Beschreibung
"Timothy Bafflegab - Auf der Jagd nach der Schwarzen Lady" ist auf dem Wege, ein nicht ganz ernst gemeinter Kriminalroman zu werden. Alle Orte und Protagonisten sind frei erfunden oder, soweit es für mich sinnvoll und von Vorteil ist, auf verfremdete Art an real existierende Personen und Schauplätze angelehnt.
Und da ist es, das zweite Kapitel. Viel Spaß beim Lesen. Ausdrucken wird von Doktor PhanThomas übrigens dringend empfohlen.
Anmerkung: Ein herzlicher Dank gilt an Gunda, die dieses Kapitel für mich quasi lektoriert hat und mir so ganz nebenbei erklärt hat, dass es Soufflees sind, die absolute Ruhe schätzen.
(Keine) Zeit für Fakten
Beim dritten Anlauf entschied die Zündung sich schließlich hustend aber doch andauernd dazu, den Motor in Gang zu halten. Und jetzt füllte das penetrante Brummen der Maschine die Garage aus. In den Regalen an den Wänden klapperten eine ganze Schar fast nie benutzten Werkzeugs und einige Kisten mit Nägeln in allen erdenklichen Längen und Stärken. Timothy setzte das Ungetüm, das er liebevoll Chuck getauft hatte, in Bewegung und steuerte es souverän durch das Garagentor in den sonnigen Samstag hinein. Er schlug das Lenkrad ein und begann, die ungeheuren zwölf Pferdestärken des Lawn Boss in gemächlichem Tempo über den vernachlässigten Rasen zu steuern.
Timothy gehörte nicht zu der Sorte von Menschen, die ihren Rasen mit der Nagelschere in Form brachten. Eigentlich gehörte er auch nicht zu der Sorte von Menschen, die ihren Rasen überhaupt in Form brachten. Was war gegen langes Gras schließlich zu sagen? Kleine Tiere fühlten sich wohl darin, und grün war ein Rasen immer, egal ob er geschoren oder lang war. Das mochte im wahrsten Sinne des Wortes nicht gerade die feine englische Art sein, gerade in den ländlich angehauchten Randgebieten von Bondford, in denen die Nachbarn es zu ihren größten Hobbys zählten, die Rasenpflege der angrenzenden Bewohner auf einer imaginären Skala zu bewerten und bei schlechter Benotung selbstgefällig die Nase zu rümpfen. Aber da war eben Sandra. Und die blies dem in dieser Hinsicht äußerst müßigen Timothy nicht ungern den Marsch, wenn das Grundstück mal wieder nach ein wenig Aufmerksamkeit schrie.
Und Sandra hatte ausgerechnet heute genau diesen grandiosen Einfall gehabt, voll und ganz zu Timothys Leidwesen. Immerhin warf die Sonne ihre Strahlen heute mit der Kraft einer bulgarischen Hammerwerferin auf das Bafflegab‘sche Anwesen herab. Um die unangenehme Situation ein wenig erträglicher zu gestalten, versuchte Timothy, sich einzureden, dies sei eine bequeme Spazierfahrt, auf der er viel Zeit zum Nachdenken hatte. Zum Ordnen der Gedanken, der Fakten. Zum Rekapitulieren der vergangen Nacht. Dieser Nacht, in der die Queen ihn in dem Augenblick gerettet hatte, als er im Begriff gewesen war, eine innige und durchaus dauerhafte Beziehung mit dem tief unter ihm drohenden, asphaltierten Erdboden einzugehen.
Noch bevor die Polizisten, die sehr wahrscheinlich bereits Jack Browns Wohnung gestürmt und begonnen hatten, das dunkle Apartment zu sichern, auf die Idee gekommen waren, aus dem Fenster zu schauen, hatte die Queen Timothy mit dem festen Griff ihrer behandschuhten Pranke gepackt und mit der anderen auf den Knopf eines Gerätes gedrückt, das eine Art Seilpistole gewesen sein musste. Sofort hatte das kleine Ding begonnen, das Seil einzuziehen, und so hatten die Queen und der wie eine Weihnachtskugel an ihr baumelnde Timothy Bafflegab sich etwas ruckend aber doch zuverlässiger als per Lift nach oben bewegt.
