Die Mär von der Jungfrau
Der Pfalzgraf ist eine Jungfrau. Er wird diesen Zustand auch sein restliches Leben beibehalten.
Nein – Nicht wie denken möget. Nicht in anatomischem Sinne. Er durfte das Glück der körperlichen Begehrlichkeiten in seinem Leben doch schon mehr oder weniger erfolgreich genießen. Er ist eine Jungfrau im Sinne der Astrologie.
Er selbst glaubte nie daran, dass sein Sternzeichen oder Sternzeichen überhaupt Auswirkungen auf seinen Geist oder seine menschlichen Eigenschaften haben könnten. Doch nun regen sich Zweifel an seinem gewohnten Weltbild.
Man sagt Jungfrauen nach, sie seien pedantisch, sie seien überordentlich – und vor allem – sie seien planungswütig. Könnte dies auf unseren Pfalzgrafen zutreffen?
Nehmen wir den gestrigen Tag. Früh am Morgen entledigte er sich seines Dranges eine unaufgeräumte Wohnung in jenen Zustand zu versetzen, welcher seinem jungfräulichen Denken angemessen erschien. Die Zeitschriften auf dem Beistelltisch ordentlich übereinandergelegt, die Stühle akkurat ausgerichtet und die Füller und Bleistifte seines Schreibtisches einer Soldatenkompanie gleich angetreten. Dass beide Telefone in rechtem Winkel ausgerichtet waren versteht sich von selbst.
Doch da gab es auch noch Schmutz und schmutzige Gläser vom Vorabend. Dies passte nicht ins Schema. Sollte er den Schmutz ordentlich zu einem oder mehreren Häufchen türmen und die schmutzigen Gläser farblich nach Rotwein und Säften sortieren? Seine geliebte Kurpfälzerin würde ihn am Abend wohl für verrückt erklären. Also husch husch – den Schmutz unter die Couch und die Gläser in die Spülmaschine oder irgendeinen Schrank. Fertig! Er überblickte sein Werk voller Genugtuung und war glücklich.
Sein berufliches Tagwerk hatte er bereits am Vortage geplant, sodass er sofort beginnen konnte. Aber halt! Er hatte die Planung für den kommenden Abend versäumt. Ein ungeplanter Abend. Etwas Unmögliches. Die Vorfreude auf abendliche Sinnesfreuden kann nur durch eine gründliche, gut vorbereitete Planung aufkommen.
Der Abend sollte mit einem deftigen Mahl, bereitet von seiner Lebensgefährtin beginnen. Er wusste: Der Kühlschrank war wohl gefüllt mit allerlei Leckereien. Insbesondere erinnerte sich sein Magen an ein Päckchen Wurstsalat. Fertig geschnitten und auf würzige Gürkchen und etwas Essig wartend. Dazu in Zwiebeln gebratene Kartoffeln sollten den ersten Teil eines schönen Feierabends darstellen.
Als zweiten Teil erdachte er sich 2 Stündlein zwischen den Lautsprechern seiner Stereoanlage, anspruchsvolle Musik in Verbindung mit einem feinen Rotwein und einem Gin-Tonic gegen den Durst zelebrierend. Ein Erlebnis höchster Sinnesfreuden erwartete ihn doch hier.
Der Abend sollte dann in liebem und sexuell anregendem Kuscheln mit seiner Kurpfälzerin enden.
Soweit die Planung.
Der Abend und mit ihm seine geliebte Kurpfälzerin kamen:
„Liebling – ich habe eine Überraschung für dich – Frische Spargel, welche Du doch so liebst“ ertönte es bereits von der Haustür. „Die werde ich uns sofort mit Omelette und Schinken anrichten – Freust du Dich?“ Sicher freute es ihn, dass seine Lebensgefährtin ihn mit feinem Spargel beglückte. Aber was war mit seiner Planung geschehen?
„Und ich habe gesehen, dass heute Abend ein ganz toller Film im Fernsehen läuft – ein Film ganz nach Deinem Geschmack – Lass uns den doch gemeinsam anschauen“. Er studierte die auf dem Tisch akkurat ausgerichtete Fernsehzeitschrift und sah, dass dieser Streifen wirklich nach seinem Geschmack sein könnte. Nun gut – ein netter Abend mit Fernseher auf der Couch neben seiner Kurpfälzerin wäre sicher sehr nett. Aber was war wieder mit seiner Planung geschehen?
Der Abend verging. Die Spargel waren vortrefflich und der Film anspruchsvoll und spannend. Es wurde ein schöner ungeplanter Abend. Lediglich hinsichtlich seiner Getränkeauswahl war er seiner Planung nachgekommen und vertilgte Rotwein und Gin-tonic gegen den Durst. Dazu ein Schnaps für die Verdauung nach dem Essen.
Nun wollte er den Tag seiner Planung gemäß mit Kuscheln und mannigfaltigen sexuellen Aktivitäten ausklingen lassen. Doch was war geschehen? Der Alkoholkonsum machte ihm seine Planung zunichte – er schlief im Bett einfach ein.
Nun ist ein neuer Tag angebrochen. Der Pfalzgraf sitzt an seinem Schreibtisch. Was tut er wohl im tiefsten Innern seines jungfräulichen Hirnes? Er verplant den kommenden Abend.
Ist der Pfalzgraf eine typische Jungfrau? Ist wirklich etwas daran – an der Astrologie? Sollte er seine geliebte Kurpfälzerin bitten ihn zu entjungfern und zu einem Stier, Widder oder Steinbock zu machen oder sollte er bleiben wie er ist?