Biografien & Erinnerungen
Die Beichte

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"Die Beichte"
Veröffentlicht am 13. Juli 2009, 6 Seiten
Kategorie Biografien & Erinnerungen
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Über den Autor:

Im April 1960 erblickte ich die Welt. Bin hier auf der Durchreise, und versuche - einfach gestrickt - mein Bestes zu geben. Leise Musik ist mir lieber als laute Worte ...
Die Beichte

Die Beichte

Es war an einem gewöhnlichen Samstag im Spätherbst 1969. Schweren Herzens fuhr ich mit dem Fahrrad zur Kirche. Obwohl die Straße von meinem Elternhaus den Hang hinunter führte, schien es mir, als wollten sich die Räder nicht richtig drehen. In meinem Kopf kreiste nur ein Gedanke: „Wie soll ich das formulieren? Wie kann ich das dem Pfarrer sagen?“ Ich wusste ganz genau, dass er mich sofort an meiner Stimme erkennen würde, denn ich war einer seiner Ministranten.

Mein Herz begann zu rasen, als ich das schwere Einganstor der Kirche öffnete. Es gierte leise, ich trat ein, dann fiel es hinter mir wieder ins Schloss – nun war ich gefangen, es gab kein Zurück mehr.

Das Kirchenschiff war nur schwach beleuchtet. In den Bänken vor dem Beichtstuhl kniete ein alter Mann. Ich setzte mich fünf Reihen hinter ihn und wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde. Nur noch er und dann war schon ich an der Reihe. Meine Beine begannen zu zittern, ich versuchte es mit Hinknien. Die Holzbank knarrte. Gedankenversunken ging ich meinen sonst üblichen Beichtspruch durch. Aber diesmal konnte ich bei einem der Gebote nicht – wie sonst immer – einfach  sagen: „Keine Sünde.“

Als ich zur Seite blickte, sah ich, wie sich der Vorhang am Beichtstuhl öffnete und eine Frau austrat. Der Mann vor mir erhob sich und verschwand im nächsten Moment langsam hinter dem schweren weinroten Stoff.

„Wenn das doch nur schon vorbei wäre.“ Es war echt grausam, so auf die Erlösung der Sünde zu warten. Am liebsten wäre ich wieder aus der Kirche hinausgestürmt, einfach abgehauen. Aber ich wollte doch mein Elend endlich loswerden. Minuten vergingen. „Was macht denn der so lange im Beichtstuhl? Ist der Pfarrer etwa heute wieder gereizt?“ Mein Atem stand beinahe still.

Dann öffnete sich der Vorhang abermals. Der Platz war frei – frei für mich. Niemand war da, den ich hätte vorlassen können. Zögernd erhob ich mich. Jetzt zitterten auch meine Hände. Angstschweiß lief mir über den Rücken. Hinter mir schloss sich der Vorhang. Ich kniete nieder, sah vor mir nur die Holzwand mit den vielen kleinen Löchern, hinter der unser Herr Hochwürden, der Herr Pfarrer saß. Mir blieb die Stimme im Hals stecken. Mit äußerster Mühe brachte ich die Worte: „Gelobt sei Jesus Christus“ über meine Lippen. Ich schämte mich, weil meine Stimme mich verriet, ich meine Aufgeregtheit nicht verbergen konnte. Der Pfarrer wirkte beruhigend: „In Ewigkeit Amen.“

So begann ich dann mit den Geboten: „Ersten Gebot …, zweites Gebot …“, mit jedem Gebot stieg die Anspannung, mein Herz pochte wie wild. „Sechstes Gebot …, siebtes Gebot Stehlen: Iiich haaaabbbee gegestohlen“, stotterte ich und wollte gleich zum achten Gebot weiterspringen, als mich der Herr Pfarrer unterbrach. „Was hast du denn gestohlen?“
Jetzt sprudelte es aus mir heraus. Nun wusste er ja, dass ich gestohlen hatte, so bot sich mir die Chance der Erklärung. „Ich habe einige Schlücke Coca Cola gestohlen. Wissen sie, ich war mit meinen Freunden im Wald spielen, dort war eine Baustelle, eine Tobelverbauung. Die Arbeiter hatten schon Feierabend gemacht. Da lagen ihre Getränkeflaschen. Wir haben eine geöffnet und jeder von uns hat ein paar Schlücke getrunken. Es war ja nicht viel. Wir haben die Flasche auch wieder ganz fest verschlossen. Die Kohlensäure war am nächsten Morgen bestimmt noch drinnen …“