Die Queen war sehr behände gewesen und hatte Timothy ohne große Probleme halten können und ihn anschließend oben auf das Flachdach des Gebäudes gezerrt – eine beeindruckende Leistung, wenn man Timothys nicht gerade athletische Erscheinung bedachte.
Oben angekommen, hatte Timothy erst einmal tief durchgeatmet und nebenbei versucht, den Schreck des vorangegangenen Augenblicks ein wenig abzuschütteln. Die Queen hatte direkt vor ihm gestanden. Sie hatte ihn aufmerksam beobachtet, jedoch selbst nichts gesagt. Viel Zeit für Fragen war ohnehin nicht geblieben. Timothy, der - nachdem er ein wenig verschnauft hatte - die Queen mit einer vollmundigen Mischung aus Ehrfurcht, Verwirrung und einer Prise Wut angestarrt hatte, waren tausend verschiedene Fragen wild johlend durch den Kopf geschossen, die in seinem Verstand eigentlich auf Abruf bereit gestanden hatten. Doch hatten die Worte sich scheinbar ausgerechnet jetzt dazu entschieden, heute nicht vor die Tür zu gehen. Natürlich hatte das auch mit dieser furchterregenden, ausdruckslosen Maske zusammengehangen, die im Schatten unterhalb eines hohen Zylinders das Gesicht der Queen bedeckt hatte. Am liebsten hätte Timothy ihr das groteske Ding aus dem Gesicht gerissen. Das ständige Grinsen der aufgemalten Visage der Königin hatte Timothy nicht nur eingeschüchtert, sondern ihn regelrecht verärgert.
»Wer sind Sie, verdammt?«, hatte er ihr zugeschnauft. »Diese Schwarze Lady? Lady Lydecha?« Doch die Antwort war die düster maskierte Gestalt mit dem eleganten Hut und dem schwarzen, frackähnlichen Anzug schuldig geblieben. Sie hatte ihn nur durch die abschätzenden Augen hinter der Maske angestarrt, ihn geradezu studiert und schließlich leicht den Kopf geschüttelt.
»Also nicht, was? Nun.« Mehr Worte waren über Timothys Lippen nicht gekommen, ein Umstand, den er im Nachhinein vor allem seinem stockenden Atem zu verdanken hatte. Nicht, dass er der Queen geglaubt hätte. Weshalb, zum Teufel, hätte er das auch tun sollen? Andererseits hätte die mordende Lady ihn doch nicht gerettet, oder?
Gerade hatte die Queen sich einige Schritte entfernt, so dass Timothy sicher gewesen war, kein Wort mehr aus dieser Person herauszubekommen, da war sie stehengeblieben, hatte sich noch einmal zu ihm gedreht und ihm ein zusammengeknülltes Stück Papier zugeworfen. Sofort darauf hatte die dunkle Gestalt sich wieder abgewandt, um eilig zur gegenüberliegenden Seite des Daches entschwinden und beherzt von selbigem zu springen. Timothy hätte im Leben keine Chance gehabt, sie wieder einzuholen. Davon abgesehen, wäre es wahrscheinlich übel für ihn ausgegangen, hätte er beim Versuch, der Queen zu folgen, einmal mehr den unfreiwilligen Drang verspürt, sich zunehmend purzelnd Richtung Asphalt zu bewegen. Wer hätte ihn retten sollen? Batman? Im Nachhinein, dachte Timothy, während er nun im Schneckentempo über den Rasen seines Grundstücks zuckelte, hätte ihn das nach dieser Begegnung der dritten Art auch nicht mehr sonderlich gewundert.
Das Stück Papier hatte Timothy sofort auseinandergefaltet. Zuerst hatte er sich an den Zettel der Lady erinnert gefühlt, den er vor nur wenigen Minuten in einem der Löcher der Bowlingkugel gefunden und anschließend ohne Sauce und Beilagen verputzt hatte. Doch war zumindest die Handschrift eine völlig andere gewesen:
Glauben Sie nicht den Zeitungen.
