Der Weg ins Ungewisse
Es war früh am Morgen. Eigentlich viel zu früh für den Pfalzgrafen. Doch er hatte eine Mission: Die zweite Frau seines kurpfälzischen Harems benötigte die Hilfe eines Medicus.
Nicht dass sie krank gewesen sei, aber die Vorsorge gebot es der Dame eine Injektion gegen Tollwut und Staupe angedeihen zu lassen. Nachdem die edle Dame Frida, stammend aus einem der vornehmsten Retriver-Geschlechte der Pfalz zwar in ihrer Art hochintelligent ist, jedoch der deutschen Sprache nur ungenügend mächtig, ahnte sie dennoch, dass die Fahrt im Automobil und das Ziel dieser Reise ihr heute wohl weniger Freude bereiten sollte.
Sie verweigerte einfach den Einstieg auf den ihr zugedachten Platz auf der Rückbank. Gutes Zureden half nichts. Der Pfalzgraf bemühte sich hinter das Tier, legte seine Hände auf das hündische Hinterteil und schob mit leichtem Druck. Plötzlich ein Gedanke: Viele junge Humanweibchen wären froh über ein solch wohlgeformtes Gesäß, wenn auch weniger behaart. Das Tier gehorchte nun zwar und sprang in das Fahrzeug, war jedoch nicht gewillt die Fahrt anzutreten und wusste entsprechenden Rat: Mein Herrchen hat mich lediglich gebeten einzusteigen. Er hat mir nicht gesagt in welcher Form.
Also war die Hündin im Auto, der Schwanz jedoch wedelte fröhlich noch außen, was die pfalzgräflichen Pläne, nämlich die Tür zu schließen und wegzufahren, vorerst zunichte machte. Nachdem die Fahrt mit offener Tür ein gewisses Unfallrisiko birgt, bat er Frida ihr Anhängsel einzuziehen und ebenfalls wie den Rest des Körpers fachgerecht im Auto zu platzieren. Dies wurde ihm mit weiterem fröhlichen Wedeln gegolten. Also packte der Pfalzgraf die Rute und drückte sie durch die Tür. Kaum losgelassen schnellte der Schwanz jedoch schneller wieder heraus als der pfalzgräfliche Arm. Dies nette Spiel wiederholte sich eine ganze Weile, sehr zum Vergnügen der zuschauenden Nachbarschaft.
Während der Pfalzgraf bereits auf die ersten Anfeuerungsrufe der Nachbarn wartete, wurde Frida das Spiel doch schnell langweilig und sie ließ sich, einschließlich ihres Schwanzes mit einem zufriedenen Grunzen auf der Sitzbank nieder; „Dem hab ich es mal wieder gezeigt“
Während der Fahrt gingen unserem Pfalzgrafen mannigfaltige Gedanken durch den Kopf: „Eigentlich gehört eine solche Tollwutspritze jeder kurpfälzischen Frau, gleich ob menschlich oder tierisch“ oder „irgendwie sind diese Luder alle gleich“. Die geneigte Leserin möge dem Pfalzgrafen solche Gedanken verzeihen, aber auch Hündinnen fallen unter den Begriff Feminin und seine hinten platzierte Begleiterin machte heute ihrem Geschlecht alle Ehre.
Beim Tierarzt angekommen. Frida freute sich, wie immer, auf das Verlassen des Fahrzeuges. Doch nun, als sie das Haus sah und erkannte wollte sie schnell wieder zurück ins Auto. Sogar freiwillig mit ihrem Schwanz. Dies jedoch widerspiegelte sich nicht in dem Anliegen des Pfalzgrafen. Also zog er seine Begleitung mit freundschaftlichem Zwang ins Wartezimmer.
Eine ältere Promenadenmischung mit noch viel älterem Frauchen wartete dort bereits. Der Pfalzgraf beobachtete das Pärchen und dachte sich, dass wohl die Frau viel eher einen Arzt benötige als der Rüde. Vielleicht hatte sich Frau Alzheimer aber auch nur in der Adresse geirrt. Der Hund jedoch schien gesund und wollte Frida seine Aufwartung machen. Diese spontane Aktivität des Mischlingsherrn riss die ältere Dame aus ihrer Lethargie und sie zog ihren „Sebastian“, so der Name des Mischlings zurück. Der Pfalzgraf war froh zu sehen, dass der Hund keine Leiche bewacht und die Dame noch unter den Lebenden weilte.
Frida hingegen war verstört – sie wusste wohl, dass sie von einer kleinen, spitzen Nadel erwartet wurde und dass fremde, tierärztliche Hände ihren Körper abtasten würden. Nun schleimte sie ihren Herrn ein. Der Pfalzgraf wurde geradezu von Liebe und Anhänglichkeit erdrückt. Über 30 Kilogramm lebendiges Retriverfleisch lehnten sich an seine Beine und erwarteten Zuspruch und Trost. Die Schnauze versabberte seine Beinkleider und der Blick aus ihren Augen entsprach dem eines ausgehungerten Bewohners der Sahelzone beim Anblick eines Lammbratens.
Wie in meiner Jugend, dachte sich der Pfalzgraf. Der gleiche Blick und die gleiche Anhänglichkeit kannte er aus seiner Jugendzeit als er mit Mädchen ins Kino ging um sich einen Horrorfilm anzuschauen. Wir sehr sich das Tier- und Menschenreich doch ähnelt. Wird es gefährlich kleben sich die Frauen an die vermeintlich starken Männer.
Die beiden wurden ins Sprechzimmer gerufen. Nun plötzlich stellte sich nicht mehr die alte Dame tot, sondern Frida legte sich auf ihren Bauch und streckte die Pfoten weg, gleich einem Bettvorleger. Da lag sie nun. Zu keinem Fortkommen, außer dem Weg zum Ausgang zu bewegen. Zu des Pfalzgrafen Glück und seiner Begleiterin Pech war der Boden jedoch frisch gewienert und poliert, sodass er sie federleicht mit ausgestreckten Beinen und äußerst verblüfftem Blick ins Behandlungszimmer ziehen konnte. Sollte ich noch einige Pirouetten mit ihr drehen, fragte er sich plötzlich wieder vergnügt. Er ließ es lieber sein, der Gang war hierfür zu schmal und daher ungeeignet.
Die Untersuchung ging erstaunlich einfach und leicht vonstatten. Die edle Frida schmiegte sich nur an ihren Herrn und ließ alles über sich ergehen. Kein Knurren, kein Hochziehen der Lefzen – alles an ihr war wie gelähmt. Wie die Mädels im Kino.
Auch der Abschluss dieses Ausfluges war wie im Kino. Obwohl die Behandlung nur der weiblichen Begleitung zugute kam musste der Pfalzgraf die Rechnung bezahlen. Frida hatte wieder ihre Kreditkarte vergessen.