„Nun gut, du hast es bereut und damit bewiesen, dass du einsichtig bist.“ Ein Stein fiel mir vom Herzen. Überglücklich hörte ich noch die Worte: „Und so spreche ich dich los von deinen Sünden.“

Die Buße, die ich aufgetragen erhielt, verrichtete ich gleich anschließend in der Kirche. Sie schien mir mehr als angemessen: Dreimal das Vaterunser beten.

Als das Kirchentor hinter mir wieder ins Schloss fiel, fühlte ich mich glückselig und befreit! Beschwingt stieg ich auf mein Fahrrad. Obwohl die Straße nach Hause den Hügel hinauf führte, drehten sich die Räder beinahe wie von selbst…  

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Luap
Im April 1960 erblickte ich die Welt.
Bin hier auf der Durchreise, und versuche - einfach gestrickt - mein Bestes zu geben.
Leise Musik ist mir lieber als laute Worte ...

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Luap Re: -
Zitat: (Original von NORIS am 06.02.2012 - 10:18 Uhr) Eine mutige Geschichte zum Thema Gewissen und die große kindliche Not damit. Wie oft finden wir das Gewissen heute noch, frage ich mich manchmal, wenn ich mit offenen Augen und Ohren die Nachrichten verfolge.

Liebe Grüße
Heidemarie



Vielen Dank Heidemarie!
Da hat sich sehr viel verändert... heute scheint immer und überall alles erlaubt zu sein... ob das gut ist... ich weiss es nicht... irgendwie ist alles oberflächlich und egositisch geworden

Liebe Grüsse
Paul
Vor langer Zeit - Antworten
NORIS Eine mutige Geschichte zum Thema Gewissen und die große kindliche Not damit. Wie oft finden wir das Gewissen heute noch, frage ich mich manchmal, wenn ich mit offenen Augen und Ohren die Nachrichten verfolge.

Liebe Grüße
Heidemarie
Vor langer Zeit - Antworten
Windflieger Re: Re: Die Geschichte -
Zitat: (Original von Luap am 04.02.2012 - 15:23 Uhr)
Zitat: (Original von Windflieger am 25.01.2012 - 09:49 Uhr) hast Du so gut erzählt das ich mitgefiebert habe, klasse!!!
LG Ivonne



Vielen Dank Ivonne!
Dieses Ereignis hat mich auch lange genug beschäftigt... :-))) schlaflose Nächte...

Liebe Grüsse
Paul

Das kann ich mir sehr gut vorstellen
schönen Sonntag Dir
Ivonne
Vor langer Zeit - Antworten
Luap Re: Die Geschichte -
Zitat: (Original von Windflieger am 25.01.2012 - 09:49 Uhr) hast Du so gut erzählt das ich mitgefiebert habe, klasse!!!
LG Ivonne



Vielen Dank Ivonne!
Dieses Ereignis hat mich auch lange genug beschäftigt... :-))) schlaflose Nächte...

Liebe Grüsse
Paul
Vor langer Zeit - Antworten
Luap Re: Sehr gut erzählt. -
Zitat: (Original von baesta am 23.01.2012 - 20:47 Uhr) Als KInd hatte man früher ja diese Ängste und schon bei der kleinsten Kleinigkeit ein schlechtes Gewissen. Das passiert heute den meisten Kindern fast nicht mehr, aber so lernen sie auch nicht, dass fremdes Gut tabu ist. Leider haben es auch viele Politiker nie gelernt.
So etwas ist aber ein Schlüsselerlebnis, das sich bis ins Alter immer wieder in die Erinnerung zurückschleicht.