Ich möchte Ihnen helfen.
Achten Sie auf mein Zeichen!
Gott schütze die Queen.
Möge die Queen Sie schützen!
Nachdem Timothy noch mindestens zehn Minuten auf dem Dach herumgestanden und überlegt hatte, wie er am besten von selbigem entkommen konnte, ohne auf eine im Notfall zupackende Hand angewiesen zu sein, hatte er die angerostete Feuerleiter auf der Rückseite des Hauses entdeckt. Wäre er durch das Schlafzimmer, statt durchs Wohnzimmer geflüchtet, hätte er selbige sicher sofort durchs Fenster erspäht, was ihm die wenig komfortable Nahtoderfahrung erspart hätte. Ende gut, alles gut. Letztlich war es Timothy tatsächlich gelungen, unbeschadet und vor allem erstaunlich leise vom Dach zu entkommen, ohne dass irgendjemand ihn entdeckt hätte - abgesehen von einem ziemlich desinteressierten Katzenpärchen beim genüsslichen Mondbad.
Mit zusammengekniffenen Augen blickte Timothy zum Himmel auf. Seit fast einer halben Stunde fuhr er nun auf dem linksseitigen Grundstück auf und ab und achtete akribisch darauf, auch wirklich jeden Quadratzentimeter der unverschämt riesigen Rasenfläche zu stutzen. Keine einzige Wolke hatte sich auf den Weg gemacht, das tiefe Blau dieses Tages mit ihrer Anwesenheit zu beglücken. So konnte die Sonne vergnügt ihrer offensichtlichen Lieblingsbeschäftigung nachgehen: Timothy auf dem Lawn Boss plagen, bis diesem der Schweiß in Fluten von der Stirn rann. Am liebsten hätte er Sandra für ihr perfides Timing, ihn zum Rasenmähen am Sahara-Samstag zu verdonnern, mit Flüchen beworfen, bis sie darin baden konnte. Doch dann hätte er wahrscheinlich auswärts essen und anschließend in der Badewanne schlafen können. Wenig schöne Aussichten an einem ohnehin recht arbeitsintensiven Wochenende. So hielt Timothy stattdessen an, schaltete den Motor des Lawn Boss ab und stieg ächzend von selbigem herunter. Aus der Hosentasche wühlte er ein großes Stofftaschentuch hervor, mit dem er seine Stirn eifrig abtupfte. Er fühlte sich elend, so als hätte er soeben die Cheops-Pyramide im Alleingang hochgezogen
Leider würde er auch nach der Rasenfolter genügend zu tun haben. Denn für den Abend hatte er sich vorgenommen, noch einmal die Stadt unsicher zu machen - wenn ihn nicht, Sandra sei Dank, zuvor ein Sonnenstich ereilen würde. Es wurde Zeit, den ›King Brothers‹ einen kleinen Besuch auf der Bowlingbahn abzustatten. Diese, so viel hatte Timothy während seiner vormittäglichen Recherche auf deren Homepage bereits erfahren können, spielten meistens im Leapale Club, der irgendwo am Ende der Leapale Road liegen musste. Immerhin leicht zu merken. Zudem spielten sie offenbar meistens samstags. Da heute Samstag war, dachte Timothy, war heute ganz klar meistens. Er musste lediglich aufpassen, dass die Ermittler der Mordkommission nicht zeitgleich dort herumschnüffelten. Denn Privatdetektiv hin oder her, bei der Polizei war man nach all diesen Morden und der erfolglosen Suche nach dem Täter sicher mehr als gereizt. Ein allzu neugieriger Schnüffler, der zudem einen der Tatorte vollgekotzt hatte, sollte das herauskommen, wäre da ein mehr als willkommener Punching Ball. Ein gefundenes Fressen für all die eiligen Fingerzeiger, denen es nach einem Verdächtigen dürstete wie einen Wal nach einem Meer von Salzwasser.
