Beschreibung
Ausschnitt aus einer längeren Geschichte, funktioniert aber auch als Kurzgeschichte(???).
Supernova –Kokshurrikan
I.
Ich sollte es erzählen, bevor irgendwelche Missverständnisse aufkommen. Ich war eine Supernova, schlagt es im Lexikon nach. Ich war ein vergehender Stern, der sich so schnell um sich selbst drehte, dass die Schwerkraft der eigenen Rotation ihn zum Einsturz brachte. Der Vergleich ist so passend, dass ich am liebsten Kotzen würde. Ich war in einem Club. Gerade hatte es meine erste Platte unter die Top 20 geschafft. Ich stolzierte umher wie ein Auerhahn. Vollgesoffen, zugekokst und stinkend vor Selbstliebe lief ich mit meinem Sektglas auf und ab, während ich mich in den Blicken der Mädchen suhlte wie ein Schwein in seinem Kot. Ich hatte es geschafft, glaubte ich zumindest.
II.
Ich fühle mich gut, nicht nur wegen dem Koks, sondern auch, weil ich meine eigene Gravitation spüre. Eine Kraft, die alles um mich herum anzieht, nur mich selbst vom Boden abstößt. Jemand lacht mir ins Gesicht und summt mein Lied. Ich grinse ihn nur an. Er ist ein jämmerlicher Niemand, der sich in zwanzig Jahren, in einer Einzimmerwohnung irgendwo in der Stadt vor Einsamkeit den Kopf wegblasen wird. Da werde ich bereits mit zwei jungen Dingern und einem Schirmchen im Cocktail an einem karibischen Traumstrand vor mich hin brutzeln. Mit einem überlegenen Lächeln gehe ich an dem Typ vorbei. Er ruft mir „Schwuchtel“ hinterher, aber was weiß dieser arme Thor denn schon?
*
Mit meinem Haifischgrinsen treibe ich durch einen Ozean voller armseliger Kreaturen, die mir nicht mal im Ansatz das Wasser reichen können in dem sie schwimmen. Verhärmte Krüppel, rudimentäre Mutanten, die sich mir anheften wie diese Saugerfische.Wesen, die fressen was mein Körper absondert, die es begierig von meinem warzigen Buckel abknabbern und noch nach einem Nachschlag betteln. Man gewöhnt sich schnell an sie und bald will man gar nicht mehr ohne sie sein, kann es auch kaum noch.
*
Die Tage zerfließen wie Heroin auf einem Löffel. Ich ziehe sie auf eine Spritze und jage sie in meine Venen. Glühend heiß zerlaufen sie in meinem Gehirn. Ich fühle mich wie ein Ein-Mann-Haifischplanet. Ein tönendes Etwas, das sich so schnell um sich selbst dreht, dass alles Außenstehende dadurch verzerrt und einflusslos wird. Ich scheine in meiner Kleidung zu wachsen. Wenn ich mich selbst im Spiegel sehe, erblicke ich einen Titanen, einen jungen Halbgott, bereit die Welt zu erobern. Mehrere Welten, sollte es nötig sein.
*
Er ist der Gottvater seiner Branche. Ich zittere ein wenig, als ich vor ihm stehe, schließlich war er schon im Business, als ich noch mit meinen ersten Worten kämpfte. Ich kämpfe auch jetzt, in diesem Moment, in dem er mir seine Hand reicht. Fast muss ich lachen, so schlaff ist sein Händedruck. All meine Ehrfurcht ist plötzlich wie weggeblasen. Fortgewischt von dieser schlappen, alten Hand. Seine Zeit ist abgelaufen, meine Zeit beginnt. Ich setzte mein Haifischgrinsen auf und mache einen Witz auf seine Kosten. Niemand um uns beide herum lacht. Nur er. Es ist das Lachen eines Verzweifelten. Ich denke er wird diesen Moment als den Moment in Erinnerung behalten, an dem ihm klar wurde, dass seine Uhr abgelaufen war.
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Sie stehen Spalier für mich und jubeln mir zu. Wie dressierte Robben. Ich bin der geilste Fick im Puff und das wissen sie. Jetzt, nachdem Radio und Fernsehen es ihnen mitgeteilt haben, wissen sie es. Ich bin jung, allein deshalb lieben mich alle. Die Omis, die Schwiegermütterchen und ihre kleinen vorpubertierenden Gören. Sie schmeißen mir Teddys zu, kleine weiße Stoffnashörner und anderen albernen Krimskrams. Ab- und an kommt auch ein getragener Slip auf die Bühne geflogen, aber eher selten. Ich bin ja schließlich kein nach Sex stinkender Rockstar, sondern ein schwiegermuttertauglicher, junger Barde, der die deutsche Frauenwelt in Aufruhr versetzt. Zumindest wenn man den Druckerzeugnissen der deutschen Presse Glauben schenken mag. Was wissen die schon? Einen Scheißdreck. Und sie werden niemals mehr erfahren als einen Scheißdreck.
