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Das Buch

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"Das Buch"
Veröffentlicht am 08. Mai 2009, 6 Seiten
Kategorie Sonstiges
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Über den Autor:

Im April 1960 erblickte ich die Welt. Bin hier auf der Durchreise, und versuche - einfach gestrickt - mein Bestes zu geben. Leise Musik ist mir lieber als laute Worte ...
Das Buch

Das Buch

„Worin liegt der Unterschied, ob ich ein Buch öffne, oder es schließe?“ Diese Ausgangsfrage beschäftigte Georg, der gemütlich philosophierend in seinem dunkelgrünen Lederohrensessel saß.

Auf ihn hatten die Bücher seit jeher eine faszinierende Anziehungskraft. Ein Buch konnte er nicht einfach so öffnen. Für ihn war das eine Zeremonie. „Ein Buch verdient Achtung“, war einer seiner Leitsätze.

Mit einem kleinen Seufzer erhob er sich und bewegte sich langsam durchs Wohnzimmer auf das vollgestopfte Bücherregal zu. Hier standen sie, zwar nicht gerade gut sortiert, aber dennoch ganz ordentlich, wie er fand. Sein suchender Blick fiel auf ein kleines Buch ca. 12cm x 8cm und 1.5cm dick. Liebevoll schob er seinen rechtern Zeigefinger über den oberen Rand des Buchrückens und zog es heraus. „Schöpferische Pausen“, lange hatte er nicht mehr darin gelesen…

Froh, das Richtige gefunden zu haben, ließ er sich wieder in den Sessel plumpsen. Ganz bewusst betrachtete er dieses Werk in seinen Händen. Ehrfurcht berührte ihn. Er konnte und wollte das Buch nicht einfach so öffnen. Innehaltend versuchte er in Gedanken eine Brücke zu dem Menschen herzustellen, der das Buch geschrieben hatte: Rudolf Seitz. Aus dem Internet wusste er, dass dies ein Kunstpädagoge war, der im Jahre 2001 verstarb. Irgendwie fiel es ihm sehr leicht, die Gedankenbrücke zu betreten, auf der ihm dieser Autor entgegenkam. Das war nicht immer so. Mit noch lebenden Autoren hatte er zuweilen seine liebe Mühe. Bloß hatte er sich ein Bild von jemandem gemacht, musste er es oft wieder revidieren, weil aus den Medien unerwartete Dinge zum Vorschein kamen. Hier aber war es anders, das Lebens-Buch des Autors war bereits geschlossen. Es kam nichts Neues mehr dazu. Dieses Buch war ein Geschenk an die Nachwelt.

Sinnierend öffnete er mit der linken Hand das Buch. Vier Finger auf dem Deckel, welcher festgehalten vom Daumen durch eine langsame Handdrehung sich von den Seiten abhob. Es war wie das Öffnen einer Schatztruhe, ein gespanntes Erwarten. Die Buchstaben schienen ihm entgegenzufunkeln…

Georg liebte es, langsam zu lesen. „Lesen braucht Zeit. Überfliegen kann man Zeitschriften, aber nicht Bücher!“ Häufig wiederholte er Sätze, um sie besser zu verstehen. Ließ die Gedanken des Autors über die Brücke in seine einfließen und tauchte so in neue Dimensionen ein. Lesen war für ihn Nahrungsaufnahme. Er war hungrig und fand auch dieses Mal wieder wunderschöne Passagen, die in sättigten.

Leider war seine Art zu Lesen ziemlich ermüdend. Oft fielen ihm, wie heute, nach zwanzig dreißig Seiten schon beinahe die Augen zu. So schloss er das Buch, indem er es mit Beiden Händen behutsam zuschlug. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht – gerade jetzt wurde es ihm bewusst, worin der Unterschied zwischen dem Öffnen und Schließen eines Buches liegt: „Beim Schließen machen beide Hände dasselbe, beim Öffnen nicht…“
Nun, das war aber nicht das Wesentliche seiner Erkenntnis. Vielmehr hatte der Unterschied etwas mit ihm selber zu tun. Beim Öffnen betrat er voller Erwartung die Gedankenbrücke, die ihn in die Welt des Autors führte. Beim Schließen war er genährt, gestärkt (je nach Buch manchmal auch geschwächt) und kehrte über dieselbe Brücke wieder zurück in sein eigenes Ich.

Georg dachte: „Bücher sind einzigartig. Durch Bücher können Autoren, auch wenn sie schon lange gestorben sind, ihr Gedankengut an andere Menschen weitergeben. Eigentlich hat kein Kritiker dieser Welt das Recht, solche Werke schlecht zu machen. Ob sie gefallen finden oder nicht, liegt einzig und allein daran, ob es dem Leser gelingt, über die Gedankenbrücke zum Autor zu gelangen. Mir ist es gelungen und vielleicht hat sich ja Rudolf Seitz, wo immer er jetzt sein mag, gefreut, als ich sein Buch öffnete und ein Stück meines Weges mit ihm gegangen bin….“

Tief durchatmend lehnte er sich zurück, schloss seine Augen und stellte sich vor, wie schön es sein müsste, einmal seine eigenen Gedanken in ein Buch einzubringen. Wie sehr er sich freuen würde, wenn dann jemand über die Brücke zu ihm käme – auch wenn er sein Lebensbuch schon längst geschlossen hätte.
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Luap
Im April 1960 erblickte ich die Welt.
Bin hier auf der Durchreise, und versuche - einfach gestrickt - mein Bestes zu geben.
Leise Musik ist mir lieber als laute Worte ...