Wenn er Glück hatte, dachte Timothy, würde er vielleicht einige brauchbare Details über verflossene Liebschaften des guten alten Jacky Boy herausbekommen. Über offene Rechnungen. Oder über Anfeindungen im Freundeskreis. Egal, Hauptsache irgendwas. Jede noch so kleine Information könnte ihn näher an die Lady heranführen. Näher an ihre Ergreifung und somit näher an den riesigen Batzen Geld, den ihm sein ominöser Auftraggeber zugesichert hatte.
Dieser war nur wenige Tage nach dem ersten Mord in Timothys Büro aufgetaucht. Ein seltsamer Kauz mit Bürstenschnitt und einer Brille mit dickem, schwarzen Rahmen, die offenbar so schwer war, dass sie ihm ständig von der Nase rutschen wollte. Reich hatte er nun nicht gerade gewirkt, als er die Bürotür so hektisch aufriss, dass Timothy beim gedankenverlorenen Kippeln fast durch das weit aufgerissene Fenster hinter sich gefallen und in den langdornigen Rosen hinter dem Haus gelandet wäre.
»Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt haben sollte«, hatte der Mann sofort und um Freundlichkeit bemüht gesagt. »Ihre Frau hat mich hereingelassen. Ich wollte anklopfen, doch sie meinte, das würden Sie wahrscheinlich gar nicht wahrnehmen.« Dann hatte er sich geräuspert. »Nun ja, jedenfalls schickte sie mich einfach herein.«
»Ist schon okay«, hatte Timothy gesagt. »Ist ja nichts passiert. Hab mir noch nicht mal den Kopf am Fensterbrett gestoßen. Das passiert sonst immer. Selbst, wenn niemand reinkommt.« Der Unbekannte hatte ein heiteres Lächeln aufgesetzt, so als hätte Timothy einen netten Witz von sich gegeben, was er nicht getan hatte. Dann schüttelte der Fremde plötzlich den Kopf und schlug sich die Hand vor die Stirn. »Herr Gott, wo sind meine Manieren?«, hatte er zur Decke gesprochen, als hätte er mit niemand geringerem als dem Allmächtigen zu reden versucht, und war dann mit ausgestreckter Hand auf Timothy zumarschiert wie ein Soldat bei der Parade. In der linken Hand hatte er einen leicht abgewetzten aber dennoch ausgesprochenen wichtig wirkenden Aktenkoffer mit sich geschleppt.
»Goldberg. Gordon Goldberg ist mein Name. Und Sie sind also Mister Bafflegab«, hatte der Mann gesagt, der sich soeben als Gordon Goldberg vorgestellt hatte. »Der Bafflegab, der den Bedford-Räuber zur Strecke gebracht hat, nicht wahr? « Timothy hatte die Augenbrauen hochgezogen und das Gesicht auf diese unwissende Art vorgeschoben, die Sandra ihm vergeblich abzugewöhnen versucht hatte. Und so hatte er gewirkt, als hätte er überhaupt nicht verstanden, wovon dieser grinsende Typ, der mit seinem penetrant im Gesicht sitzenden Querbalken von einem Schnauzbart eigentlich eher ausgesehen hatte wie eine recht unbeliebte Hunderasse, überhaupt geredet hatte. »Ach so. Klar. Ähm. Der Bedford-Räuber«, hatte Timothy hastig gestammelt. »Ist ja schon wieder über ein Jahr her. Du meine Güte. War mir fast entfallen.«
»Was Sie nicht sagen«, hatte Goldberg gesagt und ein aufgesetztes Lachen nachgeschoben. »Wie die Zeit vergeht, nicht wahr?«
Timothy hatte genickt und dann hatten beide einen Moment gedankenverlorene Blicke in die verrauchte Luft geworfen, so als wären sie gerade dabei gewesen, den fulminanten Abgang des schmackhaftesten Schokoladenkekses seit Menschengedenken über den Gaumen wandern zu lassen.