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Ich glaube ihm kein einziges Wort, als er es mir am Telefon erzählt. Ich lege auf und vergewissere mich erst mal, dass wir nicht den 1. April haben. In meinem Briefkasten liegen die Zeitungen von heute. Ob der Briefträger sie mit einem süffisanten Lächeln eingeworfen hat? Wahrscheinlich. Letztes Jahr habe ich kein Weihnachtsgeld gegeben, so was merken sich die Brüder. Die Schlagzeile springt ins Auge, das Verhältnis zwischen Text, Schlagzeile und Bildern ist gut abgestimmt. Die Jungs aus Hamburg haben eine gute Arbeit gemacht. Wäre ich nicht selbst auf der Titelseite, würde ich es ihnen glauben. Ich glaube es ihnen aber auch so, schließlich war ich dabei, als die Bilder geschossen worden. Zumindest war ich körperlich anwesend. Ich weiß zwar nicht, was das ganze mit „Drogensumpf“ zu tun haben soll, aber was soll es? Mick Jagger musste Schlimmeres mitmachen. Was mich nicht umbringt macht mich nur härter, oder? Ich habe mich nicht bis ganz nach oben durch diese Scheiße gefressen, um oben am Gipfel daran zu ersticken. Die kriegen mich hier nicht mehr weg, nicht mal dieses Revolverblatt wird das schaffen. Außerdem: Was sollen die denn ohne mich tun. Ich werde noch hier sein, wenn man dieses Scheißblatt längst abgesetzt hat.
*
Der Bastard verfolgt uns schon, seitdem wir aus dem Club gekommen sind. Eben in der Kneipe hätte ich ihn mir schon greifen sollen. Ich nicke Björn kurz zu, der versteht und lässt sich etwas zurückfallen. Keine zwei Minuten später höre ich hinter mir die Schmerzensschreie. Ich drehe mich nicht mal um. Plötzlich kommt mir eine Idee. Ich mache jetzt doch kehrt und gehe auf ihn zu. Er liegt auf dem Bürgersteig. Krumm und erbärmlich wie ein Hundehaufen. Björn steht über ihm und reibt sich die Fingerknöchel. Er grinst mich an, ich nicke ihm zu. Jetzt verpasse ich dir die Schlagzeile, nach der du gesucht hast! Ich überlege was ich nun tun soll. Ihm einfach gegen den Kopf zu treten erscheint mir zu roh und zu plump. Ich frage ihn, ob er derjenige gewesen sei, der die „Drogensumpf“-Story gemacht hat. Er verneint, doch ich weiß, dass er es war. Ich zwinge ihn mir einen Haufen Koks aus der Handfläche zu ziehen und er tut es, nahezu ohne Gegenwehr. Danach beauftrage ich Björn ihn irgendwo in den Wald zu fahren, damit er sich da ein bisschen austoben kann. Am besten nackt. Als ich Björns Blick sehe, bevor er den fast Bewusstlosen wegbringt, bin ich mir fast sicher, dass ich ihn nie wieder sehen werde.
*
Sie sieht sehr exotisch aus, wie eine Sonnenbank mitten in den endlosen Eisfeldern der Antarktis. Ihre Haut ist bronzefarben und absolut ebenmäßig. Selbst als ich direkt vor ihr stehe, kann ich keine einzige Unregelmäßigkeit auf ihrer Haut entdecken. Sie sieht aus, als wäre sie gerade erst aus einem Ei geschlüpft. Doch unschuldig sieht sie nicht aus. Dafür sind ist ihr Blick viel zu eindringlich. Sie guckt, als würde sie Schwänze zum Frühstück essen. Das liegt wohl größtenteils an dem Kokain, das immer noch unter ihrer Stupsnase hängt. Erst jetzt, wo sie direkt vor mir steht, sehe ich wirklich, wie zierlich und zerbrechlich sie aussieht. Sie fordert mich auf mit ihr zu tanzen, doch ich schüttele nur den Kopf. „I´m a lover, not a dancer“, heißt es doch in diesem Discosong. Ich ziehe sie an mich, beuge mich zu ihr herunter und drücke meinen Mund auf ihren.
