...und den Frauen des Dorfes, die sich in das Meer warfen
Die Geschichte vom Tod des schönen Michael und den Frauen des Dorfes, die sich in das Meer warfen
Der schöne Michael war gestorben. Das ganze Dorf war auf den Beinen um den Mann die letzte Ehre zu erweisen. Jeder der im Dorfe etwas auf sich hielt pilgerte zu dem Haus des schönen Michaels um das sich die wildesten Gerüchte rankten. Eine davon besagte, dass der schöne Michael es mit dem Gold aus einem Piratenschatz gekauft habe. Diesen Schatz sollte er selbst den bärbeißigen Seeleuten abgejagt haben und das stolze Schiff, welches nur Der Fliegende Holländer selbst gewesen sein konnte, in den Fluten der Nordsee versenkt haben. Der schöne Michael war ein echter Kerl aus Schrot und Korn gewesen, der mit seinem Intellekt sogar dem Teufel seine Seele abspenstig gemacht hatte, so dass dieser mehr als 200 Jahre gelebt habe und keinen Tag älter aussah als 40.
Nun, die meisten der Dörfler fragten sich, ob dies der Wahrheit entspräche, denn niemand konnte sich daran erinnern, dass der Mann länger als zwei Jahre in ihrer Gemeinde gelebt hatte. Es war schon komisch immer wenn einer sich an eine Geschichte mit ihm erinnern wollte, fiel dem Jenigem nichts ein und so erfand jeder ein haarsträubendes Abenteuer , welches er mit dem schönen Michael erlebt haben wollte.
Der Bürgermeister war mit dem schönen Michael alleine in den Krieg gezogen, gegen die Mauren und sie befreiten Spanien an einem halben Tag. Der schöne Michael erschlug 1000 der ungläubigen Neger in einer Stunde und Spanien feierte ihm zu Ehren ein gewaltiges Fest, was jedes Jahr im Frühling wieder kehrt. Der Müller des Dorfes konnte, als fast ein Jahr kein Wind vom Meer herkam, nicht ein Gramm Mehl mahlen. So stellte sich der schöne Michael an seine Windmühle und drehte den ganzen Tag die schweren Segel nur mit der linken Hand und der Müller machte soviel Mehl, dass der Becker am nächsten Tag den schönen Michael fragen musste, ob er ihm nicht schnell ein Lagerhaus baute, um die hundert Leib Brot vor dem Wetter zu schützen, welche er bug.
Doch viele der Männer hatten auch ein schlechtes Gefühl, wenn sie an den großen, blonden Mann dachten, denn die Gerüchte im Dorf, dass die Hälfte der Knaben und die Hälfte der Mädchen aus den Lenden des heldenhaften Hünen stammten, hielten sich hartnäckig, besonders wenn die Kinder gut gebaut und schön waren. Die Frauen im Dorf verehrten und liebten den schönen Michael alle und keine war ihm abgeneigt.
So kam es auch, dass des Nachts mehrere der Männer des Dorfs betrunken zu dem Haus des schönen Michaels schlichen um ihn zu ermorden, doch die meisten der übermütigen Kerle fand man tot im Moor, welches zu dem Land des Blonden gehörte. Verlaufen haben sollten sie sich, so sagte man, doch hinter hoch gehaltener Hand flüsterten die Menschen, das der große Mann sie alle ersäuft haben soll wie junge Katzen. So beäugte jeder Mann, der nicht blond war – Und das waren die meisten im Dorf! - sein schönes, blondes Kind mit Skepsis.
Wenn die Männer hinaus fuhren zum Fischen und um mit den Dänen, den Holländern, oder den Schweden Geschäfte zu machen, dachten sie mit Grausen daran, was der schöne Michael alles mit ihren Frauen in ihren Betten trieb. Wenn dann im darauf folgendem Winter die Frauen guter Hoffnung waren, mehrten sich im Frühling die Bündel die vor dem Herrenhaus abgelegt wurden. In dem Garten des schönen Michael hatte sich schon eine Parallelgesellschaft geschaffen von Knirpsen, die ohne Mutter aufwuchsen, aber mit den schönsten Ammen aus Afrika, die von einigen der unehelichen Söhnen geehelicht wurden und noch schönere und wildere Kinder in die Welt setzten.
Nun war der schöne Michael also gestorben und sein Leichnam lag aufgebahrt in der kleinen Kapelle des Hauses vor der sich das Dorf und die Wilden versammelt hatten. Er war schön wie ein Engel. Papierweiße Haut, die Augen geschlossen, die zu Lebzeiten blauer leuchteten als die vom großen Mario Girotti aus Venedig selbst. Und seine rückenlangen Haare umrahmten in dicken Locken sein Gesicht. Die Frauen heulten wie die Kinder der Seehunde, die die Männer jeden Winter auf den Eisschollen abschlachteten, sie rieben und zogen an ihren Brüsten bis diese rot und wund waren und schmerzten. Die Männer sahen dies mit Argwohn, denn schließlich erhielt dieser Kerl im Tode noch mehr Aufmerksamkeit, als sie während ihres ganzen Lebens. Dennoch mischte sich auch eine gewissen Art Schadenfreude in die Herzen der Mannsbilder. Endlich mussten sie nicht mehr mit anhören, wie toll dieser Übermensch gewesen war, wie schön und zärtlich und mit Worten die nicht einmal ein Victor Hugo aus Frankreich erdenken konnte. Nun war dieser Gott von der Erde getilgt und die Männer konnten in Frieden schlafen und ihrem Tagewerk nachgehen.