Goldberg war als erster aus seiner kurzen Lethargie erwacht. »Ähm ich darf doch?« hatte er gesagt und mit der Hand auf den Stuhl auf seiner Seite des Tisches verwiesen. »Ja, natürlich. Verzeihen Sie meine Nachlässigkeit. Ich- Ich dachte gerade an diese Bedford-Geschichte«, hatte Timothy gesagt.
Er hatte zuvor bereits nicht gern über die ganze Angelegenheit bezüglich seiner Person im Zusammenhang mit den Bedford-Überfällen nachgedacht, die im Prinzip nichts weiter als ein großes Missgeschick gewesen war. Zwar hatte er damals von der Geschichte gehört, jedoch hatte ihn niemand beauftragt, Nachforschungen anzustellen. Die Polizei hatte ihm die Ergreifung dennoch gedankt, hatte er sich doch nie in die Ermittlungen eingemischt und das Ergebnis letztlich ziemlich glanzvoll aussehen lassen. Timothy hatte später der Presse gegenüber behauptet, er hätte dem Bedford-Räuber aus persönlichem Anreiz nachgespürt. Zwar gelogen, doch hatte diese klitzekleine Verdrehung der Tatsachen Timothy im Nachhinein ein paar wirklich dicke Aufträge ins Schnüfflerbüro gespült. Denn tatsächlich war er nur auf dem Weg zu Kiosk gewesen, um berufsbedingt die Zeitungen ein wenig zu wälzen. An jenem Tag hatten keinerlei Auftraggeber oder sonstige Jobs nach ihm gerufen und so war für derlei Vergnügen genügend Zeit geblieben. Auf dem Weg vom Parkplatz zum Kiosk hatte Timothy einige Sudokus in dem kleinen Block gelöst, den Sandra ihm zu Ostern geschenkt hatte. Dabei hatte er nicht wahrgenommen, dass gerade jemand dabei gewesen war, wie von der Tarantel gestochen rennend, ausgerechnet seinen Weg zu kreuzen. Die Kollision war unausweichlich gewesen.
Als Timothy wieder zu sich gekommen war, hatte man den völlig benommenen Bedford-Räuber gerade in Handschellen gelegt. Hätte Timothy ihn nicht frontal erwischt, wäre er in jedem Fall ein weiteres Mal mit einem dicken Sack voller Wertsachen entkommen.
Die Fakten zu seinen angeblichen, privaten Ermittlungen hatte Timothy sich erst im Nachhinein mit Hilfe der Zeitungen angelesen und so seine Geschichte mühsam für die Presse aufgebaut. Seitdem redete er nur ungern über die ganze Story, bestand doch immer die Gefahr, dass sein wie Götterspeise wackelnder Lügenpalast eines Tages zusammenfiel wie ein angebrülltes Soufflee.
»Mister Bafflegab«, hatte Goldberg feierlich gesagt und die Hände auf die Knie geschlagen, als er gegenüber von Timothy Platz genommen hatte. »Sie lesen die Zeitung, nehm ich an?«
»Jeden Tag. Man kommt nicht drum herum, wie Sie sich denken können.«
»Dachte ich mir durchaus«, hatte Goldberg gesagt und wieder in diesem komplizierten Tonfall gelacht. Timothy war dieses mechanische Lachen ziemlich auf den Keks gegangen.
»Also dann, Mister Goldberg«, hatte Timothy gesagt. »Womit kann ich Ihnen dienen? Ich nehme nicht an, dass Sie mit mir plaudern wollen, so recht mir das gerade auch käme.«
»Sie haben völlig Recht. Ich sage nur einen Namen: David Prince«. Goldberg hatte sich gespannt nach vorn gelehnt. Er hatte diesen Namen, diesen Informationsfetzen, in den Raum geworfen, wie man eine schmierige Scheibe Salami in den Mülleimer wirft.