Auch wenn sie fast wie eine Zwölfjährige aussieht, küsst sie wie ein Alligator. Ihre Zähne bohren sich in meine Lippen, während sie ihre Zunge mechanisch in meinen Mund steckt und wieder rauszieht. Ihr Mund fühlt sich hart an, als hätte sie keine Lippen. Ob sie ein bezahlter Profi ist oder nur ein Groupie weiß ich nicht. Was sie tut, tut sie jedenfalls mit professioneller Hingabe, nicht mehr. Wir küssen uns blutig, im hinteren Teil des Gartens, während um uns herum die Party dröhnt. Mein Bewusstsein schaltet ein paar Mal ab. Als ob irgendein Irrer am Schalter dafür spielen würde. Plötzlich habe ich Sex mit ihr, ohne dass ich weiß wie es dazu kam. Ich nehme sie von hinten und sie stöhnt mechanisch. Ein paar Stöße, mehr ist in meinem Zustand nicht drin, dann komme ich in ihr. Sie merkt nicht einmal als ich aufhöre mich zu bewegen, so zugekokst ist sie. Sie stöhnt weiter, immer weiter. In dem Moment kommt sie mir vor wie ein Sinnbild für alles, was in dieser Gesellschaft falsch läuft, in der ich mich befinde. Mein Denken setzt aus, mein Gefühl schaltet ab. Für einen kurzen Moment höre ich auf zu existieren und an meine Stelle tritt ein grimmiges Monstrum, ohne Hirn und ohne Herz. *Fassungslos stehe ich über ihr, habe keine Ahnung was passiert ist. Eine abgebrochene Flasche in meiner Hand, Blut auf meinem Hemd, Konfusion in meinem Kopf. Ich verliere das Bewusstsein, zwinge mich vielleicht auch selbst dazu es zu verlieren. Die Lichter gehen aus, irgendwo erklingen Glocken und plötzlich bin ich weit, weit weg, Ich kann spüren wie an meinem Körper gerüttelt wird. Ich kann Stimmen hören, die klingen, als wären sie unter Wasser. Ich fühle mich selbst, als würde ich in einem riesigen, schwarzen Meer treiben. Unter einem gleichgültigen, sternenlosen Himmel. Ich treibe davon, will mit aller Gewalt davon treiben, doch ich kann immer noch die kalte, harte Flasche in meiner Faust spüren…
*
Als ich wieder zu mir komme liege ich in einem geschmackvoll eingerichteten Schlafzimmer. Die Decke in die ich gehüllt bin riecht nach Lavendel und ist unglaublich weich. Gedanken flitzen durch meinen Kopf wie tollwütige Hunde auf der Suche nach Beute. Ich weiß nicht mehr genau was geschehen ist, doch ich weiß, dass es etwas Widerliches und Unfassbares war. Habe ich sie umgebracht? Habe ich dieses asiatische Mädchen wirklich umgebracht? Mein Geist schreit auf um sich zu verteidigen, doch mein ganzes Gehirn macht dicht. Während ich meinen Rausch ausschlafe haben sie ihren Körper längst fortgeschafft. Ich werde niemals erfahren, was genau sie mit ihr gemacht haben.
III.
Das alles ist jetzt lange her. Warum ich es Ihnen erzähle? Ich weiß es nicht, Erlösung erwarte ich jedenfalls keine. Die würde ich in diesem Gehirn ohnehin nicht mehr bekommen. Ich möchte bloß nicht mehr die Augen schließen und hinter meinen Lidern spüren wie sie wütet. Ich möchte, dass sie endlich dorthin gehen kann, wo tote Seelen nun mal hin gehen. Das möchte ich, aber Erlösung? Wie könnte ich Erlösung erwarten? Ich habe sie nicht verdient und will sie auch nicht. Erlösung ist etwas für Leute, die zu schwach sind selbst den Stecker aus der Wand zu reißen. Vielleicht werde ich zu ihr gehen, damit ich mich für alles entschuldigen kann, wenn das überhaupt möglich sein sollte. Aber um ehrlich zu sein habe ich Angst davor. Nicht unbedingt vor dem Tod selbst, sondern vor ihr, denn ich weiß, dass sie auf mich wartet. Manchmal kann ich sie sehen, manchmal spüre ich sie einfach nur tief in meinem Inneren. Sie ruft mich, sie ruft mich zu sich und ich weiß, dass ich dem Ruf irgendwann folgen werde.
ENDE