Des Kaisers neue Kleider
Nun – Der Pfalzgraf lebte nicht immer in seiner kurpfälzischen Zweisamkeit. Zu Beginn des letzten Jahres lebte er als alleinstehender älterer Herr in seinem saarländischen Domizil. Obwohl nicht mehr in jenem Lebenszyklus, in welchem die Hormone der Herren ins Unermessliche sprießen fühlte er sich dem anderen Geschlecht dennoch noch immer zugetan.
Jedoch war er schon immer eher als schüchtern zu bezeichnen und so verbrachte er seine Abende in mannigfaltigen Tavernen, Bistros oder anderen Lokalitäten in welchen er hoffte die Bekanntschaft netter Damen zu machen. Aufgrund seiner Auswahl dieser, eher von Herren mit ähnlichen Bedürfnissen wie den seinen aufgesuchten Kneipen, machte er zwar keine Damenbekanntschaften, lernte jedoch ein Menge anderer frustrierter Singlemänner kennen.
Er wollte schon aufgeben und sich damit abfinden sein Leben – seine letzten Jahre – in sexueller Enthaltsamkeit zu vollenden als das Wunder geschah. Eine Frau sprach ihn an.
Er war über diesen Umstand so entzückt, dass er verschiedene Mankos dieser Dame einfach großzügig übersah. Er übersah ebenso das eher unansehnliche Antlitz dieser Person, wie auch deren arrogantes Gehabe und ihren Drang ihren fast fünfzigjährigen Körper durch jegliche zur Verfügung stehende sportlichen Aktivitäten weiterhin zu stählen und in der jetzigen Form zu erhalten. Schnell wie ein Windhund, hart wie Stahl und zäh wie Leder.
Die Rasse der Pfalzgrafen jedoch stand schon immer außerhalb dem Drang zu körperlicher Ertüchtigung und suchte ihr Heil vielmehr im „savoir vivre“ dem süßen Nichtstun. Rotwein statt Schwimmen und Schweinebraten statt Turnen. Dazu ein feines Zigarillo. Dies sollte eine langfristige intensive Beziehung im Voraus zum Scheitern verurteilen. Unser Pfalzgraf jedoch wollte diese zwingenden Umstände seinerzeit jedoch noch nicht so richtig wahrhaben.
„Dann fahre doch wenigstens etwas Fahrrad mit mir“ endete eine jener vielen Diskussionen, welche unser hormongeplagter Pfalzgraf seinerzeit zu führen genötigt war.
Damit konnte er sich einverstanden erklären. Immerhin war er als Kind schon einmal im Besitz eines solch ökologisch wertvollen Fortbewegungsmittels und der Volksmund berichtet, dass man Radfahren ebenso wenig verlernt wie den einmal im Leben vollzogenen Geschlechtsverkehr.
Radfahren gegen Geschlechtsverkehr – Dieser Kompromiss erschien ihm erstrebenswert und so begann er seine Karriere als Radrennfahrer.
Nun soll hier nicht verschwiegen werden, dass der Pfalzgraf ein bekennender Automobilist ist und die unmotorisierten zweirädrigen Verkehrsteilnehmer mit ihren bunten Ganzkörperkondomen, ihren kindischen Helmchen und ihre Art sich im Verkehr zu bewegen eigentlich abgrundtief verachtet. Er sieht diese Ausgeburten von Möchtegernathleten eher als verkehrstechnisches Hindernis an. Und zu so einem Hindernis sollte er nun selbst mutieren.
Aber der sexuelle Trieb überlagerte alle diese Bedenken.
Er lieh sich von einem Freund in Fahrrad. Kein Rennrad, sondern eher eine zivile Variante – soweit ging die Liebe nun auch wieder nicht – und überlegte in welche passende Kleidung er seinen Körper zwängen könnte. Er war sich gewahr, dass er nicht wusste ob die Liebe zum Sport wirklich lange so anhalten würde dass sich eine größere finanzielle Investition lohnen würde.
Dann entsann er sich den Gebrüdern Albrecht – Jenen Herren die innerhalb der letzten Jahrzehnte ein kleines Billigpreisimperium namens ALDI aufbauten. Er glaubte in deren Warenhaus vor nicht allzu langer Zeit preiswerte Fahrradkleidung gesehen zu haben. Für seine Zwecke sollte dies genügen. Er machte sich auf den Weg.
Dort angekommen erspähte sein Auge sofort das Objekt seiner Begierde. Fahrradhosen in rot; Fahrradhemden in rot-grau; Dazu passende Handschuhe und Helme. Er war unsicher. Sollte er wirklich in solcher für ihn, der immer nur schwarz trägt, völlig unpassender Kleidung herumlaufen? Ja – er sollte. Aber ohne Helm. Irgendwo hört die Freundschaft auf.
Er suchte in dem Regal die Größe XL und erwarb an der Kasse somit Hose, Hemd und Handschuhe. Schuhe gab es leider nicht in diesem Angebot und so entsann er sich einem Paar großväterlicher, hellbrauner Sportschuhe, welche ihren angestaubten Platz in seinem Schuhschrank seit Jahrzehnten nicht verlassen hatten.
Zu Hause angekommen machte er jenes was insbesondere Frauen doch so lieben. Die Anprobe der neu erworbenen Kleidungsstücke. Zuerst die Handschuhe. Sie passten. Dann das Hemd: Zwar etwas eng um die Taille, aber noch tragbar. Es sollte schließlich nur zum Radfahren genügen.
Jetzt die Hose: Das linke Bein hindurch stecken. Okay. Jetzt das rechte Bein. Aber oh Schreck. Es gab kein rechtes Hosenbein. Beinahe wäre er, auf einem Bein stehend auf die Nase gefallen. Er stellte beide Füße auf den Wohnzimmerboden und gewahrte, dass das linke Hosenbein auch extrem weit geschnitten war. Aber es gab kein rechtes Hosenbein.
Er entkleidete sich wieder und überprüfte die Hose nun recht verärgert und sehr intensiv.
Er hatte einen Fahrradrock für Damen erworben. Irgendjemand bei ALDI hatte wohl falsch einsortiert. Jetzt war er wirklich sauer.
Er wollte nicht Radfahren – Er wollte auch nicht wie ein Hampelmann herumlaufen – Er wollte nicht noch mal zu ALDI umtauschen gehen – Er wollte nicht für einen simplen Geschlechtsverkehr seine Identität aufgeben.
Er warf die Klamotten in seinen Schrank, wo sie noch heute verharren und begab sich in seine Stammkneipe auf der Suche nach einer anderen Frau.