Wieder hatte Timothy unbewusst seinen Wovon-reden-Sie-Blick aufgesetzt. Seine Frau hätte bei diesem wenig geschäftsfördernden Anblick die Augen verdreht. Doch die Zahnräder hatten ihren Dienst knirschend und quietschend getan und schließlich hatte das Maschinlein geklickt. »Ach, vorgestern. Stand überall. Ich hab's im Telegraph gelesen. Jetzt fällt's mir wie Schuppen von den Augen. Da war dieser maskierte Typ am Tatort, der dann entkommen war. Über Details schwieg man sich ja mal wieder aus.«
»Selbstverständlich tut man das. Und Sie haben Recht. Sie sind wirklich gut informiert«, hatte Goldberg gesagt. Timothy hatte sich zufrieden in seinem Stuhl geräkelt.
»Sargnagel gefällig?« hatte er gefragt und seinem Gegenüber die protzige Box mit den selbstgedrehten Zigaretten hingehalten.
»Nein danke. Ich rauche nicht.« Wieder dieses fürchterliche Lachen.
»Wie Sie meinen. Ich nehm eine, wenn Sie's nicht stört.« Goldberg hatte verständnisvoll den Kopf geschüttelt und Timothy hatte sich schließlich eine Zigarette angesteckt. »Kommen wir auf diesen Prince zurück. Was ist mit dem? Und wie kann ich Ihnen helfen? Was kann ich überhaupt für Sie tun?«
»Ha ha, das gefällt mir«, hatte Goldberg gesagt und schon wieder gelacht. Nicht mehr lange, hatte Timothy gedacht, und ihm würde vor Wut eine Ader platzen. »Um Mister Prince, Gott habe ihn selig, geht es mir gar nicht. Ich wollte das Thema nur irgendwie geschickt anleiern. Mir geht es einzig um den Täter.«
»Mister Goldberg, es geht in solchen Fällen immer um den Täter«, hatte Timothy nickend zugestimmt und sich im Nachklang seines klugen Satzes gesonnt. Dabei hatte er sich auf die Hose geascht, es jedoch im Gegensatz zu seinem Gast nicht bemerkt.
»Vollkommen richtig«, hatte Goldberg gesagt und mit den flachen Händen wieder auf die Schenkel geklopft, als hätte sein Team das Tor des Jahrhunderts gemacht. Dann plötzlich war er völlig ernst geworden. »Ich will, dass Sie den Täter für mich fassen. So, wie Sie den Bedford-Räuber gefasst haben. Nutzen Sie das Überraschungsmoment. Schlagen Sie zu.« Dann hatte sich Goldberg mit großen Augen über den Tisch gebeugt. »Und in diesem Fall keine Polizei. Machen Sie den Täter dingfest, aber lassen Sie die Offiziellen außen vor.« Seine Stimme hatte einen konspirativen Flüsterton angenommen. »Um den Rest werde ich mich persönlich kümmern.«
Timothy hatte sich fast schon geängstigt in seinem Stuhl zurückgeworfen und wäre um ein Haar hintenüber gekippt, um mit dem Kopf wahrscheinlich lautstark und äußerst schmerzfördernd auf das Fensterbrett zu krachen, hatte sich aber gerade noch mit den Beinen am Tisch festkrallen können. »Warum ich? Und warum sollte ich das tun? Sie wissen, dass das nicht recht ist, was Sie da verlangen? Was haben Sie vor? Klingt für mich verdammt nach geplanter Selbstjustiz.«
Wieder das verdammte Lachen. Jetzt jedoch noch viel lauter. Doch Timothys Wut diesbezüglich war wie weggeblasen. »Sie sind mein Mann«, hatte Goldberg gebrüllt, dass die Wände vor Schreck am liebsten zurückgewichen wären. Anschließend hatte er seinen Aktenkoffer auf den Schreibtisch geknallt und ihn mit einem theatralisch anmutenden Handgriff geöffnet.
Zweihundertausend Pfund. Timothys Lippen hatten augenblicklich die zur Hälfte heruntergebrannte Zigarette losgelassen. Das Resultat war ein Loch in seiner Hose gewesen, das ihm erst zwei Tage später aufgefallen war.
»Noch Fragen?« Goldberg hatte gewusst, wie er argumentieren musste. Und dieses Mal hatte sein überzogen fröhliches Gemüt kein grausiges Lachen von sich gegeben. Stattdessen war er völlig ruhig geblieben, den Blick fest auf Timothy gerichtet, dessen Reaktion abschätzend. Selbiger war jedoch zu keinerlei tatsächlicher Reaktion im Stande gewesen.