Die Wilden, von denen viele zu den leiblichen Kindern des Zeusgleichen und deren Teils in Inzucht gezeugten Balgern gehörten, stimmten einen Trauergesang an, den man nicht einmal in der tiefsten Karibik vernehmen mochte. So voll Schmerz und Fröhlichkeit, wie sie nur von Gott abgewandte Volker wiedergaben und doch mit der strengen Ordnung Europas. Sie zündeten Feuer an und Trommeln, zusammen mit Gewehrschüssen, ließen das kleine Dorf vor dem Tore der Nordsee erschüttern.
Die größten und ältesten unter der Brut des schönen Michael hievten sich die Trage mit dem Leichnam auf die Schulter und ein Proklamationszug geleitete den Toten durch das ganze Dorf. Bei der Dorfschenke kehrten sie ein und der Wirt, der von der Großzügigkeit des Hünen profitiert hatte, hatte in Absprache mit dem Dutzend Witwen, von denen die Älteste 90 und die Jüngste 14 Jahre alt war, den Leichenschmaus vorbereitet. Er bot Ochse vom Grill, Lämmer, Ziegen und einen Stall von gebratenen Hühnern an. Das ganze wurde mit Fässern dänischem Biers und französischem Wein genossen und wilde Rhythmen verschmolzen mit Lobliedern zu Schifferklavieren. Das Volk schwitzte, und jeder bewegte sich wie in Ekstase vor der großen Dorfschenke. Als die Stimmung am Höchsten war, fielen die Wilden über die Dörfler und die Dörfler über die Wilden in Fleischeslust her und es wurde das größte Knäuel liebender Körper geflochten, welches die Welt je gesehen hatte. Zu gesitteten Zeiten wäre wohl die Volksarmee in das Dorf eingefallen und hätte alle an diesem Liebesspiel teilnehmenden Personen erschossen, oder in das tiefste Verließ gesperrt. Doch zu dieser Zeit hatte die Obrigkeit genug mit sich selbst zu tun und so blieb dem Dorf dieses Schicksal erspart. - Was nicht bedeutet, dass das folgende Schicksal wohlwollender gewesen wäre.
Als sich die Tollheit aus den Gliedern und Geschlechtsorganen langsam entfernte, kamen die Männer wieder zu sich und berieten darüber, ob man den Leichnam des schönen Michaels verbrennen, oder ins Meer werfen solle, da sprachen die nackten, weinenden und geschundenen Frauen darüber, dass man seine Leiche nach Kasachstan schaffen sollte, um diese dort von einer Rakete auf den Mond bringen zulassen. Die Männer lehnten dies kategorisch ab hoben den toten Schönling und Sonderling der Götter wieder in die Höhe, rannten mit ihm, wie mit einer Marinestatue, aus dem Dorf und warfen ihn im hohen Bogen in die kalte, raue Nordsee. Die Walrösser auf den Dünen stoben auseinander und schwammen in alle Richtungen davon. Wie von einem bösen Zauber befreit schlenderten sie wieder in das Dorf und schauten ihre nackten Frauen fragend an. Die Wilden nahmen ihre Trommeln, dann ginge sie zum Haus des schönen Michaels und brannten es nieder. Keiner der Dörfler sah je einen wieder. Aber in fielen Familien blieben noch Generationen von ihnen übrig und man erzählte sich bis in ferne Jahrhunderte die Geschichte vom schönen Michael.
Nachdem drei Jahre ins Land gezogen waren, wachten die Männer eines Nachts in einem warmen Juli auf und fanden die andere Seite ihrer Betten leer vor. Erschrocken suchten sie die Häuser, dann die Gärten und schließlich die Straßen des Dorfes ab, aber nirgends fand sich ein Weibsbild. Als sie die Suche schon außerhalb des Dorfes aufnehmen wollten, kam ihnen der Pastor mit seinem weißen Kragen entgegen und erzählte ihnen, er habe die Frauen gesehen, wie diese Lemmingen gleich zum Meer wanderten und von den Klippen in die kalte See sprangen . Einige von ihnen hatten Flöten dabei und als huldigten sie dem unchristlichen Pan, tanzten sie, bevor sie kollektiven Selbstmord begannen.
Die Männer gingen nun traurig auf ihre Höfe und in ihre Häuser zurück, grämten sich über ihre Frauen und wurden im ganzen Land berühmt, als das Dorf der allein erziehenden Väter. Als ihre Töchter, nun selber Mütter und in den Dreißigern selbst wieder zum Meer gingen und sich in den Wellen ertränkten sprachen immer mehr Alte von dem Fluch des schönen Michaels, der die Frauen auch noch aus seinem nassem Grab betörte.