Kurzgeschichte
Die Sache mit dem Klassentreffen

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"Die Sache mit dem Klassentreffen"
Veröffentlicht am 07. Juni 2009, 8 Seiten
Kategorie Kurzgeschichte
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Die Sache mit dem Klassentreffen

Die Sache mit dem Klassentreffen

Die Sache mit dem Klassentreffen



Jeder kennt es, von Zeit zu Zeit fällt irgendwem ein, man könnte ja mal ein Klassentreffen veranstalten. Meist nach 10, 20 oder noch mehr Jahren. Dann kommt ein Brief, wir wollen uns alle wieder treffen, komm doch auch, oder das Telefon klingelt und man wird mehr oder weniger deutlich aufgefordert, gefälligst am Klassentreffen teilzunehmen.



Bei mir kam so ein Schreiben nach einer absolut krummen Zahl nämlich 18 Jahren an. Nun denn dachte ich, warum denn nicht. Alle mal wiederzusehen hat bestimmt was.



Selbstverständlich, jede Frau wird mich verstehen, brezelte ich mich auf, als ob die Hollywood'schen Headhunter unterwegs wären. Schließlich will man ja was hermachen.



Angefangen wurde mit den Haaren. Aus Sparsamkeitsgründen nahm ich die Färberei selber vor und hatte mich an der Farbe Kupfer vergriffen. Die Haare waren lang, sehr lang, die Einwirkzeit noch länger, weil ich gerade gemütlich in der Badewanne saß, als plötzlich die Tür aufging und mein Angetrauter hereinschaute, entsetzt die Augen aufriß und dann keuchte „Hast du eigentlich schon mal in den Spiegel gesehen?“ Elegant wie ein Walfisch sprang ich aus der Wanne und schaute in den bewußten Spiegel. Und mir stockte der Atem, die Stimme wollte auch nicht mehr so recht gehorchen, aber ich konnte noch „Ach du lieber Gott!“ röcheln, dann tauchte ich wieder ins Wasser, ergriff ein Schampoo und wusch meine Haare mindestens 10 Mal.











Nach jedem Waschgang Sprung zum Spiegel, entsetztes Aufkreischen und wieder in die Wanne. Also sportlich war ich zu dieser Zeit schon. Aber Ihr ahnt es schon, die ganze Wascherei brachte überhaupt nichts, Farbe ist schließlich Farbe. Also trocknete ich die ganze Angelegenheit, wartete bis sich meine Haut wieder entkräuselt hatte und machte mich fertig für die Fahrt.



Wenigstens die verlief einigermaßen problemlos und ich konnte nach zwei Stunden den Parkplatz vor der Lokalität ansteuern. In dem Saal waren schon alle versammelt, standen in Grüppchen herum und schwatzten, ich war natürlich die letzte. Also steuerte ich die einzelnen Gruppen an, erkannte die meisten wieder und landete letztendlich bei einer Frau, die ich im Moment nicht so recht unterbringen konnte.



Fröhlich streckte ich ihr die Hand hin und fragte „Und wer bist Du?“. Da kam prompt die Antwort zurück „Ich bin Deine Lehrerin“. Au weia! Aber wir mußten beide herzlich lachen und ich kehrte natürlich sofort zum „Sie“ zurück. Schließlich duzte man zu dieser Zeit keine Lehrer.



Schließlich trudelte auch noch unsere ehemalige Mater Direktorin ein, eine wahrliche Respektsperson, die hereinrauschte wie eh und je, ihren berühmten Blick über uns gleiten ließ und wir erwarteten, jetzt erst einmal eine Stunde Buchführung verpaßt zu kriegen. Dem war aber nicht so. Wir durften uns setzen und dann ging reihum die Vorstellerei los. Jeder erzählte aus seinem Leben, alle waren merkwürdigerweise verheiratet, obwohl ich von einigen wußte, daß sie geschieden waren, aber die Damen trauten sich nicht, und verheirateten sich schnell wieder wenigstens für



diesen einem Abend.



Mittlerweile wurde es mir etwas langweilig, man könnte auch sagen, ich kam langsam auf Entzug, weil ich nämlich zu dieser Zeit noch rauchte. Also griff ich in meine Tasche und holte die Zigaretten und das Feuerzeug heraus. Mater Direktorin saß nur zwei Plätze neben mir. Bevor ich meine Zigarette anzündete hörte ich noch ein entsetzt/erleichtertes Aufstöhnen aus der Reihe der Ehemaligen und wie der Blitz hatte ein Großteil der anderen auch die Zigaretten auf dem Tisch.



Nun bin ich ja ein sehr ehrlicher Mensch, als die Reihe an mir war, verkündete ich, daß ich schon einmal geschieden war, nun aber mit einem jüngeren Mann verheiratet war. Das stand im Raum wie eine Gewitterwolke, aber die Vorstellerei war eh beendet und die Damen fingen wieder an zu sabbeln. Flugs kam die eine oder andere an meinen Tisch und flüsterte mir zu, daß sie auch geschieden sei, sich aber nicht getraut hätte.....



Der Rest des Abends verlief ganz harmonisch. Die anwesenden Lehrer entpuppten sich als ganz normale Menschen mit Kindern und Enkelkindern.



Und zum Schluß „durfte“ ich Mater Direktorin noch in ihr Kloster fahren und dann war der Abend vorbei. Zu meiner Raucherei hat sie keinen Kommentar abgegeben, zu meiner Ehe mit einem jüngeren Mann schon, aber nur kurz.



Sie meinte, „das ist schlecht“, ich gab zurück, „das ist gut“. Mir fehlte eben schon damals der Respekt vor der Obrigkeit – Gott sei Dank.

 
(c) 2009 by Lilly K.





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Luzifer Keine Ahnung - was alle haben. Bei einem Klassentreffen zu lügen oder sich was nicht zu trauen. Wieso? Diese Menschen sieht man eh nicht wieder und sollen sie doch denken, was sie wollen. Persönlich hätte und werde ich bei meinem Treffen (sollte es denn je kommen) eine Ansprache zu Tage tragen, dass denen die Kinnlade noch lange Zeit nicht nach oben zurück findet *lacht*
Schöner Text, sollte es nicht klar geworden sein ;)
LG, Luzifer
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda habe ... - ... breit gegrinst bei deinen Zeilen, Lilly, konnte ich doch (fast) jede einzelne davon gut nachvollziehen. Köstlich.
Und danke für die Inspiration, habe gleich eines meiner Uraltwerke zum gleichen Thema wieder rausgekramt.

LG
Gunda
Vor langer Zeit - Antworten
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