Ich finde die Leute schreiben viel zu wenig. Kommen Sie jetzt bitte nicht auf die Idee, ich würde mich über zu wenig Aufmerksamkeit seitens unserer Post und deren Auftraggeber beschweren. So ist es in keinem Fall. Mein Postbote und ich sind beste Freunde und wo es nur geht arbeiten wir Hand in Hand. Wenn ihm sein Ballast zu viel wird – was im Allgemeinen die Postwurfsendungen betrifft, die meiner Ansicht nach für jeden Haushalt bestimmt sind – wirft er diese kurzerhand in meinen Briefkasten. Ich habe nichts dagegen, zumal das bisschen in dem übrigen Altpapier kaum auffällt. Wenn mein lieber Herr Postzusteller unheimlich unter Zeitdruck steht, teilen wir uns seine Arbeit gern. Er kassiert den Lohn und ich verteile die Briefe in die umliegenden Kästen meiner Nachbarn. Nun, auch das ist nicht weiter tragisch, auch das läuft bei uns Hand in Hand und ohne weitere Absprache. Was ich vermisse, ist die schöne Post. Beispielsweise die gut parfümierten in edlem Papier verpackten Briefe zweier Liebender. Die sich auf diese wunderbare Weise ihre Liebe gestehen. Ich kann mich auch noch gut an derlei Kontakte erinnern. Wie bei so vielen anderen fing meine briefliche Karriere mit Zweizeilern an wie: „Willst du mit mir gehen, Kreuze an Ja – nein“.Diese hohe Kunst der Konversation langweilte mich sehr schnell und so habe ich das Schreiben wieder aufgegeben. Das änderte sich schlagartig, als ich meinen Mann kennen lernte. Damals waren wir noch jung verliebt und unverheiratet. Unser junges Glück wurde jäh gestört. Mächtige Menschen schickten meinen Herzallerliebsten für mehrere Monate an den Persischen Golf. Durch die Unmenschlichkeit derer, die ein junges Glück verhindern wollten, blieben uns nur wenige Telefonate, die – außer dass sie Unsummen verschlangen – nicht der Rede wert waren.Da kam uns die Erfindung des Briefverkehrs nur recht. Wenn die Post der Bundeswehr ein wenig schneller gewesen wäre, hätte ich jeden Tag einen Brief bekommen. Umgekehrt war es natürlich auch so. Und ich kann Ihnen sagen, das waren Briefe! In diesen Briefen hat mein Liebster Seiten von sich beschrieben, die ich bis heute nicht zu Gesicht bekommen habe. Und Zeit genug wäre gewesen! Seine Liebesbekundungen umfassten das gesamte Repertoire. Zum Lesen unserer Briefe suchte sich jeder von uns einen geheimen Ort, da wir außer dem üblichen Geplänkel das Wort Briefverkehr ziemlich wörtlich genommen haben. Jeder unserer Briefe umfasste mindestens drei Seiten.Heute liegt ihr Geheimnis darin, ihren Aufbewahrungsort nicht preiszugeben. Ich darf gar nicht denken, dass auch nur eines unserer Kinder ein paar Zeilen liest. Unsere Autorität und unser Ansehen wären zunichte gemacht.Aber, da ich gerade von unseren Kindern spreche. Sie haben den Briefverkehr auch schon für sich entdeckt. Ihre Post besteht hauptsächlich aus Schmierpapier, die häufig zu Papierfliegern gefaltet in die Küche, in das Schlafzimmer, das Badezimmer oder sonstige Räume geflogen kommen in denen sich Eltern aufhalten. Ihre Nachrichten sind immer kurz gehalten, wie zum Beispiel diese: „Entschildigung. Es tut mir leid“ oder „Du bist dof. Ich sprech nich mer mit dir“.Ich liebe diese Kurzmitteilungen. In erster Linie habe ich immer etwas zu lachen. Zweitens ist eine bessere Überwachung ihrer Rechtschreibschwächen sicherlich nicht möglich. Und drittens denke ich mir, lieber eine schriftliche Kommunikation als gar keine. Nachdem diese Papierflieger korrigiert und um Sätze erweitert worden sind, fliegen sie geradewegs ins jeweilige Kinderzimmer zurück. Daraufhin gibt es zwei Möglichkeiten.Entweder wir sprechen wieder miteinander oder wir verbleiben in Briefkontakt. Ich kann nur sagen: Ein Hoch auf das geschriebene Wort!