecht dafür geschaffen, sie haben die Verkehrsströme in die neuen Zentren gelenkt. Manchmal ist den Behörden eine Bürgerinitiative in die Quere gekommen und ausnahmsweise konnte auf diese Weise auch ein neues Einkaufszentrum verhindert werden.
Was die Städte in der Bauplanung angestoßen haben, hat der Bund in seiner Kompetenz ebenfalls kräftig gefördert. Die meisten Änderungen im Arbeits- und Sozialrecht (die sogenannten Liberalisierungen) schadeten den Warenhäusern mit ihrem hohen Prozentsatz gewerkschaftlich Organisierter, mit ihren oft erst nach Streiks ausgehandelten Tarifverträgen. Sie begünstigten das expandierende Mittelunternehmen, das immer neue Kettenläden in den Passagen eröffnete, möglichst ohne Betriebsrat, vorzugsweise mit Arbeitnehmern ohne Sozialversicherungspflicht.
Die Verlagerung von immer mehr Umsatzanteilen weg von den Warenhäusern hin zu den Einkaufszentren spiegelt die Gesamtentwicklung der Gesellschaft in den letzen zweieinhalb Jahrzehnten wieder. Diese ist so gesteuert worden, sie war wirtschafts- und sozialpolitisch erwünscht und letztlich durch die Wahlergebnisse legitimiert. Nun, da die bitteren Konsequenzen unübersehbar sind, von falschen Unternehmerstrategien und Änderungen im Kundengeschmack zu reden – ist Heuchelei und Selbstbetrug. Wir Konsumenten sind längst nicht so autonom, wie wir dargestellt werden. Und selbst ein einstmals mächtiger Handelskonzern vermag wenig gegen die Hauptrichtung der Entwicklung. Wenn die Weichen einmal anders gestellt sind …
Merke: Es ist immer verdächtig, wenn in der Diskussion dem handelnden Wirtschaftssubjekt alle Verantwortung zugesprochen wird – statt von Prozessen voller Abhängigkeiten.