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Luap Re: Ausgesprochen ... -
Zitat: (Original von Gunda am 09.05.2009 - 14:05 Uhr) ... interessante GEdankengänge, Paul. Auch ich konnte mich in vielem gut wiederfinden. Wenn ich die Brücke zum Autor (sehr oft aber eher - sofern es sich um Romane handelt - zu dessen Protagonisten) betrete, bin ich für den Rest der Welt nicht mehr zu erreichen. Ich lebe dann in den Büchern. Wohl einer der Gründe, weshalb ich noch nie ein Buch weggeworfen habe, selbst wenn mich der Inhalt überhaupt nicht fesseln konnte. Säckeweise bestücke ich lieber Bücherstuben auf Campingplätzen damit. Irgendjemand wird sich genau auf dieser Brücke sehr wohl fühlen.

Und hat man nicht selbst als Autor von Gedichten oder Kurzgeschichten manchmal den Eindruck, dass einem die Leser von der anderen Seite der Brücke entgegenkommen - sofern sie nicht nur: WOW, schön geschrieben ... drunter kritzeln, sondern man dem Kommentar anmerken kann, dass sich der Leser mit dem Text beschäftigt hat.

Ich habe mal in einem Gedicht (sinngemäß) geschrieben:
Ein Wort kann eine Brücke sein.
Ich kann dieses Wort aussprechen,
bereit sein, die Brücke von deiner Seite zu betreten,
musst du schon selber.

Soll als Schlusswort dienen.

LG
Gunda


Vielen Dank Gunda!

Brücken sind wirklich spannend...

LG, Paul
Vor langer Zeit - Antworten
Gunda Ausgesprochen ... - ... interessante GEdankengänge, Paul. Auch ich konnte mich in vielem gut wiederfinden. Wenn ich die Brücke zum Autor (sehr oft aber eher - sofern es sich um Romane handelt - zu dessen Protagonisten) betrete, bin ich für den Rest der Welt nicht mehr zu erreichen. Ich lebe dann in den Büchern. Wohl einer der Gründe, weshalb ich noch nie ein Buch weggeworfen habe, selbst wenn mich der Inhalt überhaupt nicht fesseln konnte. Säckeweise bestücke ich lieber Bücherstuben auf Campingplätzen damit. Irgendjemand wird sich genau auf dieser Brücke sehr wohl fühlen.

Und hat man nicht selbst als Autor von Gedichten oder Kurzgeschichten manchmal den Eindruck, dass einem die Leser von der anderen Seite der Brücke entgegenkommen - sofern sie nicht nur: WOW, schön geschrieben ... drunter kritzeln, sondern man dem Kommentar anmerken kann, dass sich der Leser mit dem Text beschäftigt hat.

Ich habe mal in einem Gedicht (sinngemäß) geschrieben:
Ein Wort kann eine Brücke sein.
Ich kann dieses Wort aussprechen,
bereit sein, die Brücke von deiner Seite zu betreten,
musst du schon selber.

Soll als Schlusswort dienen.

LG
Gunda
Vor langer Zeit - Antworten
Luap Re: Das Buch -
Zitat: (Original von Shari am 08.05.2009 - 23:47 Uhr) Mich hat die Geschichte von Georg sehr berührt - ich fand mich in Vielem selbst wieder, sei es die Einstellung zum Buch im Allgemeinen, der Art und Weise , damit umzugehen - bis hin zu dem, was uns Autoren vermitteln. Mir gefällt der Gedankengang mit der Gedankenbrücke, auf dem sich Leser und Autor begegnen so gut - das könnte man nicht treffender ausdrücken.
Ich bin sicher, wenn Georg ein Buch schreiben würde, daß es einige Leser geben würde, die auch zu ihm auf seine Gedankenbrücke kämen. Ich denke aber, daß er zu Lebzeiten mehr davon hätte... *lächel*

LG. Heidi



Vielen Dank Heidi!
Na klar, zu Lebzeiten hätte er mehr davon... :-)

Lieben Gruss in deinen Tag
Paul
Vor langer Zeit - Antworten
Shari Das Buch - Mich hat die Geschichte von Georg sehr berührt - ich fand mich in Vielem selbst wieder, sei es die Einstellung zum Buch im Allgemeinen, der Art und Weise , damit umzugehen - bis hin zu dem, was uns Autoren vermitteln. Mir gefällt der Gedankengang mit der Gedankenbrücke, auf dem sich Leser und Autor begegnen so gut - das könnte man nicht treffender ausdrücken.
Ich bin sicher, wenn Georg ein Buch schreiben würde, daß es einige Leser geben würde, die auch zu ihm auf seine Gedankenbrücke kämen. Ich denke aber, daß er zu Lebzeiten mehr davon hätte... *lächel*

LG. Heidi
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