FATME
Es begab sich zu der Zeit, da Kalif Selim Herrscher von Bagdad war. Sein Volk liebte ihn, denn er war ein mildherziger, aber auch strenger und gerechter Gebieter über das Reich. Und er war mutig und tapfer. Wenn feindliche Reiterhorden einfielen, ritt er auf seinem edlen Araber-Hengst gemeinsam mit seinen Kriegern den Feinden entgegen. Prächtig war Selim, der Kalif, anzuschauen. Ein weißer Turban aus allerfeinster Seide und reich bestickt betonte das braune Gesicht mit den buschigen Augenbrauen, den blitzenden Augen und der kühn geschwungenen
Hakennase. Ein üppiger Vollbart, schwarz wie die Augenbrauen, fiel auf den flammend roten Rock mit Goldstickerei. Die weiten, ebenfalls roten Beinkleider klebten an den Flanken des Pferdes, wenn der Kalif in wildem Galopp, den krummen Säbel schwingend, inmitten seiner treuen Kampfgenossen förmlich über das Land flog.
Niemand, aber auch niemand hätte in ihm den zärtlichen Gatten und treusorgenden Vater vermutet. Denn in seinem Palast war Selim von liebenwürdiger Freundlichkeit und ein an allem Schönen interessierter Mensch. Sein Garten glich einem Paradies. Am liebsten saß er mit Suleika, seiner schönen Gemahlin, in der
Laube von duftendem Jasmin.
In den kleinen Teich davor ergoss sich glucksend und sprudelnd frisches Quellwasser. Goldfische schossen zwischen Schilf, Seerosen und Lotosblüten umher.
Selim und Suleika beobachteten Fatme, ihre etwa fünfjährige Tochter, während ihnen ein Sklave Erfrischungen reichte und dem Kalifen die Wasserpfeife. Wenn Fatme den goldenen Ball, den ihr ihre Amme Amarza entgegenrollte, zu fassen bekam, lachte sie silberhell auf und über das Gesicht von Selim huschte ein zartes Lächeln. Er liebte seine Tochter über alles.
Die Prinzessin wuchs behütet
und geliebt heran und erblühte gleich einem märchenhaften Sonnenaufgang zu einer Schönheit, deren Lieblichkeit alle Herzen für sich gewann.
Auch Omar, der Großwesir, hatte sein Auge auf das morgentauliebliche Mädchen geworfen und begehrte sie als Gemahlin. Er war ein stattlicher Mann um die vierzig Jahre und sehr reich. Seine Truhen waren mit Gold und Edelsteinen gefüllt. In seinem Stall standen prächtige Araberpferde. Und für sein seelisches und leibliches Wohl sorgten drei Ehefrauen und eine Menge Dienerinnen und Sklavinnen.
Doch war er glücklich? Nein. Denn Omar war unbeliebt. Er war kalt,
herrschsüchtig und sein Ehrgeiz zerfraß ihn. Er wollte nicht der zweitmächtigste, sondern der mächtigste Mann im Reich sein. ... Und wenn er Fatme zur Frau bekäme, zur ersten Frau, zur Lieblingsfrau, so könnte er der nächste Herrscher von Bagdad werden.
Eines Tages trat er vor den Kalifen. Er schlug seine Arme kreuzweise über seine Brust und verneigte sich tief.
„Ehrwürdiger Selim, Herrscher über Bagdad, schenkt eurem unwürdigen Diener einige Minuten lang Gehör.“
Die beiden Männer nahmen auf Seidenkissen Platz. Ein Sklave reichte auf silbernen Tabletts eisgekühlte
Wassermelonen und Omar trug sein Anliegen vor, er hielt um Fatmes Hand an.
Selim biss langsam in ein Stück Melone und hörte sich alles an. In seinem Inneren tobte ein Kampf. Einerseits wusste er, dass seine Tochter den Wesir verabscheute, andererseits .... Omar war tüchtig, erfolgreich und sehr wohlhabend.
Er zeigte bei den Versammlungen viel politisches Geschick und wäre fähig, nach Selim das Reich zu regieren.
Diesen abwägenden Gedankengängen gab er wohl nur deshalb Raum, weil er dem Wesir zu großem Dank verpflichtet war. In einer Schlacht hatte er ihm das Leben
gerettet.