Knapp eine Stunde später hatte man die Formalitäten geklärt. Timothy war skeptisch gewesen und geblieben. Die Sache hatte ihm nicht gefallen, ganz und gar nicht. Das viele Geld, diese Art Auftrag. Das alles hatte ziemlich nach einem faulen Ei gerochen. Doch waren zweihunderttausend Pfund, von denen Goldberg garantiert hatte, dass sie sauber wären, und eine zehnprozentige Vorauszahlung ein durchaus schlagkräftiges Argument gewesen. Zudem hatte Sandra zwischendurch zaghaft an die Tür geklopft, um einen großen Teller ihrer legendären Chocolate Chip Cookies zu servieren, was Timothys Stimmung zusätzlich aufgehellt hatte. So hatte er letztlich deutlich weniger zähneknirschend zugesagt.
Schnaufend hievte Timothy seinen gedrungen Leib durch die Haustür und hetzte Richtung Küche. Die Sonne war unerträglich. Ein Glas kalte Zitronenlimonade würde ihm jetzt gut tun, dachte er.
»Tim Tim?«, rief eine schrille Stimme aus dem Badezimmer, dessen Tür nur angelehnt war. »Bist du etwa schon fertig?«
»Nein nein. Noch nicht. Will nur was trinken. Hält ja keiner aus, die verfluchte Hitze«, rief Timothy und gab seiner Stimme absichtlich einen nörgligen Klang, um auch garantiert keinen Zweifel daran zu lassen, dass er nicht gerade erfreut war, bei diesen Temperaturen im Garten knechten zu müssen wie ein Strafgefangener.
»Kannst du später meine Pakete zur Post bringen, Tim Tim?«, rief die Stimme aus dem Bad. Sein Tonfall schien an der Tür abgeprallt zu sein, dachte Timothy und rollte mit den Augen, während er ein großes Glas mit Zitronenlimonade aus dem Kühlschrank füllte. Hastig schlang er das kalte und süße Getränk herunter. Zucker hin oder her, es war einfach nichts erfrischender als Sandras selbstgemachte Zitronenlimonade, dachte Timothy.
»Tim Tim?« hakte die Stimme ungeduldig nach. Timothy knallte das Glas entnervt auf den Küchentisch. »Ja, ich hab‘s gehört«, rief er. »Und nenn mich, verdammt noch mal, nicht Tim Tim, Mutter. Wenigstens dann nicht, wenn Sandra im Haus ist. Was verschickst du überhaupt schon wieder? Versilberst du wieder den halben Hausstand?«
Wie eine diebische Elster war Timothys Mutter etwa ein halbes Jahr zuvor über den Abstellraum im Keller hergefallen und hatte einen guten Teil des Inventars zu Schleuderpreisen an rüstige Bekanntschaften aus ihren Seniorentreffen vermacht. Timothy und Sandra waren über das Wochenende verreist und hatten keine Ahnung von den Machenschaften ihres anstrengenden Dauergastes gehabt. Am schmerzlichsten hatte Timothy seine alte Gitarre aus Sex-Pistols-Zeiten und das das CB-Funkgerät vermisst, mit dem er seine Zeit vergeudet hatte, bevor er Sandra im wahrsten Sinne des Wortes über die Füße gestolpert war. Und was hatte sie von dem Geld gekauft? Blumen. Jede Menge Blumen. War das zu fassen gewesen? Timothy war vor Wut im Dreieck gesprungen, doch Sandra hatte das heimtückische Verbrechen lediglich mit den Worten »Typisch Ruth« und einem nach unten verzogenen Mundwinkel abgetan. Nicht, dass Sandra sich jemals sonderlich gut mit Ruth Bafflegab verstanden hätte. Auch Timothy hatte sie nur innerem Widerstand bei sich aufgenomemn, schließlich hatte er ihre Erziehung über sich ergehen lassen müssen und kannte daher die Tücken dieser Frau. Doch hatte er eine Wahl gehabt? Nach dem Tod seines Vaters, der mehr schlecht als recht abgesichert gewesen war, wäre Ruth höchstwahrscheinlich sehr bald im Armenhaus gelandet. Das hatte selbst sie nicht verdient und so hatte Timothy ihr einen Platz bei sich angeboten. Eigentlich kein Problem. Denn theoretisch wäre auch genügend Platz für drei Leute im Hause der Bafflegabs gewesen, doch hatte Ruth das fürchterliche Talent, gefühlt in allen Räumen gleichzeitig sein zu können. Und war sie nicht im Haus, so ließ sie zumindest in jedem Zimmer etwas herumliegen.