Liebe Grüße
Bärbel



Vielen Dank Bärbel!
Genau so ist es...

Liebe Grüsse
Paul
Vor langer Zeit - Antworten
Luap Re: Eine gut erzählte Geschichte.... -
Zitat: (Original von roxanneworks am 23.01.2012 - 17:38 Uhr) die die Angst und das Unbehagen des kleinen Jungen sehr deutlich macht...
dennoch frage ich mich, wovor das Kind so große Angst haben musste..
Ja, es hat nicht richtig gehandelt...aber rechtfertigt es ein so großes Unbehagen,- die Qual so kleiner Seelen?
Nach der Vergebung der Sünden ist die Welt wieder in Ordnung....aber fördert das einen Lernprozess?

Ich schließe mich Gunda an....so eine Sache den Eltern zu erzählen ist eigentlich schon schwer genug.....

liebe Grüße
roxanne



Vielen Dank roxanne!
Es war halt eine ganz andere Zeit, und den Eltern zu beichten war ja auch nicht immer leicht :-)))

Liebe Grüsse
Paul
Vor langer Zeit - Antworten
Luap Re: das ist mal wieder so richtig Paul-schön -
Zitat: (Original von UteSchuster am 22.01.2012 - 15:27 Uhr) ich finde diesen Zweispalt, ob dieser Kleinigkeit so wunderschön,
daran könnten sich viele ein Beispiel nehmen.

Als Kind war ich immer etwas neidisch auf die katholischen Mitschüler, sie konnten in meinen Augen machen was sie wollten, sie gingen hin beichteten und dann durften sie mir eine Stifte wieder klauen.

Stimmt wirklich.

Ganz liebe Grüße
Ute



Vielen Dank Ute!
Und wir waren neidisch auf Protestanten... die mussten nicht beichten... :-)))

Liebe Grüsse
Paul
Vor langer Zeit - Antworten
Luap Re: -
Zitat: (Original von mukk am 23.01.2012 - 17:16 Uhr) Immer wieder berührend, diese Geschichte zu lesen. Wie gut du die Qual des kleinen Jungen beschreibst und die nachfolgende Erlösung. Habe die Geschichte schon einpaarmalkommentiert, aber heute setze ich einen Favo dazu. Sehr gefühlvoll geschrieben!!!!
Mit liebem Gruß
Ingrid



Vielen Dank liebe Ingrid!
Freue mich sehr. Auch deine Geschichten von damals lese ich immer wieder sehr gerne...

Liebe Grüsse
Paulchen
Vor langer Zeit - Antworten
Luap Re: -
Zitat: (Original von blossom am 22.01.2012 - 23:15 Uhr) Großartig beschrieben! Die Atmosphäre in der Kirche, das Unbehagen, die sich steigernde Angst... ich musste an so manche Beichte denken.

Herzl. Grüße blossom =)



Vielen Dank blossom!
Ja, beichten war nicht gerade angenehm... aber die Erleichterung danach um so schöner. Einmal ging ich aus der Kirche und musste vor Freude lachen. Danach machte ich mir Sorgen, ob ich jetzt schon wieder eine Sünde gemacht hätte... denn in der Kirche sollte man doch nicht lachen...
Über Vieles muss ich heute schmunzeln... es war halt eine andere Zeit, an die ich mich trotzdem sehr gerne erinnere...

Liebe Grüsse
Paul
Vor langer Zeit - Antworten
Luap Re: Ob man etwas vom Beichten hält, -
Zitat: (Original von FLEURdelaCOEUR am 22.01.2012 - 13:35 Uhr) spielt hier ja gar keine Rolle.
Du hast den Gewissenskampf, die Angst und hinterher die Erleichterung
ganz wunderbar beschrieben, so dass der Leser mit dem Kind mitleidet.

Lieben Sonntagsgruß
fleur



Vielen Dank fleur!
Genau diesen Gewissenskampf wollte ich beschreiben... :-)

Liebe Grüsse
Paul
Vor langer Zeit - Antworten
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