Und so versprach er, mit Fatme zu sprechen und sie Omar zur Gemahlin zu geben.
Einige Tage später eröffnete er Suleika und Fatme seinen Entschluss und ordnete an, Vorbereitungen für die Hochzeit zu treffen. Es sollte das schönste und größte Fest werden, das Bagdad je erlebt hatte.
Fatme flehte ihren Vater an, von seinem Plan abzulassen, doch zu widersprechen wagte sie nicht.
Nächtelang weinte sie in ihre seidenen Kissen. Sie wurde blass. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, fort die rosig erblühten Wangen, fort das Glitzern
und der Schimmer in ihren dunklen Augen. Schließlich vertraute sie ihr Leid ihrer einstigen Amme Amarza an, mit der sie eine tiefe Freundschaft verband. Amarza nahm die Prinzessin in die Arme und suchte sie zu trösten. Allein Fatme konnte den Gedanken, Omar zu heiraten, nicht ertragen.
„Lieber sterbe ich!“, sagte sie und warf sich weinend in Armazas Arme.
„Ich wüsste schon ein Mittel, das helfen könnte – aber es ist sehr gefährlich.“
„Sprich!“, gebot Fatme. „Sprich, liebe Amarza!“
„Ich könnte dich, oh, Gebieterin, in ein hässliches Mädchen verwandeln. So hässlich, dass dich der mächtige
Großwesir nicht mehr zur Gemahlin haben möchte.“
„So tu es!“
„Nein.“
„Warum nicht?“
Die Amme kreuzte die Arme vor ihrer Brust, senkte den Kopf und schluckte.
„Weil ich dich nicht mehr zurück verwandeln kann.
Erst wenn dich ein Mann um deiner selbst willen liebt, nicht um deiner Schönheit willen und nicht ob deines hohen Standes, erst dann wird der Zauber von dir fallen.“
Nach diesen Worten breitete sich drückende Stille aus. Die ganze Welt schien den Atem anzuhalten, die Vöglein
im Garten waren verstummt, sogar der Wind hielt inne, kein Blatt an Busch und Baum raschelte und die Blumen senkten ihre Köpfchen.
Auch Fatme senkte ihr Haupt und verharrte einige bange Minuten wie erstarrt.
Dann aber sah sie Amarza in die Augen und sagte mit klarer Stimme:
„Ich will es! Ich will lieber hässlich sein als die Frau des Großwesirs zu werden. Mag mich dann auch niemand zur Gattin begehren, so bin ich doch zu Hause, in unserem Palast und in dem wunderschönen Park. An den Blumen und Vöglein will ich mich erfreuen, sie werden meine Freunde sein.“
Es war ihr sehr, sehr weh ums Herz. Sie sollte ihren Liebling entstellen, das süße Kind, das sie groß gezogen hatte, das sie wie eine eigene Tochter liebte.
Die Verwandlung vollzog sich schrittweise. Erst wurde die Haut fahl und faltig, hässliche Flecken und Warzen bildeten sich.
Die Eltern waren entsetzt. Was war mit ihrer hübschen Tochter los? Hatte sie sich wo infiziert? Sie ließen die berühmtesten Ärzte des Landes kommen – aber keiner konnte helfen. Machtlos, hilflos mussten sie den Verfall miterleben.
Das Haar wurde struppig und glanzlos,
verlor Farbe und Fülle.
Die zarten Gelenke und schön geformten Hände verwandelten sich in knotige, plumpe Gliedmaßen mit langen dürren Spindelfingern. Selbst die liebliche Gestalt wurde von Tag zu Tag unförmiger. Der Hals zu dick, der Rücken, auf dem ein gewaltiger Buckel wuchs, gebeugt.
Als der Großwesir Fatme sah, war er dermaßen entsetzt, dass er seinen Antrag, die Prinzessin zu heiraten, augenblicklich zurückzog.
Im Palast des Kalifen zog Trauer ein. In ganz Bagdad trauerten die Menschen und beweinten das Schicksal der einst so schönen Prinzessin.
Selim versprach demjenigen, der Fatme heilen könne oder sie zur Gattin erwähle, den Kalifenthron und die Hand seiner Tochter.
Es kamen auch viele Freier. Von überall strömten sie nach Bagdad.