»Keine Sorge. Das sind nur ein paar alte Teller von mir. Und Tassen. Die sind für Tante Francine. Seit ihr Küchenschrank heruntergefallen ist, hat sie doch selbst kaum noch welche«, sagte Ruth. »Mutter«, rief Timothy ins Bad hinein, während er sich, noch immer sichtlich erschöpft und schwitzend, auf den Küchentisch aufstützte. »Tante Francine kann sich selbst Teller leisten.«
»Ach, das kostet doch auch alles Geld«, sagte Ruth. »Und wir haben so viele übrig, die wir sowieso nicht brauchen.«
»Tante Francine hat mehr Geld als wir alle zusammen. Wahrscheinlich hat sie mehr Geld als alle Leute in ganz Bondford«, sagte Timothy. »Die hockt auf ihrem Geldberg wie ein Drache auf seinem Gold und gibt keinen einzigen Penny aus. Mich würde es nicht wundern, wenn ihr eines Tages ein schuppiger Schwanz wächst.«
»Ach, Tim Tim. Sei nicht so gemein zu ihr«, sagte Ruth. »Bringst du die Pakete nun zur Post oder muss ich mir einen Lieferdienst besorgen?« Timothy, der genau wusste, wer den Lieferdienst letztlich bezahlen würde, zog deutlich hörbar die Luft ein und hielt sie an, als wollte er einen lauten Schrei herunterschlucken.
»Ja, Mutter«, brummte er zerknirscht. »Ich bring sie runter in die Stadt. Aber zuerst muss ich noch den Rasen zu Ende mähen, sonst gibt‘s von Sandra nur noch Kohlsuppe zu Abend.«
»Ja, ist okay. Dank dir, Tim Tim.« Wenigstens war eine Person hier offensichtlich zufrieden. Timothy machte sich wieder auf in den Garten. Zumindest würde ihm dort bis auf die Sonne niemand auf die Nerven gehen.
»Stellst du Itchy noch ein Schälchen Wasser hin?«, rief Ruth ihm nach. Wunderbar, dachte Timothy. Dann wär auch dieser blöde Schnorrer von einem herumwandernden Igel zufrieden. Was wollte man mehr?
»Den hab ich eben mit dem Rasenmäher überfahren«, rief Timothy. »Waaaaas?«, schrillte es aus dem Bad. »Nur ein Scherz.« Das hatte er davon. Jetzt klingelten ihm die Ohren.
Weitere anderthalb Stunden mähte Timothy, mal laut und mal still fluchend, die unverschämt große Rasenfläche, die das Haus der Bafflegabs geradezu invasionsartig umstellt zu haben schien. Mehrfach dachte Timothy darüber nach, Sandra demnächst dazu zu überreden, einige Rasenflächen durch etwas weniger Sadistisches zu ersetzen. Kartoffelpflanzen vielleicht. Tomaten wären auch schön. Oder Erdbeeren. Er liebte Erdbeeren. Nur bitte etwas weniger von diesem verflixten Rasen, dachte Timothy, dessen Flüssen aus Schweiß man inzwischen gut und gern Namen hätte geben können, während die Sonne, die irgendwo weit oben wahrscheinlich vergnügt vor sich hin pfiff, die Bondford'schen Randgebiete briet und brutzelte, als gäbe es kein Morgen.