„So hässlich kann keine Frau sein“, dachten sie und wollten ihr Glück versuchen.
Allein – ein Blick auf Fatme – und sie zogen verlegen wieder ab.
Fatme war anfangs sehr bestürzt. Nein, so hässlich wollte sie nicht sein. Mit Schrecken verfolgte sie ihre Verwandlung im großen Spiegel. Sie schloss sich in ihrer Kemenate ein und weinte und weinte.
„Gut“, sagte sie „Omar muss ich nun nicht mehr heiraten – das ist das Wichtigste – das wollte ich.“
Sie ließ alle Spiegel im Palast zertrümmern und statt dessen schöne Gemälde hinhängen. Sie trat vor ihren Vater.
„Hochverehrter Vater, Kalif von Bagdad, eure unwürdige Tochter bittet Euch um Lehrer, um Sänger, Dichter und die Unterhaltung der Theaterspieler an unserem Hof. Ich möchte die gelehrten Bücher lesen können und ich möchte lernen, die Schalmei zu spielen. Gewährt mir dieses Vergnügen!“
Selim war begeistert. Auch er liebte die schönen Künste und war sehr stolz auf
seine Tochter – wie tapfer sie ihr Schicksal trug und sich nicht unterkriegen ließ.
So wurde der Kalifenpalast Zentrum der Gelehrten und der Künstler.
Nun saß Fatme oft in dem wunderschönen Garten, und wie sie es prophezeit hatte, wurden die Blumen und die Vögel ihre Freunde. Das war ein Musizieren, wenn die Vöglein sangen und die Prinzessin auf der Schalmei blies. Dann wieder, wenn sie den Blumen Gedichte und Verse vorlas, hielt auch der Wind still und lauschte den süßen Worten.
Der Kalif holte Sänger und Poeten zum Wettstreit an den Hof. Diese Vorträge
ließen Selim und Suleika, aber auch Fatme, alles vergessen. Sie lauschten den Tönen, den Worten und ließen sich damit in fremde Länder und über die Weltmeere tragen.
Eines Tages meldete sich ein blutjunger Kaufmann und bat, seine Lieder zur Erbauung des Herrscherpaares und der Prinzessin vortragen zu dürfen.
Er schlug die Laute an und sang seine Lieder mit so warmer und schöner Stimme, dass alle den Atem anhielten. Seine Augen trafen Fatme, verloren sich in ihrem Blick. Auch Fatmes Augen hingen an den Lippen und den Augen des Sängers. Es war, als hätten sich zwei Seelen gefunden. Der junge Mann sah
nicht, wie hässlich das Mädchen war, er sah nur ihre Augen, sah darin die feinfühlige Seele und das warme Herz.
Doch der junge Mann, den man Ali nannte, war arm, war nur ein reisender Kaufmann.
Niemals würde er wagen, um die Hand der Kalifentochter anzuhalten.
Die Liebe aber hatte ihn mit solcher Heftigkeit getroffen, dass er allen Anstand missachtete und vor den Kalifen trat.
„Ehrwürdiger Herrscher von Bagdad, die Prinzessin, Eure hochgeschätzte Tochter, hat mein Herz gefangen genommen. Erlaubt mir, noch einige Tage ihre Seele mit meinen Liedern zu erfreuen. Ich habe
nur das eine Bedürfnis, noch einmal dieses Lächeln auf ihr Gesicht zu zaubern!“
Selim umarmte den Jüngling.
„Sei mir, sei uns willkommen, du holder Sänger! Ich sah es wohl, dass auch meine Tochter dir zugetan ist. Willst du nicht um ihre Hand anhalten?“
„Oh, Herr!“, sprach Ali, „dessen bin ich nicht würdig. Doch wenn es eure Tochter will, so wird es der glücklichste Tag in meinem Leben sein!“
Es wurde der glücklichste Tag. Nicht nur für Ali, sondern auch für Fatme und ihre Eltern. Denn kaum hatten sich die beiden das Ja-Wort gegeben, fiel der Zauber von dem Mädchen und es
stand in strahlender Schönheit vor Ali.
Das Hochzeitsfest dauerte sieben Tage lang. Ganz Bagdad feierte. Nur der Großwesir blieb zu Hause und ärgerte sich grün und blau.
( C ) Ingrid Höttinger